VwGH vom 24.01.1995, 93/04/0053

VwGH vom 24.01.1995, 93/04/0053

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär MMag. Dr. Balthasar, über die Beschwerde der C in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , Zl. 314.839/1-III/3/92, wegen Zurückweisung einer Berufung in einem Verfahren zur Vorschreibung von Auflagen gemäß § 79 GewO 1973, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit an die Z OHG gerichteter Erledigung vom schrieb der Landeshauptmann von Wien "für den Betrieb der Tankstelle im Standort Wien, S-Gasse 21, gemäß § 79 der Gewerbeordnung 1973 in Zusammenhalt mit § 27 Abs. 5 des Arbeitnehmerschutzgesetzes" insgesamt sieben zusätzliche Auflagen vor. In der Begründung wird als verfahrensgegenständliche Betriebsanlage jene der "Z OHG" bezeichnet. Die Zustellverfügung lautete u.a. auf "1.) die Z OHG, z.H. Frau C, p.A. Wien, S-Gasse 21"; die Erledigung wurde laut im Akt befindlichem Rückschein am von einem Arbeitnehmer der unter Z. 1 der Zustellverfügung genannten Empfängerin übernommen.

Wie aus einem Aktenvermerk der Gewerbebehörde erster Instanz vom ersichtlich ist, wurde von dieser in der Folge die Auffassung vertreten, daß "seit " nicht mehr die Z OHG, sondern C als Inhaberin der gegenständlichen Betriebsanlage anzusehen sei.

Der Landeshauptmann von Wien erließ sodann einen Bescheid "vom ", der mit der oben bezeichneten Erledigung - bei sonst gleichem Wortlaut - insofern nicht ident ist, daß im Betreff, in der Begründung und in der Zustellverfügung als Adressat (bzw. Inhaber der Betriebsanlage) nunmehr die Beschwerdeführerin bezeichnet wird. Dieser Bescheid wurde laut im Akt befindlichen Rückschein am an die Beschwerdeführerin z.H. ihres Rechtsvertreters zugestellt.

Eine von der Beschwerdeführerin gegen diesen (am zugestellten) Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid "gemäß § 63 Abs. 5 AVG 1950" zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der "angefochtene Bescheid" sei der Beschwerdeführerin am zugestellt worden, was sich sowohl aus dem diesbezüglichen Zustellschein als auch aus einem Schreiben der Beschwerdeführerin vom ergebe. Zwar sei "der am zugestellte Bescheid" inhaltlich nicht an die Beschwerdeführerin adressiert gewesen, es sei jedoch als Empfänger im Sinne des Zustellgesetzes nicht jene Person zu verstehen, für die ein Schriftstück inhaltlich bestimmt sei, sondern an jene, an die es die Behörde tatsächlich gerichtet habe und die in der Zustellverfügung von der Behörde als Empfänger angegeben worden sei. Im vorliegenden Fall seien sowohl "im Bescheid vom " als auch im entsprechenden Zustellschein die Beschwerdeführerin als Empfängerin genannt worden. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sei auch eine rechtsgültige Vertretungsvollmacht des Rechtsanwaltes Dr. E für die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Zustellung "des angefochtenen Bescheides" nicht vorgelegen. Die seinerzeit erfolgte Zustellung sei daher rechtswirksam erfolgt. Da die Berufung gegen "den angefochtenen Bescheid" erst am , also nach Ablauf der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist, erhoben worden sei, sei sie als verspätet anzusehen und deshalb über sie nicht in der Sache zu entscheiden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende - dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom , B 77/93-8, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetretene - Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die Beschwerdeführerin erstattete eine Äußerung zur Gegenschrift der belangten Behörde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich ihrem gesamten Vorbringen nach in ihrem Recht auf meritorische Erledigung ihrer Berufung verletzt. In Ausführung dieses so zu verstehenden Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, die Beschwerdeführerin sei zum Zeitpunkt "der Bescheiderlassung" (gemeint wohl: der am erfolgten Zustellung der Erledigung vom ) durch Dr. E rechtsfreundlich vertreten worden. Die Zustellung dieses Bescheides hätte daher an Dr. E erfolgen müssen. Da dies nicht erfolgt sei, sei die Zustellung jedenfalls nichtig gewesen. Die Beschwerdeführerin habe vom gegenständlichen Bescheid jedoch Kenntnis erlangt, so daß der Zustellmangel saniert worden sei. Sie habe innerhalb offener 14tägiger Frist nach Kenntnis des Bescheides die Berufung durch ihren ausgewiesenen Vertreter eingebracht. Die belangte Behörde habe auch hinsichtlich des Zustellvorganges keine Verfahrensergänzung durchgeführt. Mittels Verfahrensergänzung wäre es der belangten Behörde möglich gewesen, festzustellen, wer den gegenständlichen Rückschein unterzeichnet habe bzw. wann die Beschwerdeführerin oder ihr ausgewiesener Vertreter Kenntnis von dem Bescheid erlangt habe und somit die Heilung eingetreten sei.

Der Beschwerde kommt schon aus folgenden Gründen Berechtigung zu:

Wie sich aus dem oben dargestellten Sachverhalt sowie aus den Beschwerdeausführungen ergibt, sind die belangte Behörde und die Beschwerdeführerin übereinstimmend davon ausgegangen, daß es sich bei den am und am zugestellten amtlichen Schriftstücken um ein und dieselbe Erledigungen des Landeshauptmannes von Wien "vom " gehandelt habe.

Dies trifft jedoch nicht zu:

Gemäß § 6 des Zustellgesetzes ist, so das gleiche Schriftstück mehrmals gültig zugestellt wird, die erste Zustellung maßgebend.

Voraussetzung für die im § 6 Zustellgesetz angeordnete Rechtsfolge, daß für den Lauf der Berufungsfrist im Sinne des § 63 Abs. 5 AVG (nur) die erste gültige Zustellung maßgebend ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Slg. N.F. Nr. 12.701/A), ist das Vorliegen des "gleichen Schriftstückes". Darunter ist eine inhaltlich vollkommen idente Ausfertigung eines bereits einmal zugestellten Schriftstückes zu verstehen. Es darf sich um keinen neuen Rechtsakt handeln (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/10/0082). Ein gleiches Schriftstück (hier: gleicher Bescheid) liegt dann nicht mehr vor, wenn die Behörde in einer neuerlich zugestellten Ausfertigung zum Ausdruck bringt, daß keine gleiche Erledigung beabsichtigt ist (vgl. den hg. Beschluß vom , Zl. 91/14/0058).

Im vorliegenden Fall liegt nun eine derartige Identität zwischen den am und am zugestellten Erledigungen im Hinblick auf die oben dargestellte Änderung des Bescheidadressaten - des Wechsels in der Person, für die die Erledigung inhaltlich bestimmt ist - nicht vor. Die Behörde erster Instanz hat dadurch klar den (für die belangte Behörde überdies im oben erwähnten Aktenvermerk vom ersichtlichen) Willen zum Ausdruck gebracht, mit der neuerlichen, am bewirkten Zustellung den Bescheid "vom " gegenüber einer anderen Person als jener, an die am zugestellt worden war, zu erlassen.

Der Beschwerdeführerin gegenüber wurde der Bescheid (erstmals) am erlassen. Mit diesem Tag begann auch der Lauf der Berufungsfrist im Sinne des § 63 Abs. 5 AVG. Gegen DIESEN Bescheid hat die Beschwerdeführerin auch Berufung erhoben. Da sich die belangte Behörde nach dem Gesagten rechtens nicht auf die Rechtsfolgen des § 6 Zustellgesetz berufen konnte, war es schon vom Ansatz her verfehlt, wenn die belangte Behörde hinsichtlich der Rechtzeitigkeit der Berufung auf die am erfolgte Zustellung der (ersten) Erledigung "vom " abstellte.

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob die (am zugestellte) Erledigung als Bescheid "erlassen" wurde bzw. ob die Sanierungsregeln der §§ 7 und 9 Abs. 1 zweiter Satz Zustellgesetz in einem derartigen Fall überhaupt anwendbar sind.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesonder deren Art. III Abs. 2. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den für die Äußerung zur Gegenschrift der belangten Behörde geltend gemachten Schriftsatzaufwand (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 1766/65 u.a.).