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VwGH vom 19.05.1993, 89/13/0199

VwGH vom 19.05.1993, 89/13/0199

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GZ. GA 7-1127/5/89, wegen Aussetzung der Einhebung von Einkommensteuer, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Anläßlich einer beim Beschwerdeführer vorgenommenen abgabenbehördlichen Prüfung wurden u.a. die Verfahren betreffend Einkommensteuer 1982 - 1986 wiederaufgenommen. Der Beschwerdeführer erhob Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheide und gegen sämtliche Abgabenbescheide. Gleichzeitig beantragte er (soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren noch relevant), folgende Abgabenbeträge nach § 212 a BAO auszusetzen:

Einkommensteuer 1982 S 154.132,--

Einkommensteuer 1983 S 313.414,--

Einkommensteuer 1984 S 156.504,--

Einkommensteuer 1985 S 222.480,--

Einkommensteuer 1986 S 247.244,--

Weiters bekämpfte er die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1987 und begehrte auch die Aussetzung des diesbezüglichen Streitbetrages in Höhe von S 118.079,--.

Das Finanzamt gab den beiden Anträgen hinsichtlich eines Teilbetrages von S 1,045.171,-- keine Folge, da die Berufungen insoweit wenig erfolgversprechend im Sinne des § 212 a Abs 2 lit a BAO erschienen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde das Berufungsbegehren auf Aussetzung des gesamten Streitbetrages ab.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Anders als die belangte Behörde ist der Beschwerdeführer der Auffassung, seine Berufungen seien auch in folgenden

Punkten erfolgversprechend:

1. Wertpapierdeckung gemäß § 14 Abs 4 EStG 1972

Das Finanzamt habe zu Unrecht die Gewinne der Streitjahre wegen fehlender Wertpapierdeckung der Abfertigungsrücklagen gemäß § 14 Abs 4 EStG 1972 erhöht. Im Betriebsvermögen des Beschwerdeführers seien nach § 9 Abs 4 EStG 1972 angeschaffte Wertpapiere im ausreichenden Maße vorhanden gewesen. § 9 Abs 9 leg. cit. verbiete zwar, Wertpapiere, die zur Deckung der Rücklage für künftige Abfertigungen angeschafft werden, auch zur bestimmungsgemäßen Verwendung von Investitionsrücklagen heranzuziehen, doch fehle eine korrespondierende umgekehrte Vorschrift. Dieser Ansicht ist nicht zuzustimmen.

§ 9 Abs 9 EStG 1972 lautet: "Die Bestimmungen der Abs 4 bis 8 gelten nicht für Wertpapiere, die gemäß § 14 Abs 4 angeschafft oder für die die Begünstigungen des § 107 in Anspruch genommen werden".

Folgte man der Auslegung des Beschwerdeführers, käme man zu dem unhaltbaren Ergebnis, daß eine Doppelverwendung von Wertpapieren im Anschaffungsjahr ausgeschlossen, in späteren Veranlagungszeiträumen aber zulässig wäre. Sachliche Gründe für eine derartige Differenzierung nach der zeitlichen Abfolge der Zweckwidmungen erkennt der Gerichtshof nicht und vermag auch der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen. Gegen seinen Standpunkt spricht vielmehr, daß sich beide Funktionen nicht im Jahr des Erwerbes erschöpfen, sondern auf Dauer angelegt sind. So soll die Bestimmung des § 9 Abs 4 EStG 1972 dem Angehörigen eines freien Berufes eine steuerbegünstigte Ansparung von Mitteln für eine angemessene Alters- und Berufsunfähigkeitsversorgung ermöglichen, während die Wertpapierdeckung dazu dient, einen finanziellen Rückhalt für künftige Abfertigungslasten zu schaffen. Ein und derselbe in einem Wertpapier dokumentierte Wert kann aber nicht zugleich für die persönliche Zukunftsvorsorge des Steuerpflichtigen und zur Absicherung seiner Abfertigungsverpflichtungen herangezogen werden.

Auch der Einwand, die Wertpapierdeckung nach § 14 Abs 4 EStG 1972 stelle im Gegensatz zur Sonderform der Investitionsrücklagenverwendung keine Steuerbegünstigung dar, sodaß durch eine Doppelverwendung keine zweifache Förderung eintreten könne, überzeugt nicht. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Steuerbegünstigung des § 9 Abs 4 EStG 1972 nämlich nicht für solche Wertpapierkäufe beansprucht werden können, zu denen der Abgabepflichtige aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen des § 14 Abs 4 leg. cit. ohnehin verpflichtet ist. Dies gilt aber in gleicher Weise für jene Fälle, in denen die Verpflichtung nach § 14 Abs 4 leg. cit. erst in den dem Anschaffungsjahr folgenden Jahren entsteht.

Wenn § 9 Abs 9 EStG 1972 auf die Anschaffung abstellt, kann dies nur so verstanden werden, daß beim Erwerb der Wertpapiere deren Bestimmung für einen der beiden Zwecke festzulegen ist. Durfte der Beschwerdeführer - was vom Gerichtshof nicht zu prüfen war - die Wertpapiere der bestimmungsgemäßen Verwendung von Investitionsrücklagen zuführen, standen sie für die Bedeckung der Abfertigungsrücklage nicht mehr zur Verfügung. Die belangte Behörde war daher im Recht, wenn sie die Berufung in diesem Punkt als wenig erfolgversprechend im Sinne des § 212 a Abs 2 lit a BAO ansah.

2. Verjährungseinrede hinsichtlich der gewinnerhöhenden Auflösung von Rücklagen gemäß § 9 EStG 1972:

Der Beschwerdeführer hat unbestritten die in den Jahren 1978 - 1982 gebildeten Investitionsrücklagen weder (zur Gänze) bestimmungsgemäß verwendet noch sie in den Folgejahren freiwillig nachversteuert. Gemäß § 9 Abs 2 EStG 1972 waren die Rücklagen demnach im 4. Jahr nach ihrer Bildung zwingend (mit Zuschlag) aufzulösen, was im Zuge der Betriebsprüfung auch geschehen ist. Die Beschwerde meint hingegen, es sei bereits (Bemessungs- und Einhebungs)verjährung eingetreten, da auf das Jahr der Rücklagenbildung abzustellen sei. Diese Ansicht ist verfehlt.

Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt der Verjährung (§ 207 BAO). Diese beginnt gemäß § 208 Abs 1 lit a BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist. Nach § 4 Abs 1 BAO entsteht der Abgabenanspruch, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Die Bestimmung des § 9 EStG 1972 ermöglicht es dem Steuerpflichtigen, einen Teil des Gewinnes für spätere Investitionen zunächst steuerfrei zu belassen. Erst wenn bis zum Ablauf des viertfolgenden Jahres keine (ausreichenden) Investitionen getätigt wurden, ist die Rücklage gewinnerhöhend (mit Zuschlag) aufzulösen. Im Beschwerdefall entsprachen Bildung und Fortführung der Investitionsrücklagen nach der Aktenlage dem Gesetz und waren vom Betriebsprüfer daher nicht zu beanstanden. Durch die Inanspruchnahme dieser Steuerbegünstigung wurde der ABGABENANSPRUCH UM JEWEILS VIER JAHRE HINAUSGESCHOBEN. Der Abgabenanspruch entstand demnach mit dem ungenützten Verstreichen der Verwendungsfrist, sodaß die gegenteilige Auffassung des Beschwerdeführers jeglicher Grundlage entbehrt. Da die Einhebungsverjährung gemäß § 238 Abs 1 BAO keinesfalls früher eintritt als das Recht zur Festsetzung der Abgabe, ist auch unter diesem Gesichtspunkt für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen.

3. Amtswegige Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs 4 BAO:

Der Beschwerdeführer meint weiters, die belangte Behörde habe sich mit dem für die Wiederaufnahme der Verfahren maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend auseinandergesetzt und dadurch Verfahrensvorschriften verletzt. Die "tatsächlich neu hervorgekommenen Tatsachen seien derart marginal und untergeordnet", daß sie bei richtiger Würdigung ohne Ermessensmißbrauch im Sinne des § 20 BAO keine Wiederaufnahme rechtfertigen könnten. Mit diesen Ausführungen verkennt der Beschwerdeführer den Gegenstand des angefochtenen Bescheides. Aufgabe des Aussetzungsverfahrens gemäß § 212 a BAO ist es nicht, die Berufungsentscheidung vorwegzunehmen. Die Abgabenbehörden haben lediglich die Erfolgsaussichten der Berufung anhand des Berufungsvorbringens zu beurteilen. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage. Daß die belangte Behörde diese falsch gelöst hat, wäre in der Beschwerde aufzuzeigen. Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen von Wiederaufnahmsgründen nicht; stellt jedoch deren Bedeutsamkeit in Abrede, ohne allerdings die Auswirkungen DIESER Wiederaufnahmsgründe und der tatsächlich erfolgten Wiederaufnahme darzulegen. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um den Gerichtshof in die Lage zu versetzen, die vom Beschwerdeführer zugegebenen, aber als "marginal und untergeordnet" bezeichneten Wiederaufnahmsgründe mit Blickrichtung auf jenes Mehrergebnis an Abgaben zu gewichten, das insgesamt Folge der Wiederaufnahme der streitgegenständlichen Abgabenverfahren war.

Abgesehen davon, bildet schon die fehlende Wertpapierdeckung gemäß § 14 Abs 4 EStG 1972 (vgl. Punkt 1) einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund, sofern dieser Umstand den Abgabenbehörden nicht vollständig offengelegt war. Daß dies aber geschehen ist, behauptet der Beschwerdeführer nicht.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.