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VwGH vom 17.06.1993, 92/18/0460

VwGH vom 17.06.1993, 92/18/0460

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Graf und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des F in U, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS-02/32/00053/92, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Schriftsatz vom erhob der Beschwerdeführer gemäß § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG Beschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) mit dem Antrag festzustellen, daß seine Festnahme am um 15.45 Uhr und die Anhaltung bis 20.00 Uhr rechtswidrig gewesen seien. In dieser Beschwerde wurde die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen für die auf § 10 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz gestützte Festnahme und Anhaltung aus mehreren im einzelnen ausgeführten Gründen nicht vorgelegen seien. In dieser Beschwerde berief sich die Vertreterin des Beschwerdeführers gemäß § 10 AVG auf die ihr erteilte Vollmacht.

2. Mit Schreiben vom teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer zu Handen seiner Vertreterin mit, daß die (im beigeschafften Asylakt erliegende schriftliche) Vollmacht vom nur für das Asylverfahren, nicht aber für das gegenständliche Verfahren gelte. Es werde daher gemäß § 10 Abs. 2 in Verbindung mit § 13 Abs. 3 AVG der Auftrag erteilt, eine allenfalls vorhandene weitere Vollmacht binnen einer Woche vorzulegen.

3. Mit Schriftsatz vom erklärte die Beschwerdevertreterin, der Beschwerdeführer halte sich nicht in Wien auf. Eine Vollmacht sei ihm zur Unterfertigung übersandt worden. Gemäß § 10 Abs. 1 AVG ersetze jedoch, falls ein Rechtsanwalt einschreite, die Berufung auf die erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis. Der Beschwerdeführer habe seine Vertreterin mündlich mit seiner Vertretung in allen mit seinem Aufenthalt und im konkreten Fall im besonderen auch mit seiner Festnahme und Anhaltung im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten beauftragt. Deshalb habe sich die Beschwerdevertreterin in der Beschwerde vom gemäß § 10 AVG auf die erteilte Vollmacht berufen. Im Asylverfahren sei eine schriftliche Vollmacht zur Ersichtlichmachung des Vollmachtsverhältnisses vorgelegt worden, weil eine Eingabe seiner Vertreterin nicht im Akt gelegen sei. Die schriftliche Vollmacht sei auf das Asylverfahren eingeschränkt worden, um die Vollmacht nicht vergebühren zu müssen. Dies bedeute aber nicht, daß die allgemeine Vollmacht auf das Asylverfahren beschränkt gewesen sei. Im übrigen habe der Beschwerdeführer sowohl nach seiner Festnahme seine Rechtsvertreterin gebeten, alle erforderlichen Schritte einzuleiten, als auch nunmehr telefonisch die erteilte Vollmacht bekräftigt. Es werde daher der Antrag gestellt, die mündlich erteilte Vollmacht gemäß § 10 Abs. 1 AVG zur Kenntnis zu nehmen. Trotzdem werde eine schriftliche Vollmacht nachgereicht werden, doch sei die gesetzte Frist dafür zu kurz. Hilfsweise werde der Antrag gestellt, die Frist bis Ende September zu erstrecken.

4. Mit Schriftsatz vom legte die Beschwerdevertreterin eine mit datierte schriftliche Vollmacht des Beschwerdeführers vor.

5. Mit dem Bescheid vom wies die belangte Behörde die an sie gerichtete Beschwerde gemäß § 67c Abs. 3 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 AVG als unzulässig zurück. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des wesentlichen Akteninhaltes aus, im Hinblick auf die im Asylakt erliegende Vollmacht seien Zweifel bezüglich des Vorhandenseins einer (weiteren) Vollmacht aufgetaucht, die die Beschwerdevertreterin zur Einbringung einer Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers am berechtige. Die Einbringung dieser Beschwerde habe nämlich keinen Einfluß auf die Entscheidung über die Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers oder auf die Asylgewährung. Der im Schriftsatz der Beschwerdevertreterin vom vertretenen Auffassung sei entgegenzuhalten, daß die Vollmacht schriftlich zu erteilen sei und nur vor der Behörde mündlich erteilt werden könne. § 10 Abs. 1 AVG mache nicht das Vorhandensein einer schriftlichen Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes entbehrlich, sondern nur die "automatische" Vorlage der Vollmacht an die Behörde. Bei Auftauchen von Zweifeln habe der Rechtsanwalt der Behörde die ihm erteilte schriftliche Vollmacht vorzulegen. Im gegenständlichen Fall gehe aus der Stellungnahme der Beschwerdevertreterin hervor, daß eine schriftliche Vollmacht gar nicht vorgelegen habe, sondern erst jetzt - durch Zusendung eines Vollmachtsformulars - "nacherteilt" werden solle. Bei Einbringung der Beschwerde sei eine Vollmacht demnach nicht vorhanden gewesen. Daher sei die Beschwerde mangels Vorliegens einer Vollmacht zurückzuweisen gewesen.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1. Gemäß § 10 Abs. 1 AVG können sich die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen, die sich durch eine schriftliche Vollmacht auszuweisen haben. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk. Schreitet ein Rechtsanwalt oder Notar ein, so ersetzt die Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis.

Gemäß § 10 Abs. 2 AVG richten sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 von Amts wegen zu veranlassen.

2.1. Die Bestimmung des § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG wurde durch das Bundesgesetz vom , BGBl. Nr. 357, eingeführt. Die diesbezügliche Regierungsvorlage (1089 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des NR XVII. GP) enthielt diese Bestimmung noch nicht. Im Bericht des Verfassungsausschusses (1350 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des NR XVII. GP) finden sich keine näheren Ausführungen über die Gründe für die Aufnahme dieser Bestimmung in den Gesetzentwurf.

Die genannte Bestimmung wurde weitgehend wörtlich dem durch die Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. Nr. 135, eingeführten § 30 Abs. 2 ZPO nachgebildet, lediglich der der Terminologie der ZPO entsprechende Begriff "Bevollmächtigung" wurde durch das Wort "Vollmacht" ersetzt. Die Regierungsvorlage zur Zivilverfahrens-Novelle 1983 (669 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des NR XV. GP) enthielt diese Änderung noch nicht, sie wurde erst vom Justizausschuß in den Gesetzentwurf aufgenommen. In den diesbezüglichen Ausführungen des Ausschußberichtes (1337 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des NR XV. GP S. 8) heißt es, daß gegen einen Verzicht auf den schriftlichen Nachweis der Vollmacht, wenn ein Rechtsanwalt oder Notar als Bevollmächtigter einschreite, keine Bedenken bestünden. Begründet wurde dies insbesondere mit der strengen standesrechtlichen Verantwortung, der diese Personen unterlägen.

2.2. Der Wortsinn des § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG geht dahin, daß die Berufung des Rechtsanwaltes oder Notars auf die ihm erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis ersetzt, das heißt (nicht nur vorläufig) entbehrlich macht. Es ist kein aus dem Gesetz oder den Materialien (auch zu der verwandten Bestimmung des § 30 Abs. 2 ZPO) ableitbares Argument erkennbar, das die Auffassung der belangten Behörde rechtfertigen könnte, der Rechtsanwalt benötige jedenfalls eine schriftliche Vollmacht, er müsse sie nur nicht "automatisch", hingegen jedenfalls bei Auftauchen von Zweifeln vorlegen. Dies stellt kein Abgehen von der im hg. Beschluß vom , Zl. 92/18/0448, geäußerten Rechtsansicht dar. Dort wurde - unter Berufung auf Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts, 2. Auflage, Rz 428 - ausgeführt, bei Auftreten von Zweifeln könne ein urkundlicher Nachweis gefordert werden; der erleichterte Vollmachtsnachweis befreie nämlich die Behörde nicht von der Prüfung, wenn sich etwa aus der Aktenlage Zweifel an der Bevollmächtigung ergäben. Diese Ausführungen sind im Sinne der zitierten Literaturstelle zu verstehen, d.h. daß im Falle von Zweifeln amtswegige Erhebungen betreffend das Vorliegen eines Vollmachtsverhältnisses stattzufinden haben. Dabei kann der Auftrag zur Vorlage der Vollmachtsurkunde ein zielführender Ermittlungsschritt sein. Das bedeutet aber nicht, daß jedenfalls eine Vollmachtsurkunde errichtet worden sein muß, widrigenfalls die von einem Rechtsanwalt, der keine schriftliche Vollmacht vorweisen kann, gesetzte Prozeßhandlung zurückzuweisen ist.

2.3. Auch die Bestimmung des § 10 Abs. 2 AVG gebietet kein anderes Verständnis des § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG, wird doch im § 10 Abs. 2 leg. cit. angeordnet, daß sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach dem Inhalt der Vollmacht richten und daß hierüber auftauchende Zweifel nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen sind. Da das bürgerliche Recht die Erteilung der Vollmacht grundsätzlich an keine Form bindet (siehe § 1005 ABGB), hatte die belangte Behörde von der Rechtsgültigkeit einer mündlich erteilten Vollmacht, wie sie von der Beschwerdevertreterin schon in der an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde und auch in der Stellungnahme vom behauptet worden war, auszugehen.

3. Die in der Gegenschrift enthaltenen Ausführungen vermögen den Standpunkt der belangten Behörde nicht zu rechtfertigen.

3.1. Soweit sie darauf hinweist, daß die Bestimmung des § 30 Abs. 2 ZPO, dem § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG nachgebildet sei, "auch im Gerichtsverfahren als nicht unproblematisch" gelte, wird daraus nicht deutlich, was die belangte Behörde damit meint. Soweit dies der Verwaltungsgerichtshof überblickt, haben sich Schwierigkeiten im Zivilprozeß in erster Linie bei der Bevollmächtigung von Rechtsanwälten durch juristische Personen ergeben, weil bei diesen im Falle von Geschäftsführerwechsel oder bei kollektiver Vertretungsbefugnis manchmal nicht klar war, ob die Person, die dem Rechtsanwalt gegenüber die Vollmacht erklärt hat, dazu rechtlich auch in der Lage war (vgl. in diesem Zusammenhang unter anderem die Ausführungen im Anwaltsblatt 1984, Seite 206 ff, 361 und 435 ff, ferner den Beschluß des Obersten Gerichtshofes SZ 57/131).

3.2. Die Tatsache, daß Fremde - wie im Beschwerdefall - im Zeitpunkt des Einschreitens eines inländischen Rechtsanwaltes manchmal bereits im Ausland sind, ist kein Grund, entgegen dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG vom Rechtsanwalt die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht zu verlangen. Aus welchen sachlichen Gründen die mündliche Erteilung einer Vollmacht an die Beschwerdevertreterin, die nach dem Akteninhalt den Beschwerdeführer bereits ab der ungarisch - serbischen Grenze begleitet hatte, bezweifelt werden konnte, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar. Einer schriftlichen Bevollmächtigung bedurfte es, wie oben ausgeführt wurde, nicht.

3.3. Aus dem Fehlen einer dem § 38 ZPO, in dem die einstweilige Zulassung als Bevollmächtigter ohne Nachweis der Vollmacht geregelt ist, vergleichbaren Bestimmung im AVG kann nicht geschlossen werden, § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG sei anders zu verstehen als § 30 Abs. 2 ZPO. Auch wenn es für den Rechtsanwalt vor Inkrafttreten des § 30 Abs. 2 ZPO gemäß § 38 ZPO möglich war, schon vor Vorlage eines Nachweises über die Vollmacht für eine Partei einzuschreiten, enthob ihn diese Möglichkeit nicht von der Verpflichtung, innerhalb der vom Gericht gemäß § 38 Abs. 2 ZPO zu bestimmenden Frist die (schriftliche) Vollmacht nachträglich vorzulegen. § 30 Abs. 2 ZPO hat in gleicher Weise wie § 10 Abs. 1 letzter Satz AVG Rechtsanwälte und Notare, die sich auf die erteilte Bevollmächtigung berufen, von der Verpflichtung zum urkundlichen Nachweis ihrer Bevollmächtigung befreit.

3.4. Entgegen den Ausführungen in der Gegenschrift handelt es sich bei den Beschwerdebehauptungen betreffend die mündlich erteilte Vollmacht nicht um Neuerungen. In der Stellungnahme vom wurde unmißverständlich ausgeführt, daß der Beschwerdeführer bereits bei seiner Festnahme die Beschwerdevertreterin zu "allen erforderlichen Schritten" bevollmächtigt und "nunmehr neuerlich telefonisch die erteilte Vollmacht bekräftigt" habe. Es ist daher unerfindlich, warum die belangte Behörde glaubt, das Vorbringen im Verwaltungsverfahren betreffend die mündliche Vollmachtserteilung ausschließlich auf das von der Beschwerdevertreterin mit dem in Ungarn befindlichen Beschwerdeführer geführte Telefonat beziehen zu können.

4. Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.