VwGH vom 26.03.1996, 95/19/0037
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des P in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 4.316.673/2-III/13/91, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 282,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines russischen Staatsangehörigen, der am in das Bundesgebiet eingereist ist und am den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom , mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hatte anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme am im wesentlichen angegeben:
Er sei in seiner Heimat nicht Mitglied der kommunistischen Partei gewesen und habe bereits in der Armee begonnen, am Regime in seinem Heimatland zu zweifeln, da dort Anarchie und Unterdrückung geherrscht hätten und im gesetzlosen Raum agiert worden sei. Er habe keine militärische Ausbildung erfahren, sondern lediglich unbezahlte Arbeiten verrichten müssen. Von 1983 bis 1987 habe er als Automechaniker gearbeitet und die Lenkung von Fahrzeugen eingestellt. Hiebei seien keine Ersatzteile benötigt worden, jedoch habe er gewußt, daß seine Mitarbeiter Ersatzteile entwendeten, um diese am Schwarzmarkt zu verkaufen. Da sein Einkommen weit unter dem Existenzminimum gelegen sei, habe er sich mit dem Wachmann der Firma verabredet und gemeinsam mit diesem für diverse Arbeiten in seine "eigene Tasche" kassiert. In weiterer Folge sei es mit Vorgesetzten und dem Administrativbüro wegen politischer Meinungsverschiedenheiten zu Problemen gekommen, woraufhin er im Frühling 1987 als unerwünschte Person gekündigt worden sei. Daraufhin habe er gemeinsam mit einem Freund eine selbständige Kraftfahrzeugwerkstätte gegründet, wobei er Schwierigkeiten gehabt habe, eine gewerberechtliche Bewilligung zu erhalten. Er habe diese erst erhalten, nachdem die Werkstätte schon ein Jahr illegal in Betrieb gewesen sei. Der Betrieb sei einem staatlichen Unternehmen angeschlossen worden, jedoch habe er von diesem keine Ersatzteile erhalten, diese habe er zwangsweise am Schwarzmarkt und somit illegal einkaufen müssen. Überdies sei die Firma durch hohe Steuern belastet gewesen, sodaß er kurz vor dem Ruin gestanden sei. Die Firma sei im Jänner 1990 zugesperrt worden.
1988 habe er von Bekannten eine Einladung in die damalige CSSR bekommen, was eine Vorladung zum KGB zur Folge gehabt habe. Es sei versucht worden, dem Beschwerdeführer die Reise auszureden. Falls er dennoch fahren sollte, hätte er Leute bespitzeln sollen. Er sei bis Winter 1990 fünfmal in die CSSR gefahren, ohne dem KGB zu berichten, dann sei der Reisepaß nicht mehr verlängert worden.
Im November 1990 habe er an einer Demonstration mit "demokratischem Charakter" teilgenommen, wobei er inhaftiert und drei Tage in Haft gehalten worden sei. Im Arrest in Gorki sei eine Schlägerei inszeniert worden, um den Beschwerdeführer anschließend einer strafbaren Handlung bezichtigen zu können. Er habe vor seiner Entlassung 100 Rubel Strafe zahlen müssen. Da seine Existenz von den russischen Behörden völlig zerstört worden sei und aufgrund der weiteren "angeführten Vorkommnisse" habe er sich entschlossen, Rußland zu verlassen. Er sei am mit dem Zug von Moskau abgefahren, habe am die Grenze zur damaligen CSFR zu Fuß illegal überquert, am die March durchschwommen und sei auf diese Art illegal nach Österreich gelangt.
In seiner Berufung gab der Beschwerdeführer an, daß seine Angaben, die er in seinem "Erstinterview vom " gemacht habe, unvollständig protokolliert worden seien.
Der Beschwerdeführer ergänzte sodann in der Berufung, daß er 1987 einen Streik organisiert und dazu aufgerufen habe, nicht kostenlos für die kommunistische Partei zu arbeiten, weshalb er vor die örtliche kommunistische Parteibehörde vorgeladen worden sei und man ihm angedroht habe, daß er bei neuerlichen Aktionen seinen Arbeitsplatz verliere und mit einer Gefängnisstrafe zu rechnen habe. Er sei im Mai 1987 der antikommunistischen Organisation "Demokratische Vereinigung" beigetreten und habe die Aufgabe übernommen, die Bevölkerung über die "Machenschaften der kommunistischen Partei" aufzuklären. Zudem sei er Mitorganisator von Gegendemonstrationen gegen die von der Staatsführung angeordneten kommunistischen Staatsfeierlichkeiten gewesen und habe an mehreren antikommunistischen Manifestationen teilgenommen. Er sei zwischen 1987 bis 1991 insgesamt viermal verhaftet worden. Der KGB habe ihn aufgefordert, aus der Organisation "Demokratische Vereinigung" auszutreten, ansonsten seine Werkstätte geschlossen würde, was später auch geschehen sei. Nach seiner Freilassung habe man ihn ultimativ vor die Entscheidung gestellt, entweder den Forderungen des KGB nachzugeben oder in eine psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden. Zudem hätten seine Verwandten Briefe mit Morddrohungen erhalten. Um deren Leben nicht zu gefährden, habe er sich entschlossen, seine Heimat zu verlassen. Im Fall seiner Rückkehr habe er mit einer hohen Gefängnisstrafe zu rechnen.
Die belangte Behörde stützte ihre abweisende Entscheidung zunächst darauf, daß auf die Berufungsangaben deshalb nicht einzugehen sei, weil der Verfahrensrüge, daß die Angaben des Beschwerdeführers in der Niederschrift vom nicht vollständig protokolliert worden seien, nicht gefolgt werden könne. Seine Einvernahme sei in einer ihm verständlichen Sprache unter Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers erfolgt, und er habe mit seiner Unterschrift bestätigt, daß ihm die Niederschrift in russischer Sprache vorgelesen worden sei, er alles verstanden habe und dem Protokoll nichts mehr hinzuzufügen habe. Es sei somit von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift auszugehen, weshalb die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen habe.
Zu den vom Beschwerdeführer in erster Instanz vorgebrachten Gründen führte die belangte Behörde aus, daß der Umstand, daß es in seinem Heimatland aufgrund der dort herrschenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu allgemeinen Nachteilen, wie geringeres Einkommen der Bevölkerung, Schwarzmarkthandel etc. komme, nicht geeignet sei, wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 hervorzurufen. Dies gelte auch für seine Kündigung, seine Schwierigkeiten, eine gewerberechtliche Bewilligung für die Werkstätte zu erhalten, und die behauptete hohe Steuerlast; diese Umstände seien Ausfluß der allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation seines Heimatlandes. Nach den Angaben des Beschwerdeführers sei die Firma aufgrund der hohen Steuern vor dem Ruin gestanden, sodaß seine spätere Aussage, daß seine Existenz von den russischen Behörden völlig zerstört worden sei, nicht haltbar sei, weil Steuern die gesamte Bevölkerung treffen und zur Aufrechterhaltung eines Staates notwendig seien und der wirtschaftliche Mißerfolg des Betriebes des Beschwerdeführers nicht den Behörden seiner Heimat zuzurechnen sei.
Weiters indiziere der Versuch von Organen der staatlichen Institutionen, den Beschwerdeführer für nachrichtendienstliche Tätigkeiten zu gewinnen und ihn für die Beschaffung von Informationen über Personen im Ausland einzusetzen, nicht die Flüchtlingseigenschaft. Ebenso sei die Anhaltung und Festnahme von Demonstrationsteilnehmern nicht als Indiz für eine drohende Verfolgung anzusehen. Er sei nicht alleine, sondern mit mehreren Demonstrationsteilnehmern verhaftet worden, weshalb in der Festnahme keine konkret gegen seine Person gerichtete Maßnahmen gesehen werden könne, sondern davon ausgegangen werden müsse, daß jede Person, die sich im Umfeld dieser Demonstration aufgehalten habe, der Gefahr einer Festnahme ausgesetzt gewesen sei.
Letztlich stützte sich die belangte Behörde darauf, daß sich die allgemeinen politischen Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers zwischenzeitig dergestalt verändert hätten, daß er im Fall seiner Rückkehr jedenfalls nicht mit Verfolgungshandlungen seitens der ehemaligen kommunistischen Machthaber zu rechnen habe.
Die Beschwerde bringt als Sachverhalt eine Mischung der erstinstanzlichen Angaben und der Berufungsangaben des Beschwerdeführers vor. Insbesondere fällt daran auf, daß der Beschwerdeführer nunmehr den gesamten Komplex betreffend die Vorfälle anläßlich seiner (in der Ersteinvernahme erwähnten) fünf Reisen in die damalige CSSR beiseite läßt.
Der Beschwerdeführer stützt seine Behauptung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides im wesentlichen auf diesen von ihm in der Beschwerde vorgebrachten gemischten Sachverhalt, insbesondere auf die aus der Berufung wiederholten Angaben und leitet daraus asylrechtlich relevante Verfolgung ab. Letztlich wendet er sich gegen die von der belangten Behörde angenommenen geänderten politischen Verhältnisse, da Rußland nach innen und außen destabil sei, die Wirtschaft darniederliege, zu befürchten sei, daß antidemokratische und insbesondere kommunistische Kräfte die Oberhand gewinnen werden und die Organisationsstruktur des KGB aufrecht sowie der Sicherheitsapparat im wesentlichen von demokratischen Reformen unbeeinflußt geblieben sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 hat der Bundesminister für Inneres in jedem Fall in der Sache selbst zu entscheiden und seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen. Gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 hat der Bundesminister für Inneres eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen, wenn es mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren erster Instanz nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrundelag, in der Zwischenzeit geändert hat.
Der Beschwerdeführer hat in der Berufung zwar gerügt, daß seine erstinstanzlichen Angaben unvollständig protokolliert worden seien. Da er aber weder behauptet, daß Verständigungsprobleme aufgetreten seien, noch daß eine Rückübersetzung nicht durchgeführt worden sei, kann angesichts der detailreichen niederschriftlichen Einvernahme vom der Rechtsansicht der belangten Behörde, weshalb von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift auszugehen sei, nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, zumal der Beschwerdeführer in der Beschwerde den diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde nichts entgegensetzt. Die belangte Behörde ist daher zu Recht von den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens erster Instanz ausgegangen.
Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht im engsten Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt dann vor, wenn der Eingriff in die zu schützende Sphäre geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in den Aufenthaltsstaat zu begründen.
Die belangte Behörde befindet sich im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß wirtschaftliche Benachteiligungen - sei es auch aus politischen Gründen - nur dann asylrechtliche Relevanz erlangen, wenn sie geeignet sind, die Lebensmöglichkeit unmittelbar zu bedrohen. Der Beschwerdeführer hat zwar seine Firma bereits im Jänner 1990 geschlossen, er hat jedoch nicht behauptet, daß es ihm unmöglich gewesen wäre, unselbständig weiterzuarbeiten (vgl. zB das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/20/0790, ua). Zudem war es ihm selbst in der Zeit, für welche er behauptet, daß sein selbständiger Betrieb vor dem Ruin stand, möglich, fünf Reisen in die CSSR zu unternehmen (ohne Einfluß auf die Entscheidung sei zusätzlich angemerkt, daß der Beschwerdeführer behauptete, ledig zu sein, sich aber aus der niederschriftlichen Einvernahme seiner im Jahr 1992 nachgereisten Ehegattin - siehe die am heutigen Tage ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu Zl. 95/19/0038 - ergibt, daß seine Ehegattin im Jahre 1991 in einem wissenschaftlichen Institut zur Entwicklung von Prototypen für Weltraumwaffen in aufrechter Beschäftigung war).
Einer kurzfristigen Anhaltung ermangelt es, wenn sie ohne Folgen bleibt, ebenfalls an einer asylrechtlichen Relevanz (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 94/19/0257, und vom , Zl. 93/01/0443). Letztlich läßt aber der Beschwerdeführer jede Erklärung dafür vermissen, weshalb er nach der kurzfristigen Haft im November 1990 noch bis zum Beginn seiner Ausreise am in seinem Heimatland verblieben ist, ohne daß er in diesem Zeitraum weitere Verfolgungshandlungen behauptet hätte.
Es kann der Behörde daher im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn sie den Schluß zog, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 sei, da sich aus den Angaben des Beschwerdeführers nicht ableiten läßt, daß ihm eine Verfolgung aus asylrechtlich relevanten Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die weiteren Ausführungen der belangten Behörde zur Stützung ihrer abweisenden Entscheidung sowie die dagegen erhobenen Beschwerdeausführungen einzugehen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Akten betreffend den Beschwerdeführer und seine Ehegattin in einem Akt geführt und gemeinsam vorgelegt wurden, weshalb der Vorlageaufwand nur einmal entstanden und anteilsmäßig dem Beschwerdeführer aufzuerlegen ist.