zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 25.06.1990, 89/15/0088

VwGH vom 25.06.1990, 89/15/0088

Beachte

Besprechung in:

ÖStZB 1991, 141;

Betreff

F gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. 7 - 1156/13/89, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten in der Höhe von S 1,790.000,--. Er führte aus, sein Hauptkunde, die X-gesellschaft m.b.H. (XG) habe Ende 1985 die Zahlungen eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt sei eine Schlußrechnung des Beschwerdeführers über einen Betrag von S 18,7 Mio (ohne Mehrwertsteuer) lediglich mit S 14,4 Mio akontiert gewesen. Im Dezember 1986 habe er eine 20 %ige Ausgleichsquote von S 1,616.662,16 inklusive der darin enthaltenen Umsatzsteuer von S 269.443,69 erhalten. Sein Forderungsausfall gegenüber der XG habe sich auf rund S 3 Mio netto belaufen. Auf Grund der gegebenen Gesetzeslage sei dem Beschwerdeführer für die von der XG geleisteten Anzahlungen von S 14,4 Mio, S 2,4 Mio Mehrwertsteuer festgesetzt worden. Sein gesamter Verlust beim letzten Geschäft mit der XG sei dadurch auf insgesamt S 5,4 Mio angewachsen. Auf Grund der gegebenen Gesetzeslage sei es ihm nicht erlaubt gewesen, für die erhaltenen Anzahlungen Mehrwertsteuer zu verrechnen. Die Nachforderung von S 2,4 Mio verschlechtere daher die wirtschaftliche Situation des Beschwerdeführers weiter, obwohl diese Vorschreibung auf Grund der gegebenen Gesetzeslage als gerechtfertigt erscheine. Zur Sicherung des Fortbestandes seines Betriebes habe der Beschwerdeführer im Dezember 1985 Kredite von insgesamt S 4 Mio aufnehmen müssen. Zur Besicherung habe er eine ihm gehörende Liegenschaft und sämtliche Betriebseinrichtungsgegenstände inklusive des Fuhrparkes verpfänden müssen. Durch den Verlust des größten und besten Kunden sei der Betrieb des Beschwerdeführers ab dem Jahr 1986 nicht ausgelastet gewesen. Eine Einschränkung des Betriebsumfanges sei wegen hoher Abfertigungsansprüche der langjährigen Mitarbeiter des Beschwerdeführers unmöglich gewesen. In seinem Bestreben, unbedingt neue Aufträge zu erhalten, habe der Beschwerdeführer "Kampfofferte" erstellen müssen; die Rentabilität der auf dieser Grundlage erteilten Aufträge sei aber äußerst gering gewesen.

Die Mehrwertsteuernachforderung von rund S 2,4 Mio sei bis Mai 1988 durch Stundungszinsen auf mehr als 2,6 Mio angewachsen. Trotz des schlechten Geschäftsganges habe sich der Beschwerdeführer bemüht, seine Schulden beim Finanzamt abzustatten, was ihm durch monatliche Ratenzahlungen von

S 20.000,-- seit August 1986 und die Gutschrift der Vorauszahlungen an Einkommen- und Gewerbesteuer für 1985 in der Höhe von rund S 630.000,-- auch zu einem guten Teil gelungen sei. Der nunmehr aushaftende Schuldensaldo betrage

S 1,764.000,--. Der Beschwerdeführer sei mit Rückzahlungsverpflichtungen bei der Bank von monatlich mehr als

S 60.000,-- belastet; es erscheine daher unmöglich, beim Finanzamt mehr als S 20.000,-- monatlich zu leisten. Mit Rücksicht darauf, daß der derzeit aushaftende Rückstand laufend mit Stundungszinsen belastet werde, was annähernd der Rate entspreche, sehe sich der Beschwerdeführer außerstande, den Rückstand abzustatten. Eine Krediterweiterung komme mangels weiterer Sicherheiten nicht in Frage.

Das Finanzamt wies das Nachsichtansuchen des Beschwerdeführers ab.

In seiner dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, das Finanzamt habe eine äußerst oberflächliche rechtliche Beurteilung vorgenommen und sei keineswegs auf die dargelegten Gründe eingegangen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet ab. Begründend führte sie im wesentlichen aus, bei Forderungsausfällen als Folge eines Insolvenzverfahrens und den damit zusammenhängenden Umsatzsteuervorschreibungen und -berichtigungen handle es sich um Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage, die alle Abgabepflichtigen in gleicher Weise träfen. Derartige Forderungsausfälle stellten Vermögenseinbußen dar, mit denen jeder rechnen müsse, der sich im wirtschaftlichen Leben betätige. Diese seien dem Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzuordnen und begründeten für sich keine Unbilligkeit der Einhebung. Unbilligkeit werde jedoch dann anzunehmen sein, wenn die Einbringung der aushaftenden Abgabenschuldigkeiten den Nahrungsstand des Abgabenschuldners oder die Existenz des Unternehmens gefährde bzw. in Frage stelle. Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers, höhere Raten als S 20.000,-- pro Monat seien ihm wegen anderer Rückzahlungsverpflichtungen nicht möglich, und dem Umstand, daß Raten in dieser Höhe seit August 1986 regelmäßig entrichtet würden, könne jedoch geschlossen werden, daß dem Beschwerdeführer die Abstattung des Abgabenrückstandes in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Raten durchaus zumutbar sei, ohne daß eine Gefährdung von Nahrungsstand und Existenz eintrete. In diesem Zusammenhang dürfe auch die positive Entwicklung des Betriebes des Beschwerdeführers nicht außer acht gelassen werden. Sowohl die Bilanz zum als auch die Zwischenbilanz zum zeigten ein günstiges Betriebsergebnis. Das Argument, daß die monatlichen Ratenzahlungen lediglich zur Abdeckung der Stundungszinsen Verwendung fänden, komme nicht mehr zum Tragen, da zum die Aussetzung der Einbringung eines Betrages von S 1,500.000,-- verfügt worden sei. Die Raten könnten somit in einem beträchtlichen Ausmaß zur Tilgung des Rückstandes herangezogen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/15/0103).

Im angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Rechtsentscheidung die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung Handbuch 583 und die dort angeführte hg. Rechtsprechung). Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtwerbers gefährdete. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht (aus "persönlichen" Gründen) nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleich käme (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/17/0326).

Eine "sachliche" Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus "persönlichen" Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/14/0040, und die darin zitierte Vorjudikatur). Jedenfalls muß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen.

Eine derartige Unbilligkeit des Einzelfalles ist aber nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt. Nachteilige Folgen, die alle Wirtschaftstreibenden in ähnlicher Lage treffen, Geschäftsvorfälle, die dem Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzordnen sind, rechtfertigen eine Nachsicht nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/15/0005). Dies gilt auch, wenn sich herausstellt, daß Abgaben entgegen der Erwartung des Abgabepflichtigen nicht überwälzt werden können (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 3093/80; Stoll, aaO 584).

Auch der Beschwerdeführer gesteht zu, daß Forderungsausfälle als Folge einer Insolvenz keine Nachsicht von Abgaben rechtfertigende Besonderheiten des Einzelfalles darstellen. Er vertritt jedoch die Auffassung, in seinem Fall ergebe sich eine unbillige Härte aus dem Zusammentreffen eines solchen Insolvenzverfahrens mit anderen, noch im einzelnen zu erörternden Umständen.

Die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorgebrachten Umstände sind aber nicht geeignet, aufzuzeigen, daß es im vorliegenden Fall durch die Einhebung der Abgaben zu einer anomalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff käme.

Daß der Beschwerdeführer die auf die vereinnahmten Anzahlungen entfallende Umsatzsteuer entrichtet hat, bedeutet keine "Kumulierung" der Umsatzsteuer, wie der Beschwerdeführer meint, sondern eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage. Dieser Umstand stellt somit keine Besonderheit des Einzelfalles dar, die (in "sachlicher" Hinsicht) eine Unbilligkeit der Einhebung begründen könnte.

Mit seinen weiteren Darlegungen verkennt der Beschwerdeführer, daß es - soweit es Umstände betrifft, die eine "persönliche" Unbilligkeit begründen könnten - für die Beurteilung der Unbilligkeit nicht auf einzelne Aspekte eines Geschäftsvorganges, sondern auf die Auswirkungen der Abgabeneinhebung auf die Einkommens- und Vermögenslage des Abgabepflichtigen ankommt. Die Darlegungen des Beschwerdeführers beschränken sich aber - wie schon im Verwaltungsverfahren - im wesentlichen darauf, aufzuzeigen, daß der Beschwerdeführer von der Insolvenz seines Hauptkunden, die mit der Uneinbringlichkeit von ("besonders hohen") Forderungen verbunden war, betroffen wurde und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Folgen nur durch die Aufnahme von Bankkrediten und die Stellung von "Kampfofferten" begegnen konnte. Weder die Uneinbringlichkeit von Forderungen noch eine (allenfalls daraus resultierende) Überschuldung könnten jedoch für sich alleine die Annahme rechtfertigen, daß die Einbringung von Abgaben unbillig wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/15/0005); bei der Beurteilung, ob eine Abgabeneinhebung aus "persönlichen" Gründen unbillig wäre, sind vielmehr deren voraussichtliche Auswirkungen auf die Einkommens- und Vermögenslage des Abgabepflichtigen maßgeblich.

Dabei ist es Sache des Nachsichtwerbers, einwandfrei und unter Ausschluß jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/13/0199, 0200). Den Darlegungen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren - und auch in der Beschwerde - kann aber, die Auswirkungen der Abgabeneinhebung auf seine Einkommens- und Vermögenslage betreffend (neben einer Darstellung seiner Bankverbindlichkeiten und dem Hinweis auf fehlende weitere Kreditmöglichkeiten), lediglich entnommen werden, daß es dem Beschwerdeführer unmöglich erscheine, auf seine Abgabenschuldigkeiten höhere Ratenzahlungen als S 20.000,-- monatlich zu leisten.

Damit kann aber noch keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung begründet werden. Ob die Abgabeneinhebung unbillig sein könnte, wenn die geleisteten Ratenzahlungen die wirtschaftliche Leistungsfähgkeit des Abgabenschuldners vollständig ausschöpfen und wegen des Auflaufens von Stundungszinsen annähernd in der Höhe der Ratenzahlungen dennoch nicht zu einer wesentlichen Verringerung des Abgabenrückstandes führen, wie der Beschwerdeführer in erster Instanz geltend gemacht hat, kann im vorliegenden Fall unerörtert bleiben, da er in der Beschwerde den Ausführungen der belangten Behörde, dies komme nicht mehr zum Tragen, weil einen Betrag von S 1,500.000,-- betreffend mit die Aussetzung der Einhebung verfügt worden sei und die Ratenzahlungen in beträchtlichem Ausmaß zur Tilgung des Rückstandes dienten, nicht entgegentritt.

Gegen den aus seinem oben wiedergegebenen Vorbringen und dem Umstand, daß er seit August 1986 tatsächlich monatliche Ratenzahlungen von S 20.000,-- leistet, von der belangten Behörde gezogenen Schluß, dem Beschwerdeführer sei die Abstattung des aushaftenden Abgaberückstandes in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Raten zumutbar, ohne daß eine Gefährdung von Nahrungsstand und Existenz eintrete, wendet sich der Beschwerdeführer lediglich mit dem Hinweis, die Ratenzahlungen seien nur unter "extremer Einschränkung" und Ausschöpfung sämtlicher Kreditmöglichkeiten möglich. Weder die nicht weiter konkretisierte und im übrigen im Beschwerdeverfahren erstmals aufgestellte Behauptung "extremer Einschränkungen" noch der Hinweis auf die Ausschöpfung sämtlicher Kreditmöglichkeiten sind jedoch geeignet, der Verpflichtung des Nachsichtwerbers zu entsprechen einwandfrei und unter Ausschluß jeglichen Zweifels die für die Nachsicht sprechenden Umstände darzutun. Welche wirtschaftlichen Auswirkungen der Abgabeneinhebung eine "persönliche" Unbilligkeit begründen können, wurde schon eingangs dargelegt; das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Beschwerdeführer aber weder mit seinen oben wiedergegebenen allgemeinen Hinweisen noch an anderer Stelle ausreichend konkret dargetan.

Mit den Ausführungen, es sei unzulässig, ein zwischenzeitig erreichtes günstiges Betriebsergebnis heranzuziehen, da dieses, isoliert betrachtet, keinerlei Aufschluß über die Gesamtsituation des Unternehmens biete, verkennt der Beschwerdeführer, daß bei der Entscheidung über ein Nachsichtansuchen stets die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu berücksichtigen ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/15/0005) und es seine Sache gewesen wäre, die seiner Auffassung nach offenbar für die Abgabennachsicht sprechende "Gesamtsituation des Unternehmens" aufzuzeigen, wenn die von der belangten Behörde festgestellte Entwicklung des Betriebsergebnisses darüber keinen hinreichenden Aufschluß geboten hätte.

Dem angefochtenen Bescheid haftet somit die geltend gemachte inhaltliche Rechtswidrigkeit nicht an. Die Geltendmachung von nicht konkretisierten sekundären Verfahrensmängeln, die die Beschwerde aus dem "Rechtsirrtum" der belangten Behörde ableitet, kann der Beschwerde daher ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom , BGBl. Nr. 106.