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VwGH vom 30.09.1993, 92/17/0215

VwGH vom 30.09.1993, 92/17/0215

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Raunig, über die Beschwerde des Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom , Zl. MD-VfR - St 5/92, betreffend Haftung für Dienstgeberabgabe und Lohnsummensteuer samt Nebenansprüchen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.390,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Haftungsbescheid des Magistrates der Bundeshauptstadt Wien vom wurde der Beschwerdeführer "gemäß § 7 und 54 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der derzeit geltenden Fassung, für den Rückstand an Dienstgeberabgabe und Lohnsummensteuer für das Jahr 1988 in der Höhe von S 3.692,-- der Hausverwaltung I-GesmbH im Ausmaß von 80 % dieses Rückstandes somit in der Höhe von S 2.953,60 haftbar gemacht und aufgefordert, diesen Betrag gemäß § 171 WAO binnen einem Monat ab Zustellung zu entrichten".

In der Begründung dieses Bescheides heißt es im wesentlichen, der Beschwerdeführer sei vom bis als gemäß § 15 a GmbHG bestellter Geschäftsführer und ab als Liquidator der genannten Gesellschaft im Handelsregister eingetragen gewesen; er habe weder die Bezahlung veranlaßt noch irgendwelche Schritte zur Abdeckung des Rückstandes unternommen. Er habe somit die ihm als Geschäftsführer der GmbH auferlegten Pflichten verletzt und sei für den Rückstand haftbar, weil dieser bei der Gesellschaft uneinbringlich sei. Die in der Stellungnahme vom vorgebrachten Äußerungen seien nicht geeignet, seine Schuldlosigkeit zu beweisen, zumal auf Grund der Gesetzeslage und der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes den Geschäftsführer einer GmbH bei seiner Bestellung die Verpflichtung treffe, sich über die Vermögenslage der Gesellschaft zu informieren und um Erfüllung der Verbindlichkeiten - auch solche aus der Zeit vor der Bestellung zum Geschäftsführer - bemüht zu sein. Der Hinweis auf den am gestellten Konkursantrag und auf die 60-tägige Frist, gerechnet ab Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit, lasse für sich alleine nicht den zwingenden Schluß zu, daß die zumindest teilweise Begleichung des Abgabenrückstandes absolut unmöglich gewesen sei, weshalb von einer Haftung nicht abgesehen werden könne.

In der dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer im wesentlichen aus, die haftungsgegenständlichen Rückstände setzten sich zur Gänze aus Abgaben des Jahres 1988 zusammen. Sie hätten daher bereits im Zeitpunkt seiner Bestellung zum Geschäftsführer gemäß § 15 a GmbHG am bestanden. Er habe pflichtgemäß sofort die Überprüfung der Aktiven und Passiven der Gesellschaft in Angriff genommen und habe etwa im Mai 1989 feststellen können, daß die GmbH überschuldet sei. Eine Auszahlung aus den von ihm lukrierten Gesellschaftsmitteln an sogenannte "Altgläubiger", zu denen auch der "Magistrat der Stadt Wien" zähle, hätte zum einen zivilrechtliche (Rückforderung und Anfechtung durch den Masseverwalter), zum anderen strafrechtliche Konsequenzen (Gläubigerbevorzugung) gehabt. Er sei daher verpflichtet gewesen, die gesamte von ihm lukrierte Vermögensmasse nach fristgerechter Antragstellung auf Eröffnung des Konkurses an den Masseverwalter auszufolgen. Dies sei auch geschehen.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid änderte die Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien den Spruch des erstinstanzlichen Haftungsbescheides dahin ab, daß der Haftungsbetrag auf S 1.741,60 herabgesetzt werde; im übrigen wurde die Berufung unter Hinweis auf die §§ 7 und 54 WAO als unbegründet abgewiesen. Dies mit der weiteren Begründung, nach der Aktenlage stehe fest, daß die im Haftungsbescheid angeführten Abgabenforderungen tatsächlich bestünden. Es werde auch nicht bestritten, daß die Abgabenrückstände im angeführten Ausmaß uneinbringlich seien. Weiters stehe unbestritten fest, daß der Beschwerdeführer als alleiniger Geschäftsführer der Gesellschaft zu dem im § 54 Abs. 1 WAO angeführten Personenkreis gehöre. Die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers ergebe sich aus der Mißachtung des § 6 Abs. 1 Dienstgeberabgabegesetz, wonach der Abgabepflichtige bis zum 10. Tag jedes Monates die im Vormonat entstandene Abgabenschuld zu entrichten habe. Sie ergebe sich ferner daraus, daß nach § 28 Abs. 1 Gewerbesteuergesetz 1953 die Lohnsummensteuer für einen Kalendermonat am 15. des darauffolgenden Monates fällig sei. Die Gesellschaft bleibe verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr bzw. Einzahlung sie in Rückstand geraten sei, zu erfüllen; zur Erfüllung dieser Verpflichtung sei gemäß § 80 Abs. 1 BAO der Geschäftsführer einer GmbH verhalten. Dieser müsse sich bei Übernahme seiner Geschäftsführertätigkeit darüber unterrichten, ob und in welchem Ausmaße die von ihm nunmehr vertretene Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen sei. Der Umstand, daß der Rückstand auf Zeiträume entfalle, die vor der Bestellung des Beschwerdeführers zum Geschäftsführer lägen, sei somit ohne Bedeutung, zumal der Beschwerdeführer im Hinblick auf die konkreten Umstände seiner Bestellung - der frühere Geschäftsführer hätte sich in stationärer psychiatrischer Behandlung befunden - hätte prüfen müssen, ob die Gesellschaft ihren bisherigen Verpflichtungen nachgekommen sei.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe der Geschäftsführer nachzuweisen, daß ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten für die Gesellschaft unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werden könne, daß er seiner Verpflichtung schuldhafterweise nicht nachgekommen sei. Wer eine Steuerpflicht erfülle, könne nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wonach die Befolgung eines Gesetzes nicht strafbar machen könne, nicht wegen Begünstigung des Fiskus gemäß § 158 Abs. 1 StGB verantwortlich werden.

Zur Herabsetzung des Haftungsbetrages wurde ausgeführt, es seien die Zwangsstrafen von je S 500,-- für die Dienstgeberabgabe und Lohnsummensteuer (Bescheide vom ) sowie die Verspätungszuschläge von S 106,-- und S 409,-- (Bescheide vom ) aus der Haftung auszuscheiden gewesen, weil zum Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Beträge (§ 157 WAO) der Beschwerdeführer nicht mehr Geschäftsführer gewesen sei. Da die Haftung im Umfang von 80 % des Rückstandes geltend gemacht worden sei, ergebe sich ein Haftungsbetrag von "S 1.741,60 (80 % von S 3.692,-- - S 1.515,--)". Daß die Unterlassung der Bezahlung der Dienstgeberabgabe und Lohnsummensteuer ursächlich für die spätere Uneinbringlichkeit gewesen sei, sei evident.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht verletzt, nicht haftbar gemacht zu werden. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und

erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wenn der Beschwerdeführer unter Hinweis auf das

hg. Erkenntnis vom 12. (richtig 27.) April 1981,

Zlen. 17/1977/79, 17/1978/79, den Einwand erhebt, der angefochtene Bescheid sei infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde rechtswidrig, da § 7 WAO nicht zur Inanspruchnahme der Haftung für Bundesabgaben, deren Einhebung den Ländern überlassen sei, berechtige, übersieht er, daß dieser Auffassung durch die Änderung der Rechtslage durch das FAG 1985, BGBl. Nr. 544/1984, (FAG 1989, BGBl. Nr. 687/1988) die Grundlage entzogen ist. Nach § 13 Abs. 3 FAG 1985 (1989) erfolgt die Regelung der Erhebung und der Verwaltung der in Abs. 1 genannten Abgaben (Bundesgewerbesteuer und Gewerbesteuer) durch die Bundesgesetzgebung mit der Maßgabe, daß die Regelung der Erhebung und der Verwaltung der Lohnsummensteuer der Landesgesetzgebung insoweit überlassen wird, als nicht bundesgesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FAG 1985 (Blg. NR. XVI GP. 482, 17) sollte mit dieser Regelung eine Gesetzeslücke geschlossen werden.

Zur "Regelung der Erhebung" von Abgaben gehört auch die Schaffung von Normen, die die Rechtsfrage regeln, wer Abgabenschuldner bzw. Haftender ist. Die zuletzt zitierten Vorschriften begründen somit die Gesetzgebungskompetenz der Länder in der Frage, wer Lohnsummensteuerschuldner bzw. -haftender ist. Bundesgesetzliche Vorschriften im Sinne des letzten Halbsatzes des § 13 Abs. 3 FAG 1985 (1989), die einer solchen Haftungsregelung entgegenstünden, bestehen nicht; ausgehend von dieser geänderten Rechtslage erstreckt sich der Anwendungsbereich von § 7 WAO daher auch auf die Lohnsummensteuer (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/15/0114).

Der Beschwerdeführer bringt jedoch weiters vor, daß ihm keine schuldhafte Pflichtverletzung als Geschäftsführer angelastet werden könne. Diesem Beschwerdegrund kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Gemäß § 7 Abs. 1 WAO haften die in den §§ 54 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 54 Abs. 1 WAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den mit den §§ 7, 54 WAO gleichartigen Rechtsvorschriften in anderen Landesabgabenordnungen sowie in der Bundesabgabenordnung setzt eine darauf gestützte Haftungsinanspruchnahme voraus, daß die rückständigen Abgaben uneinbringlich wurden und dies auf eine schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters zurückzuführen ist. Die Heranziehung des Vertreters zur Haftung gemäß § 7 Abs. 1 WAO hat weiters zur Voraussetzung, daß zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters und der Uneinbringlichkeit der Forderung ein Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht. Das Tatbestandsmerkmal "... infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können" ist etwa dann als erfüllt anzusehen, wenn der Vertretene bei oder nach Fälligkeit der Verbindlichkeiten Mittel für die Bezahlung - gegebenenfalls nach gleichmäßiger Aufteilung der Bezahlungsmittel auf alle Verbindlichkeiten - zur Verfügung hatte und nicht - wenn auch nur anteilig - für die Abgabentilgung Sorge getragen hat. Insoweit - der Vertreter darf Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als die übrigen aus dem von ihm verwalteten Vermögen zu begleichenden Schulden, auch wenn nicht verlangt wird, daß der Abgabengläubiger vor allen übrigen Gläubigern befriedigt wird - ist auch das Ausmaß der Haftung bestimmt.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, es sei Sache des Geschäftsführers, darzutun, weshalb er nicht Sorge dafür tragen konnte, daß die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf. Außerdem hat der Vertreter darzutun, daß er die Abgabenforderungen bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt hat. Diese den Vertreter treffende qualifizierte Mitwirkungspflicht kann freilich nicht so aufgefaßt werden, daß die Abgabenbehörde jedweder Ermittlungspflicht entbunden wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/17/0216, und die dort angeführte weitere Rechtsprechung).

Nach Ansicht der belangten Behörde ergab sich die Pflichtverletzung des Beschwerdeführers aus der Mißachtung des § 6 Abs. 1 Dienstgeberabgabegesetz, wonach der Abgabepflichtige bis zum 10. Tag jeden Monats die im Vormonat entstandene Abgabenschuld zu entrichten habe. Sie ergebe sich ferner daraus, das nach § 28 Abs. 1 Gewerbesteuergesetz 1953 die Lohnsummensteuer für einen Kalendermonat am 15. des darauffolgenden Monats fällig sei. Im übrigen enthält der Bescheid nur allgemeine Feststellungen und Rechtssätze aus vorangegangenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes. Die belangte Behörde hat sich jedoch nicht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im verwaltungsbehördlichen Verfahren auseinandergesetzt und keinerlei Feststellungen darüber getroffen, daß dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall ein SCHULDHAFTES Verhalten anzulasten ist und worin dieses schuldhafte Verhalten bestanden hat. Die bloß objektive Feststellung einer Pflichtverletzung ist nämlich keine Begründung für ein schuldhaftes Verhalten. Damit hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet.

Der angefochtene Bescheid erweist sich jedoch auch aus weiteren, vom Beschwerdeführer nicht geltend gemachten Gründen als rechtswidrig.

Die Geltendmachung der Haftung ist in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt. Ermessensentscheidungen der Abgabenbehörde haben sich gemäß § 18 WAO innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei, dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 92/17/0178). Der angefochtene Bescheid enthält weder eine Begründung für die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung noch für das Ausmaß (80 %) der Haftungsinanspruchnahme (vgl. zum Unterschied zwischen der Erlassung eines Haftungsbescheides vor und nach Annahme und Bestätigung eines (Zwangs-)Ausgleiches die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 89/15/0106, und vom , Zlen. 90/17/0439, 0440).

Ferner stellt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bloß fest, es sei evident, daß die Unterlassung der Bezahlung der Dienstgeberabgabe und Lohnsummensteuer ursächlich für die spätere Uneinbringlichkeit gewesen sei. Eine solche Feststellung, deren Zutreffen aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich ist, ist keine Begründung der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit der Abgaben. Ist doch damit keineswegs begründet festgestellt, daß überhaupt Mittel für die Abgabenentrichtung vorhanden waren und falls doch, daß die Abgaben durch das Verhalten des Beschwerdeführers letztlich uneinbringlich geworden sind.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991. Stempelgebühren waren nur im erforderlichen Ausmaß zuzusprechen.