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VwGH vom 09.03.1999, 98/01/0318

VwGH vom 09.03.1999, 98/01/0318

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde des IB in A, vertreten durch Dr. Michael Tröthandl, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Erzherzog-Rainer-Ring 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 201 986/0-III/07/98, betreffend Asylgewährung, (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom hat das Bundesasylamt den Asylantrag des am in das Bundesgebiet eingereisten Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der "Jugoslawischen Föderation", abgewiesen. In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, daß er und seine Brüder seit Beginn des Jahres 1990 Mitglieder der "albanischen demokratischen Union" seien, was den serbischen Milizen von Anfang an bekannt gewesen sei. Am habe das Begräbnis dreier junger Albaner, Mitglieder der "albanischen demokratischen Union", stattgefunden, die von der serbischen Polizei erschossen worden seien. Bei diesem Begräbnis sei ein Bruder des Beschwerdeführers mit der albanischen Fahne beim Grab gestanden und dabei von der Polizei fotografiert worden. Seither habe die Polizei diesen Bruder verfolgt, bis er schließlich am von serbischen Milizen erschlagen worden sei. Der Familie habe man mitgeteilt, er wäre beim illegalen Grenzübertritt erschossen worden. Dies sei jedoch unwahr, weil auf dem Körper des Bruders Folterspuren zu sehen gewesen seien. Seit dem Tod des Bruders seien der Beschwerdeführer und sein anderer Bruder ständig von der Polizei belästigt worden. Die Polizei habe gewußt, daß er wisse, wie es zum Tod seines Bruders gekommen sei. Ab dem sei er jedesmal, wenn es zu Unruhen zwischen den serbischen Milizen und Albanern gekommen sei, von der Polizei verhört, geschlagen und beschimpft worden. In der Zeit vom bis habe er mindestens zehn solche Verhöre zu erdulden gehabt. Am habe in Mazedonien eine Demonstration der Angehörigen der albanischen Volksgruppe gegen das serbische Regime stattgefunden. Obwohl der Beschwerdeführer damit nichts zu tun gehabt habe, sei(en) er (und sein Bruder) in diesem Zusammenhang neuerlich verhört und beschimpft worden. Am sei vor einer Kaserne ein Albaner erschossen worden. Er habe befürchtet, daß er wieder von der Polizei verhört werden würde und sei deshalb zu seinem Onkel nach Prishtina gefahren. Ein Telefonat mit der Ehegattin habe bestätigt, daß wirklich am von der Polizei nach ihm gesucht worden sei. Im Hinblick darauf habe der Beschwerdeführer, ohne in sein Haus zurückzukehren, mit seiner Familie sein Heimatland verlassen.

Dieser Berufung hat der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom und - nach Aufhebung dieses Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof - neuerlich mit Bescheid vom keine Folge gegeben. Der zweite Berufungsbescheid ist gemäß § 44 Abs. 2 Asylgesetz 1997-AsylG am außer Kraft getreten.

Auch der nunmehr zur Entscheidung zuständige unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) wies die Berufung des Beschwerdeführers - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder anderweitige Verfahrensergänzung - ab (gemäß § 7 AsylG). Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs sei die "begründete Furcht vor Verfolgung". Eine begründete Furcht vor Verfolgung liege dann vor, wenn objektiverweise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund habe, eine Verfolgung zu fürchten. Die Verfolgungsgefahr müsse aktuell sein, was bedeute, daß sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen müsse. Das Asylrecht schütze nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde. In diesem Sinne gelte als Verfolgung nur zielgerichtetes Handeln des Heimatstaates, das sich direkt gegen den einzelnen wende. Der Vorfall mit dem Bruder des Asylwerbers im August 1991 sei daher nicht geeignet, die Gewährung von Asyl zu begründen; außerdem stehe dieser Vorfall in keinem zeitlichen Naheverhältnis zur Ausreise des Asylwerbers aus seinem Heimatland im November 1992. Längere Zeit zurückliegende Ereignisse könnten nur dann asylrechtlich relevant sein, wenn sich der Asylwerber durchgehend bis zu seiner Ausreise in einem Zustand wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung befunden habe. Dies sei in concreto nicht der Fall gewesen. Zwar habe der Beschwerdeführer behauptet, ab bis zu seiner Ausreise jedesmal dann, wenn es irgendwo zu Unruhen zwischen den serbischen Milizen und Albanern gekommen sei, von der Polizei verhört, geschlagen und beschimpft worden zu sein, doch habe er sich auf Grund dieser Geschehnisse offensichtlich nicht die ganze Zeit über in einem Zustand wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung befunden; er habe nämlich ausdrücklich zu Protokoll gegeben, daß er noch am sein Heimatland nicht habe verlassen wollen, was jedoch nur dann nachvollziehbar sei, wenn er keine ernsthaften Nachteile für seine Person zu gewärtigen bzw. zu befürchten gehabt hätte. Weiters müsse der durch ein staatliches Organ des Heimatlandes oder durch behördliches Handeln erlittene Eingriff eine bestimmte Intensität aufweisen, um Verfolgungsqualität zu erlangen. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer von August 1991 bis November 1992 ca. zehnmal Verhören, Beschimpfungen und Schlägen ausgesetzt gewesen sei, erscheine eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung während dieser Zeit auch unter dem Aspekt der Eingriffsintensität nicht vorgelegen zu haben. Offensichtlich sei es dem Beschwerdeführer trotz wiederkehrender Verhöre durch die Sicherheitskräfte nicht unzumutbar oder gar unmöglich gewesen, in seinem Heimatland zu verbleiben, weil anders nicht erklärt werden könnte, warum er nach seinen eigenen Angaben sein Heimatland bis zum nicht habe verlassen wollen. Die Angaben des Beschwerdeführers betreffend den Tod seines Bruders würden nicht in Abrede gestellt. Dieses Ereignis könnte jedoch mangels zeitlichen Konnexes zur Ausreise des Beschwerdeführers dessen Flüchtlingseigenschaft nicht begründen. Da die dem Beschwerdeführer widerfahrenen Geschehnisse im Zusammenhang mit den von ihm behaupteten Verhören keine Umstände darstellten, die ihm einen weiteren Verbleib im Heimatland unmöglich bzw. unzumutbar gemacht hätten, rechtfertige auch die neuerliche polizeiliche Suche nach seiner Person im November 1992 nicht eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention. Es fänden sich in seinem Vorbringen keine Anhaltspunkte, die ihn im Vergleich zu den bisherigen Verhören nunmehr in erhöhtem Maß gefährdet erschienen ließen. Wenn der Beschwerdeführer aber nach eigenen Angaben noch im November 1992 trotz der zurückliegenden Vorfälle sein Heimatland nicht habe verlassen wollen, so erscheine auf Grund der äußeren Umstände, die keine Verschärfung seiner Lage im November 1992 erkennen ließen, die nun behauptete subjektive Furcht nicht nachvollziehbar und damit nicht wohlbegründet. Der Beschwerdeführer habe auch im Hinblick auf die Erschießung eines Albaners am nicht dargetan, daß er im Vergleich zu den bisherigen Einvernahmen auf Grund dieses Vorfalles in erhöhtem Maße gefährdet gewesen wäre, Nachteilen ausgesetzt zu werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach den §§ 58 Abs. 2 und 60 iVm § 67 AVG haben Berufungsbescheide eine Begründung zu enthalten, in der die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. In der Bescheidbegründung ist daher in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, E 8. zu § 67 AVG und E 1. bis 9. zu § 60 AVG nachgewiesene Rechtsprechung). Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof jedoch nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt.

Im vorliegenden Fall wird im bekämpften Bescheid zunächst zutreffend darauf hingewiesen, daß nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr relevant sein kann; sie muß bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe.

In der Folge beschäftigt sich die belangte Behörde ausschließlich mit den Ereignissen bis November 1992. Sie argumentiert wesentlich damit, daß der Beschwerdeführer gemäß seinen Angaben noch am nicht aus seinem Heimatland habe flüchten wollen. Daraus sei abzuleiten, daß er sich seit dem Tod seines Bruders (am ) bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht die ganze Zeit über in einem Zustand wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung befunden habe; einerseits fehle es daher am zeitlichen Konnex zwischen den seinen Bruder betreffenden Geschehnissen und seiner Ausreise, andererseits könne davon ausgegangen werden, daß die dem Beschwerdeführer selbst widerfahrene Behandlung nicht die für die Zuerkennung von Asyl erforderliche Intensität erreicht habe. Auf Grund der äußeren Umstände, die keine Verschärfung seiner Lage im November 1992 erkennen ließen, erscheine die nun behauptete subjektive Furcht nicht nachvollziehbar und damit nicht wohlbegründet.

Diese ausschließlich vergangenheitsbezogenen Ausführungen schlagen keine erkennbare Brücke zur aktuellen Situation, obwohl sich die Verhältnisse im Kosovo seit November 1992 - wie allgemein bekannt - wesentlich geändert haben. Die belangte Behörde legt nicht dar, wieso es - vor dem Hintergrund des von ihr selbst erkannten Gebots, bei Beurteilung der Verfolgungsgefahr auf den Zeitpunkt der Bescheiderlassung abzustellen - in concreto nicht erforderlich sein soll, das Schicksal des Beschwerdeführers unter dem Blickwinkel der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides herrschenden Verhältnisse zu beurteilen und - allenfalls nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - eine Prüfung dahingehend vorzunehmen, welche Gefahren einem Mitglied der "albanischen demokratischen Union", welches bereits 1991/1992 in das Gesichtsfeld der Behörden geraten ist, aktuell drohen. Indem die belangte Behörde ihre diesbezüglichen Überlegungen nicht offengelegt hat, erweist sich der bekämpfte Bescheid gemäß den einleitenden Erwägungen als nicht nachvollziehbar. Er leidet sohin an einem Begründungsmangel, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am