VwGH vom 21.03.2002, 2001/16/0560
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
2001/16/0561
2001/16/0564
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2002/16/0033 E
2002/16/0034 E
2002/16/0035 E
2002/16/0036 E
2002/16/0037 E
2002/16/0038 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerden 1. der O-Gesellschaft m.b.H. in W und 2. der O-Gesellschaft m.b.H in W, beide vertreten durch Prunbauer, Peyrer-Heimstätt und Romig, Rechtsanwälte in Wien 1, Mahlerstraße 7, gegen die als "Verfahrensanordnungen" bezeichneten Bescheide der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zlen. 1) 7- 483-241/01-1; 7-483-242/01-1 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin) und 2) 7-483-225/01-3 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), je betreffend Einstellung eines Vorstellungsverfahrens gemäß § 94 Abs. 4 der stmk. Gemeindeordnung (in Angelegenheiten der Getränkesteuer; mitbeteiligte Partei:
Stadtgemeinde Leoben), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat der Erstbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.179,36 und der Zweitbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die zwei Rechtsvorgängerinnen der Erstbeschwerdeführerin (nämlich die KS-GmbH und die KG-GmbH) sowie die Zweitbeschwerdeführerin hatten (jeweils textgleich) am an die mitbeteiligte Stadtgemeinde Leoben betreffend die Zeiträume vom bis Anträge auf Rückzahlung der Getränkesteuer für alkoholische Getränke gestellt.
Mit Bescheiden vom setzte der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde Leoben für die in Rede stehenden Zeiträume jeweils Getränkesteuer fest und wies die Anträge auf Rückzahlung als unbegründet ab.
Auf Grund der dagegen von den beiden Rechtsvorgängerinnen der Erstbeschwerdeführerin und von der Zweitbeschwerdeführerin erhobenen Berufungen wurden von der Abgabenbehörde erster Instanz am jeweils Berufungsvorentscheidungen erlassen, mit denen die Getränkesteuer auf alkoholische Getränke jeweils mit S 0,00 festgesetzt und Folgendes ausgesprochen wurde: "Die bisher für den Rechtsbehelfszeitraum für alkoholische Getränke entrichtete Getränkeabgabe stellt nunmehr ein Guthaben dar."
In der Begründung der Berufungsvorentscheidungen wurde dazu (jeweils wortgleich) Folgendes ausgeführt: "Über das allfällig im Spruch dieses Bescheides ausgewiesene Guthaben bzw. über eine allfällig noch nicht entrichtete auf alkoholische Getränke überwälzte Abgabe wird in einem gesonderten Verfahren nach Klärung der Überwälzungsfrage im Zuge eines abgabenbehördlichen Ermittlungsverfahrens abgesprochen."
Gegen diese Berufungsvorentscheidungen stellten die beiden Beschwerdeführerinnen jeweils Anträge auf Entscheidung über die Berufungen durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Mit Berufungsentscheidungen (je vom ) gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde Leoben den Berufungen jeweils teilweise Folge, setzte die Getränkeabgabe für alkoholische Getränke für den Zeitraum vom bis jeweils mit S 0,00 fest und fällte im Übrigen jeweils folgenden Spruch:
"2. Insoweit Zahlungen in einer die Abgabefestsetzung übersteigenden Höhe geleistet wurden, stellen diese Überzahlungen mit der Zustellung dieses Bescheides eine Gutschrift dar.
3. Die Berufung gegen die erstinstanzliche Abweisung des Rückzahlungs- oder Gegenverrechnungs- bzw. Gutschriftsantrages, welche mangels eines bestehenden Guthabens zum Zeitpunkt der Antragstellung erfolgte, wird
als unbegründet abgewiesen.
4. Ob noch eine weitere der Getränkeabgabe auf alkoholische Getränke entsprechende, wirtschaftlich von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragene Abgabe festzusetzen ist, wird in einem gesonderten Verfahren nach Klärung der Überwälzungsfrage (§ 186 LAO) untersucht und darüber in einem gesonderten rechtsmittelfähigen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz abgesprochen."
Gegen diese Berufungsentscheidungen erhoben die Beschwerdeführerinnen jeweils am Vorstellungen an die belangte Behörde.
Mit jeweils als "Verfahrensanordnungen" bezeichneten Erledigungen vom brachte die belangte Behörde die drei Vorstellungsverfahren zur Einstellung, wobei sie die Vorgangsweise jeweils wie folgt begründete:
"Mit Schreiben vom hat die Stadtgemeinde Leoben die Vorstellung mit den Akten des Verwaltungsverfahrens der Aufsichtsbehörde zur Entscheidung vorgelegt und gleichzeitig mitgeteilt, dass durch Abgabenbescheid vom eine Abänderung der bekämpften Erledigung u.a. insofern eingetreten ist, als über die Frage des Vorliegens eines Guthabens als Folge der Festsetzung einer "überwälzten Abgabe" neuerlich abgesprochen wurde."
Dazu führte die belangte Behörde noch Folgendes aus:
"Abschließend ist festzuhalten, dass die Einstellung eines Verwaltungsverfahrens somit auch eines Vorstellungsverfahrens, nicht notwendigerweise in Bescheidform zu ergehen hat (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 374). Vor diesem Hintergrund kommt dieser Erledigung nicht der Charakter eines an die Vorstellungswerberin gerichteten Bescheides betreffend die Einstellung eines von ihr angestrengten Vorstellungsverfahrens zu."
Tatsächlich hatte der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde Leoben als Abgabenbehörde erster Instanz jeweils am drei Bescheide erlassen, mit denen jeweils für die Zeiträume vom bis Getränkesteuer für alkoholische Getränke (im Ausmaß von ATS 108.347 bzw. 385.865 bzw. 73.752) festgesetzt wurde und die Rückzahlungsanträge abgewiesen wurden.
Gegen die "Verfahrensanordnungen" der belangten Behörde richten sich die vorliegenden Verwaltungsgerichtshofbeschwerden je wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerinnen erachten sich je in ihrem Recht auf bescheidmäßige Erledigung der Vorstellung durch Sachentscheidung der Vorstellungsbehörde verletzt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete jeweils eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden als unbegründet begehrt wird. Die mitbeteiligte Partei äußerte sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres rechtlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:
Gemäß Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG kann gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges.
Eine der essentiellen Prozessvoraussetzungen für die Erhebung einer Bescheidbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof ist somit das Vorliegen eines (letztinstanzlichen) Bescheides.
Zunächst stellt sich daher die Frage, ob den angefochtenen Erledigungen ("Verfahrensanordnungen") der belangten Behörde im vorliegenden Fall überhaupt Bescheidqualität zukommt.
Diese Frage ist aus folgenden Gründen zu bejahen:
Im Vorstellungsverfahren ist das AVG anzuwenden (Berchtold, Gemeindeaufsicht 60; Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 561 mwN).
§ 58 AVG lautet auszugsweise:
"(1) Jeder Bescheid ist ausdrücklich als solcher zu bezeichnen und hat den Spruch und die Rechtsmittelbelehrung zu enthalten.
(2) Bescheid sind zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird.
(3) ..."
Für einen Bescheid ist gemäß § 58 Abs. 1 AVG nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Vorhandensein eines Spruches wesentlich (vgl. dazu insbesondere die bei Walter/Mayer, aaO, Rz 412, referierte hg. Judikatur), wohingegen allein der Mangel der ausdrücklichen Bezeichnung "Bescheid" einer Erledigung dann noch nicht den Bescheidcharakter nimmt, wenn der Erledigung normativer Gehalt zukommt (Walter/Mayer, aaO, Rz 408). Verfahrensrechtliche Bescheide sind solche, die ein prozessuales Rechtsverhältnis erledigen (Walter/Mayer, aaO, Rz 398).
Von Bescheiden zu unterscheiden sind bloße Verfahrensanordnungen, deren Existenz das AVG voraussetzt (Walter/Mayer, aaO, Rz 389), wobei die Unterscheidung danach zu treffen ist, ob im konkreten Fall für die betroffene Partei ein Rechtsschutzbedürfnis nach sofortiger Anfechtbarkeit der Erledigung besteht (Walter/Mayer, aaO, Rz 393). Das Vorliegen einer gemäß § 63 Abs. 2 AVG (selbstständig unanfechtbaren) Verfahrensanordnung ist dann zu verneinen, wenn durch die betreffende Erledigung als verfahrensrechtlicher Bescheid über die sich aus den verfahrensrechtlichen Bestimmungen ergebenden formalrechtlichen Rechtsverhältnisse gestaltend oder feststellend abgesprochen, also die verfahrensrechtliche Rechtstellung der Partei bestimmt wird (vgl. dazu insbesondere das bei Hauer/Leukauf, Handbuch5 unter ENr 6 zu § 63 Abs. 2 AVG referierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 86/04/0044).
Mit Rücksicht auf diese Kriterien ist den angefochtenen Erledigungen ungeachtet der Rechtsmeinung der belangten Behörde und der von ihr gewählten Bezeichnung "Verfahrensanordnung" jedenfalls Bescheidqualität zuzubilligen, weil nach dem unmissverständlichen normativen Gehalt des Spruches der Erledigungen damit jeweils die auf Grund der erhobenen Vorstellung begründete verfahrensrechtliche Parteistellung des Vorstellungswerbers (der ein Recht auf Entscheidung über seine Vorstellung hat; Berchtold, aaO, 70) beendet wurde.
Aus der von der belangten Behörde in diesem Zusammenhang zitierten Literaturstelle (Walter/Mayer, aaO, Rz 374) ist für den Standpunkt der belangten Behörde nichts zu gewinnen, weil - wie gerade die erhobenen Beschwerden zeigen - keine "unstrittigen Fälle" vorlagen.
In der Hauptsache geht es um die Frage, ob die Erlassung erstinstanzlicher Bescheide betreffend dieselben Zeiträume jeweils die Einstellung von bei der Gemeindeaufsichtsbehörde bereits anhängigen Vorstellungsverfahren in Anwendung des § 94 Abs. 4 stmk. GemeindeO rechtfertigt, in denen mit Vorstellung bekämpfte Berufungsbescheide überprüft werden sollen.
§ 94 stmk. GemeindeO LGBl. 115/1967 lautet auszugsweise:
"(1) Wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches im Bereich der Landesvollziehung in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, kann nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung des Bescheides dagegen Vorstellung erheben.
...
(4) Durch die Einbringung einer Vorstellung wird die Gemeinde nicht gehindert, von den ihr gesetzlich eingeräumten Befugnissen zur Aufhebung oder Abänderung des Bescheides Gebrauch zu machen. Trifft die Gemeinde eine solche Verfügung, so hat sie hievon die Aufstellungsbehörde unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Das Verfahren über die Vorstellung ist in diesem Fall einzustellen."
Nach dem unmissverständlichen Wortlaut dieser Bestimmung ist die Einstellung des Vorstellungsverfahrens nur für den Fall vorgesehen, dass die Gemeinde von den ihr gesetzlich eingeräumten Befugnissen zur Aufhebung oder Abänderung desjenigen Bescheides Gebrauch macht, der mit Vorstellung bei der Gemeindeaufsichtsbehörde angefochten ist (arg: "des Bescheides" = des angefochtenen Bescheides). Als von § 94 Abs. 4 stmk. GemeindeO vorgesehener Einstellungsgrund kommt daher nur eine formelle Klaglosstellung in Frage (so auch Berchtold, aaO, 69 und 70), nicht jedoch ein Fall, in dem wegen des Ergehens eines weiteren Bescheides der erstinstanzlichen Behörde in derselben Sache erst im Auslegungsweg allenfalls ein Wegfall des Rechtschutzinteresses argumentierbar wäre. Aus diesem Grund ist auch die Rechtsmeinung der belangten Behörde verfehlt, die auf die Praxis der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Wegfall der Beschwer (Wegfall des Rechtschutzinteresses) Bezug nimmt. Jene Fälle, in denen der Verwaltungsgerichtshof Beschwerdeverfahren einstellt, weil er aus der Warte der dem Höchstgericht zukommenden Kontrollbefugnis die Beschwerde zufolge Wegfalles des Rechtschutzbedürfnisses als gegenstandslos geworden erachtet, sind mit denen, die § 94 Abs. 4 stmk. LAO im Auge hat, nicht zu vergleichen. Ein von der Gemeindeabgabenbehörde erster Instanz (aus welchen Gründen auch immer) in derselben Sache trotz eines noch offenen, anhängigen Vorstellungsverfahrens erlassener weiterer Bescheid ist jedenfalls nicht als eine Entscheidung zu betrachten, die im Rahmen der der Gemeinde gesetzlich eingeräumten Befugnisse zur Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Bescheides im Wege einer formellen Klaglosstellung ergangen wäre.
Aus diesem Grund braucht auch auf die Frage der Wirkungen der im vorliegenden Fall ergangenen erstinstanzlichen Bescheide nicht weiter eingegangen zu werden.
Bereits aus diesem Grund hat daher die belangte Behörde ihre Bescheide jeweils mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Der Rechtsansicht der belangten Behörde kann auch deshalb nicht nähergetreten werden, weil es sonst jeweils die Abgabenbehörde unterer Instanz in der Hand hätte, durch die Erlassung eines neuen erstinstanzlichen Bescheides in derselben Sache, die schon bis auf die Ebene der Vorstellungsbehörde fortgeschrittene Rechtsverfolgung durch den Abgabenpflichtigen zu beenden und ihn solcherart daran hindern könnte, in angemessener Zeit eine (klärende) Entscheidung durch die Gemeindeaufsichtsbehörde bzw. durch einen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zu erlangen. Der Abgabenpflichtige wäre dann wieder gehalten, im Wege der Berufung gegen den neuerlichen Bescheid der ersten Instanz den Instanzenzug neu zu beschreiten, also bildlich gesprochen "von unten" neu zu beginnen, und könnte sodann - ein zweites Mal - bei der Vorstellungsbehörde angelangt, durch einen dritten erstinstanzlichen Bescheid in der Sache allenfalls wiederum aufgehalten werden. Damit wäre ein den rechtsstaatlichen Rechtsschutz im Ergebnis ausschaltendes "perpetuum mobile" erfunden.
Die Anwendung der von § 94 Abs. 4 stmk. GemeindeO vorgesehenen Einstellung des Vorstellungsverfahrens ist daher auf die engen, von dieser Gesetzesstelle selbst bestimmten Grenzen einer formellen Klaglosstellung (= Aufhebung oder Abänderung der mit Vorstellung angefochtenen letztinstanzlichen Entscheidung) zu begrenzen.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (§ 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am