VwGH vom 22.10.1990, 89/15/0157
Beachte
Besprechung in:
ÖStZB 1991, 292;
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Wetzel, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde der Landwirtschaftskammer für Vorarlberg gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg (Berufungssenat) vom , Zl. 1481-2/89, betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 1985 und 1986, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin (eine Körperschaft des öffentlichen Rechts) führt einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb (Alpbetrieb) sowie mehrere Betriebe gewerblicher Art. Für die Streitjahre (1985 und 1986) brachte sie - wie schon in den Jahren zuvor - Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuererklärungen ein. In ihren Erklärungen wies sie steuerpflichtige Umsätze von S 475.025,60 (1985) und S 2,606.929,34 (1986) sowie abziehbare Vorsteuern von S 135.810,19 (1985) und S 179.282,14 (1986) aus. Das Finanzamt nahm die Veranlagung zur Umsatzsteuer für 1985 in Übereinstimmung mit der abgegebenen Erklärung bzw. in der Folge mit einer Berufungsvorentscheidung im Sinne des Berufungsantrages der Beschwerdeführerin vor.
Mit Vorhalt vom forderte das Finanzamt die Beschwerdeführerin auf, ihre Umsatzsteuererklärung für 1986 unter anderem durch den Nachweis zu ergänzen, daß für den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb der Beschwerdeführerin Buchführungspflicht bestehe oder ein Antrag nach § 22 Abs. 6 UStG 1972 gestellt worden sei. Die Beschwerdeführerin brachte daraufhin mit Schreiben vom unter anderem vor, sie habe sich seit Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes 1972 "der Regelbesteuerung unterworfen". Ein formeller Antrag im Sinne des § 22 Abs. 6 UStG 1972 sei nicht mehr auffindbar; dieser sei wahrscheinlich unauffindbar abgelegt worden oder abhanden gekommen. Dem "heutigen Buchhalter", der sein Amt erst seit einigen Jahren ausübe, seien "die Grundlagen der Regelumsatzbesteuerung" nicht bekannt, wohl aber sprächen für diese die faktischen Verhältnisse; beispielsweise habe eine abgabenbehördliche Prüfung die Umsatzsteuer der Jahre 1977 bis 1979 betreffend keine Beanstandungen ergeben. Die Beschwerdeführerin führte weiters wörtlich aus:
"Sollte trotz dieser Auskunft noch formell der Antrag im Sinne des § 22 Abs. 6 UStG 1972 gestellt werden, so soll dieser Form mit diesem Schreiben nachträglich entsprochen werden."
Bei einer im Jahre 1987 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung der Besteuerungsgrundlagen der Jahre 1984 bis 1986 wurde unter anderem festgestellt, daß ein Antrag, die Umsätze der Beschwerdeführerin aus Land- und Forstwirtschaft nach allgemeinen Vorschriften abrechnen zu dürfen, erst mit dem Schreiben vom gestellt worden sei. Dennoch seien die Umsätze aus Land- und Forstwirtschaft nach den allgemeinen Bestimmungen erklärt worden. Mangels eines Wiederaufnahmsgrundes für 1984 könne eine Berichtigung nur für 1985 und 1986 erfolgen.
Das Finanzamt nahm das Verfahren betreffend die Umsatzsteuer für 1985 wieder auf und erließ einen neuen Sachbescheid. Dabei - und in dem gleichzeitig erlassenen Umsatzsteuerbescheid für 1986 - setzte es die auf den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb der Beschwerdeführerin entfallenden Umsatzsteuern abzüglich der Vosteuern jeweils mit Null fest.
In ihrer gegen diese Umsatzsteuerbescheide erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, das Finanzamt habe ihre Aussage, wonach die "kammereigenen Alpen" seit Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes 1972 nach der Regelbesteuerung behandelt worden seien, daß aber der hiezu erforderliche formelle Antrag im Sinne des § 22 Abs. 6 UStG 1972 nicht mehr auffindbar sei, nicht berücksichtigt. Der frühere Buchhalter der Beschwerdeführerin könne sich noch genau erinnern, daß der in der Zwischenzeit verstorbene Steuerreferent einen Antrag zur Regelbesteuerung der kammereigenen Alpen gestellt habe. Das Steuerprüfungsergebnis betreffend die Umsatzsteuer 1977 bis 1979 stelle die Bestätigung dieser Aussage dar.
Nach Erlassung einer die Berufung als unbegründet abweisenden Berufungsvorentscheidung beantragte die Beschwerdeführerin die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Im Berufungsverfahren wurde der von der Beschwerdeführerin namhaft gemachte Zeuge M. vernommen. Dieser gab im wesentlichen an, er sei bei der Beschwerdeführerin vor allem mit der Führung der Lohnkonten beschäftigt gewesen. Auf die Erstellung von Steuererklärungen habe er keinerlei Einfluß gehabt; mit den rechtlichen Auswirkungen eines Regelbesteuerungsantrages sei er nicht konfrontiert gewesen. Er habe einen solchen Antrag auch persönlich nie gesehen. Er nehme jedoch an, daß ein Antrag gestellt worden sei. Vor Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes 1972 habe nämlich eine Besprechung mit Vertretern der belangten Behörde stattgefunden, über die ein Protokoll angefertigt worden sei. Er nehme an, daß in diesem Protokoll auch der Regelbesteuerungsantrag enthalten gewesen sei, da in der Folge Voranmeldungen und Umsatzsteuererklärungen abgefaßt worden seien. Diese seien bei Prüfungen nicht beanstandet worden. Ein zusätzlich gestellter Antrag müsse beim Umzug verlorengegangen sein. Daß ein solcher Antrag zusätzlich gestellt worden sei, vermute er deshalb, weil dementsprechende Steuererklärungen abgefaßt worden seien.
Den Verwaltungsakten ist ferner ein Protokoll über eine am abgehaltene Besprechung zwischen Vertretern der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde angeschlossen. Gegenstand der Besprechung waren nach dem Inhalt des Protokolles Fragen der Umsatzbesteuerung von Lieferungen und Leistungen in der Land- und Forstwirtschaft. Ein Antrag der Beschwerdeführerin im Sinne des § 22 Abs. 6 UStG 1972 wird in dem Protokoll nicht erwähnt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Begründend vertrat sie nach Darlegung der Rechtslage und des Verfahrensganges die Auffassung, weder der Aussage des Zeugen M. noch dem von diesem angeführten Protokoll könne entnommen werden, daß die Beschwerdeführerin eine ausdrückliche Erklärung nach § 22 Abs. 6 UStG 1972 abgegeben habe. Ein solcher Antrag sei weder bei der Beschwerdeführerin noch beim Finanzamt auffindbar. Es sei daher höchst unwahrscheinlich, daß die Beschwerdeführerin tatsächlich einen solchen Antrag gestellt habe. Die Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen oder Umsatzsteuererklärungen stelle keinen Antrag im Sinne der zitierten Vorschrift dar. Die Beschwerdeführerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf die vom Finanzamt in den Vorjahren geübte Vorgangsweise berufen. Die Behörde sei nämlich nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, von einer gesetzwidrigen Verwaltungsübung, einer gesetzlich nicht gedeckten Rechtsauffassung oder einer unrichtigen Tatsachenwürdigung abzugehen, sobald sie ihr Fehlverhalten erkenne.
Die vorliegende Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zunächst ist hervorzuheben, daß die Beschwerdeführerin sich mit ihrer Berufung nicht gegen den die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Umsatzsteuer für 1985 verfügenden Bescheid, sondern ausdrücklich nur gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1985 und 1986 wendete. Nur die letzteren sind somit Gegenstand des Beschwerdeverfahrens; die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Umsatzsteuer für 1985 ist im Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen.
Gemäß § 22 Abs. 1 UStG 1972 in der im Streitzeitraum anzuwendenden Fassung wird bei nichtbuchführungspflichtigen Unternehmen, die Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausführen, die Steuer für diese Umsätze mit 10 v.H. der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Die diesen Umsätzen zuzurechnenden Vorsteuerbeträge werden in gleicher Höhe festgesetzt.
Nach Abs. 7 der zitierten Vorschrift sind die Bestimmungen der Abs. 1 bis 6 auch auf land- und forstwirtschaftliche Betriebe einer Körperschaft des öffentlichen Rechts anzuwenden, wenn die Umsätze der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gemäß § 1 Abs. 1 Z. 1 und 2 in einem der dem Veranlagungsjahr vorangegangenen drei Kalenderjahre S 3,5 Mio nicht überstiegen haben. Wird diese Umsatzgrenze nicht überschritten, so gelten die Abs. 1 bis 6 nur für jene land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, hinsichtlich welcher der nach den Grundsätzen des ersten Abschnittes des zweiten Teiles des Bewertungsgesetzes 1955 unter Berücksichtigung von Zupachtungen und Verpachtungen zum 1. Jänner eines Jahres ermittelte Wert der bei Unterhalten eines zu land- und forstwirtschaftlichen Vermögen gehörenden Betriebes selbstbewirtschafteten Fläche S 900.000,-- nicht übersteigt.
Nach § 22 Abs. 6 UStG 1972 kann der Unternehmer bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraumes gegenüber dem Finanzamt schriftlich erklären, daß seine Umsätze vom Beginn dieses Kalenderjahres an nicht nach den Abs. 1 bis 5, sondern nach den allgemeinen Vorschriften dieses Bundesgesetzes besteuert werden sollen. Diese Erklärung bindet den Unternehmer für mindestens fünf Kalenderjahre. Sie kann nur mit Wirkung vom Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen werden. Der Widerruf ist spätestens bis zum Ablauf des ersten Kalendermonates nach Beginn dieses Kalenderjahres zu erklären.
Ein Sachverhalt, aus dem sich die Anwendbarkeit der allgemeinen Grundsätze bei der Besteuerung der im Rahmen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes der Beschwerdeführerin ausgeführten Umsätze wegen deren Buchführungspflicht bzw. der Überschreitung der in Abs. 7 der zitierten Vorschrift angeführten Umsatz- bzw. Wertgrenzen ergäbe, ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die Besteuerung der in den Streitjahren im Rahmen des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes der Beschwerdeführerin ausgeführten Umsätze nach allgemeinen Grundsätzen käme daher nur in Betracht, wenn die Beschwerdeführerin rechtzeitig (bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraumes) eine Erklärung im Sinne des § 22 Abs. 6 UStG 1972 erster Satz abgegeben hätte. § 22 Abs. 6 UStG 1972 verlangt - ebenso wie § 21 Abs. 8 (vgl. hiezu z. B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/15/0055, und die dort zitierte ständige hg. Rechtsprechung) - eine formgebundene Erklärung ganz bestimmten Inhaltes. Die von einem Unternehmer abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen und/oder Umsatzsteuererklärungen können die erforderliche ausdrückliche schriftliche Erklärung nicht ersetzen.
Auf der Grundlage der von der belangten Behörde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellung, wonach ein solcher Antrag erstmals mit dem Schreiben der Beschwerdeführerin vom gestellt wurde, sind die strittigen Umsätze der Beschwerdeführerin im Sinne des § 22 Abs. 1 UStG 1972 nach Durchschnittssätzen zu besteuern.
Die gegen die erwähnte Feststellung der belangten Behörde gerichteten Argumente der Beschwerdeführerin sind nicht zielführend. Sie erachtet sich in ihrem Recht auf Parteiengehör und auf amtswegige Sachverhaltsfeststellung dadurch verletzt, daß die belangte Behörde es unterließ, die Aussage des Zeugen M. mit der Beschwerdeführerin zu erörtern bzw. ihr das im angefochtenen Bescheid genannte Protokoll vorzuhalten und mit ihr zu erörtern, ob sich nicht aus diesem Protokoll die Möglichkeit einer weiteren Klärung der Frage des Vorliegens eines schriftlichen Regelbesteuerungsantrages ergeben könnte. Da im Falle des Vorliegens eines schriftlichen Regelbesteuerungsantrages jedenfalls im Sinne der Beschwerdeführerin zu entscheiden gewesen wäre, hätte "diese Frage" für die Beschwerdeführerin entscheidende Bedeutung haben können; "dementsprechend" käme dem hier dargestellten Verfahrensmangel jedenfalls Entscheidungswesentlichkeit zu.
Diese Ausführungen können der Beschwerde schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Beschwerdeführerin nicht aufzeigt, was sie vorgebracht hätte, wenn ihr Gelegenheit zur Stellungnahme geboten worden wäre. Auch aus dem Akteninhalt ist nicht ersichtlich, daß die belangte Behörde bei Vermeidung des Verfahrensmangels zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, da der vernommene Zeuge nach eigener Darlegung keine unmittelbaren Wahrnehmungen einen Antrag im Sinne des § 22 Abs. 6 UStG 1972 betreffend gemacht hat und auch das von der belangten Behörde eingesehene Protokoll einen solchen Antrag weder enthält noch erwähnt. Der behauptete Verfahrensmangel ist daher nicht wesentlich.
Auch eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Sie vertritt die Auffassung, sie wolle nicht neu der Regelbesteuerung unterworfen werden; es gehe vielmehr darum, daß sie seit jeher der Regelbesteuerung unterworfen gewesen sei und diese nicht aufgeben wolle. Sie habe vor etwa 15 Jahren zumindest auch auf eine formlose Art und Weise, wie sie von den Finanzbehörden laut Erlaß AÖF Nr. 193/1974 "ausdrücklich als eindeutige Antragstellung akzeptiert" worden sei, nämlich durch rechtzeitige Abgabe der Umsatzsteuererklärungen, die Regelbesteuerung beantragt. Sie sei somit über eine ausdrücklich von den Behörden akzeptierte Vorgangsweise in die Regelbesteuerung "hineingekommen". Um nun wieder aus der Regelbesteuerung "herauszukommen", hätte die Beschwerdeführerin eine gegenteilige ausdrückliche Erklärung bei der Finanzbehörde abgegeben müssen. Jemand, der einmal "regelbesteuert" sei, bleibe dies nämlich auf Dauer, solange er keinen ausdrücklichen gegenteiligen Antrag stelle.
Diesen Ausführungen ist zunächst zu erwidern, daß alle Erörterungen über den Inhalt des Erlasses des Bundesministers für Finanzen vom , AÖF Nr. 193/1974, schon deshalb nicht zielführend sind, weil dieser mangels der von der Rechtsordnung geforderten Publikation keine allgemein verbindliche Rechtsquelle darstellt. Aus diesem Erlaß können daher im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof verfolgbare Rechte nicht abgeleitet werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Slg. 5838/F, und die darin zitierte Vorjudikatur). Die von der Beschwerdeführerin abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen ersetzen, wie schon dargelegt wurde, die nach dem klaren Gesetzestext unerläßliche form- und fristgebundene Erklärung nicht.
Ebensowenig vermag der Umstand, daß in den Vorjahren die Veranlagung - wegen des Fehlens einer Erklärung der Beschwerdeführerin im Sinne des § 22 Abs. 6 UStG 1972 in gesetzwidriger Weise - entsprechend den abgegebenen Steuererklärungen und nicht nach Durchschnittssätzen vorgenommen wurde, eine Bindung der Abgabenbehörde an diese Vorgangsweise zu bewirken (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 83/15/0063).
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom , BGBl. Nr. 206.