VwGH vom 02.06.1992, 89/07/0141
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und den Senatspräsidenten Dr. Salcher sowie die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Kremla und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Waldner, über die Beschwerde des Gebhard und der Hedwig R in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung vom , Zl. LAS-168/8-88, betreffend Aberkennung einer Felddienstbarkeit (mitbeteiligte Partei: Karl L sen. in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom stellte das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz (AB) gemäß den §§ 37 und 39 des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes, LGBl. Nr. 21/1952 (WWSG), fest, daß ein gültiger Antrag vorliege, und verfügte die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung, Ablösung oder Regulierung der auf dem Grundstück der Beschwerdeführer 27/1 EZ 303 KG W zugunsten des Grundstücks 13/1 EZ 636 KG W im Eigentum der nun am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof mitbeteiligten Partei bestehenden Felddienstbarkeit (Michaeli-Jörgi-Recht).
Mit Bescheid der AB vom wurde sodann diesem Antrag Folge gegeben und die bezeichnete Felddienstbarkeit gemäß § 37 Abs. 3 WWSG entschädigungslos aberkannt.
Der Berufung des Mitbeteiligten gegen diese Entscheidung gab der Landesagrarsenat beim Amt der Tiroler Landesregierung mit Erkenntnis vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 (§ 1 AgrVG 1950) in Verbindung mit § 37 Abs. 1 WWSG Folge, hob den Bescheid der AB als rechtswidrig auf und wies das Begehren auf Aberkennung des bezeichneten Fahrrechtes als unbegründet ab. Dazu wurde im wesentlichen folgendes ausgeführt: Es sei unbestritten, daß auf dem Grundstück 27/1 zugunsten des landwirtschaftlich genutzten Grundstücks 13/1 ein sogenanntes Jörgirecht ausgeübt werden dürfe, ein Fahrrecht während einer bestimmten Zeit eines Jahres, nämlich vom 29. September (Michaeli) bis 24. April (Jörgi). Da das herrschende Grundstück der Landwirtschaft diene, stelle dieses Jörgirecht zweifellos eine Felddienstbarkeit im Sinne des § 474 ABGB dar. Gemäß § 37 Abs. 1 WWSG könnten Felddienstbarkeiten anderer als der im § 1 genannten Art als Wegerecht "auf landwirtschaftlich genutztem Boden" aberkannt, abgelöst oder reguliert werden; die Felddienstbarkeiten müßten unbestritten oder gerichtlich festgestellt sein. Diese Voraussetzungen lägen jedoch im Beschwerdefall nicht vor. Wie eine Abordnung des Landesagrarsenates unter Teilnahme auch des agrartechnischen Senatsmitgliedes anläßlich eines Ortsaugenscheines am habe feststellen können, handle es sich bei dem servitutsbelasteten Grundstück 27/1 nicht um landwirtschaftlich genutzten Boden. Diese Grundparzelle im Ausmaß von rund 700 m2 sei mit einem Privathaus verbaut und die nichtverbaute Fläche teilweise mit Zierpflanzen und Gartenbeeten für Gemüse bedeckt; der Rest bestehe aus Zierrasen; entlang der westlichen Grundgrenze verlaufe ein Weg zur nordseitig angebauten Garage. Bei dieser Sachlage könne nicht von landwirtschaftlich genutztem Boden gesprochen werden, auf dem die Dienstbarkeit bestehe; dies wäre aber Voraussetzung für eine Aberkennung gewesen. Der Berufung habe deshalb stattgegeben werden müssen.
Dieses Erkenntnis wird mit der vorliegenden Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten, wobei sich die Beschwerdeführer nach ihrem ganzen Vorbringen in dem Recht auf gesetzmäßige Entscheidung über ihren Antrag verletzt erachten.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte. Der Mitbeteiligte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Das WWSG bezeichnet als Nutzungsrechte gemäß § 1 Abs. 1 (lit. a) alle wie immer benannten Rechte, in oder aus einem fremden Wald Holz oder sonstige Forstprodukte zu beziehen; (lit. b) Weiderechte auf fremdem Grund und Boden; (lit. c) alle anderen Felddienstbarkeiten auf Wald oder der Waldkultur gewidmetem Boden mit Ausnahme der Wegerechte.
Gemäß § 37 Abs. 1 WWSG können Felddienstbarkeiten anderer als der in § 1 genannten Art auf landwirtschaftlich genutztem Boden aberkannt, abgelöst oder reguliert werden. Sie müssen jedoch unbestritten oder gerichtlich festgestellt sein. Gemäß Abs. 3 desselben Paragraphen ist eine solche Dienstbarkeit, wenn an ihr kein schützenswertes Interesse des berechtigten Gutes besteht, ohne Entschädigung abzuerkennen.
Die Beschwerdeführer meinen, die belangte Behörde hätte ihre Zuständigkeit schon deshalb nicht verneinen dürfen, weil die Zuständigkeit der Agrarbehörden im Einleitungsbescheid bereits rechtskräftig bejaht worden wäre. Dies träfe jedoch selbst dann nicht zu, wenn jenes mit dem angefochtenen Erkenntnis ausgesprochen worden wäre (was nicht der Fall ist), da mit dem Einleitungsbescheid dem Gesetz entsprechend nur vom Vorliegen eines gültigen Antrages ausgegangen worden war, ohne daß damit rechtserhebliche Momente des weiteren Verfahrens - wozu die auch vom Ergebnis der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes abhängige Beurteilung gehört, ob eine Felddienstbarkeit im angegebenen Sinn (noch) besteht - vorweggenommen wurden; ein Hinweis darauf findet sich auch in der Begründung des Einleitungsbescheides.
Die Beschwerdeführer sind ebensowenig mit ihrer Verfahrensrüge im Recht, denn ihr Vorbringen läßt nicht erkennen, inwiefern die durchgeführten Ermittlungen unzureichend gewesen sein sollten; die von den Beschwerdeführern in diesem Zusammenhang angegebene Bodennutzung widerspricht dem behördlichen Erhebungsergebnis im wesentlichen nicht. Diesem zufolge steht auf dem etwa 700 m2 großen Grundstück ein Privathaus (Einfamilienhaus), und die nichtverbaute Fläche enthält Zierpflanzen, Gartenbeete für Gemüse und Zierrasen.
Was unter "landwirtschaftlich genutztem" Boden zu verstehen sei, umschreibt das WWSG nicht (Boden = Grundstück, vgl. § 32 Abs. 1 des Wald- und Weideservituten-Grundsatzgesetzes). Doch zeigt § 37 Abs. 4 WWSG, daß bei den besonderen Felddienstbarkeiten auf landwirtschaftlich genutztem Boden von einer "Bewirtschaftung des verpflichteten Gutes" ausgegangen wird, was unter Bedachtnahme auf § 37 Abs. 2 leg. cit. - wonach für alle bei solchen Felddienstbarkeiten in Betracht kommenden Verfahren sinngemäß die Bestimmungen dieses Gesetzes anzuwenden sind - und § 18 Abs. 2 WWSG bedeutet, daß diese landwirtschaftliche Nutzung im Rahmen eines Wirtschafts"betriebes" erfolgen muß. Daß aber im vorliegenden Fall auf dem beschriebenen Grundstück eine planvolle, grundsätzlich auf die Erzielung von Einnahmen gerichtete nachhaltige landwirtschaftliche Tätigkeit auch nur im Sinn eines landwirtschaftlichen Nebenerwerbes entfaltet würde, trifft sachverhaltsmäßig nicht zu und wird in dieser Richtung auch von den Beschwerdeführern, die von einer "mit viel Fleiß und Mühe angelegten Gartenlandschaft" sprechen, nicht behauptet.
Wenn es sich aber im Beschwerdefall mangels des bezeichneten normativen Kriteriums nicht um eine besondere Felddienstbarkeit nach dem WWSG handelt, für deren Aberkennung - ebenso wie für eine Ablösung oder eine Regulierung - die Agrarbehörden zuständig wären, dann hätte richtigerweise das Begehren der Beschwerdeführer nicht als unbegründet abgewiesen, sondern wegen Unzuständigkeit der angerufenen Agrarbehörde zurückgewiesen werden müssen. Für die Angelegenheit sind die ordentlichen Gerichte zuständig.
Das angefochtene Erkenntnis war demnach gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen - von Amts wegen wahrzunehmender (§ 41 Abs. 1 VwGG) - Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG und der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auch deren Art. III Abs. 2; die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft eine nicht entstandene "Eingabengebühr" sowie die "Mehrwertsteuer", die infolge der gesetzlichen Pauschalierung des Schriftsatzaufwandes nicht gesondert vergütet werden kann.