VwGH vom 26.11.1993, 92/17/0163
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
92/17/0168
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Raunig, über die Beschwerde des J in A, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, 1.) gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom , Zl. 16/19-1/1992, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. eines Erschließungsbeitrages und 2.) wegen Verletzung der Entscheidungspflicht i.A. eines Erschließungsbeitrages,
Spruch
I.) den Beschluß gefaßt:
Die unter 2.) angeführte Beschwerde wird zurückgewiesen; II.) zu Recht erkannt:
Die unter 1.) angeführte Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenbegehren der Gemeinde A wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom hat der Bürgermeister der Gemeinde A dem Beschwerdeführer einen Erschließungsbeitrag in Höhe von S 103.934,88 vorgeschrieben. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen. Nach Vorlageantrag vom erging an den Beschwerdeführer die Erledigung vom mit folgendem Inhalt:
"Die Abgabenbehörde 2. Instanz hat nach eingehender Beratung der Berufung des Herrn J vom 27. Sept. 1991 keine Folge gegeben und den Bescheid vom 23. Sept. 1991 der 1. Instanz des Bürgermeisters bestätigt.
Dem Antrag auf aufschiebende Wirkung wird einstimmig nicht stattgegeben.
Die Abgabenbehörde 2. Instanz
der Vizebürgermeister:"
Gegen diese Erledigung erhob der Beschwerdeführer Beschwerde, allenfalls Berufung, an den "Verwaltungssenat" in Innsbruck. Die am bei der belangten Behörde eingelangte Beschwerde begründete er u.a. damit, daß er in der Erledigung vom eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erblicke. Weiters begehrte er, daß dieses "Rechtsmittel" dann allenfalls als Berufung behandelt werde, wenn der Erledigung vom Bescheidcharakter zugebilligt werde. Sollte dann obendrein noch die Auffassung vertreten werden, daß eine an den Verwaltungssenat gerichtete Berufung innerhalb einer Frist von 14 Tagen einzureichen und diese Frist versäumt sei, dann stelle er wegen des Fehlens jeglicher Rechtsmittelbelehrung den Antrag, ihm gemäß "§ 71 AVG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Berufungsfrist zu bewilligen."
Der unabhängige Verwaltungssenat in Tirol sprach mit dem als "Berufungserkenntnis" bezeichneten, nunmehr angefochtenen Bescheid vom aus, daß die Beschwerde gemäß § 67a Abs. 2 und § 67d Abs. 1 AVG als unzulässig zurückgewiesen werde. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, nach der allgemeinen Verwaltungslehre gelten als Ausübung von Zwangsgewalt nur Maßnahmen mit physischem Sanktionszwang, das seien Maßnahmen zur Verhinderung oder Beendigung von wirklich oder vermeintlich rechtswidrigen Vorgängen oder Zuständen. Andere Rechtseingriffsakte wie z.B. die selbständige Weiterführung sicherheitsbehördlicher Erhebungen reichten über den klassischen Typus der polizeilichen Befehls- und Zwangsgewalt hinaus. Derartige andere Rechtseingriffsakte, zu denen auch das zitierte Schreiben der Gemeinde A zu zählen sei - ob es Bescheidcharakter habe oder nicht, spiele für die Beurteilung keine Rolle - könnten daher nicht mit einer Beschwerde nach § 67a Abs. 1 Z. 2 AVG bekämpft werden. Die Beschwerde sei daher als unzulässig zurückzuweisen. Abgesehen davon sei dem Landesverwaltungssenat in Abgabensachen keine Zuständigkeit übertragen worden.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom , Zl. B 237/92-3, die Behandlung der dagegen zunächst an ihn erhobenen Beschwerde ab und trat sie antragsgemäß gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In dem Beschwerdeschriftsatz der vom Verfassungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde ist auch die bereits angeführte Säumnisbeschwerde enthalten.
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und "Säumnis" der Entscheidungspflicht geltend. Seinem gesamten Vorbringen nach erachtet er sich in seinem Recht dadurch verletzt, daß die belangte Behörde die an sie erhobene Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen habe, es liege keine unmittelbare Befehls- und Zwangsgewalt vor. Die Berechtigung zur Säumnisbeschwerde stützt der Beschwerdeführer darauf, daß er in seinem Rechtsmittel an die belangte Behörde ausdrücklich geltend gemacht habe, dieses allenfalls als Berufung zu behandeln. Er habe überdies geltend gemacht, daß dem Wiedereinsetzungsantrag in den vorigen Stand stattgegeben werden solle, falls die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangen sollte, eine solche Berufung sei innerhalb einer Frist von 14 Tagen einzureichen. Die belangte Behörde habe es aus nicht ersichtlichen Gründen unterlassen, auszuführen, warum über diese Anträge nicht entschieden worden sei.
Die belangte Behörde und die Gemeinde A erstatteten je eine Gegenschrift, in der sie jeweils die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß Art. 129 a Abs. 1 Z. 2 B-VG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sofern ein solcher in Betracht kommt, über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.
Nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes ist ein faktisches Organhandeln dann eine "Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt", wenn ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung einseitig einen Befehl erteilt oder Zwang ausübt und dieser Akt gegen individuell bestimmte Adressaten gerichtet ist. Eine Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt ist nur dann gegeben, wenn einseitig in subjektive Rechte des Betroffenen eingegriffen wird. Ein derartiger Eingriff liegt im allgemeinen dann vor, wenn physischer Zwang ausgeübt wird oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (Walter-Mayer, Grundriß des Österreichischen Bundesverfassungsrechts7, Rz 608 und 610 samt Rechtsprechung). Mit einem Schreiben mit dem im Sachverhalt angeführten Inhalt wurde weder ein physischer Zwang ausgeübt noch drohte bei Nichtbefolgung eines Befehls die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges. Wäre in diesem Schreiben ein Bescheid zu sehen, bestünde die Möglichkeit, dagegen Vorstellung (§ 112 Tiroler Gemeindeordnung) zu erheben, was der Beschwerdeführer auch getan hat. Lag jedoch kein Bescheid vor - die Lösung dieser Frage kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben -, dann trat mit der Zustellung dieses Schreibens in der Rechtsstellung des Beschwerdeführers keine Änderung ein und er hätte allenfalls die Möglichkeit, Beschwerde wegen der Säumigkeit der Behörde einzubringen. Auch nach dem weitwendigen Beschwerdevorbringen ist für den Gerichtshof nicht erkennbar, worin im vorliegenden Fall die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt liegen soll, weshalb sich dieses Vorbringen als unbegründet erweist.
Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, mit dem ohne Anberaumung einer mündlichen Verhandlung durch ein Mitglied des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol (§§ 67a Abs. 2 und 67d Abs. 1 AVG) die Beschwerde gegen die behauptete Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt als unzulässig zurückgewiesen - und nicht auch über die Berufung abgesprochen - wurde, war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war.
Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG kann gemäß § 27 VwGG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Weg eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.
Die Berufung und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind - unbeschadet der Beurteilung, ob bei der Sachlage eine Enscheidungspflicht der belangten Behörde überhaupt bestanden hat - mit dem am beim unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol eingelangten Schriftsatz erhoben bzw. gestellt worden. Der zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerdeschriftsatz, in dem auch die Säumnisbeschwerde enthalten ist, ist beim Verwaltungsgerichtshof am eingelangt. Schon allein mangels Ablaufes der Frist von sechs Monaten gemäß § 27 VwGG erweist sich die wegen Verletzung der Entscheidungspflicht nach Art. 132 B-VG erhobene Beschwerde als unzulässig und war daher schon aus diesem Grund in einem nach § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat mangels Berechtigung zur Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluß zurückzuweisen.
Die Entscheidung über den zugesprochenen Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenbegehren der Gemeinde A war abzuweisen, weil diese nicht Partei im Säumnisbeschwerdeverfahren war.