VwGH vom 29.09.1993, 89/13/0204
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch den zum Verfahrenshelfer bestellten Rechtsanwalt Dr. J in W, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz vom , GZ. GA 10-544/3/88, BS I - 48/88, betr Bestrafung wegen Hinterziehung von Einkommen- und Umsatzsteuer 1982 bis 1984, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war in den Jahren 1981 bis 1984 als Zeitungskolporteur tätig. Er hat die ihm daraus zugeflossenen Einkünfte nicht versteuert und die in den Provisionsgutschriften der Verlage ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge nicht an das Finanzamt abgeführt. Strittig ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, ob der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid zu Recht für schuldig erkannt wurde, diese Abgaben hinterzogen zu haben. Aus den Verwaltungsakten ergibt sich folgender Sachverhalt:
Von September 1981 bis September 1984 verkaufte der Beschwerdeführer für den Verlag X, von September 1984 bis November 1984 für den Verlag Y Tageszeitungen an die Gäste der in einem bestimmten Gebiet Niederösterreichs gelegenen gastronomischen Betriebe. Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, daß diesen Tätigkeiten jeweils mündlich abgeschlossene Werkverträge zugrundelagen. Die Abrechnung erfolgte über Gutschriftsbelege, die die Verkaufsprovision, verschiedene sonstige Vergütungen und die Umsatzsteuer hiezu auswiesen. Der Betriebsprüfer schloß daraus auf das Vorliegen gewerblicher Einkünfte. Da der Beschwerdeführer über keine Aufzeichnungen verfügte, wurden die Gewinne mit 50 % der Nettoeinnahmen gemäß § 184 BAO geschätzt, während die Bemessungsgrundlagen für die Umsatzsteuer aufgrund der von den Zeitungsverlagen eingeholten Unterlagen ermittelt werden konnten. Für die einzelnen Jahre ergaben sich demnach folgende Einkünfte bzw. Abgabenbeträge:
1981 1982 1983 1984
Einkünfte
aus Gewerbe-
betrieb S 19.000,-- S 72.000,-- S 73.000,-- S 59.000,--
Einkommen-
steuer S 0,-- S 10.749,-- S 10.719,-- S 6.939,--
Umsatzsteuer S 0,-- S 21.511,-- S 21.952,-- S 18.921,--
Der Beschwerdeführer erhob gegen die entsprechenden Abgabenbescheide Berufung. Entgegen dem von den Zeitungsverlagen erweckten äußeren Anschein, einvernehmlich abgeschlossener Werkverträge, wäre er als deren Arbeitnehmer zu qualifizieren. Aufgrund der Erklärungen bei der "Jobübernahme" lägen die Kriterien einer unselbständigen Erwerbstätigkeit vor. Dazu käme, daß er in einem Schreiben des Y-Verlages einem Kunden als "Mitarbeiter" des Verlages vorgestellt worden sei. Er habe die Tätigkeit eines fahrenden Zeitungsverkäufers ausgeübt. Die zurückzulegenden Touren seien ihm vorgegeben, die daraus erwachsenen Fahrtkosten ersetzt worden. Auch das Fehlen (sonst üblicher) schriftlicher Werkverträge, sowie die niedrige Entlohnung sprächen für seine Arbeitnehmereigenschaft.
Nach Ergehen einer abweisenden Berufungsvorentscheidung wandte sich der Beschwerdeführer in seinem Antrag auf Entscheidung über seine Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz (§ 276 Abs 1 BAO) gegen die Feststellung des Finanzamtes, er habe ein Unternehmerrisiko getragen. Seine Bezüge hätten überwiegend aus einem gleichbleibenden Fixum, sowie einer Spesenvergütung für die Autobenützung und einer nur knapp 15 %igen Provision vom Verkaufspreis der Zeitungen bestanden. Aber selbst wenn man von einer selbständigen Unternehmertätigkeit ausgehen wollte, wäre der Umsatzsteuerausweis in den Gutschriften der Verlage der Höhe nach rechtswidrig, da die Lieferung von Zeitungen keinesfalls dem Normalsteuersatz, sondern nur dem ermäßigten Steuersatz unterliegen könne.
Auch die Abgabenbehörde zweiter Instanz gab dem Rechtsmittel mit Berufungsentscheidung vom keine Folge. Nach Würdigung des Gesamtbildes der tatsächlichen Verhältnisse würden die Merkmale der Selbständigkeit überwiegen. Der Beschwerdeführer habe durch seinen persönlichen Einsatz das Ausmaß seines Verdienstes bestimmen können und damit ein Unternehmerrisiko getragen. Die Vorgabe der Verkaufstouren und die Übernahme weiterer vertraglicher Verpflichtungen (z. B. Rauchverbot) stellten sich als Obliegenheiten im Rahmen eines Werkvertrages dar. Auch diesbezügliche Kontrollen ließen nicht auf eine Weisungsbefugnis schließen. Wirtschaftliche Abhängigkeit und Schutzbedürftigkeit könnten allenfalls für die zivilrechtliche, nicht jedoch für die steuerliche Beurteilung eines Vertragsverhältnisses bedeutsam sein. Der ermäßigte Umsatzsteuersatz käme nicht zur Anwendung, weil die Zeitungslieferungen dem Verlag zuzurechnen seien, während die vom Beschwerdeführer erbrachte sonstige Leistung als Kolporteur dem Normalsteuersatz unterläge.
Mit Strafverfügung vom wurde der Beschwerdeführer der Abgabenhinterziehung für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe in Höhe von S 20.000,-- verurteilt.
Der Beschwerdeführer erhob Einspruch, den er unter anderem wie folgt begründete:
"Grundsätzlich ist die Kolportagetätigkeit, deren abgabenrechtliche Beurteilung nach Kriterien für Inländer und Ausländer sowie anderen rechtlichen Gesichtspunkten verfassungswidrig. Ich bestreite, strafbare Handlungen in tatbildmäßiger, rechtswidriger und schuldhafter Art und Weise begangen zu haben und verweise auf die Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe des Finanzstrafgesetzes in seinen §§ 9 und 10."
Gleichzeitig stellte er einen Antrag gemäß § 58 Abs 2 lit b FinStrG auf Durchführung einer Verhandlung vor dem Spruchsenat.
In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer u. a. vor, er habe keine Lohnsteuerkarte abgegeben, da ihm Frau H vom Zeitungsverlag X gesagt habe, es bestünde eine Sonderregelung. Dies habe er so verstanden, daß die anfallende Lohnsteuer vom Verlag beglichen werde. Bezüglich des Umsatzsteuerausweises sei ihm erklärt worden, er müsse sich nicht darum kümmern; die Umsatzsteuer werde lediglich zum Vorteil des Zeitungsunternehmens angeführt.
Mit Erkenntnis des Spruchsenates vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, durch die Nichtabgabe von Abgabenerklärungen für die Jahre 1982 bis einschließlich 1984 eine Verkürzung von Einkommensteuer in der Höhe von S 21.468,-- und Umsatzsteuer in der Höhe von S 43.103,-- für die Jahre 1982 und 1983 bewirkt sowie von Einkommensteuer in der Höhe von S 6.938,-- und Umsatzsteuer in der Höhe von S 18.921,-- für das Jahr 1984 zu bewirken versucht zu haben. Er habe hiedurch das Finanzvergehen der teils vollendeten, teils versuchten Abgabenhinterziehung nach den §§ 33 Abs 1 und 13 FinStrG begangen und werde hiefür gemäß § 33 Abs. 5 FinStrG zu einer Geldstrafe von S 15.000,-- (15 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt. In der Begründung des Straferkenntnisses wurde zur objektiven Tatseite ausdrücklich auf die "Bindungswirkung" der rechtskräftigen Abgabenbescheide hingewiesen. Was die subjektive Tatseite anlangt, stützte sich der Spruchsenat auf die "Provisionsabrechnungen, die ... klar und unmißverständlich abgefaßt waren" und aus denen die Umsatzsteuerpflicht sämtlicher Vergütungspositionen "eindeutig" zu ersehen war. Weiters müsse der Beschwerdeführer "zwingend im Ungewissen" gewesen sein, ob der Zeitungsverlag seine Einkünfte versteuert habe. Aus der unterlassenen Rückfrage sei daher "ganz unzweifelhaft" zumindest auf einen bedingten Vorsatz im Sinne des § 8 Abs 1 FinStrG zu schließen.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Wie im Abgabenverfahren bestritt er die rechtliche Qualifikation seiner Tätigkeit als selbständige Gewerbeausübung. Auf entsprechende Befragung sei ihm erklärt worden, er laufe "aus technischen Gründen ... im System der (selbständig tätigen) ausländischen Sonderkolporteure" mit.
Die belangte Behörde schloß sich vollinhaltlich der Argumentation des Spruchsenates an und wies die Berufung als unbegründet ab. Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides "wegen Gesetzesverletzung" beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren verletzt. In Verkennung der Gesetzeslage habe die belangte Behörde angenommen, sie sei an die rechtskräftige Abgabenfestsetzung gebunden und habe es daher unterlassen, den Sachverhalt selbst festzustellen und rechtlich zu beurteilen.
Dieser Einwand ist berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind die Verwaltungsbehörden im Finanzstrafverfahren nicht an die Sachverhaltsannahme oder rechtliche Beurteilung in einem korrespondierenden Abgabenverfahren gebunden (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom , 88/14/0024, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Die Beurteilung der Tätigkeit des Beschwerdeführers im Abgabenverfahren als selbständige Gewerbeausübung enthob die Finanzstrafbehörden demzufolge nicht einer eigenverantwortlichen Ermittlung und Prüfung der Sach- und Rechtslage.
Wenn daher - wie im Beschwerdefall - der Spruchsenat meint, an die rechtskräftige Abgabenfestsetzung gebunden zu sein, und die belangte Behörde diese Ansicht bestätigt, belastet dies den Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Die an sich zulässige Übernahme abgabenrechtlicher Entscheidungen setzt nämlich eine eigenständige Willensbildung voraus, welche die Berufungsbehörde in der irrigen Annahme einer vorgegebenen Bindung unterlassen hat.
Die belangte Behörde wird sich im fortgesetzten Verfahren demnach auch mit der objektiven Tatseite auseinanderzusetzen haben. Insbesondere erscheint eine Befassung mit dem Einwand des Beschwerdeführers, ein gleichbleibendes Fixum erhalten und daher kein Unternehmerrisiko getragen zu haben, geboten. Dies umso mehr, als das von den Abgabenbehörden für ihren Standpunkt herangezogene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 81/13/0190, 82/13/0053 einen Zeitungskolporteur betraf, der auf reiner Provisionsbasis entlohnt wurde, während im Beschwerdefall eine im Verwaltungsakt befindliche Wochenabrechnung einen offenbar erfolgsunabhängigen Entgeltsteil unter dem Titel "Zusatzleistung S 3.000,--" ausweist.
Soweit die Beschwerde Feststellungen zum "bemerkenswerten Umfeld", in dem sich der Beschwerdeführer befunden hat, vermißt, kommt ihr hingegen keine Berechtigung zu. Für die Frage, ob ein Dienstverhältnis vorliegt oder nicht, ist nämlich nicht von Bedeutung, daß eine bestimmte Vertragsgestaltung im ausschließlichen Interesse EINER Partei gelegen war. Konnte ein Vertragsteil aufgrund seiner stärkeren Position das tatsächliche Geschehen in seinem Sinne bestimmen, so hat die Besteuerung diesem Umstand zu folgen. Feststellungen zum "immanenten wirtschaftlichen" Interesse der Verlage, Ausländer (nur) im Werkvertrag zu beschäftigen, sind daher entbehrlich. Ebensowenig muß die belangte Behörde prüfen, ob die Zeitungsverlage oder die "ausländischen Berufskollegen" des Beschwerdeführers den Gesetzen entsprechend besteuert werden.
Dem Umstand, daß es "rund um den Beschwerdeführer keinen einzigen Zeitungsverkäufer gegeben hat, der irgendeine Erklärung abgab", könnte allenfalls im Rahmen der subjektiven Tatseite Gewicht zukommen. Entscheidend ist allerdings der WISSENSSTAND DES BESCHWERDEFÜHRERS. Daß IHM (möglicherweise im Gegensatz zu den ausländischen Kollegen) der Unterschied zwischen selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit bekannt war, ist seinem Vorbringen im Abgabenverfahren zu entnehmen, er habe die gegenständliche Tätigkeit in keine der beiden Kategorien einordnen können und sich daher um Aufklärung an den X-Verlag gewandt. Während der Beschwerdeführer als Ergebnis dieses Gespräches allerdings seine steuerlichen Bedenken zerstreut sah, hielt der Betriebsprüfer in seinem Bericht vom unter Tz 6 fest, daß die Ansprechpartnerin beim X-Verlag den Beschwerdeführer ausdrücklich auf die Selbständigkeit der gegenständlichen Tätigkeit hingewiesen habe. Die Finanzstrafbehörden haben es in diesem Zusammenhang unterlassen, Beweise (z.B. Zeugeneinvernahmen) darüber aufzunehmen, welche Auskünfte dem Beschwerdeführer von seiten des Verlages tatsächlich gegeben wurden. Damit ist aber auch die Ermittlung der subjektiven Tatseite unvollständig geblieben. Dies umso mehr, als der Spruchsenat und mit ihm die belangte Behörde den Vorsatz aus der unterlassenen Rückfrage des Beschwerdeführers abgeleitet haben.
Nicht nachvollziehbar ist schließlich die Feststellung der belangten Behörde auf Seite 4 der angefochtenen Entscheidung, wonach sich "aus den VORLIEGENDEN Verträgen" eindeutig ergäbe, daß ein Werkvertrag für Sonderkolporteure abgeschlossen worden sei. Hat der Beschwerdeführer doch unwidersprochen das Fehlen SCHRIFTLICHER Vereinbarungen behauptet.
Da die belangte Behörde - wie oben ausgeführt - die Rechtslage hinsichtlich der Wirkung rechtskräftiger Abgabenfestsetzungen verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben - eine Rechtswidrigkeit, die gegenüber jener infolge der aufgezeigten Verletzung von Verfahrensvorschriften prävaliert.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991. Danach gebührt als Schriftsatzaufwand ein Pauschbetrag, was einen darüber hinausgehenden Ersatz von Umsatzsteuer ausschließt.