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VwGH vom 07.07.1993, 93/04/0019

VwGH vom 07.07.1993, 93/04/0019

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Pallitsch und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde der 1. A-Gesellschaft m.b.H. und der 2. B-Gesellschaft m.b.H., beide in W und vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , Zl. 314.536/1-III/3/91, betreffend Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer beantragten die Genehmigung der gewerblichen Betriebsanlage im Standort W, H-Gasse 10/Ecke Z-Gasse, gemäß § 77 Abs. 1 Gewerbeordnung 1973.

Mit Bescheid vom wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 23. Bezirk, den Antrag der Beschwerdeführer auf Genehmigung der beschriebenen Betriebsanlage ab. Die dagegen von den Beschwerdeführern eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom abgewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die von den Beschwerdeführern eingebrachte Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab und faßte folgenden Bescheidspruch:

"Der angefochtene Bescheid wird aus seinen zutreffenden Gründen, welche durch die Berufungsausführungen nicht entkräftet werden konnten, bestätigt."

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führt die belangte Behörde im wesentlichen aus, Gegenstand eines Verfahrens betreffend die Genehmigung einer Betriebsanlage sei stets die konkrete Betriebsanlage, weshalb in bezug auf § 77 Abs. 1 Satz 2 GewO 1973 zu prüfen sei, ob die konkrete zur Verhandlung stehende Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten sei. Hiezu habe nun die Gewerbebehörde erster Instanz in ihrem Bescheid vom - durch die nachfolgenden Berufungsausführungen unwidersprochen - festgehalten, daß dem gegenständlichen Ansuchen "das Projekt in seiner derzeitigen tatsächlichen ausgeführten Größe der Verkaufshalle zugrunde" liege. In dieser Form sei dem gegenständlichen Projekt jedoch, worauf im zweitinstanzlichen Bescheid richtigerweise hingewiesen worden sei, mit Bescheid der Bauoberbehörde vom , Zl. MBR-B XXIII-51/90, im Instanzenzug rechtskräftig die baubehördliche Bewilligung versagt worden. Damit liege, solange die Rechtskraft dieses Bescheides andauere, ein im Sinne des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 für die Gewerbebehörde beachtliches "Standortverbot" der beantragten Betriebsanlage vor, welches einer Genehmigung entgegenstehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom , Zl. B 1344/91-3, abgetretene - Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ihrem Vorbringen in dem nach erfolgter Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof aufgetragenen Ergänzungsschriftsatz zufolge, erachten sich die Beschwerdeführer im Recht "auf Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage gemäß den Bestimmungen der Gewerbeordnung 1973 in der geltenden Fassung" verletzt. Sie bringen hiezu unter dem Gesichtpunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, die belangte Behörde erachte die gesetzlichen Voraussetzungen für die Genehmigung der verfahrensgegenständlichen gewerblichen Betriebsanlage deshalb für nicht gegeben, weil ihrer Ansicht nach ein "Standortverbot" nach § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 in der geltenden Fassung vorliege. Dieses Standortverbot folge aus der mit Beschluß des Gemeinderates der Stadt Wien vom , Pr. Zl. 3.777/87, erfolgten Aufhebung und Neufassung des Flächenwidmungsplanes und des Bebauungsplanes (Plandokument Nr. 6020) und der ebenfalls auf diesem Plandokument fußenden Versagung der Baubewilligung mit Bescheid der Bauoberbehörde vom . Der Rechtsansicht der belangten Behörde sei nicht zu folgen, weil sich aus den §§ 69 Abs. 1, 70, 71 und 73 der Wiener Bauordnung, die entsprechende Abweichungen von den Bauvorschriften zulassen, ergebe, daß das angenommene Standortverbot nicht bestehe. Ausnahmebewilligungen habe der Magistrat Wien (Bauausschuß der Bezirksvertretung für den 23. Bezirk) mit Bescheid vom , Zl. BV 23-A-23-774/90 und (Magistratsabteilung 37/23) mit Bescheid vom , Zl. MA 37/23-H-Gasse 10/5156/90, verweigert. Gegen beide abweisenden Bescheide seien unerledigte Berufungen anhängig. Die zunächst vorliegenden Bescheide der Bauoberbehörde für Wien vom

(richtig: ""), Zl. MDR-B XXIII-51/90, und vom , Zl. MD-VfR-B XXIII-10/91, habe der Verfassungsgerichtshof mit den Erkenntnissen je vom , Zlen. B 104/91 und B 796/91, als verfassungswidrig ex tunc behoben. Eine rechtskräftige Verweigerung der Ausnahmebewilligungen nach den oben zitierten Vorschriften der Wiener Bauordnung liege sohin nicht vor, ein bezügliches Standortverbot bestehe nicht. Während der Anhängigkeit eines Antrages auf Erteilung besonderer Bewilligungen gemäß § 69 Abs. 1 Wiener Bauordnung und §§ 70, 71 und 73 Wiener Bauordnung dürfe nicht davon ausgegangen werden, daß ein Bauwerk gegen das Plandokument Nr. 6020 verstoße. Im übrigen sei das Plandokument Nr. 6020 gesetzwidrig. Auch die §§ 1 und 4 der Wiener Bauordnung, auf die sich dieses Plandokument stütze, seien verfassungswidrig. Die Beschwerdeführer regen daher eine Überprüfung der Gesetzmäßigkeit des Plandokumentes Nr. 6020 sowie eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§ 1 und 4 Wiener Bauordnung beim Verfassungsgerichtshof an.

Mit Erkenntnis vom , Zl. B 104/91-9, hat der Verfassungsgerichtshof den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. MDR-B XXIII-51/90, mit welchem rechtskräftig die baubehördliche Bewilligung für das die Genehmigung der verfahrensgegenständliche gewerblichen Betriebsanlage erforderliche Bauvorhaben versagt wurde und welcher Grundlage für die Annahme eines "Standortverbotes" im Sinne des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO für die belangte Behörde war, aufgehoben.

Gemäß § 77 Abs. 1 erster Satz GewO 1973 in der Fassung der Gewerberechtsnovelle 1988, BGBl. Nr. 399, ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen oder der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, daß überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden. Nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle darf die Betriebsanlage nicht für einen Standort genehmigt werden, in dem das Errichten oder Betreiben der Betriebsanlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag durch Rechtsvorschriften verboten ist.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 89/04/0047, zur Anordnung des § 77 Abs. 1 zweiter Satz GewO 1973 dargelegt hat, hat die Gewerbebehörde in Ansehung der konkreten vom Antrag erfaßten Betriebsanlage, und zwar bezogen auf den in Betracht kommenden Standort, zu prüfen, ob sich aus einer Rechtsvorschrift ein Verbot des Errichtens oder Betreibens dieser Anlage zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Genehmigungsantrag ergibt. Derartige "Rechtsvorschriften", die genereller und individueller Art (Bescheide) sein können, sind von der Verwaltungsbehörde nicht zu vollziehen, sondern von ihr im Sachverhaltsbereich zu berücksichtigen (vgl. auch

hg. Erkenntnisse vom , Zl. 90/04/0329, und vom , Zl. 92/04/0146).

Die mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Zl. B 104/91-9, erfolgte Aufhebung des Bescheides der Bauoberbehörde für Wien vom wegen der Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung wirkt auf den Zeitpunkt der Erlassung des aufgehobenen Bescheides zurück (ex tunc-Wirkung). Damit tritt die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hat. Eine diese Rechtsfolge ausdrücklich regelnde Bestimmung enthält das VfGG 1953 allerdings im Gegensatz zu § 42 Abs. 3 VwGG nicht, doch ergibt sich dies unmittelbar aus § 87 Abs. 2 VfGG 1953 (VfSlg. 4.632; hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/17/0199).

Diese ex tunc-Wirkung bedeutet, daß der Rechtszustand zwischen Erlassung des Bescheides und seiner Aufhebung im nachhinein so zu betrachten ist, als ob der aufgehobene Bescheid von Anfang an nicht erlassen worden wäre. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses bedeutet auch, daß allen Rechtsakten und faktischen (Vollzugs-) Akten, die während der Geltung des dann aufgehobenen Bescheides auf dessen Basis gesetzt wurden, im nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde

(vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/17/0005 mit weiteren Nachweisen).

Da nun der angefochtene Bescheid der belangten Behörde die Verweigerung der von den Beschwerdeführern beantragten Genehmigung der gewerblichen Betriebsanlage auf den nunmehr vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom gründet, hat der angefochtene Bescheid infolge der ex tunc-Wirkung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes die von der belangten Behörde zur Begründung herangezogene Basis verloren.

Aus diesen Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.