VwGH vom 13.08.1991, 89/10/0231
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Mag. Onder und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der Augusta J in W, bei Einbringung der Beschwerde vertreten gewesen durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 22-19/88/Str., betreffend Übertretung des Wiener Baumschutzgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich seines Schuldspruches wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, hinsichtlich des Ausspruches über die Strafe wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Landeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit rechtskräftigem Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde der Beschwerdeführerin vorgeschrieben, nach der bewilligten Fällung einer Schwarzföhre auf ihrer Liegenschaft in Wien bis eine Ersatzpflanzung (einer Silberfichte) vorzunehmen.
1.2. Mit Straferkenntnis vom sprach der Magistrat der Stadt Wien aus, die Beschwerdeführerin habe nach der mit Bescheid vom genehmigten Entfernung eines Baumes (einer Schwarzföhre) im Zeitraum vom 15. April bis die mit diesem Bescheid vorgeschriebene Ersatzpflanzung (einer Silberfichte) nicht vorgenommen. Sie habe dadurch § 6 des Wiener Baumschutzgesetzes, LGBl. Nr. 27/1974 (im folgenden: Wr BaumSchG) in der geltenden Fassung im Zusammenhang mit dem Bescheid vom verletzt. Wegen dieser Verwaltungsübertretung werde über die Beschwerdeführerin gemäß § 13 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. eine Geldstrafe von S 10.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Tagen verhängt.
Die Beschwerdeführerin (geboren im Jahr 1905) erhob Berufung. Diese hat folgenden Wortlaut:
"Ich bitte zu entschuldigen, daß ich zur vorgesehenen Zeit einen Ersatzbaum (eine Silberfichte) nicht setzen konnte. Ich war sehr schwer krank, zur Zeit bin ich noch immer pflegebedürftig. Es wurden aber in der Zwischenzeit zwei gleichwertige Bäume (Goldzypresse) ca. 4 m hoch gesetzt, sodaß die Telefonleitung nicht gefährdet wurde. Herr Prof. A, welchen ich bat konnte in der vorgesehenen Zeit die Vollmacht persönlich nicht überbringen, da er durch einen Unfall ca. 1 Monat seinen Fuß in Gips hatte."
1.3. Mit Bescheid vom gab die Wiener Landesregierung dieser Berufung nicht Folge und bestätigte das erstinstanzliche Straferkenntnis. Nach der Begründung dieses Bescheides begehe gemäß § 13 Abs. 1 Z. 4 Wr BaumSchG eine Verwaltungsübertretung, wer die vorgeschriebene Ersatz- oder Umpflanzung nicht vornehme. Die Krankheit der Beschwerdeführerin sowie die unfallbedingte Behinderung ihres Vertreters bildeten keinen Umstand, der die Strafbarkeit aufhebe oder ausschließe, da die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt hätte, bei der Behörde erster Instanz um Verlängerung der ihr gesetzten Frist zur Durchführung der Ersatzpflanzung anzusuchen. Nach Versäumung der Frist zur Ersatzpflanzung, aber auch der im erstinstanzlichen Strafverfahren eingeräumten 14-tägigen Frist zur Vorlage der Vollmacht ihres Vertreters A und zur Abgabe einer Stellungnahme auf Grund ihrer Krankheit bzw. der Verletzung ihres Vertreters wäre es der Beschwerdeführerin weiters offengestanden, schriftlich, telegrafisch oder fernschriftlich einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG 1950 zu stellen. Schwere Krankheit oder unfallbedingte Verletzung könnten durchaus als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gemäß § 71 Abs. 1 AVG gewertet werden, doch sei ein Antrag auf Wiedereinsetzung nicht gestellt worden. Zum Berufungsvorbringen, nunmehr zwei "gleichwertige" Bäume (Goldzypressen) gepflanzt zu haben, sei zu bemerken, daß die Pflanzung erst nach Verwirklichung des Straftatbestandes erfolgt sei. Die vermögensrechtlichen Verhältnisse hätten mangels näherer Angaben durch die Beschwerdeführerin nicht berücksichtigt werden können, doch erscheine die verhängte Strafe im Hinblick auf den gesetzlichen Strafrahmen nach § 13 Abs. 2 Wr BaumSchG von S 10.000,-- bis S 2,000.000,-- jedenfalls gerechtfertigt.
1.4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerin ficht den angefochtenen Bescheid seinem gesamten Inhalte nach an. Sie erachtet sich in ihrem Recht, wegen einer nichtverschuldeten Verwaltungsübertretung nicht bestraft zu werden, verletzt.
1.5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Gemäß § 4 Abs. 1 Wr BaumSchG bedarf das Entfernen von Bäumen einer behördlichen Bewilligung. Im Bewilligungsbescheid ist gemäß § 5 Abs. 3 leg. cit. auch über die Ersatzpflanzung (§ 6) abzusprechen.
§ 6 Wr BaumSchG lautet auszugsweise:
"(1) Wird die Entfernung eines Baumes bewilligt, so ist ... nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen eine Ersatzpflanzung durchzuführen.
(2) ...
(3) Die Durchführung der Ersatzpflanzung obliegt - abgesehen von den Fällen des Abs. 6 - dem Träger der Bewilligung nach § 4, der sie in erster Linie auf derselben Grundfläche, wenn dies nicht möglich ist, in einem Umkreis von höchstens 300 m vom Standort des zu entfernenden Baumes auf eigenem oder fremden Grunde vorzunehmen hat. Bei der Ersatzpflanzung auf fremdem Grunde hat der Bewilligungswerber eine Zustimmungserklärung des Grundeigentümers dem Magistrat vorzulegen.
(4) Standort und Ausmaß der Ersatzpflanzung sowie die Frist für deren Durchführung sind im Bescheid gemäß § 5 Abs. 3 vorzuschreiben, ...
§ 13 leg. cit. normiert auszugsweise (Abs. 2 in der Fassung LGBl. Nr. 22/1986):
"(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht, wer
...
4. die vorgeschriebene Ersatz- oder Umpflanzung nicht vornimmt;
...
(2) Die Verwaltungsübertretungen sind vom Magistrat in den Fällen des Abs. 1 Z. 1 und 3 mit einer Geldstrafe von 10.000 S bis 2,000.000 S oder Arrest von zwei Wochen bis zu sechs Monaten und in den Fällen des Abs. 1 Z. 4 bis 6 mit einer Geldstrafe bis zu 100.000 S oder Arrest bis zu sechs Wochen zu bestrafen.
(3) ..."
2.2. Die belangte Behörde behandelte die oben unter Punkt 1.2. wiedergegebene Berufung der Beschwerdeführerin vom auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes zu Recht als ein taugliches Rechtsmittel, aus dem der Berufungsbehörde erkennbar war, was die Beschwerdeführerin anstrebte und wie sie ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten gedachte.
In dieser Berufung werden 3 Umstände geltend gemacht, die erkennbar die Rechtswidrigkeit der erstinstanzlichen Bestrafung erweisen sollten. Was die Frage der unterlassenen Rechtfertigung der Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Strafverfahren anlangt, ist die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß eine solche Rechtfertigung tatsächlich versäumt wurde, wenngleich sie erst in der Gegenschrift herausarbeitet, daß der Unfall des zunächst ohne Vollmachtsvorlage eingeschrittenen Vertreters der Beschwerdeführerin erst nach Ablauf der Rechtfertigungsfrist erfolgt ist.
Der weitere, von der Beschwerdeführerin in der Berufung ins Treffen geführte Umstand, daß in der Zwischenzeit zwei gleichwertige Bäume gesetzt worden seien, vermag die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens (der Unterlassung) der Beschwerdeführerin, nämlich bis zum Ablauf der bescheidmäßigen Leistungsfrist die vorgeschriebene Ersatzpflanzung nicht vorgenommen zu haben, nicht in Frage zu stellen. Zutreffend hat die belangte Behörde festgestellt, daß jedenfalls weder innerhalb der Leistungsfrist ein Verlängerungsantrag noch nachher ein Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden ist. Es ist bei dieser Sachlage entbehrlich, Zulässigkeit, Voraussetzungen und Wirkungen derartiger Anträge zu erörtern.
Schließlich hat die Beschwerdeführerin jedoch in der Berufung - letztlich mit den zutreffenden Worten "ich bitte um Entschuldigung" - einen Schuldausschließungsgrund dafür geltend gemacht, daß sie "zur vorgesehenen Zeit einen Ersatzbaum (eine Silberfichte) nicht setzen konnte". Sie begründete dies mit sehr schwerer Krankheit; auch zur Zeit der Abfassung der Berufung sei sie noch immer pflegebedürftig. Der angefochtene Bescheid ist auf dieses Vorbringen in keiner Weise eingegangen. Vielmehr enthält die Bescheidbegründung hiezu die nicht näher begründete Behauptung, die Krankheit der Beschwerdeführerin bilde keinen Umstand, der die Strafbarkeit aufhebe oder ausschließe, da die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt hätte, bei der erstinstanzlichen Behörde um Verlängerung der ihr gesetzten Frist zur Durchführung der Ersatzpflanzung anzusuchen. Feststellungen über eine solche Möglichkeit bzw. überhaupt die Möglichkeit der Vornahme oder Anordnung einer Ersatzpflanzung, und zwar zunächst innerhalb der bescheidmäßig vorgeschriebenen Leistungsfrist bzw. verneinendenfalls sodann bis zum Ende des der Beschwerdeführerin zur Last gelegten Tatzeitraumes, wurden nicht getroffen. Vor dem Hintergrund des Berufungsvorbringens wären jedoch Feststellungen darüber, daß die behauptete Krankheit die Dispositionsfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen hätte, zu treffen gewesen. Völlig verfehlt wäre der in der Gegenschrift vorgenommene Schluß, aus der Fähigkeit der Beschwerdeführerin, A mit der Vertretung im erstinstanzlichen Strafverfahren zu betrauen, folge die Dispositionsfähigkeit der Beschwerdeführerin vor dem Ende des Tatzeitraumes. Die Berufung läßt vielmehr die Behauptung eines unterschiedlichen Krankheitszustandes der Beschwerdeführerin erkennen ("ich war sehr schwer krank, zur Zeit bin ich noch immer pflegebedürftig"). Wenn die belangte Behörde schließlich in ihrer Gegenschrift zum Hinweis der Beschwerdeführerin auf ihr hohes Alter - sie ist im Jahr 1905 geboren - und zu deren Ansicht, daß ihre altersbedingte Gebrechlichkeit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit bei der gegenständlichen Angelegenheit nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, bemerkt, daß weder das Wr BaumSchG noch die Verfahrensvorschriften diesbezügliche Ausnahmeregelungen - sofern die betreffende Person rechts- und handlungsfähig sei - kennen, so ist dies nicht nur befremdlich, sondern auch unzutreffend. Sicherlich kennen die genannten Gesetze kein Sonderrecht für alte, kranke oder gebrechliche Personen, dennoch spielen Krankheit, Pflegebedürftigkeit und altersbedingte Gebrechlichkeit für die Beurteilung der ein Verschulden ausschließenden Dispositionsunfähigkeit einer Partei (wozu wohl auch bestimmte Arten schwerer Vergeßlichkeit zählen werden) - ganz allgemein - eine Rolle, sodaß nicht gesagt werden kann, diese Umstände könnten "unberücksichtigt bleiben".
Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde der Beschwerdeführerin, ohne die erforderlichen Feststellungen getroffen zu haben, ein Verschulden zur Last gelegt hat. Der Sachverhalt ist diesbezüglich ergänzungsbedürftig geblieben.
Der angefochtene Bescheid war somit hinsichtlich seines Schuldausspruches gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
2.3. Im angefochtenen Bescheid heißt es zur Strafbemessung, die verhängte Strafe von S 10.000,-- erscheine im Hinblick auf den gesetzlichen Strafrahmen von S 10.000,-- bis S 2,000.000,-- jedenfalls gerechtfertigt. DIESER Strafrahmen bezieht sich allerdings nicht auf die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nach § 13 Abs. 1 Z. 4 Wr BaumSchG. Für diese Übertretung sieht das Gesetz im § 13 Abs. 2 in der Fassung LGBl. Nr. 22/1986 vielmehr eine Geldstrafe "bis zu 100.000 S oder Arrest bis zu sechs Wochen" vor. Schon dadurch, daß die belangte Behörde den Strafrahmen, innerhalb dessen sie die Strafe zuzumessen gehabt hätte, verkannt hat, hat sie die Strafbemessung nicht im Sinne des Gesetzes vorgenommen. Im fortgesetzten Verfahren werden insbesondere auch Feststellungen zu den Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnissen der Beschwerdeführerin zu treffen sein.
Der angefochtene Bescheid war infolge dessen hinsichtlich des verhängten Strafausmaßes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
2.4. Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.
2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 1 und Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.