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VwGH vom 03.12.1992, 92/18/0287

VwGH vom 03.12.1992, 92/18/0287

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der K-GmbH in S, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom , Zl. 61.021/91-3/91, betreffend betriebsärztliche Betreuung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom um Befreiung von der Verpflichtung zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung gemäß § 22 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes (im folgenden: ASchG) abgewiesen.

In der Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiere sich der Begriff "Betrieb" im ASchG grundsätzlich an der Definition des § 34 Abs. 1 des Arbeitsverfassungsgesetzes. Wesentliches Merkmal eines Betriebes sei danach die organisatorische Einheit, die in der Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszweckes und der Organisation zum Ausdruck komme, während der Begriff "Unternehmen" lediglich die wirtschaftliche Einheit, die auch mehrere Betriebe umfassen könne, zum Ausdruck bringe. Bei den von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten drei getrennten Arbeitsstätten handle es sich um die Bereiche 1. Einrichtungshaus in V., D-Straße, mit 221 Beschäftigten (vorwiegend Verkaufs- und Verwaltungspersonal), 2. Lagerhalle in V., M-Straße, in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Einrichtungshaus, mit 24 Beschäftigten und 3. Außendienst mit 40 Beschäftigten (Montagepersonal). Es sei offenkundig, daß es sich bei diesen drei Bereichen nicht um eigene selbständige Betriebe handle. Ein eigener Betrieb sei nämlich nur dann gegeben, wenn sein Produktionsprozeß unabhängig von anderen Organisationseinheiten vor sich gehe und er nicht lediglich Hilfs- oder Ergänzungsbetrieb anderer Einheiten sei. Die im vorliegenden Fall gegebenen drei Bereiche bildeten hingegen eine organisatorische Einheit und sei im übrigen selbst von der Beschwerdeführerin nicht behauptet worden, daß es sich bei den unter 2. und 3. genannten Bereichen etwa um eigene selbständige Betriebe handeln würde. Vielmehr habe die Beschwerdeführerin (in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid) vorgebracht: "Völlig unberücksichtigt gelassen und nicht in den angefochtenen Bescheid eingeflossen ist das Beweisergebnis, wonach in unserem Betrieb wohl insgesamt mehr als

250 Arbeitnehmer tätig sind, dies jedoch in mehreren getrennten Arbeitsstellen, in denen jeweils weniger als 250 Arbeitnehmer arbeiten." Es sei daher - so die belangte Behörde weiter - von einem einheitlichen Betrieb auszugehen. Da zu einem Betrieb gemäß § 1 Abs. 2 ASchG auch außerhalb seines Standortes gelegene Arbeitsstellen gehörten, sei der Umstand, daß ein Teil der Arbeitnehmer in einer (in unmittelbarer räumlicher Nähe zum Einrichtungshaus gelegenen) Lagerhalle arbeite und das Montagepersonal im Außendienst beschäftigt sei, nicht relevant. Die Behörde erster Instanz sei somit zu Recht davon ausgegangen, daß § 22 Abs. 1 ERSTER SATZ und nicht § 22 Abs. 1 ZWEITER SATZ ASchG zur Anwendung gelange und die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung nicht eine besondere Gefährdung eines erheblichen Teils der Arbeitnehmer voraussetze. Die Verpflichtung des Arbeitgebers gemäß § 22 Abs. 1 erster Satz ASchG bestehe vielmehr "ex lege", wenn im Betrieb mehr als 250 Arbeitnehmer regelmäßig beschäftigt seien. Daß dies im vorliegenden Betrieb der Fall sei, steht unbestrittenermaßen fest.

In der Folge legte die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides ausführlich dar, weshalb sie die Voraussetzungen für die Befreiung von der Verpflichtung zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung gemäß § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG als nicht gegeben erachtete.

Gegen diesen Bescheid richtet sich vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Die Bestimmungen des § 22 Abs. 1 und 2 ASchG - soweit im Beschwerdefall von Belang - lauten:

"§ 22 (1) In jedem Betrieb, in dem regelmäßig mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt sind, ist vom Arbeitgeber eine dem Umfang des Betriebes, der Zahl der Beschäftigten sowie dem Ausmaß und Grad der Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer entsprechende betriebsärztliche Betreuung einzurichten. Dies gilt auch für Unternehmungen, die mehrere Betriebe im Sinne dieses Bundesgesetzes umfassen oder die mehrere getrennte Arbeitsstellen aufweisen, in denen zwar jeweils weniger als 250, insgesamt jedoch mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt werden, wenn für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer eine besondere Gefährdung besteht ...

(2) Bei Betrieben, in denen auf Grund ihrer Eigenart für die Arbeitnehmer besondere Gefahren für die Gesundheit bestehen, hat das Arbeitsinspektorat bei einer geringeren Zahl von Arbeitnehmern dem Arbeitgeber durch Bescheid aufzutragen, innerhalb einer angemessenen Frist, die nicht mehr als sechs Monate betragen darf, eine entsprechende betriebsärztliche Betreuung einzurichten. Das Arbeitsinspektorat kann auf Antrag des Arbeitgebers, wenn es die betrieblichen Verhältnisse unter Berücksichtigung des Ausmaßes und des Grades der Gefährdung der Gesundheit der Arbeitnehmer sowie unter Berücksichtigung des Umfanges des Betriebes geboten erscheinen lassen, durch Bescheid zulassen, daß erst bei einer höheren Zahl als 250 Arbeitnehmer eine betriebsärztliche Betreuung einzurichten ist ..."

Aus der dargestellten Begründung des angefochtenen Bescheides geht hervor, daß die belangte Behörde davon ausging, die Beschwerdeführerin sei auf Grund des § 22 Abs. 1 erster Satz ASchG "ex lege" zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung verpflichtet. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang offenbar die oben angeführte Bestimmung des § 22 Abs. 1 zweiter Satz ASchG als für im Beschwerdefall nicht anwendbar erachtet, welche die erwähnte Verpflichtung bei mehreren Betrieben oder mehreren getrennten "Arbeitsstellen" eines Unternehmens davon abhängig macht, daß jeweils für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer eine besondere Gefährdung besteht.

Was zunächst die Verneinung des Vorliegens mehrerer Betriebe anlangt, so pflichtet der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde insoweit bei: Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 91/19/0235) orientiert sich der Betriebsbegriff des ASchG grundsätzlich an der Definition des § 34 Abs. 1 des Arbeitsverfassungsgesetzes. Danach gilt als Betrieb jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht; wesentliches Merkmal eines Betriebes im Sinne des Arbeitsverfassungsgesetzes ist die organisatorische Einheit, die in der Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszweckes und der Organisation zum Ausdruck kommen muß. Dafür, daß diese Voraussetzungen im Beschwerdefall nicht gegeben seien, ergaben sich im Verwaltungsverfahren keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr war nicht nur im Antrag vom , sondern - was die belangte Behörde zu Recht hervorhebt - auch in der vom rechtskundigen Vertreter der Beschwerdeführerin verfaßten Berufung von einem "Betrieb" mit insgesamt mehr als 250 Arbeitnehmern die Rede.

Allerdings hat die belangte Behörde zu Unrecht die Anwendbarkeit des zweiten Satzes des § 22 Abs. 1 ASchG im Beschwerdefall trotz des Umstandes, daß von den insgesamt 285 Arbeitnehmern vierzig im Außendienst (als "Montagepersonal") und somit offenbar auf "Arbeitsstellen" (vgl. zu diesem Begriff das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/18/0161, und die dort angeführten Belegstellen) beschäftigt werden, von vornherein verneint.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich zunächst der von der belangten Behörde in der Gegenschrift ins Treffen geführten Ansicht von Jabornegg-Strasser (in "Der Betriebsbegriff des Arbeitnehmerschutzgesetzes", DRdA Nr. 6/1983, S. 338), der Satzteil im § 22 Abs. 1 ASchG "oder die mehrere getrennte Arbeitsstellen aufweisen" sei ohne nennenswerte normative Bedeutung, nicht anzuschließen. Dies deshalb, weil - abgesehen vom Wortlaut (arg.: "oder") - dem Gesetzgeber im Zweifel inhaltsleere Aussagen nicht zu unterstellen sind (vgl. die bei Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl., S. 97, FN 63 zit. hg. Judikatur) und im übrigen auch die Gesetzesmaterialien zur diesbezüglichen Novellierung des § 22 Abs. 1 ASchG, BGBl. Nr. 544/1982 (vgl. RV 686BlgNR, 15. GP, 3

u. 8, die zunächst nur auf das Vorhandensein mehrerer "Betriebe" eines Unternehmens abstellte, und AB 1236BlgNR,

15. GP, 2 u. 5, betreffend die Ergänzung des entsprechenden Satzes in Hinsicht auf das Vorliegen getrennter "Arbeitsstellen"), für einen normativen Inhalt dieses Satzteiles sprechen. Dieser Teil des zweiten Satzes des § 22 Abs. 1 ASchG ist daher - da bei einem Unternehmen, in dem eine Vielzahl von Arbeitnehmern beschäftigt wird, das Vorliegen eines "Betriebes" im Sinne des oben Gesagten nicht zweifelhaft sein kann (vgl. hier zutreffend Jabornegg-Strasser a.a.O.) - als Erweiterung der im ERSTEN Satz des § 22 Abs. 1 ASchG normierten Verpflichtung zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung anzusehen (arg.: "Dies gilt auch ..."). Daraus folgt aber auch, daß der Begriff des "Betriebes" im ersten Satz des § 22 Abs. 1 ASchG einschränkend dahin zu verstehen ist, daß Betriebe mit mehreren getrennten Arbeitsstellen, bei denen - wie im vorliegenden Beschwerdefall - die Zahl der Arbeitnehmer von 250 nur unter Einrechnung der auf getrennten Arbeitsstellen Beschäftigten überschritten wird, nicht unter diese Regelung fallen.

Die belangte Behörde hat daher, indem sie im Beschwerdefall infolge Verkennung der Rechtslage die Anwendbarkeit des angeführten Teiles des zweiten Satzes des § 22 Abs. 1 ASchG von vornherein verneinte, die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid war daher gem. § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Für das fortgesetzte Verfahren sei allerdings auf folgendes verwiesen: Gelangt die belangte Behörde zu dem Ergebnis, daß für einen erheblichen Teil der Arbeitnehmer eine besondere Gefährdung besteht, dann kommt eine Befreiung nach § 22 Abs. 2 zweiter Satz ASchG nicht in Betracht; besteht aber keine besondere Gefährdung im Sinne des § 22 Abs. 1 zweiter Satz ASchG, dann geht der Antrag der Beschwerdeführerin ins Leere und wäre daher mangels Vorliegens einer entsprechenden Verpflichtung zur Einrichtung einer betriebsärztlichen Betreuung zurückzuweisen (vgl. das zit. hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/18/0161).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.