VwGH vom 01.07.2003, 2001/13/0132
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Ginthör, über die Beschwerde der E KEG als Rechtsnachfolgerin der E GesmbH in W, vertreten durch Mag. Dr. Lisbeth Rogy, Wirtschaftsprüfer in 1030 Wien, Geusaugasse 39/8, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat IX) vom , Zl. RV/35-06/09/2001, betreffend Umsatz- und Körperschaftsteuer 1993 bis 1995, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.089,68 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die beschwerdeführende KEG ist Rechtsnachfolgerin der mit umgewandelten E GmbH. Im Rahmen einer die Jahre 1993 bis 1995 umfassenden abgabenbehördlichen Prüfung stellte die Prüferin fest, dass die von der E GmbH geführten Bücher und Aufzeichnungen formelle und materielle Mängel aufweisen würden. In Tz. 17 des gemäß § 150 BAO erstatteten Berichtes vom wird dazu ausgeführt:
"1) Grundaufzeichnungen
Bei Durchsicht der Buchhaltungsunterlagen 1993 bis 1995 der ... (E GmbH( wurde durch die Betriebsprüfung anhand der Paragonnummerierung festgestellt, dass die Paragons nicht vollständig vorhanden sind. Die Losungsaufzeichnung erfolgt lt. dem Geschäftsführer der ... (E GmbH(, Herrn ... (Y.E.(, wie folgt:
Für Kunden wurde auf Wunsch ein Paragon (Original für Kunde, Durchschrift für GmbH) ausgestellt. Wenn kein Paragon ausgestellt wurde, erfolgte die Losungsaufzeichnung gesondert in einem Heft, auf dem Kalender oder auf einem gesonderten Blatt. Bei Tagesabschluss wurden dann aus den Paragondurchschriften und den gesonderten Aufzeichnungen (aus dem Heft, Kalender, etc.) ein Paragon (nur auf Original = ROTE NUMMER, oder nur auf Durchschrift = GRÜNE NUMMER) über den gesamten Tagesverkauf (gegliedert in Menge, Artikel, Einzelpreis und Gesamtpreis) angefertigt. Die Paragondurchschriften (der für Kunden ausgestellten Paragons) und die gesonderten Aufzeichnungen wurden dann seitens der geprüften Gesellschaft weggeworfen. Aufgrund der fehlenden Grundaufzeichnungen konnten diese Aussagen bzgl. der Losungsermittlung nicht verifiziert werden.
2) Mehrfachlosungen
Die Betriebsprüfung stellt über den gesamten Prüfungszeitraum hinweg ein gehäuftes Auftreten von Mehrfachlosungen fest, die sich nicht durch besondere betriebliche Strukturen erklären lassen. Eher liegt der begründete Verdacht nahe, dass die Tageslosungen nicht den Tatsachen entsprechen, da mehrfach auftretende Losungen einen wichtigen Hinweis auf die Manipulation der Grundaufzeichnungen und auf eine freie Erfindung der Losungen darstellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Buchhaltung, in der gehäufte Mehrfachlosungen auftreten, sachlich unrichtig ist, wird von der Betriebsprüfung unverhältnismäßig höher eingestuft als diejenige, dass sie richtig ist."
Weiters wird in dem Bericht festgehalten, dass in den Jahren 1994 und 1995 Gesellschaftereinlagen in Höhe von 877.142,52 S 1994) und 448.900,79 S 1995) getätigt worden seien. Der Geschäftsführer der E GmbH Y.E. habe dazu erklärt, die Gesellschaftereinlagen seien durch Privatdarlehen aufgebracht worden. Dazu seien in türkischer Sprache abgefasste Schriftstücke als Nachweis der Darlehensgewährungen vorgelegt worden. Ins Deutsche übersetzt lauteten die Bestätigungen beispielsweise:
"Ich, C.T., geb. am , habe am ... (einem Gesellschafter der E GmbH( 20.000,-- Schillinge geliehen. Wann er Geld hat, wird er zurückzahlen."
Die vorgelegten "Darlehensverträge" würden jedoch nur einen Teil dieser Gesellschaftereinlagen, nämlich 343.000 S im Jahr 1994 und 223.000 S im Jahr 1995, abdecken. Die Darlehensverträge enthielten keine Angaben über Verzinsung, Sicherheiten, Rückzahlungsverpflichtungen, Verwendungszweck, "bzw. falls solche Rückzahlungsverpflichtungen getroffen wurden, wurden diese seitens der geprüften Gesellschaft nicht eingehalten". Bei den Darlehensnehmern handle es sich um drei Gesellschafter der E GmbH. Ein Nachweis darüber, dass die erhaltenen Darlehen aus ihrem Verwandten- bzw. Bekanntenkreis tatsächlich in die GmbH eingelegt worden seien, gebe es nicht. Ebenso gebe es keinerlei Verträge zwischen den Gesellschaftern und der E GmbH über die in die Gesellschaft eingelegten Gelder. Mit der Vorlage von Bestätigungen über eine Darlehenshingabe von Verwandten bzw. Bekannten der Gesellschafter bzw. Geschäftsführer der geprüften Gesellschaft alleine würden die behaupteten Finanztransaktionen nicht unter Beweis gestellt. Die Prüferin gehe daher von einem unaufgeklärten Vermögenszugang aus, sodass die Gesellschaftereinlagen den im Unternehmen der Gesellschaft erwirtschafteten Umsätzen und Gewinnen der Jahre 1994 und 1995 zuzurechnen seien. Überdies seien auf Grund der in Tz. 17 Punkt 1 und 2 des Betriebsprüfungsberichtes festgestellten Mängel der Grundaufzeichnungen die erklärten Umsätze in allen geprüften Jahren um einen Sicherheitszuschlag in Höhe von jeweils 10 % zu erhöhen.
Das Finanzamt schloss sich der Ansicht der Prüferin an und erließ dementsprechend geänderte Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1993 bis 1995.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie vorbrachte, die Paragon-Blöcke seien nicht im Sinne einer fortlaufenden Erfassung sämtlicher Einnahmen verwendet worden, sondern sozusagen als "Schmierzettel", auf denen die jeweiligen Tageslosungen, aufgegliedert nach einzelnen Waren und Preisen, erfasst worden seien. Bisweilen sei es vorgekommen, dass auf Wunsch von Kunden ein Paragon für einen Einzelverkauf ausgestellt worden sei. Diese Einzelverkäufe seien jedoch summenmäßig in den täglich aufgeschriebenen Losungen miterfasst. Die von der Prüferin festgestellten "Mehrfachlosungen" erklärten sich aus dem Umstand, dass im vorliegenden Textilienhandel relativ einheitliche Preise verlangt würden und daher mitunter auch gleich hohe Tageslosungen erzielt werden könnten. Bei den strittigen "Darlehen bzw. Geschenken" in Höhe von insgesamt 446.000 S handle es sich um Privatdarlehen, die den Gesellschaftern und nicht der Gesellschaft gewährt worden seien. Nicht anzuerkennende Vereinbarungen zwischen "nahen Angehörigen und einer Gesellschaft" lägen daher nicht vor. Das Finanzamt habe auch nicht berücksichtigt, dass die Gesellschafter N.E. und Y.E. in den Jahren 1993 bis 1995 nachgewiesene Bezüge in Höhe von 325.000 S sowie Mittelzuflüsse aus Bankkrediten in Höhe von insgesamt 375.000 S erhalten hätten.
In ihrer Stellungnahme zur Berufung vom entgegnete die Prüferin u.a., das Warensortiment der geprüften Gesellschaft reiche von Hosen, Jacken, über Pullover, Blusen, Hemden, bis hin zu Socken, Jogging-Anzügen und Tüchern, die keineswegs zu einheitlichen Preisen - die Bandbreite liege zwischen 39 S bis 398 S - verkauft würden. Dass die bestätigten Privatdarlehen tatsächlich geflossen seien, habe in keinem Fall nachgewiesen werden können. Was den im Jahr 1995 von einem Gesellschafter bei der BAWAG aufgenommenen Kredit anlange, gebe es keinen Nachweis, dass das Geld in die GmbH geflossen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Die Schätzungsbefugnis gemäß § 184 Abs. 1 BAO sei schon deshalb gegeben, weil die Beschwerdeführerin selbst eingeräumt habe, dass Paragons und Paragondurchschriften mit Losungsaufzeichnungen sowie gesonderte Losungsaufzeichnungen weggeworfen worden seien. Die Vernichtung von Uraufzeichnungen hinsichtlich der Erlöse stelle einen formellen Mangel der Aufzeichnungen dar. Der Einwand der Beschwerdeführerin, ohnehin sämtliche Tageseinnahmen in einem Betrag auf einem Paragon erfasst zu haben, gehe ins Leere, weil es nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung widerspreche, Einnahmen zu saldieren. Auch das gehäufte Auftreten von "Mehrfachlosungen" deute auf Manipulationen der Grundaufzeichnungen und das freie Erfinden der Tageslosungen hin. Im Hinblick auf die gravierenden Buchführungsmängel erscheine ein Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 % der erklärten Umsätze als durchaus angemessen, zumal die Beschwerdeführerin gegen die Höhe des Sicherheitszuschlages keine konkreten Einwendungen erhoben habe.
Zu den Gesellschaftereinlagen kann dem angefochtenen Bescheid entnommen werden, dass die vorgelegten Privatdarlehen einem Fremdvergleich nicht standhielten, weshalb ein betrieblicher Zusammenhang nicht feststellbar sei. Aus den behaupteten "Darlehen" lasse sich jedenfalls nicht zweifelsfrei ableiten, dass diese Gelder auch tatsächlich der Gesellschaft und nicht etwa einem Dritten zugute gekommen seien. Einen diesbezüglichen Nachweis sei die Beschwerdeführerin schuldig geblieben. Auch der von der Beschwerdeführerin vorgelegte Kreditvertrag der BAWAG, lautend auf einen näher bezeichneten Gesellschafter, stelle keinen Nachweis für "eine betriebsbezogene Verwendung der Geldmittel" dar. Da die Beschwerdeführerin den strittigen Vermögenszuwachs nicht habe aufklären können, sei die Annahme gerechtfertigt, dass er aus nicht einbekannten Einkünften stamme. Die dadurch ausgelöste Schätzungsbefugnis der Abgabenbehörde habe in einer Zurechnung zu den von der E GmbH erklärten Einkünften zu bestehen, da davon auszugehen sei, dass zumindest in diesem Ausmaß Umsatzverkürzungen vorgenommen worden seien. Der Hinweis auf die Bezüge der Gesellschafter in Höhe von insgesamt 325.000 S sei nicht zielführend, weil die Gesellschaftereinlagen wesentlich höher seien und die Beschwerdeführerin nicht behauptet habe, dass die Gesellschafter zur Deckung ihres Lebensunterhaltes auf die angeführten Bezüge zum Teil oder zur Gänze hätten verzichten können.
Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 184 Abs. 3 BAO hat die Abgabenbehörde die Besteuerungsgrundlagen insbesondere dann zu schätzen, wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher und Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.
Mit der unstrittigen Vernichtung der Grundbelege über die erzielten Einnahmen (Paragons und Paragondurchschriften) lag zweifellos ein formeller Mangel vor, der auch geeignet war, die sachliche Richtigkeit der Bücher in Zweifel zu ziehen. Die Schätzungsbefugnis wird in der Beschwerde damit zu Recht nicht bestritten. Bekämpft wird bei verständiger Betrachtung der Beschwerde die Höhe der Zuschätzung.
Die Beschwerde bringt vor, die von der belangten Behörde bestätigte Zuschätzung ergebe Rohaufschläge der Jahre 1993 bis 1995 in Höhe von 98,72 %, 136,48 % und 255 %. Derartige Schwankungen könnten den tatsächlichen Gegebenheiten, wenn sich wie im Beschwerdefall an der Zusammensetzung des Warensortiments nichts ändere, keinesfalls entsprechen. Dass es zwischen Verwandten und Freunden keine sonst im kaufmännischen Bereich üblichen Vereinbarungen gebe, sei nicht ungewöhnlich. Die vorgelegten Unterlagen (Bestätigungen über Darlehensgewährungen an die Gesellschafter durch Bekannte und Verwandte, Nachweis diverser Bezüge, wie Gehälter, Karenzgeld usw. der Gesellschafter, Kreditaufnahmen der Gesellschafter) seien zu Unrecht mit der Begründung nicht als Beweismittel anerkannt worden, ein direkter Bezug zu den Gesellschaftereinlagen könne nicht nachvollzogen werden. Es treffe zu, dass ein derartiger direkter Bezug nicht bestehe. Wann die Einlagen der Gesellschafter bzw. Darlehensgewährungen der einzelnen Gesellschafter an die Gesellschaft erfolgt seien, lasse sich an Hand der Buchhaltung betrags- und datumsmäßig nachvollziehen. Ein wie immer geartetes Vertragsverhältnis zwischen den Verwandten und Freunden, die den Gesellschaftern Geldmittel zur Verfügung gestellt haben, und der Gesellschaft selbst, sei nie behauptet worden. Mit den vorgelegten Unterlagen habe vielmehr dokumentiert werden sollen, dass die Gesellschafter über ausreichende Mittel verfügt hätten, um bei Bedarf der Gesellschaft Einlagen bzw. Darlehen zur Verfügung zu stellen. Man könne nicht von einem ungeklärten Vermögenszuwachs sprechen, wenn die Gesellschafter über ausreichende Mittel für deren Einlagen verfügt hätten.
Bei der Frage, ob Gesellschaftereinlagen tatsächlich wie behauptet geleistet wurden oder die buchhalterische Darstellung von Gesellschaftereinlagen in Wahrheit dazu gedient hat, Umsatzverkürzungen (und dadurch offenbar aufgetretene Kassafehlbestände) zu verdecken, handelt es sich um eine von der belangten Behörde auf der Sachverhaltsebene in freier Beweiswürdigung zu lösende Tatfrage. Die Beweiswürdigung unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle dahingehend, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, indem sie den Denkgesetzen und dem menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 99/13/0157).
Die belangte Behörde hat ihre Feststellung, Gesellschaftereinlagen lägen nicht vor, auf den Umstand gestützt, dass die Gesellschafter auf Grund fehlender eigener Mittel gar nicht in der Lage gewesen wären, die behaupteten Einlagen zu leisten. Die Zurechnung der von den Gesellschaftern erklärter Weise getätigten Einlagen zu den im Unternehmen erwirtschafteten Umsätzen und Gewinnen aus dem Grunde ungeklärter Herkunft der für die Einlagen verwendeten Mittel setzt voraus, dass die den einzelnen Gesellschaftern zur Verfügung stehenden Mittel und die von den einzelnen Gesellschaftern jeweils geleisteten Einlagen in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellt werden. Im Beschwerdefall wurde weder die eine noch die andere Feststellung getroffen. Auch wenn die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Bestätigungen über den Erhalt von Privatdarlehen der Gesellschafter als von nur geringer Beweiskraft beurteilt werden durften, war die belangte Behörde einer Auseinandersetzung mit dem sonstigen Vorbringen nicht enthoben. Warum etwa die bei einer Bank aufgenommenen Fremdmittel dem Gesellschafter nicht zur Leistung von Gesellschaftereinlagen zur Verfügung gestanden sein sollen, zeigt der angefochtene Bescheid nicht hinreichend auf. Die Annahme, dass die unstrittigen Gesellschafterbezüge nur für die Deckung des Lebensunterhaltes ausgereicht hätten, entzieht sich mangels Feststellungen darüber, welchen Lebensbedarf die belangte Behörde aus welchen Gründen als zutreffend erachtet hat, der Schlüssigkeitsprüfung. Verfügten die Gesellschafter aber - wenn auch nur teilweise - über entsprechende Mittel, dann war die Herkunft der Mittel für die getätigten Einlagen insoweit nicht ungeklärt. Da die belangte Behörde das Vorliegen von Gesellschaftereinlagen entscheidend aus dem Grunde der ungeklärten Mittelherkunft (auf Seiten der Gesellschafter) als nicht erwiesen angenommen hat, erweist sich der aufgezeigte Begründungsmangel auch als wesentlich.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am