VwGH vom 09.07.1992, 92/18/0106
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom , Zl. 5-212 Ko 45/3-91, betreffend Einstellung eines Strafverfahrens nach dem KJBG (mitbeteiligte Partei: K, G), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
1. Unter dem Datum hatte die BH der am verwaltungsgerichtlichen Verfahren mitbeteiligten Partei (mP) gegenüber ein Straferkenntnis erlassen, dessen Spruch wie folgt lautet:
"Sie haben als Gewerbeinhaber für das Gewerbe Bäcker und als verantwortlicher Lehrherr und Arbeitgeber der Bäckerei K mit dem Standort in G, wie anläßlich einer Kontrolle am im o.a. Betrieb festgestellt werden konnte, nachstehende Verwaltungsübertretung begangen:
Das Kind S, geb. , wurde um 02.40 Uhr bei der Semmelmaschine bei Arbeitstätigkeiten angetroffen, obwohl Kinder überhaupt nicht beschäftigt werden dürfen.
SIE HABEN DADURCH FOLGENDE RECHTSVORSCHRIFT VERLETZT:
§ 5 KJBG, BGBl. Nr. 599/87 i.d.g.F.
WEGEN DIESER VERWALTUNGSVORSCHRIFT WIRD ÜBER SIE FOLGENDE
STRAFE VERHÄNGT:
Gemäß § 30 KJBG eine Geldstrafe in der Höhe von S 20.000,-- im Falle der Uneinbringlichkeit 14 Tagen Ersatzarrest. FERNER HABEN SIE GEMÄSS § 64 DES VERWALTUNGSSTRAFGESETZES
(VSTG) ZU ZAHLEN:
S 2.000,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 vH der Strafe.
Der zu zahlende Gesamtbetrag beträgt daher S 22.000,--. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 67 VStG)."
2. Der dagegen erhobenen Berufung der mP wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark (der belangten Behörde) vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 iVm § 24 VStG 1950 stattgegeben, das Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. b erster Fall VStG 1950 eingestellt.
Begründend führte die belangte Behörde unter Bezugnahme auf die §§ 1 Abs. 1 und 4 Abs. 1 KJBG aus, daß niemals eine Beschäftigung des S vorgelegen habe, da sich dieser den Bäckereibetrieb der mP lediglich angesehen habe und dabei kurzfristig in Anwesenheit und unter Aufsicht eines Arbeitnehmers dieses Betriebes einen Handgriff an der Semmelmaschine habe machen dürfen. Gemäß § 1 Abs. 2 KJBG bestünden selbst von dem Beschäftigungsverbot nach Abs. 1 Ausnahmen. Im vorliegenden Fall könne allerdings nicht einmal von einer leichten Hilfeleistung des Kindes S gesprochen werden, da dieses lediglich zum Schnuppern in die Bäckerei gekommen sei, und somit eine faktische Beschäftigung, auf welche das KJBG mit seinen Schutzbestimmungen abstelle, niemals vorgelegen sei. Auch eine kurzfristige Betätigung der Semmelmaschine könne keinesfalls als Beschäftigung im Sinne des KJBG angesehen werden, da S diese Tätigkeit unter Aufsicht und nur einmal durchgeführt habe.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 des ArbIG 1974 gestützte Beschwerde, mit der inhaltliche Rechtswidrigkeit, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
4. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Auch die mP hat eine Gegenschrift erstattet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 1 Abs. 1 KJBG gilt dieses Bundesgesetz u.a. für die Beschäftigung von Kindern mit Arbeiten jeder Art. Nach § 1 Abs. 2 leg. cit. ist dieses Bundesgesetz, unbeschadet des Abs. 3 Z. 1, nicht anzuwenden auf vereinzelte, geringfügige, aus Gefälligkeit erwiesene leichte Hilfeleistungen von Kindern, sofern eine solche Hilfeleistung nur von kurzer Dauer ist, ihrer Art nach nicht einer Dienstleistung von Dienstnehmern, Lehrlingen oder Heimwerkern entspricht, die Kinder hiebei keinen Unfallgefahren ausgesetzt und weder in ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit und Entwicklung noch in ihrer Sittlichkeit gefährdet sind.
Gemäß § 4 Abs. 1 leg. cit. gilt als Kinderarbeit im Sinne dieses Bundesgesetzes die Beschäftigung von Kindern mit Arbeiten jeder Art. § 5 leg. cit. bestimmt, daß Kinder, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, zu Arbeiten irgendwelcher Art nicht herangezogen werden dürfen.
§ 5a Abs. 1 KJBG normiert, daß Kinder, die das zwölfte Lebensjahr vollendet haben, außerhalb der für den Schulbesuch vorgesehenen Stunden mit verschiedenen, im einzelnen angeführten, leichten und vereinzelten Arbeiten beschäftigt werden dürfen.
Nach § 5a Abs. 4 Z. 2 leg. cit. ist die Beschäftigung von Kindern mit vereinzelten leichten Arbeiten im Sinne des Abs. 1 in der Zeit zwischen 20 Uhr und acht Uhr verboten.
2. Aus den wiedergegebenen Vorschriften in ihrem Zusammenhalt ergibt sich, daß dem KJBG ein sehr weiter Begriff der "Kinderarbeit" zugrunde liegt, und zwar derart, daß - wie die Ausnahmebestimmungen deutlich machen - selbst geringfügige und vereinzelte Hilfeleistungen von Kindern als (Beschäftigung mit) "Arbeiten jeder Art" zu verstehen sind.
Von da her gesehen ist auch eine - wie im Beschwerdefall aufgrund eines ausreichenden Ermittlungsverfahrens nachvollziehbar als erwiesen angenommene - einmalige Betätigung einer Semmelmaschine in einem Bäckereibetrieb als Kinderarbeit im Sinne des KJBG zu qualifizieren. Keine der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen kommt vorliegend zum Tragen: § 1 Abs. 2 leg. cit. schon deshalb nicht, weil es sich bei der besagten Beschäftigung - vorausgesetzt man wertet sie überhaupt als Hilfeleistung - um eine ihrer Art nach einer Dienstleistung von Dienstnehmern oder Lehrlingen entsprechende Hilfeleistung handeln würde. § 5a Abs. 1 leg. cit. deshalb nicht, weil der Bäckereibetrieb der mP kein "Familienbetrieb" ist (Z. 1), das Hantieren an einer Semmelmaschine in einem Bäckereibetrieb keine Arbeit im Haushalt darstellt (Z. 2), und weil es sich bei dieser Tätigkeit - sofern man sie der Z. 3 unterstellen würde - um eine solche handelt, die in einem Gewerbebetrieb geleistet wurde. Abgesehen davon würde im konkreten, der Beschwerde zugrunde liegende Fall die Anwendbarkeit der Ausnahmebestimmung des § 5a Abs. 1 KJBG im Hinblick auf § 5a Abs. 4 leg. cit. ausgeschlossen sein, da der Zeitpunkt der Tätigkeit des Kindes S an der Semmelmaschine unbestrittenermaßen mit 2.40 Uhr festgestellt wurde.
Die Argumentation der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, mit der sie die Unanwendbarkeit der Schutzbestimmungen des KJBG im Beschwerdefall begründete, ist nicht zielführend. Auch dann, wenn man mit der belangten Behörde davon ausginge, S habe sich den Bäckereibetrieb lediglich zum Kennenlernen angesehen, er sei nur "zum Schnuppern" dorthin gekommen, hindert dies vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage nicht daran, ein (auch nur einmaliges) Betätigen der Semmelmaschine durch den Genannten als "Beschäftigung von Kindern mit Arbeiten jeder Art" zu qualifizieren. Daß diese Tätigkeit, wie im Verfahren festgestellt, unter Aufsicht eines Arbeitnehmers vorgenommen wurde, steht dieser Qualifikation gleichfalls nicht entgegen, bietet doch das Gesetz keinen Anhaltspunkt dafür, daß dem Begriff der "Kinderarbeit" nur eine Beschäftigung von Kindern ohne Aufsicht subsumierbar wäre.
3. Da nach dem Gesagten dem angefochtenen Bescheid eine unrichtige Rechtsauffassung zugrunde liegt, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.