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VwGH vom 17.12.1990, 89/10/0050

VwGH vom 17.12.1990, 89/10/0050

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Mag. Onder und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. I/2-St-8840, betreffend Übertretung des § 1 lit. b des NÖ Polizeistrafgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft A vom , mit dem der Beschwerdeführer einer Verwaltungsübertretung gemäß § 1 lit. b des NÖ Polizeistrafgesetzes, LGBl. 4000-0, (im folgenden: PolStrG) schuldig erkannt wurde, weil er am gegen 11.40 Uhr in der Hauptschule B während des Geschichteunterrichtes durch seine tätliche Handlung gegen C (mehrere Faustschläge gegen die linke Schulter) den öffentlichen Anstand verletzt habe, gemäß § 66 Abs. 4 AVG in der Schuldfrage keine Folge gegeben und die verhängte Strafe von S 2.000,-- auf S 1.500,-- sowie die Ersatzarreststrafe in der Dauer von drei Tagen auf 54 Stunden herabgesetzt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides stellte die belangte Behörde fest, das inkriminierte Verhalten des Beschwerdeführers habe darin bestanden, daß er den Stoß des Schülers mit einem Stoß seiner Schulter gegen die Schulter des Schülers erwidert habe. Weiters habe er den Schüler gerempelt und ihm einige Faustschläge gegen die linke Schulter versetzt. Der Tatbestand sei durch die Verantwortung des Beschwerdeführers im Einspruch gegen die Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft A erwiesen. Wie sich aus diesen Ausführungen ergebe, sei der tatsächlichen Auseinandersetzung ein längerer Konflikt vorausgegangen, der bezeichnendes Licht auf die Respektlosigkeit und Aggression des Schülers werfe und damit auf die besonderen Schwierigkeiten, die gelegentlich mit der Ausübung des Lehrberufs verbunden seien. Die Anwendung von roher körperlicher Gewalt habe in einer öffentlichen Pflichtschule nichts verloren, wenngleich eine solche Vorgangsweise vielerorts auf Verständnis stoßen dürfte, nicht selten sogar bei den Eltern der betroffenen Kinder. So aber liege, da von Notwehr keine Rede sein könne, unter den gegebenen Umständen eine Anstandsverletzung vor.

Weiters führte die belangte Behörde aus, daß das besondere Gewaltverhältnis, wie es sich zwischen Lehrer und Schüler darstelle, keineswegs berechtige, diejenigen Pflichten der guten Sitte außer Acht zu lassen, die das Herkommen dem Menschen auferlege, sobald er aus seinem Privatleben in die Öffentlichkeit trete. Die qualifizierten Pflichten, die dem Beschwerdeführer als Lehrperson und damit als Vorbild auferlegt seien, blieben im Verfahren nach dem NÖ PolStrG unberücksichtigt, nicht jedoch diejenigen Pflichten, die jeden Menschen im Berufsleben und in der Öffentlichkeit nach einem objektiven Maßstab träfen. Es sei daher für das gegenständliche Verfahren ohne Belang, ob der Beschwerdeführer in disziplinärer Hinsicht eine Pflichtverletzung begangen habe oder nicht, und deswegen gerügt oder bestraft worden sei oder nicht. Das Versetzen von Faustschlägen gehöre aber mit Sicherheit nicht zu einem Verhalten, das von einem mit den Grundsätzen der Rechtsordnung verbundenen Menschen erwartet werden dürfe. In diesem Verhalten sei eine Anstandsverletzung zu sehen, die zu einer öffentlichen dadurch werde, daß sie vor den Augen einer Schulklasse in einer öffentlichen Pflichtschule begangen worden sei.

Zu der Verantwortung des Beschwerdeführers, er habe nur auf die tätlichen Angriffe des Schüler reagiert, wies die belangte Behörde auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hin, wonach eine Handlung den Charakter einer Anstandsverletzung nicht dadurch verliere, daß sie durch das Verhalten eines anderen hervorgerufen werde.

Zur Begründung des Umstandes, daß die Verletzungen des Schülers (Prellung und Blußerguß an der linken Schulter und Prellungen im Bereich des linken Armes) von den Faustschlägen des Beschwerdeführers herrühren, stützte sich die belangte Behörde auf ein von ihr eingeholtes Gutachten eines medizinischen Amtssachverständigen vom .

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie "eventualiter eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur Verfahrensergänzung" geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt zunächst - zusammengefaßt - vor, daß eine Lehrperson während des Unterrichts in Erfüllung eines Lehr- und Erziehungsauftrages tätig werde und dann, wenn die Grenzen der Erziehungsgewalt durch eine Lehrperson überschritten würden, deren darauf bezughabende Verantwortlichkeit - als im öffentlichen Dienst stehend - nur nach den Normen des Disziplinarrechts, nicht aber nach dem in § 1 lit. b NÖ PolStrG enthaltenen Anstandsbegriff überprüft und geahndet werden könne. Die belangte Behörde übersehe in ihren Rechtsausführungen, daß der Beschwerdeführer nicht losgelöst von seinem Lehr- und Erziehungsauftrag, sondern gerade in Bewältigung des disziplinlosen Verhaltens eines Schülers während des Unterrichtes tätlich geworden sei. Das in diesem Bezuge zu beachtende Verhalten einer Lehrperson sei einer Verfolgung wegen Verletzung des "öffentlichen Anstandes" zweifellos entzogen.

Gemäß § 1 lit. b NÖ PolStrG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer den öffentlichen Anstand verletzt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Tatbestand der Verletzung des öffentlichen Anstandes durch ein Verhalten erfüllt, das mit den allgemeinen Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht und das einen groben Verstoß gegen diejenigen Pflichten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprechen, ist ein objektiver Maßstab anzulegen (vgl. etwa das zu Art. VIII erster Fall EGVG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 85/10/0120, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Mit seinem Vorbringen übersieht der Beschwerdeführer, daß auch das Verhalten eines Lehrers im Rahmen des Unterrichts ein Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit im Sinne der Vorjudikatur bedeutet. Daß der Beschwerdeführer auf Grund dienstrechtlicher Vorschriften auch dem Disziplinarrecht unterliegt, ändert nichts daran, daß daneben noch Platz für eine Bestrafung nach dem NÖ PolStrG bleibt. Eine Subsidiaritätsklausel liegt im NÖ PolStrG nicht vor.

Der Beschwerdeführer wendet weiters ein, daß eine Verletzung des "öffentlichen Anstandes" nicht vorliege, weil der Umstand, daß eine Lehrperson der zweifellos nicht alltäglichen körperlichen Attacke eines Schülers gegen sie mit der Anwendung von Körperkraft begegne, ein solcher sei, der auch einer den anerkannten sittlichen Werten zugeordneten "Öffentlichkeit" nicht die Auffassung einer "Anstandsverletzung" vermittle. Die "Öffentlichkeit" würde in diesem Verhalten der Lehrperson vielmehr eine durchaus berechtigte Abwehrreaktion erblicken. Zumindest könne ihm sein Verhalten nicht schuldhaft zugerechnet werden, wenn die Reaktion auf die körperliche Attacke des Schülers bei einem beachtlichen Teil der Gesellschaft - und dies bringe selbst der angefochtene Bescheid zum Ausdruck - Billigung fände.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers unter dem Titel "nicht schuldhaft gehandelt zu haben" knüpft offenbar an den bereits wiedergegebenen Satz der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes an, daß bei der Beurteilung der Verletzung jener Formen des äußeren Verhaltens, die nach Auffassung gesitteter Menschen der Würde des Menschen als sittlicher Person bei jedem Heraustreten aus dem Privatleben in die Öffentlichkeit entsprächen, ein objektiver Maßstab anzulegen sei. Auch unter Annahme einer körperlichen Attacke des Schülers gegen den Beschwerdeführer kann jedoch der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie im Ergebnis die Anwendung körperlicher Gewalt als nicht der Würde des Menschen als sittlicher Person entsprechend qualifiziert hat. Der nach der Judiktur gebotene objektive Maßstab deckt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine derartige Qualifizierung, zumal selbst bei körperlichen Attacken - abgesehen von den Fällen der Notwehr, des Notstandes usw., die vom Beschwerdeführer aber nicht vorgebracht worden sind - nicht mit körperlichen Attacken geantwortet werden muß.

Im übrigen verliert nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 3286/78) eine als Verletzung des öffentlichen Anstandes erkannte Handlung den Charakter der Rechtswidrigkeit nicht dadurch, daß sie durch das Verhalten eines anderen hervorgerufen wurde. Im Hinblick darauf erübrigte sich auch die Einvernahme weiterer Zeugen, deren Vernehmung der Beschwerdeführer für erforderlich erachtet hat, um zu klären, ob sich für diese das äußere Geschehen als gerechtfertigte Abwehrreaktion zur Darstellung gebracht habe.

Sofern der Beschwerdeführer die unterlassene Befragung der Mitschüler zur Abklärung der Fragen, ob und auf welche Art und Weise der Schüler zu Sturz gekommen sei, als Verfahrensmangel rügt, so ist darauf hinzuweisen, daß für das Vorliegen des Tatbestandes der Anstandsverletzung eine tatsächlich eingetretene Verletzung nicht erforderlich ist. Das Versetzen der Faustschläge, wie es auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten wurde, genügt schon allein um von einem groben Verstoß derjenigen Pflichten sprechen zu können, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat.

Wenn der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die besonderen Umstände des Anlaßfalles - insbesondere die zweifellos nicht alltägliche körperliche Attacke gegen eine Lehrperson - vorbringt, es wäre von einem Schuldausspruch und der Verhängung einer Strafe abzusehen gewesen, so meint er damit offenbar, daß die Behörde § 21 Abs. 1 VStG anzuwenden gehabt hätte. Die belangte Behörde hat die ständige Provokation durch den Schüler als Milderungsgrund berücksichtigt. Darin, daß sie den körperlichen Angriff des Schülers nicht zum Anlaß genommen hat, gemäß § 21 Abs. 1 VStG vorzugehen, kann schon im Hinblick darauf, daß Voraussetzung für die Anwendung dieser Gesetzesstelle ist, daß die Folgen der Übertretung unbedeutend sind, kein Mangel gesehen werden. Die vom medizinischen Sachverständigen im Zuge des Berufungsverfahrens festgestellten Verletzungen (Prellung und Bluterguß an der linken Schulter und Prellung im Bereich des linken Armes), die in einer nicht unschlüssigen Weise auf die erfolgten Faustschläge zurückgeführt wurden, schließen es aus, von unbedeutenden Folgen der Übertretung sprechen zu können.

Da sich somit die Beschwerde zur Gänze als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.