VwGH vom 24.06.2004, 2001/15/0176

VwGH vom 24.06.2004, 2001/15/0176

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde des G in R, vertreten durch Dr. Johannes Kraus und Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Johannesgasse 16, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. RV/37-16/2001, betreffend Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe (ab ), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom Dezember 1999 beantragte der am geborene Beschwerdeführer durch seinen Sachwalter die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab Februar 1995. Er legte eine ärztliche Bescheinigung des Amtsarztes vom vor, in welcher der Grad der Behinderung mit 100 % angegeben ist.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag ab. Dem vorgelegten amtsärztlichen Zeugnis zufolge sei der Zeitpunkt, ab dem die Behinderung bestehe, nicht bekannt. Damit könnten aber die gesetzlichen Voraussetzungen für den Familienbeihilfenanspruch nicht überprüft werden.

In der Berufung gegen diesen Bescheid wird vorgebracht, bereits aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom (Entmündigung) ergebe sich, dass beim Beschwerdeführer eine geistige Behinderung in Form einer Geistesschwäche mit pyromanischer Neigung bestehe. Da sich der Beschwerdeführer in Anstaltspflege befinde, voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und auf Grund der Pensionsteilung nach dem Bundespflegegeldgesetz Kostenbeiträge zu seinem Aufenthalt im Pensionisten- und Pflegeheim leiste, seien auch die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe gegeben.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer habe einen Antrag auf rückwirkende Gewährung der Familienbeihilfe ab Februar 1995 gestellt. Er habe eine Bescheinigung des Amtsarztes vom vorgelegt, mit welcher bestätigt werde, dass der Beschwerdeführer auf Grund seines Leidens bzw. Gebrechens zu 100 % behindert sei. Der Zeitpunkt der Eintritt dieser Behinderung habe vom Amtsarzt nicht bescheinigt werden können. Eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Eigenbezug der erhöhten Familienbeihilfe bei volljährigen Behinderten sei, dass die Behinderung vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei und der Behinderte wegen dieser Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. In der Berufung sei auf eine zumindest seit 1957 vorliegende Geistesschwäche mit pyromanischer Neigung verwiesen und eine Kopie des Beschlusses des Bezirksgerichtes St. Pölten vom vorgelegt worden. Dieser Sachverhalt sei am dem Amtsarzt zur Kenntnis gebracht und um seine weitere Stellungnahme ersucht worden. Der Amtsarzt habe zum Ausdruck gebracht, dass eine Geistesschwäche mit pyromanischer Neigung auch im Hinblick auf die anschließende Entmündigung nicht bedeuten würde, dass der Behinderte nicht dennoch im Stande wäre, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Nur eine vollständige Arbeitsunfähigkeit würde solches bedeuten. Der Behinderte wäre nur dann voraussichtlich dauernd außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, wenn er nie längerfristig beschäftigt gewesen wäre. Diese Feststellung des Amtsarztes sei auf dem ärztlichen Zeugnis vom nachträglich schriftlich festgehalten worden.

Über Anfrage bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse bzw. beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger habe das Finanzamt die Auskunft erhalten, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom bis zum , also ca. 5 1/2 Jahre, bei Josef J (Landwirtschaft und Viehhändler) durchgehend beschäftigt gewesen sei. Da der Beschwerdeführer neben seiner Waisenpension, welche von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ausbezahlt werde, auch eine geringe Eigenpension von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter beziehe, sei laut Auskunft der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse anzunehmen, dass der Beschwerdeführer auch in früheren Jahren (vor dem Jahr 1972) zumindest zeitweise beschäftigt gewesen sei. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könne eine über mehrere Jahre ausgeübte berufliche Tätigkeit eines Behinderten nicht als vergeblicher Versuch einer Eingliederung in das Erwerbsleben angesehen werden. Diese mehrjährige berufliche Tätigkeit widerlege die Annahme, der Behinderte sei infolge seiner Behinderung außer Stande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Somit sei der Anspruch des Beschwerdeführers auf Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 5 in Verbindung mit § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 nicht gegeben.

Mit Eingabe vom wurde - ohne weitere Ausführungen - der Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz gestellt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Ein Beihilfenanspruch des Beschwerdeführers nach § 6 Abs. 5 iVm § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 sei nicht gegeben. Das Finanzamt habe in seiner Berufungsvorentscheidung die Gründe für das Nichtbestehen des Familienbeihilfenanspruches sehr ausführlich dargelegt. Da im Vorlageantrag keine Gegenargumente vorgebracht worden seien, verweise die belangte Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung auf die Begründung der Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes. Jene Begründung werde daher integrierender Bestandteil des angefochtenen Bescheides.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtpflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen ein Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie u.a. wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

In der Beschwerde wird vorgebracht, das Finanzamt habe nach Einbringung der Berufung das Ermittlungsverfahren fortgesetzt und dabei den Amtsarzt um eine weitere Stellungnahme ersucht sowie Erhebungen bei der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse angestellt. Das Ergebnis dieser Beweisaufnahme sei dem Beschwerdeführer allerdings vor der Entscheidung des Finanzamtes nicht zur Kenntnis gebracht worden. Hätte die Behörde dem Beschwerdeführer die Beweisergebnisse vorgehalten, hätte er Gelegenheit gehabt darzulegen, dass er niemals ein Einkommen bezogen habe, welches die Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit rechtfertigen würde. Er sei zwar von 1981 bis 1987 in einem landwirtschaftlichen Betrieb beschäftigt gewesen. Dabei habe es sich aber um einen sogenannten geschützten Arbeitsplatz gehandelt. Er habe ein Einkommen von lediglich etwa S 5.800,-- (pro Monat und mit Sachbezügen) bezogen. Bei einem Einkommen in dieser geringen Höhe könne von der Möglichkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, nicht gesprochen werden. Neben der Verletzung des Parteiengehörs rüge der Beschwerdeführer auch das Fehlen einer ordnungsgemäßen Begründung des angefochtenen Bescheides. Die Begründung enthalte nämlich keine Feststellungen über die Höhe des vom Beschwerdeführer erzielten Einkommens. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könne von Selbsterhaltungsfähigkeit nämlich nur ausgegangen werden, wenn die Einkünfte die Mindestpensionshöhe nach § 293 ASVG erreichten.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht auf. Die ergänzende Stellungnahme des Amtsarztes sowie das Ergebnis der Erhebungen betreffend die Tatsache der Beschäftigung des Beschwerdeführers als Dienstnehmer und die Dauer dieser Beschäftigung sind in der Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes dargestellt. Das Finanzamt hat darauf die Abweisung der Berufung gestützt. Der Beschwerdeführer hat dadurch Kenntnis von der Beweisaufnahme erlangt und hätte im Zuge des weiteren Berufungsverfahrens, insbesondere im Vorlageantrag, entsprechende Einwendungen erheben können. Eine Verletzung des Parteiengehörs liegt also nicht vor. Der Berufungsvorentscheidung kommt auch die Wirkung eines Vorhaltes zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 99/13/0251). Solcherart ist der Vorschrift des § 183 Abs. 4 BAO, nach welcher den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben ist, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern, entsprochen worden.

Voraussetzung für den Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 ist, dass das Kind wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widerlegt eine mehrjährige berufliche Tätigkeit die Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung außer Stande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 96/14/0063).

Im Hinblick auf die Vorhaltswirkung der Berufungsvorentscheidung wäre es Sache des Beschwerdeführers gewesen, in seinem Vorlageantrag aufzuzeigen, dass auf Grund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles trotz des mehrjährigen Beschäftigungsverhältnisses nicht auf die Fähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, geschlossen werden könne. Mangels eines entsprechenden Vorbringens war die belangte Behörde nicht gehalten, in der Begründung des angefochtenen Bescheides darauf einzugehen, ob die Lohnbezüge des Beschwerdeführers eine bestimmte Mindesthöhe überschritten haben. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass - worauf die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift verweist -

nach der Aktenlage der Monatsbezug des Beschwerdeführers in den Jahren 1982 bis 1986 durchschnittlich ca. S 7.000,-- betragen hat und damit deutlich über den in der Beschwerde genannten Beträgen gelegen ist.

Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II 333/2003.

Wien, am