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VwGH vom 24.01.1995, 93/04/0072

VwGH vom 24.01.1995, 93/04/0072

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales in Wien I, Stubenring 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , Zl. 315.735/1-III/3/92, betreffend Zurückweisung einer Berufung des Arbeitsinspektorates für den 2. Aufsichtsbezirk in einem Verfahren betreffend die Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage, (mitbeteiligte Partei: X- KG in Wien, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die mitbeteiligte Partei beantragte mit Eingabe vom die Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage im Standort Wien, S-Straße 28. Zu der für den von der Gewerbebehörde erster Instanz anberaumten Verhandlung wurde das Arbeitsinspektorat für den

2. Aufsichtsbezirk geladen, welches der Behörde mit Schreiben vom mitteilte, daß eine Teilnahme "an der im Gegenstande festgesetzten kommissionellen Verhandlung" nicht möglich sei, weshalb ersucht werde, im Sinne der Bestimmungen des § 8 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 "dem Arbeitsinspektorat noch vor Erlassung des Bescheides durch Einsendung der Verhandlungsakten binnen zwei Wochen nach dem Verhandlungstage Gelegenheit zur Bekanntgabe der für den Arbeitsschutz zu stellenden Forderungen zu geben". Die Gewerbebehörde erster Instanz übermittelte dem Arbeitsinspektorat für den 2. Aufsichtsbezirk mit Schreiben vom den Verwaltungsakt mit dem Ersuchen um abschließende Kenntnis - bzw. Stellungnahme. Der am beim Arbeitsinspektorat für den

2. Aufsichtsbezirk eingelangte Verwaltungsakt wurde mit Stellungnahme vom an die Gewerbebehörde am zurückgestellt.

Mit Bescheid vom erteilte der Magistrat der Stadt Wien als Gewerbebehörde erster Instanz der mitbeteiligten Partei "nach Maßgabe der Pläne und der Betriebsbeschreibungen, auf die sich dieser Bescheid bezieht", gemäß § 74 GewO 1973 die Genehmigung der Betriebsanlage im Standort Wien, S-Straße 28, in welcher diese die Gewerbe "Damenkleidermacher", "Herrenkleidermacher" und "Kostümverleihanstalt" auszuüben beabsichtige, mit Auflagen.

Auf Grund der dagegen vom Arbeitsinspektorat für den

2. Aufsichtsbezirk erhobenen Berufung wurde der erstinstanzliche Bescheid mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG "insoferne geändert, als die Genehmigung der Betriebsanlage und der Zulassung anderer als im § 8 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) vorgeschriebenen Vorkehrungen gemäß § 79 Abs. 1 leg. cit. nach Maßgabe der Pläne und der Tabelle über das Belichtungsausmaß der einzelnen Betriebsräumlichkeiten, die einen Bestandteil dieses Berufungsbescheides bilden", nach Abänderung und Setzung neuer Auflagen erteilt wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die gegen den zweitinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung des Arbeitsinspektorates für den 2. Aufsichtsbezirk "im Grunde des § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 iVm § 8 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. und § 33 Abs. 4 AVG 1991 als unzulässig zurückgewiesen". Ausgehend von dem vordargestellten Sachverhalt führte die belangte Behörde in der Begründung hiezu aus, § 8 Abs. 1 ArbIG enthalte für die Abgabe der Stellungnahme des Arbeitsinspektorates in einem Verwaltungsverfahren eine gesetzliche Frist im Sinne des § 33 Abs. 4 AVG. Verspätet abgegebene Stellungnahmen des Arbeitsinspektorates könnten daher von der das Verwaltungsverfahren führenden Behörde gemäß § 33 Abs. 4 AVG nicht mehr beachtet werden. Im vorliegenden Fall sei die Stellungnahme des berufungswerbenden Arbeitsinspektorates, auf welche dieses seine Berufungslegitimation im Sinne des § 9 Abs. 1 ArbIG gründe, verspätet abgegeben worden. Damit aber habe diese - verpätete - Stellungnahme im vorliegenden Verfahren keine Rechtswirkungen mehr zu entfalten vermocht, insbesondere habe sie keine Berufungslegitimation des Arbeitsinspektorates für den 2. Aufsichtsbezirk mehr begründen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig ab- bzw. zurückzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Seinem gesamten Vorbringen zufolge erachtet sich der Beschwerdeführer in dem im § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 eingeräumten Recht auf meritorische Behandlung der Berufung des Arbeitsinspektorates für den 2. Aufsichtsbezirk verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes führt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhalts aus, gemäß § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 stehe dem Arbeitsinspektorat gegen den Bescheid der zuständigen Behörde die Berufung dann zu, wenn der Bescheid den vom Arbeitsinspektorat gestellten Antrag oder der abgegebenen Stellungnahme nicht entspreche und es stehe unter den gleichen Voraussetzungen dem Arbeitsinspektorat die Berufung auch gegen Bescheide der Behörde zweiter Instanz zu, wenn deren Entscheidung nicht in letzter Instanz ergangen sei. Anders als die Parteistellung der Nachbarn gemäß § 356 Abs. 3 GewO 1973 stelle das Berufungsrecht des Arbeitsinspektorates gemäß § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt der Abgabe seiner Stellungnahme, sondern auf deren Inhalt ab. Dieser Unterschied sei darin begründet, daß Stellungnahmen oder Anträge des Arbeitsinspektorates niemals subjektive Ansprüche zum Gegenstand hätten, sondern sich immer nur auf die Einhaltung von öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften bezögen, die die Gewerbebehörde gemäß § 27 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes bereits von Amts wegen wahrzunehmen habe. Da die vom Arbeitsinspektorat im Verfahren zu vertretenden Interessen keine verzichtbaren subjektiven Rechte seien, sei - wenn der Genehmigung einer Betriebsanlage Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer entgegenstünden - auch keine gesetzliche Vermutung der Zustimmung des Arbeitsinspektorates vorgesehen. Bei der im § 8 Abs. 1 ArbIG 1974 genannten Frist von zwei Wochen handle es sich daher nicht, wie von der belangten Behörde angenommen, um eine Ausschlußfrist. § 8 Abs. 1 ArbIG 1974 verpflichte vielmehr das Arbeitsinspektorat (ähnlich wie die im § 73 Abs. 1 AVG für die Entscheidungspflicht der Behörde normierte Frist), die Abgabe seiner Stellungnahme nicht grundlos zu verzögern und berechtige die das Verfahren führende Behörde nach Ablauf dieser Frist ihre Entscheidung zu treffen, ohne weiter zuzuwarten. Werde vom Arbeitsinspektorat jedoch eine Stellungnahme noch vor Bescheiderlassung (wenn auch nach Ablauf der Frist) abgegeben, so habe dies keinesfalls den Ausschluß vom Berufungsrecht zur Folge, da das Berufungsrecht gemäß § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 ausschließlich darauf abstelle, daß der Bescheid der Stellungnahme des Arbeitsinspektorates nicht entspreche, nicht aber darauf, ob diese Stellungnahme fristgerecht abgegeben worden sei. Hinzu komme noch im vorliegenden Fall, daß das Arbeitsinspektorat bereits im vorangegangenen Verfahren, welches wegen Formgebrechen durch Zurückweisung des Antrages erledigt worden sei, in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen habe, daß dem Projekt Arbeitnehmerschutzvorschriften entgegenstünden. Da diese Tatsachen somit bei der Behörde aktenkundig gewesen seien, sei die Behörde schon nach dem Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung gehalten gewesen, die - wenn auch nach Ablauf der im § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 genannten Frist - abgegebene Stellungnahme des Arbeitsinspektorates zu beachten. Da der in der Folge erlassene Bescheid nicht dieser Stellungnahme entsprochen habe, sei dadurch das Berufungsrecht des Arbeitsinspektorates begründet.

Diesem Vorbringen kommt aus folgenden Gründen Berechtigung zu:

Im gewerbebehördlichen Betriebsanlagenverfahren (vgl. § 27 Abs. 2 ASchG) sind die Belange des Arbeitnehmerschutzes bei den dem ASchG unterliegenden Betrieben vom zuständigen Arbeitsinspektorat wahrzunehmen, welchem Parteistellung und Berufungsrecht im Sinne der - auf Grund der Übergangsbestimmung des § 26 Abs. 1 und 2 Arbeitsinspektionsgesetz 1993, BGBl. Nr. 1993/27, hier anzuwendenden - Bestimmungen der §§ 8 und 9 ArbIG 1974 iVm § 359 Abs. 2 und 3 GewO 1973 zukommt. Gemäß § 8 Abs. 1 ArbIG 1974 hat die Behörde an Verwaltungsverfahren in Sachen, die den Schutz der Arbeitnehmer berühren, das nach dem Standort und der Art des Betriebes zuständige Arbeitsinspektorat zu beteiligen. Findet in einem Ermittlungsverfahren eine mündliche Verhandlung statt, so sind dem Arbeitsinspektorat die zur Beurteilung der Sachlage notwendigen Unterlagen nach Möglichkeit mindestens zwei Wochen vor dem Verhandlungstag zu übersenden. Hat das Arbeitsinspektorat an der Verhandlung nicht teilgenommen, so sind ihm die Verhandlungsakten auf Verlangen vor Erlassung des Bescheides zur Stellungnahme zu übersenden. Das Arbeitsinspektorat hat seine Stellungnahme ohne Verzug, längstens jedoch binnen zwei Wochen, unter Rückstellung der Verhandlungsakten abzugeben.

Gemäß § 9 Abs. 1 leg. cit. steht in den Fällen der §§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 1 und 5 dem nach Standort und Art des Betriebes zuständigen Arbeitsinspektorat gegen den Bescheid der zuständigen Behörde erster Instanz die Berufung zu, wenn der Bescheid dem vom Arbeitsinspektorat gestellten Antrag oder der abgegebenen Stellungnahme nicht entspricht; unter den gleichen Voraussetzungen steht diesem Arbeitsinspektorat die Berufung auch gegen Bescheide der Behörde zweiter Instanz zu, wenn deren Entscheidung nicht in letzter Instanz ergangen ist. Dem nach Standort und Art des Betriebes zuständigen Arbeitsinspektorat steht in den Fällen des § 8 Abs. 1, 3 und 5 die Berufung auch dann zu, wenn es vor Erlassung des Bescheides am Verfahren nicht beteiligt und ihm insbesondere Gelegenheit zur Äußerung und Antragstellung nicht gegeben wurde. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen ist der Bundesminister für soziale Verwaltung berechtigt, gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden, die in letzter Instanz ergangen sind, wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.

Das im § 9 Abs. 1 ArbIG 1974 dem zuständigen Arbeitsinspektorat eingeräumte Berufungsrecht steht somit diesem - vom hier nicht in Betracht kommenden, im § 9 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. normierten Ausnahmefall abgesehen - dann zu, wenn von ihm eine Stellungnahme abgegeben worden ist und wenn der Bescheid den vom Arbeitsinspektorat gestellten Antrag oder der abgegebenen Stellungnahme nicht entspricht. Die nach der im § 8 Abs. 1 letzter Satz ArbIG 1974 normierten zweiwöchigen Frist erstattete Stellungnahme bewirkt mangels ausdrücklicher Anordnung nicht den Verlust des Berufungsrechtes des Arbeitsinspektorates, vielmehr zieht die Versäumung der Frist zur Stellungnahme nur die Berechtigung der Behörde zur unmittelbaren Entscheidung nach sich, nicht aber die Bedeutungslosigkeit derselben im Falle ihres Einlangens vor der Entscheidung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 4561/A).

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid durch die Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers als unzulässig, statt in der Sache zu entscheiden mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.