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VwGH vom 24.10.2000, 95/14/0119

VwGH vom 24.10.2000, 95/14/0119

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Urtz, über die Beschwerde des G K in I, vertreten durch Dr. Markus Komarek, Rechtsanwalt in 6060 Hall in Tirol, Sparkassengasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , Zl. 23.172-2/94, betreffend erhöhte Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seiner Anfechtung, somit in seinem Abspruch für den Zeitraum vom bis , wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Antrag vom begehrte der Beschwerdeführer rückwirkend ab die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für seine am geborene Tochter. In der beigelegten ärztlichen Bescheinigung bestätigte die Universitätsklinik für Kinderheilkunde in I, dass die Tochter seit ihrer Geburt an Neurodermitis ("Milchschorf") leide und auf Grund dieses Leidens der Grad der Behinderung 30 % betrage.

Das Finanzamt wies den Antrag mit der Begründung ab, dass auf alle ab dem eingebrachten Anträge die Bestimmung des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 in seiner durch das BGBl. Nr. 531/1993 geänderten Fassung anzuwenden sei. Demnach wäre im Beschwerdefall die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe nur möglich, wenn der Grad der Behinderung mindestens 50 % betrage.

In seiner Berufung wandte sich der Beschwerdeführer einerseits gegen den festgestellten Grad der Behinderung der Tochter (dieser liege über 50 %) und andererseits dagegen, dass das Finanzamt auch für den Zeitraum bis den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe nach der ab dem geltenden Fassung des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 beurteilt habe.

Nach Einholung eines Gutachtens des zuständigen Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, das den Grad der Behinderung von 30 % bestätigte, wies die belangte Behörde die Berufung unter Hinweis auf die bereits vom Finanzamt vertretene Rechtsansicht als unbegründet ab.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid insoweit in seinen Rechten verletzt, als die belangte Behörde den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe auch für den Zeitraum vom bis an den Voraussetzungen des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 i.d.F. BGBl. Nr. 531/1993 gemessen und deshalb zu Unrecht auf das Vorliegen eines Grades der Behinderung von mindestens 50 % abgestellt habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 lautet:

"(4) Für jedes Kind, das erheblich behindert ist, erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich um 1.550 S." (i.d.F. BGBl. Nr. 652/1989)

"(4) Für jedes Kind, das erheblich behindert ist, erhöht sich die Familienbeihilfe ab monatlich um 1.650 S; ab monatlich um 1.700 S." (i.d.F. BGBl. Nr. 696/1991)

§ 8 Abs. 5 FLAG 1967 in der Fassung vor BGBl. Nr. 531/1993 hat folgenden Wortlaut:

"(5) Als erheblich behindert gelten Kinder,

a) deren körperliche oder geistige Entwicklung infolge eines Leidens oder Gebrechens so beeinträchtigt ist, dass sie im vorschulpflichtigen Alter voraussichtlich dauernd einer besonderen Pflege oder eines besonderen Unterhaltsaufwandes bedürfen,

b) deren Schulbildung im schulpflichtigen Alter infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist oder die überhaupt schulunfähig sind,

c) deren Berufsausbildung infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist,

d) die infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd nicht fähig sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen."

§ 8 Abs. 5 FLAG 1967 in der durch BGBl. Nr. 531/1993 geänderten Fassung hat folgenden Wortlaut:

"5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen."

§ 10 Abs. 3 FLAG 1967 in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung, BGBl. Nr. 367/1991, lautet:

"(3) Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt."

§ 8 Abs. 5 FLAG 1967 i.d.F. BGBl. Nr. 531/1993 ist aufgrund der ebenfalls durch BGBl. Nr. 531/1993 eingefügten Bestimmung des § 50d FLAG 1967 mit in Kraft getreten ist.

Die Parteien stimmen darin überein, dass § 8 Abs. 5 leg.cit. in der ab geltenden Fassung in seinem für den Beschwerdefall ausschließlich in Betracht kommenden Tatbestand voraussetzt, dass der Grad der Behinderung mindestens 50 % beträgt, während in der davor geltenden Fassung des § 8 Abs. 5 leg.cit. ein derartiges Erfordernis nicht enthalten war.

Strittig ist hingegen, welche Bedeutung der Gesetzesänderung für jene Fälle zukommt, in denen die erhöhte Familienbeihilfe für vor der gegenständlichen Gesetzesänderung liegende Zeiträume begehrt wird, die Antragstellung aber nach dem erfolgt ist.

Die belangte Behörde begründet - in der Gegenschrift - ihre im angefochtenen Bescheid vertretene Ansicht mit dem in § 10 Abs. 3 FLAG 1967 enthaltenen, in Klammer gesetzten Verweis auf "§ 8 Abs. 4". Mangels ausdrücklicher Übergangsregelung ergebe sich aus dem Klammerausdruck in § 10 Abs. 3 leg.cit., dass die Frage der erheblichen Behinderung nach der Rechtslage zu beurteilen sei, die bei der Antragstellung Geltung habe.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag indes nicht zu erkennen, was aus dem Verweis in § 10 Abs. 3 FLAG 1967 für den Standpunkt der belangten Behörde gewonnen werden könnte. Zunächst ist festzuhalten, dass sich dieser Verweis gerade nicht auf die Definition der "erheblichen Behinderung" in § 8 Abs. 5 FLAG 1967, sondern auf den Betrag der erhöhten Familienbeihilfe in § 8 Abs. 4 leg.cit. bezieht. Auf die Bestimmung des § 8 Abs. 5 leg.cit. wird allenfalls - da diese Bestimmung in Zusammenhang mit § 8 Abs. 4 leg.cit. zu sehen ist - mittelbar verwiesen.

Dazu kommt, dass dieser Verweis - sofern man ihm für die gegenständliche Frage überhaupt Bedeutung beimessen will - eher für den Standpunkt des Beschwerdeführers spricht. Die Regelung des § 8 Abs. 4 FLAG 1967 setzt den Betrag der erhöhten Familienbeihilfe nämlich nach dem jeweiligen Anspruchszeitraum, somit unabhängig vom Zeitpunkt der Antragstellung fest.

Im Zusammenhang mit der Anwendung neuen Rechts auf früher verwirklichte Sachverhalte hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass für die Erlassung von Abgabenbescheiden - falls das Gesetz nicht ausdrücklich anderes anordnet - jenes Gesetz maßgebend ist, innerhalb dessen zeitlichen Bedingungsbereiches der Sachverhalt gesetzt worden ist, der die Verwirklichung des Abgabentatbestandes bewirkt (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom , 96/14/0017).

In dem genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof weiters ausgeführt, dass Normen, die die Besteuerung des Einkommens regeln, mitunter auch an Umstände anknüpfen, die nach Ablauf des Veranlagungsjahres gesetzt werden; etwa an die Ausübung von Bilanzierungswahlrechten. Diese nach Ablauf des Veranlagungsjahres zu setzenden Sachverhalte würden aber bloß einen Annex zu dem im Veranlagungsjahr in sachverhaltsmäßiger Hinsicht eingetretenen Besteuerungsgrundlagen darstellen.

Durch die Ausrichtung des Abgabenanspruches an den rechtlichen Verhältnissen und tatsächlichen Gegebenheiten, wie sie bei der Tatbestandsverwirklichung bestanden haben, wird erreicht, dass alle steuerrechtlich bedeutsamen Umstände, gleichgültig, wann sie erklärt, wann sie behördlich festgestellt oder wann sie bescheidmäßig erfasst werden, nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden (vgl. Stoll, BAO, § 4, Seite 59).

Ist wie im Beschwerdefall darüber abzusprechen, ob für einen bestimmten (in der Vergangenheit gelegenen) Zeitraum erhöhte Familienbeihilfe zusteht, kann - will man den Beihilfenanspruch nicht von zufälligen (behördlicher Entscheidungszeitpunkt) oder willkürlich beeinflussbaren Umständen (Zeitpunkt der Antragstellung) abhängig machen - nichts anderes gelten.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Sachverhalt (lediglich) unter Heranziehung der durch BGBl. Nr. 531/1993 geänderten Fassung des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 geprüft hat, war der angefochtene Bescheid (im angefochten Umfang) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebühren waren lediglich im erforderlichen Umfang zuzusprechen.

Wien, am