VwGH vom 24.11.2004, 2001/13/0145
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M., über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Straße 26, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. RV/162-16/2001, betreffend erhöhte Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 381,90 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit einem beim Finanzamt am eingelangten Vordruck über die ärztliche Bescheinigung zum Nachweis der erheblichen Behinderung im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG beantragte die Beschwerdeführerin für ihre am geborene Tochter die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe. In dem von der Amtsärztin eines Wiener Bezirkspolizeikommissariates ausgefüllten Feldern des Vordruckes findet sich ein Hinweis auf Asthma bronchiale, chronischen Husten und Hausstaubmilbenallergie; der Grad der Behinderung des Kindes wurde mit 30 v.H. ohne Festlegung eines Zeitpunktes des Beginnes einer solchen Behinderung angegeben.
Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung ab, dass der Grad der Behinderung des Kindes laut ärztlicher Bescheinigung 30 v.H. betrage, während Kinder erst ab einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. als erheblich behindert im Sinne des FLAG gälten.
Dagegen berief die Beschwerdeführerin mit der Begründung, dass ihr Kind "nicht einmal vom polizeilichen Arzt untersucht worden ist und die Befunde wurden nicht alle angeschaut". Im Verwaltungsakt findet sich eine Reihe von offensichtlich von der Beschwerdeführerin beigebrachten Unterlagen, wie aus den Jahren 1998, 1999 und 2000 stammende Kurzberichte über die ambulanten Untersuchungen der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde eines Wiener Spitals und der internen Kinderabteilung desselben Wiener Spitals, eine mit datierte und von einer Oberärztin gefertigte Zusammenfassung der Ambulanzbesuche des Kindes in der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde des genannten Wiener Spitals und eine ärztliche Stellungnahme eines Facharztes für Lungenkrankheiten vom . Diese Unterlagen dokumentieren grippale Infekte, Bronchitis, rezidivierende respiratorische Infekte, Varizellen und eine chronische spastische Bronchitis mit rezidivierenden Infekten. Schließlich legte die Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren ein Schreiben eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde vom vor, dass ihre Tochter seit Geburt an rezidivierenden Infekten der oberen Atemwege und an spastischer Bronchitis leide.
Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen für Wien, Niederösterreich und Burgenland übermittelte der belangten Behörde auf deren Ersuchen ein Gutachten einer Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde vom . Die Gutachterin hatte demnach die folgende Anamnese erhoben:
"Mit ca. 3 Monaten rezidivierende Hustenanfälle. Seit 1999 auch mehrmals obstruktive Bronchitiden, weswegen eine Dauertherapie begonnen wurde, die derzeit in 2 x tgl. Flixotide und Sultanol mittels Spacer besteht. Laut Mutter kommt es auch gelegentlich zu Belastungsdyspnoen. Bei einem Allergietest im Februar 1999 zeigte sich ein mäßig erhöhtes Gesamt-IgE von 30,5 und im Rast Hausstaub (1).
Kinderkrankheiten: Scharlach, Varicellen.
frühere Erkrankungen: mehrmals Angina, weswegen im Mai 2000 eine Tonsillektomie durchgeführt wurde, außerdem häufig grippale Infekte sowie eine Rotaviruserkrankung im April 1998.
Familienanamnese: Bruder Allergie, Mutter Asthma bronchiale"
Die Gutachterin kam zur Stellungnahme, dass von kinderfachärztlicher Seite eine Beeinträchtigung durch das Kleinkindasthma bestehe. Mit Dauertherapie sei es jedoch recht gut beherrschbar. Daher werde die Einstufung vorgenommen:
"Kleinkindasthma: III/a/286.....30 %, unterer Rahmensatz dieser Position, da keine cardiopulmonale Funktionsstörung vorliegt".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen habe in einem Gutachten vom als Grad der Behinderung 30 v.H. festgestellt. Eine Ablichtung dieses Gutachtens sei der Beschwerdeführerin mit Schreiben der belangten Behörde vom 18. Jänner (wohl: 2001) zur Kenntnis gebracht worden. Unter Berücksichtigung aller Gutachten habe die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung angenommen, dass die Einstufung des Grades der Behinderung mit 30 v.H. und ein Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen den tatsächlichen Gegebenheiten mit größter Wahrscheinlichkeit entspreche. Da eine erhebliche Behinderung im Sinne des FLAG nicht vorliege, seien die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug erhöhter Familienbeihilfe nicht gegeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Als erheblich behindert gilt nach § 8 Abs. 5 FLAG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 531/1993 ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden.
Nach § 8 Abs. 6 FLAG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 531/1993 war der Grad der Behinderung oder die voraussichtliche dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines Mobilen Beratungsdienstes der Landesinvalidenämter nachzuweisen. Konnte auf Grund dieser Bescheinigung die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden, hatte das Finanzamt einen Bescheid zu erlassen. Zur Entscheidung über eine Berufung gegen diesen Bescheid hatte die Finanzlandesdirektion ein Gutachten des nach dem Wohnsitz des Berufungswerbers zuständigen Landesinvalidenamtes (nunmehr: Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) einzuholen. Benötigte diese Behörde hiefür ein weiteres Sachverständigengutachten, waren die diesbezüglichen Kosten aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.
Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde in Ausführung der Verfahrensrüge vor, eine Kinderfachärztin zur Beurteilung und Gutachtenserstellung herangezogen zu haben. Die Tochter der Beschwerdeführerin leide seit Geburt an rezidivierenden Infekten der oberen Atemwege und an spastischer Bronchitis und stehe in dauernder Behandlung von Fachärzten aus dem Gebiet der Lungenheilkunde. Die "gegenständliche Materie" hätte durch Fachärzte aus dem Gebiet der Lungenheilkunde (Pulmologie) beurteilt werden müssen. Die von der belangten Behörde angerufene Gutachterin habe "in fachübergreifender Art" ein Gutachten erstellt und dieses Gutachten könne zur Beurteilung der gegebenen Beeinträchtigung der minderjährigen Tochter der Beschwerdeführerin nicht herangezogen werden. Im Beschwerdefall wäre ein Gutachten aus dem Gebiet der Lungenheilkunde einzuholen gewesen. Ein solches Gutachten hätte zu einem für die Beschwerdeführerin positiven Bescheid "gereicht".
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde nicht zum Erfolg.
Die Feststellung im angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführerin sei das Gutachten der Kinderfachärztin vom zur Kenntnis gebracht worden, wird von der Beschwerdeführerin nicht in Abrede gestellt. Einwände gegen Art oder Inhalt des Gutachtens wurden im Verwaltungsverfahren keine erhoben. Welchen Mangel das in Rede stehende Gutachten aufweisen sollte, außer dass es nach Ansicht der Beschwerdeführerin nicht von einem hinsichtlich des in Betracht kommenden Krankheitsbildes fachkundigen Arzt erstellt worden sein soll, lässt die Beschwerde offen.
Die Behauptung, die Tochter der Beschwerdeführerin stehe in dauernder Behandlung von Fachärzten aus dem Gebiet der Lungenheilkunde, ist in der Aktenlage nicht gedeckt und verstößt gegen das vor dem Verwaltungsgerichtshof bestehende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG). Die von der Beschwerdeführerin - offensichtlich im Zusammenhang mit ihrer Berufung - vorgelegten Unterlagen weisen durchgängig Diagnosen der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde eines Wiener Spitals und eines Facharztes für Kinder- und Jugendheilkunde und nur eine einzige ärztliche Stellungnahme eines Facharztes für Lungenkrankheiten auf. Sohin kann vielmehr von einer dauernden Behandlung durch Fachärzte für Kinderheilkunde gesprochen werden.
Im Übrigen kann davon ausgegangen werden, dass die begutachtende Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde bei der Begutachtung eines etwa vierjährigen Kindes, welches somit dem typischen Patienten ihres Fachgebietes entsprach, - wie grundsätzlich ein begutachtender Facharzt - das Konsilium eines Facharztes einer anderen Fachrichtung erst dann beizuziehen gehabt hätte, wenn sich auf Grund konkreter Anhaltspunkte, insbesondere aus der Anamnese, eine Notwendigkeit dazu ergeben hätte. Dass solche Anhaltspunkte, die die Behörde zur Einholung eines Gutachtens eines Facharztes für Lungenheilkunde hätten veranlassen müssen, erkennbar gewesen wären, zeigt auch die Beschwerdeführerin nicht auf.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am