VwGH vom 19.09.1990, 89/13/0248
Beachte
Besprechung in:
ÖStZB 1991, 186;
Betreff
R gegen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 5-1733/1/89, betreffend Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Das Finanzamt hatte dem geistig behinderten Beschwerdeführer, dessen Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen, bescheidmäßig die Weitergewährung der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe ab dem versagt, da der gesamte Unterhalt für den einkunftslosen Beschwerdeführer aus Mitteln der Sozialhilfe bestritten werde und die Unterbringung in einer privaten Wohnung einem Heimaufenthalt gleichzusetzen sei.
Der Beschwerdeführer wandte mit Berufung ein, die ihm zur Verfügung gestellte Wohnung habe keineswegs einen Heimcharaker, weil er hier ein völlig selbständiges Leben führe und sowohl für seinen Unterhalt als auch für den gesamten Wohnungsaufwand selbst aufkommen müsse. Die Sozialhilfe, mit der er sparsamst umgehen müsse, erhalte er, um ein soweit wie möglich selbständiges Leben führen zu können.
Mit dem angefochtenen Bescheid lehnte die belangte Behörde die Weitergewährung der Familienbeihilfe und der erhöhten Familienbeihilfe ebenfalls ab, weil sie die nach der Lage des Falles maßgeblichen Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 6 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) nicht für gegeben erachtete. Sie vertrat im wesentlichen die Auffassung, daß die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer privaten Wohnung auf Kosten der Sozialhilfe einer Heimunterbringung im Sinne des § 6 Abs. 5 FLAG gleichzuhalten sei. Da im Beschwerdefall neben den Unterbringungskosten auch sämtliche andere für persönliche Bedürfnisse anfallenden Kosten und somit der Gesamtaufwand aus öffentlichen Mitteln bestritten werde, käme es zu einer vom Gesetzgeber ungewollten Entlastung, wenn man den Aufenthalt des Kindes in einer Wohnung auf Kosten der Sozialhilfe nicht einer Heimunterbringung gleichstellen würde.
Vorliegende Beschwerde macht inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 6 Abs. 5 FLAG lautet:
Kinder, deren Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).
Im Beschwerdefall steht nur das Tatbestandselement in Streit, daß die "Kinder sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden". Die belangte Behörde meint, die Unterbringung in einer Wohnung auf Kosten der Sozialhilfe sei einer Heimunterbringung gleichzusetzen. Gegen diese Auslegung spricht jedoch der klare Gesetzeswortlaut, der ausdrücklich nur Kinder von der Familienbeihilfe ausschließt, die sich IN HEIMERZIEHUNG befinden. Nichts deutet darauf hin, daß nur eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Unterbringung des Kindes - wo auch immer - und nicht eine solche in einem Heim maßgebend sein sollte. Vielmehr zeigen in gleicher Weise die Gesetzesmaterialien zum Bundesgesetz BGBl. Nr. 296/1981, mit dem § 6 Abs. 5 in das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 eingefügt wurde (694 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, XV. GP), daß es auch nach der Absicht der Gesetzesredaktoren auf eine HEIMerziehung ankommen sollte. Heißt es doch in den Gesetzesmaterialien (Erläuterungen zur Regierungsvorlage), die Neuregelung solle eine Härte für Kinder beseitigen, die sich weitgehend selbst erhalten müssen. "Eine solche Härte wird dann nicht angenommen, wenn das Kind aus öffentlichen Mitteln (Sozialhilfe bzw. Jugendwohlfahrt) IN EINEM HEIM erzogen wird. IN DIESEN FÄLLEN würde nämlich die Familienbeihilfe nicht die Situation des Kindes verbessern, sondern lediglich die öffentlichen Haushalte, aus denen die Mittel stammen, entlasten." Nach dem Wortlaut des Gesetzes und den Gesetzesmaterialien geht der Gesetzgeber erkennbar von der Vorstellung aus, daß die Heimerziehung das Kind jedenfalls der Sorgen um seinen Lebensunterhalt enthebt, während er bei einer Lebensführung außerhalb eines Heimes den Lebensunterhalt offenbar nicht in gleicher Weise für gesichert hält. Wenn es sich dabei auch um eine schematische, einer einfacheren Vollziehung des Gesetzes dienende Betrachtung handelt, so trifft doch das Gesetz hier eine sachlich vertretbare Differenzierung. Zwar ließe sich der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Standpunkt, der letztlich darauf abstellt, ob der Lebensunterhalt des Kindes, dessen Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen, aus öffentlichen Mitteln bestritten wird, sachlich ebenfalls vertreten, doch hat sich der Gesetzgeber diesen Standpunkt nicht zu eigen gemacht; er kann daher auch den angefochtenen Bescheid nicht tragen.
Den Beschwerdeausführungen über die geänderten Zuständigkeiten ist entgegenzuhalten, daß es dem Gesetzgeber nicht verwehrt war, die ursprünglich dem Bundesminister für Finanzen obliegende Vollziehung des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 später anderen Bundesministern zu übertragen (Bundesgesetz BGBl. Nr. 617/1983, zur geltenden Zuständigkeit siehe Bundesministeriengesetz 1986, BGBl. Nr. 76).
Zusammenfassend ist aber festzuhalten, daß die belangte Behörde die Rechtslage verkannte. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung vom , BGBl. Nr. 206.