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VwGH vom 28.06.2002, 98/02/0180

VwGH vom 28.06.2002, 98/02/0180

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll sowie Senatspräsident Dr. Kremla und Hofrat Dr. Holeschofsky als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel, über die Beschwerde des ED in Wien, vertreten durch Mag. Dr. Martin Deuretsbacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Oppolzergasse 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 07/S/05/00065/96, betreffend Übertretung der Bauarbeiterschutzverordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit zur Vertretung nach außen Berufener der J.L.B. GmbH mit Sitz in Wien gemäß § 9 VStG zu verantworten, dass diese Gesellschaft am auf einer näher bezeichneten Baustelle entgegen § 7 Abs. 1 Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl. Nr. 340/1994 (BauV), wonach bei Absturzgefahr Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen anzubringen seien, die Lehrlinge R.W. und D.K. Montagearbeiten von Rohrschellen an der Decke im ersten Untergeschoß habe durchführen lassen, wobei die Arbeiten von einer neben einem ca. 200 cm langen und ca. 61 cm breiten Lüftungsschacht aufgestellten Stehleiter aus durchgeführt worden seien. Der Lüftungsschacht sei weder abgedeckt gewesen noch seien sonstige Maßnahmen getroffen worden, die ein Abstürzen von Personen verhindert hätten, obwohl gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 BauV der Lüftungsschacht mit einer tragsicheren und unverschiebbaren Abdeckung hätte versehen werden müssen. R.W. sei beim Abstieg von der Leiter in Ermangelung einer Absturzsicherung oder sonstigen Schutzeinrichtung ca. 3,6 m abgestürzt. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 7 Abs. 1 BauV iVm § 8 Abs. 1 Z 1 BauV iVm § 118 Abs. 3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) iVm § 130 Abs. 1 Z 19 ASchG iVm § 19 VStG begangen, weswegen über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 20.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe zehn Tage) habe verhängt werden müssen.

Der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit Bescheid vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass anstelle einer Geldstrafe von S 20.000,-- zwei Geldstrafen von je S 10.000,-- und an Stelle einer Ersatzfreiheitsstrafe von zehn Tagen zwei Ersatzfreiheitsstrafen von je fünf Tagen verhängt wurden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ging davon aus, dass R.W. als "Schnupperlehrling" der J.L.B. GmbH auf der Baustelle anwesend gewesen sei, wobei er keine Arbeiten verrichten, sondern nur Probestücke anfertigen hätte sollen. Er sei mit dem Lehrling D.K. zum späteren Unfallort gegangen. D.K. habe neben dem Lüftungsschacht eine Leiter aufgestellt und begonnen, an der Decke Dübel zu setzen. R.W. habe ihm helfen wollen und sei unaufgefordert auf die Leiter geklettert, um Schellen zu montieren. Dabei sei R.W. beim Anziehen einer Schelle mit einem Schlüssel abgerutscht. Er sei von der Leiter in den offenen, Lüftungsschacht gefallen. Der Schacht sei ursprünglich mit einem unverrückbaren Scherengitter abgedeckt gewesen, welches vom Lehrling D.K. entfernt worden sei.

Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, die Einrichtung eines tauglichen Kontrollsystems im Unternehmen glaubhaft zu machen. Es reiche nicht aus, dass - wie der Beschwerdeführer ausgeführt habe - Baustellenleiter hinsichtlich der Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen geschult, die Baustellenleiter weiters von den Montageleitern kontrolliert würden und es noch Sicherheitsbeauftragte sowie einen freigestellten Betriebsrat gebe. Der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, welche Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung von Weisungen verhängt würden, und wie oft Kontrollen betreffend die Befolgung seiner Weisungen durchgeführt würden. Dass die Lehrlinge eigenmächtig Arbeiten hätten vornehmen können, zeige, dass das Kontrollsystem nicht ausreichend sei. Der Schutz der Arbeitnehmerschutzbestimmungen diene auch so genannten Schnupperlehrlingen.

Da der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht habe, dass ihn im Sinne des § 5 Abs. 1 VStG an der Verwaltungsübertretung kein Verschulden treffe, sei von der Verwirklichung der zur Last gelegten Verwaltungsübertretung durch den Beschwerdeführer auszugehen gewesen.

Die Spruchkorrektur sei erforderlich gewesen, da mehrere Übertretungen vorlägen, wenn die Rechtsvorschriften der BauV in Ansehung mehrerer Arbeitnehmer verletzt worden seien.

Gemäß § 7 Abs. 1 BauV, BGBl. Nr. 340/1994, sind bei Absturzgefahr Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) anzubringen.

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 BauV sind geeignete Absturzsicherungen tragsichere und unverschiebbare Abdeckungen von Öffnungen und Vertiefungen.

Inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt die Beschwerde darin, dass die angewendete Gesetzesbestimmung unrichtig angegeben worden sei. Die BauV beziehe sich ausdrücklich nur auf die §§ 24 Abs. 1 bis 4 und 27 Abs. 7 des ASchG. Verstöße gegen die §§ 24 und 27 ASchG und auch solche gegen die den zweiten Abschnitt des ASchG näher regelnden Durchführungsverordnungen seien nach § 130 Abs. 1 Z 15 zu sanktionieren. § 130 Abs. 1 Z 19 sei anzuwenden, wenn Verpflichtungen betreffend die Gestaltung von Arbeitsvorgängen oder die Gestaltung oder Einrichtung von Arbeitsplätzen verletzt worden seien. § 130 Abs. 1 Z 19 beziehe sich auf den sechsten Abschnitt des ASchG. Der Beschwerdeführer habe jedoch keinerlei Verpflichtungen des sechsten Abschnittes des ASchG, nämlich Verpflichtungen betreffend die Gestaltung von Arbeitsvorgängen oder die Gestaltung und Einrichtung von Arbeitsplätzen verletzt. Der von der belangten Behörde erhobene Vorwurf einer Verwaltungsübertretung richte sich ausschließlich gegen die Missachtung von Bestimmungen des zweiten Abschnittes des ASchG, insbesondere der dazu ergangenen Durchführungsverordnung, nämlich der BauV.

Diesem Vorbringen kommt lediglich insoweit Berechtigung zu, als die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretungen der BauV zufolge der Anführung dieser Verordnung im 9. Abschnitt des AschG (§ 118 Abs. 3) gemäß § 130 Abs. 5 AschG zu ahnden gewesen wären. Allerdings beinhalten sowohl § 130 Abs. 1 Z 19 als auch § 130 Abs. 5 ASchG idente Strafdrohungen, sodass der Beschwerdeführer durch die Anführung der unrichtigen Strafnorm im angefochtenen Bescheid in keinem subjektiven Recht verletzt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/04/0276).

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, dass im gegenständlichen Fall die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen dem unmittelbar vor Ort tätigen Baustellenleiter K.B. übertragen worden sei, ist ihm zu entgegnen, dass die Bestellung des Genannten unbestritten im Zeitpunkt des gegenständlichen Vorfalles dem Arbeitsinspektorat nicht gemeldet war. Es liegt daher keine im Sinn des § 23 Abs. 1 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 rechtswirksame Bestellung eines verantwortlich Beauftragten vor. Aus dem in dieser Hinsicht vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Umstand, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Zentralarbeitsinspektorat, mit Rundschreiben vom den Fachverbänden mitgeteilt habe, dass ein Verantwortlicher hinsichtlich der Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen nicht nur dann wirksam bestellt werden könne, wenn es sich um einen leitenden Angestellten handle, ist für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, weil die Frage, ob den Unternehmer an der Unterlassung der Mitteilung über die Bestellung eines Beauftragten ein Verschulden anzulasten ist, für die Frage der - nur im Fall der tatsächlichen Meldung eintretenden - Wirksamkeit einer solchen Bestellung ohne Bedeutung ist.

Entgegen den Beschwerdeausführungen, in denen geltend gemacht wird, der "Schnupperlehrling" R.W. sei durch den Obermonteur B. darüber belehrt worden sei, dass er keine Arbeiten verrichten und nicht auf ein Gerüst oder ähnliche Anlagen steigen dürfe, ergibt sich aus den Angaben des Obermonteurs B. bei seiner Einvernahme am , dass die Arbeiten der beiden Lehrlinge auf der Stehleiter in seinem Auftrag erfolgt waren. Die belangte Behörde konnte daher zu Recht davon ausgehen, dass die von R.W. durchgeführten Arbeiten unternehmensseitig angeordnet waren.

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verhängung einer Geldstrafe bezüglich des "Schnupperlehrlinges" R.W. erweise sich als rechtswidrig, da dieser kein Arbeitnehmer der J.L.B. GmbH gewesen sei. Der Schnupperlehrling R.W. sei kein Arbeitnehmer im Sinne des ASchG gewesen, weil nicht einmal ein Ausbildungsverhältnis vorgelegen habe. Er sei auch nicht Arbeitnehmer im Sinne der BauV gewesen. Es habe auch keinen Lehrvertrag gegeben. Der Schnupperlehrling sei unbestrittenermaßen im Rahmen der berufspraktischen Woche auf der Baustelle anwesend gewesen.

Gemäß § 2 Abs. 1 ASchG sind Arbeitnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes alle Personen, die im Rahmen eines Beschäftigungs- oder Ausbildungsverhältnisses tätig sind. Nach der zum AschG 1972 ergangenen hg. Rechtsprechung, von der abzugehen der Beschwerdefall keinen Anlass bietet, entspricht es dem Schutzzweck des AschG, dass der Begriff des Arbeitnehmers weiter gezogen ist als der des Dienstnehmers in § 1151 ABGB. Insbesondere ist es belanglos, ob die Beschäftigung aufgrund eines Arbeitsvertrages oder aus einem anderen Titel erfolgt. Der Arbeitnehmer muss in einem faktischen Arbeitsverhältnis stehen, bei dem die rechtliche Grundlage durch die Tatsache der Einordnung entstanden ist; dies selbst dann, wenn die Beschäftigung auch ohne einen gültigen Vertrag ausgeübt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/02/0243). Der Arbeitnehmerbegriff des ASchG geht über den arbeitsvertragsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff hinaus, sodass auch für Jugendliche, die nur vorübergehend in einem Betrieb arbeiten, wie Ferialpraktikanten, Volontäre oder Jugendliche die ein Pflichtpraktikum absolvieren, die einschlägigen Bestimmungen des Arbeitnehmerschutzrechtes gelten (vgl. zutreffend Nöstlinger, Arbeitnehmerschutz für Jugendliche, 2001, S. 56.)

Entgegen den Beschwerdeausführungen enthält der angefochtene Bescheid Feststellungen darüber, dass der Beschwerdeführer kein taugliches Kontrollsystem eingerichtet habe. Den diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde ist auch zu folgen, weil von der Darlegung eines solchen Kontrollsystems durch den Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren keine Rede sein kann. Hiezu wäre es - wie der Verwaltungsgerichtshof zu ähnlichen Fällen hierarchisch aufgebauter Kontrollsysteme ausgeführt hat - erforderlich gewesen aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet sei, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, d.h. sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangten und dort auch tatsächlich befolgt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/02/0160). Gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften hat das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 94/02/0258, 0259). Für die Befreiung von der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ist die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems entscheidend (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/02/0381).

Im Beschwerdefall zeigt jedoch der Umstand, dass sich die beiden Lehrlinge auf der Baustelle unbeaufsichtigt bewegen konnten, sowie ihr zunächst unbemerkt gebliebenes eigenmächtige Verhalten, dass das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Kontrollsystem den in der hg. Judikatur entwickelten Anforderungen an seine Wirksamkeit nicht entsprach.

Da schon das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet war, ein funktionierendes Kontrollsystem bezogen auf die konkrete Baustelle darzulegen, war die belangte Behörde auch nicht gehalten, die zum Beweis für dieses (zur Entlastung des Beschwerdeführers untaugliche) Vorbringen namhaft gemachten Zeugen zu vernehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 98/02/0148).

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am