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VwGH vom 25.06.1996, 95/17/0070

VwGH vom 25.06.1996, 95/17/0070

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Höfinger, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde 1.) des HG und 2.) der TG, beide in L, beide vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung vom , Zl. 02/04/227, betreffend Vorschreibung eines vorläufigen Kanalanschlußbeitrages (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde L), zu Recht erkannt:

Spruch

1.) Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird als unbegründet abgewiesen.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat dem Land Burgenland Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2.) Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Burgenland hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom schrieb der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde den Beschwerdeführern einen vorläufigen Anschlußbeitrag für die Grundstücke Nr. 11/1, 11/2 gemäß § 6 des Kanalabgabegesetzes, LGBl. für das Burgenland Nr. 41/1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990 (im folgenden: Bgld KanalAbgG 1984), in der Höhe von S 374.648,90 vor.

Der Erstbeschwerdeführer erhob "Einspruch", in dem er sich gegen das Ausmaß der zugrundegelegten Berechnungsfläche wendete.

1.2. Mit Berufungsvorentscheidung vom , gerichtet an beide Beschwerdeführer, gab der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde der Berufung vom teilweise statt und setzte die "Kanalanschlußgebühr" mit einem Betrag von S 338.401,78 fest.

Auch gegen diesen Bescheid erhob der Erstbeschwerdeführer am "Einspruch", weil auch die korrigierte Berechnungsfläche von 2.772,46 m2 zu hoch erscheine.

1.3. Mit Bescheid vom wurde der "Berufung vom nicht stattgegeben und die Berufungsvorentscheidung des Bürgermeisters vom vollinhaltlich bestätigt."

Gegen diesen Bescheid wurde in einem Schriftsatz, der beide Beschwerdeführer als Einschreiter ausweist und vom Erstbeschwerdeführer unterfertigt ist, Vorstellung erhoben. Die Vorstellung wendet sich gegen die Einbeziehung eines Gebäudetraktes mit der Bezeichnung "AR + Garagen" mit einer Fläche von 165,30 m2 und eines Gebäudes mit der Bezeichnung "AR" mit einer Fläche von 174,75 m2 in die Berechnungsfläche.

1.4. Mit Bescheid vom - dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid - gab die belangte Behörde der Vorstellung der beiden Beschwerdeführer keine Folge und bestätigte den Bescheid des Gemeinderates. Nach der Begründung dieses Bescheides hätten die Beschwerdeführer im Abgabenverfahren die Möglichkeit gehabt, gegen die Ermittlung der Berechnungsfläche begründete Einwendungen vorzubringen. Auch bei Berücksichtigung der erst in der Vorstellung vorgebrachten Einwände wäre die Abgabenbehörde zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Denn auf Grund der Besichtigung an Ort und Stelle unter Beiziehung des Erstbeschwerdeführers und des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde sowie des im Vorstellungsverfahren erstellten Gutachtens des Sachverständigen vom ergebe sich, daß der zwischen Scheune und Wirtschaftstrakt stehende Bauteil "AR + Garagen" als Abstellraum für Landmaschinen bewilligt und als Pkw-Einstellraum genutzt werde. Der Baukörper sei vom Hof her erschlossen und habe zu den angrenzenden Bauteilen massive, 0,40 bis 0,65 m dicke Abmauerungen. Diese trennten auch das Dach zwischen diesen Bauten und dem Wirtschaftstrakt des Hauptgebäudes. Beide Dächer lägen auf der gemeinsamen obgenannten Mauer auf. Bei Entfernung des Wirtschaftstraktes und der den Abschluß des Wirtschaftstraktes bildenden gemeinsamen Mauer wäre das weitere Bestehen des Pkw-Einstellraumes nicht gewährleistet, da diesem Gebäudeteil eine Wand, auf welcher die Mauerkonstruktion ruhe, fehlen würde.

Der an das Hauptgebäude anschließende Bauteil, der als Gästesaal (für den Sommerbetrieb) bezeichnet werden könne, sei nicht vom Hauptgebäude getrennt hergestellt, die Fassade des Hauptgebäudes bilde eine Wand dieses Gästesaales. Aus diesem Saal bestehe ein direkter Aufgang in das Hauptgebäude, in welchem sich die Gastronomieräume (Küche etc.) und die Sanitärräume befänden. Der Bauteil stehe in Verbindung mit dem Hauptgebäude und könne auch im Falle des Abbruches des Hauptgebäudes nicht für sich allein bestehen.

1.5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht verletzt, keinen vorläufigen Anschlußbeitrag von einer Bemessungsgrundlage leisten zu müssen, die 2.607,16 m2 überschreite.

1.6. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Die Zweitbeschwerdeführerin hat weder gegen den erstinstanzlichen Abgabenbescheid des Bürgermeisters Berufung erhoben noch hinsichtlich der Berufungsvorentscheidung des Bürgermeisters (die so wie der erstinstanzliche Bescheid auch an sie gerichtet war) einen Vorlageantrag eingebracht. Ungeachtet dessen hat der Gemeinderat als Abgabenbehörde zweiter Instanz die Zweitbeschwerdeführerin als Gesamtschuldnerin auch als Adressatin des Berufungsbescheides vom - wenn auch nicht, wie es dem Gesetz entsprochen hätte, im Spruch - bezeichnet. Gemäß § 214 Abs. 1 Bgld LAO können nämlich im Berufungsverfahren nur einheitliche Entscheidungen getroffen werden. Die Berufungsentscheidung wirkt für und gegen die gleichen Personen wie der in Berufung gezogene Bescheid. Gegen diesen Bescheid haben die beiden Beschwerdeführer Vorstellung (in "wir"-Form) erhoben; dieses vom Erstbeschwerdeführer unterfertigte Rechtsmittel durfte von der Vorstellungsbehörde in Anwendung des § 60 Abs. 4 Bgld LAO auch als namens der Zweitbeschwerdeführerin eingebracht angesehen werden.

Gemäß § 77 Abs. 1 der Bgld Gemeindeordnung, LGBl. Nr. 37/1965 (im folgenden: Bgld GdO 1965) kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in einer aus dem Vollziehungsbereich des Landes stammenden Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung des Bescheides dagegen Vorstellung erheben. Die Berufungsentscheidung des Gemeinderates wirkt zwar auch gegenüber der Zweitbeschwerdeführerin als Abgabengesamtschuldnerin, stellt aber gegenüber dem erstinstanzlichen Bescheid, gegen den sie nicht berufen hat, wie im übrigen auch gegenüber der Berufungsvorentscheidung keine Verböserung dar. In einem solchen Fall bewirkt die Nichterschöpfung des Instanzenzuges seitens der Zweitbeschwerdeführerin - wenngleich eine Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Abgabenbescheides im Anwendungsbereich des § 214 Abs. 1 Bgld LAO begrifflich nicht in Betracht kommt -, daß ihr, prozessual betrachtet, die Geltendmachung einer Verletzung in ihren Rechten durch die Berufungsentscheidung verwehrt ist (vgl. Stoll, BAO, Kommentar, 3. Bd, 2806, zu § 290 BAO). Im Mehrparteienverfahren (bei Gesamtschuldnern) bedeutet die Prozeßvoraussetzung der Erschöpfung des Instanzenzuges, daß der Vorstellungswerber selbst den Instanzenzug erschöpft haben muß. Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die Partei im Mehrparteienverfahren durch Unterlassung der Berufung zum Ausdruck gebracht hat, daß sie durch einen Bescheidinhalt wie er sodann in dem nichtverbösernden, über Berufung einer anderen Partei ergangenen Berufungsbescheid enthalten ist, nicht als beschwert erachtet werden kann. Das Rechtsmittel der Vorstellung stand der Zweitbeschwerdeführerin daher nicht (mehr) zur Verfügung. Die von ihr dennoch erhobene Vorstellung wäre als unzulässig zurückzuweisen gewesen.

Dadurch, daß die Vorstellungsbehörde die Vorstellung der Zweitbeschwerdeführerin nicht zurückgewiesen, sondern abgewiesen hat, wurde diese in ihren Rechten nicht verletzt.

Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2.2.1. In der Beschwerde wird geltend gemacht, die belangte Behörde habe hinsichtlich des Gebäudes "AR + Garagen" den Befund des bautechnischen Sachverständigen in aktenwidriger Weise ergänzt und sei von dessen Gutachten abgewichen, ohne zu begründen, warum sie die Schlußfolgerung des Sachverständigen für unrichtig halte. Eine solche Abweichung hätte nur auf Grundlage eines weiteren bautechnischen Sachverständigengutachtens erfolgen dürfen. Die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen seien nicht nachvollziehbar und schlüssig.

2.2.2. § 6 Abs. 1 Bgld KanalAbgG 1984 in der Fassung LGBl. Nr. 37/1990 bestimmt:

"Für jene Anschlußgrundfläche bzw. Teile der Anschlußgrundfläche, für die im Falle der Fertigstellung des wasserrechtlich bewilligten Projektes über die Errichtung oder Änderung der Kanalisationsanlage Anschlußpflicht bestehen würde, kann ein vorläufiger Anschlußbeitrag erhoben werden."

§ 2 Bgld KanalanschlußG 1989, LGBl. Nr. 27/1990, mit der Überschrift "Anschlußpflicht" lautet auszugsweise:

"(2) Diese Verpflichtung besteht nicht

...

3. für Bauten, bei denen nur Niederschlagswässer anfallen, die ohne nachteilige Auswirkungen zur Gänze versickern oder verrieseln können. Bauten im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die mit Bauten, bei denen auch Schmutzwässer anfallen, nicht in Verbindung stehen oder im Falle des Abbruches der anderen Bauten für sich allein bestehen könnten,

..."

2.2.3. Der Erstbeschwerdeführer ist mit seiner Verfahrensrüge im Recht. Der angefochtene Vorstellungsbescheid weicht ohne weitere Begründung von Befund und Gutachten des bautechnischen Sachverständigen in der Frage der baulichen Selbständigkeit des Gebäudeteiles "AR + Garagen" ab. In diesem von der Vorstellungsbehörde eingeholten Sachverständigengutachten des staatlich befugten und beeideten Ziviltechnikers heißt es im Befund, dieser Baukörper sei nur vom Hof her erschlossen und habe zu den angrenzenden Bauteilen massive (0,40 bis 0,65 m dicke) Abmauerungen; diese trennten auch das Dach zwischen diesem Bauteil und dem Wirtschaftstrakt des Hauptgebäudes. Dieser Sachverhalt wurde sodann wie folgt begutachtet: "Der Bauteil Abstellraum (PKW-Einstellraum) könnte, sowohl aus funktioneller wie auch aus konstruktiver Sicht, für sich bestehen bleiben. Es besteht keine funktionelle Verbindung mit den Bauteilen, in denen Schmutzwasser anfällt."

Grundlage für die abweichende Feststellung im Vorstellungsbescheid scheint ein in den Akten erliegender Aktenvermerk vom zu sein, welcher lautet:

"Nach einem Augenschein an Ort und Stelle am heutigen Tag wurde festgestellt, ... Der als AR bezeichnete Gebäudeteil an der linken Seite weist eine gemeinsame Mauer mit der Garage auf, wobei die jeweilige Dachkonstruktion für die Gebäudeteile AR + Garage auf der gemeinsamen 60 m breiten Mauer aufliegt. Bei Abbruch der Mauer des Schlachtraumes würde das Dach der Garage auf der einen Seite in der Luft hängen."

Der Aktenvermerk ist mit einer unleserlichen Paraphe versehen und läßt nicht erkennen, wer bei dem erwähnten Augenschein anwesend war. Die Anwesenheit der Parteien oder die allfällige Einräumung des Parteiengehörs ist nicht ersichtlich gemacht.

Die belangte Behörde hat sich damit auf ein Beweismittel gestützt, das nicht geeignet ist, das Sachverständigengutachten des Ziviltechnikers zu entkräften. Eine Begründung für die abweichende Befundung und Begutachtung hat die belangte Behörde nicht gegeben. Auch wurde das Recht auf Parteiengehör verletzt.

Diese Verfahrensmängel sind wesentlich, weil nicht ausgeschlossen ist, daß die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

2.3. Zu Recht wird in der Beschwerde auch gerügt, die belangte Vorstellungsbehörde habe den Verfahrensmangel nicht wahrgenommen, der darin liege, daß der Gemeinderat im Berufungsbescheid nicht über die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, sondern verfehlter Weise über die "Berufung vom " - das ist in Wahrheit der Vorlageantrag - gegen "die Berufungsvorentscheidung des Bürgermeisters vom " abgesprochen, diese "Berufung" abgewiesen und die Berufungsvorentscheidung "vollinhaltlich bestätigt" habe. Dadurch, daß die belangte Vorstellungsbehörde diesen verfehlten Bescheidabspruch nicht behoben hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit.

2.4. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes und mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat.

Wegen des Prävalierens der inhaltlichen Rechtswidrigkeit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1, 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Dem Erstbeschwerdeführer waren unter dem Titel des Stempelgebührenersatzes nur S 480,-- (Beschwerde vierfach) und S 30,-- (angefochtener Bescheid einfach) zuzusprechen; sein diesbezügliches Mehrbegehren war abzuweisen. § 53 Abs. 1 VwGG kommt nicht zur Anwendung, weil die Beschwerden der beiden Beschwerdeführer nicht zum selben Verfahrensergebnis geführt haben.