VwGH vom 04.11.1994, 92/16/0167
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peternell, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GZ. GA 11-698/1/92, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Gebührensache, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin bedient sich zur Verwaltung ihrer Liegenschaften der "R-Gesellschaft m.b.H." (im folgenden: Verwaltungsgesellschaft). Entsprechend ihrem Antrag, bei welchem sie gleichfalls durch die Verwaltungsgesellschaft vertreten war, wurde der Beschwerdeführerin mit Bescheid des Finanzamtes für Gebühren und Verkehrsteuern Wien (im folgenden: Finanzamt) vom die Bewilligung der Selbstberechnung der Gebühren für Bestandverträge gemäß § 3 Abs. 4 GebG 1957 erteilt.
Als Vertreterin der Beschwerdeführerin schloß die Verwaltungsgesellschaft mit der österreichischen Niederlassung einer niederländischen Bank einen Mietvertrag ab, den die Verwaltungsgesellschaft am unterfertigte; die Mieterin sandte das ihrerseits unterfertigte Exemplar samt einer Gleichschrift mit Schreiben vom an die Verwaltungsgesellschaft zurück. Ein von der Mieterin zurückgehaltenes Exemplar wurde der Verwaltungsgesellschaft am übersandt. Eine Eintragung in die gemäß § 3 Abs. 4 GebG zu führende fortlaufende Aufschreibung (Gebührenjournal) erfolgte damals aber nicht; die dem Finanzamt mit Schreiben der Verwaltungsgesellschaft vom übermittelte Liste für September 1990 enthält den gegenständlichen Vorgang nicht. Das Rechtsgeschäft wurde vielmehr gesondert, also gemäß § 31 GebG, unter gleichzeitiger Übermittlung von zwei Gleichschriften am dem Finanzamt angezeigt.
Mit Bescheid vom wurde der Mieterin u.a. die Gebühr für die Urschrift (S 171.409,--) und für zwei Gleichschriften (S 342.818,--) vorgeschrieben. Dagegen erstattete diese am Berufung unter Hinweis auf eine Eintragung in das Gebührenjournal der Verwaltungsgesellschaft. Die belangte Behörde gab dieser Berufung mit Bescheid vom Folge und hob den angefochtenen Bescheid auf.
Gleichzeitig mit der Berufung der Mieterin beantragte die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Eintragung in das Gebührenjournal und Abführung der selbst berechneten Gebühren (zum ); die versäumte Handlung holte sie durch Eintragung in die Oktoberliste 1991, die dem Finanzamt mit Schreiben vom übersandt wurde, nach. Gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag wurde auch die Gebühr von S 171.409,-- überwiesen. Sie brachte vor, da nicht beide Gleichschriften von der Mieterin am zurückgestellt worden seien, sei die weitere Gleichschrift urgiert worden und erst am bei der Verwaltungsgesellschaft eingelangt. Durch diesen ungewöhnlichen Vorgang (getrenntes Einlagen der Gleichschriften) verwirrt, habe es die Sachbearbeiterin K.N. verabsäumt, die Eintragung in das Gebührenjournal für September, welches ordnungsgemäß zum abgerechnet wurde, vorzunehmen.
Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab. Mangelnde Rechtskenntnis oder Rechtsirrtum sei nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zu behandeln.
Der dagegen erstatteten Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Hinsichtlich einer Frist, die ein Abgabenverfahren erst in Gang setze, komme eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht. Im übrigen hätte die Geschäftsleitung bei Fertigung der Septemberliste 1990 erkennen müssen, daß keine Eintragung erfolgt sei. Die Verwaltungsgesellschaft treffe gegenüber ihren Angestellten dieselbe Überwachungspflicht, die ein Rechtsanwalt gegenüber seinem Kanzleipersonal habe. Die bloß stichprobenweise Überprüfung der Eintragung sei nicht ausreichend.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt erachtet.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten
und die Gegenschrift der belangten Behörde vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Die Wiedereinsetzungsmöglichkeit besteht, wie die belangte Behörde nunmehr in der Gegenschrift richtig einräumt, bei Fristen unabhängig davon, ob die Frist ein Verfahren einleitet oder ob sie innerhalb eines Verfahrens besteht (Ritz, BAO Kommentar, RZ. 3 zu § 308 BAO unter Hinweis auf § 310 Abs. 3 BAO). Allerdings ist das Vorliegen einer Fristversäumnis Voraussetzung; soweit der Wiedereinsetzungsantrag die Versäumung der Frist zur Eintragung in das Gebührenjournal betrifft, liegt eine der Wiedereinsetzung zugängliche Versäumung einer Frist in Wahrheit jedoch nicht vor.
§ 3 Abs. 4 Gebührengesetz 1957 (i.d.F. BGBl. Nr. 207/1982; im folgenden: GebG) lautet:
"(4) Einem Gebührenschuldner, der in seinem Betrieb laufend eine Vielzahl gleichartiger Rechtsgeschäfte abschließt und die Gewähr für die ordnungsgemäße Einhaltung der Gebührenvorschriften bietet, hat das Finanzamt, in dessen Amtsbereich sich die Geschäftsleitung des Betriebes des Gebührenschuldners befindet, auf Antrag zu bewilligen, daß er die auf diese Rechtsgeschäfte entfallenden Hundertsatzgebühren an Stelle der sonst in diesem Bundesgesetz angeordneten Entrichtungsformen selbst berechnet und bis zum 10. des dem Entstehen der Gebührenschuld folgenden zweiten Monats an dieses Finanzamt entrichtet. Personen, die auf Grund der erteilten Bewilligung verpflichtet sind, die Hundertsatzgebühren auf diese Art zu entrichten, haben über diese gebührenpflichtigen Rechtsgeschäfte fortlaufende Aufschreibungen zu führen, welche die für die Gebührenbemessung erforderlichen Angaben enthalten. Innerhalb der Zahlungsfrist ist dem Finanzamt für den jeweiligen Berechnungs- und Zahlungszeitraum eine Abschrift dieser Aufschreibungen zu übersenden. Die Übersendung der Abschrift gilt als Gebührenanzeige gemäß § 31. Auf den Urkunden ist ein Vermerk anzubringen, der die Bezeichnung des Bewilligungsbescheides und die fortlaufende Nummer der Aufschreibungen enthält. Mit Erteilung einer Bewilligung, die Gebühren für bestimmte Rechtsgeschäfte selbst zu berechnen, wird das Finanzamt für die Erhebung dieser Gebühren örtlich zuständig. Es hat jeweils für den Zeitraum eines Kalenderhalbjahres die Hundertsatzgebühren für jedes gebührenpflichtige Rechtsgeschäft, das in den Aufschreibungen abgerechnet wurde, mit Bescheid festzusetzen."
Dieser Bestimmung sind also zwei Fristen zu entnehmen:
Erstens mußte bis zum 10. (jetzt: 15.; Art. XXVII des Steuerreformgesetzes 1993, BGBl. 818) des dem Entstehen der Gebührenschuld folgenden zweiten Monats die selbst berechnete Hundertsatzgebühr an das zuständige Finanzamt entrichtet werden. Zweitens muß innerhalb derselben Frist dem Finanzamt für den jeweiligen Berechnungs- und Zahlungszeitraum eine Abschrift der Aufschreibungen übersendet werden; hinsichtlich der Aufschreibungen wird nur gefordert, daß sie über die gebührenpflichtigen Rechtsgeschäfte fortlaufend zu führen sind und die für die Gebührenbemessung erforderlichen Angaben enthalten müssen. Hingegen enthält das Gebührengesetz keine konkrete Anordnung, wann die Aufschreibung, also die Eintragung in das Gebührenjournal zu erfolgen hat. Die Eintragungen müssen nur fortlaufend und so rechtzeitig erfolgen, daß die Übersendung eines Durchschlages an das Finanzamt für den jeweiligen Berechnungs- und Zahlungszeitraum möglich ist. Allein deshalb, weil im vorliegenden Fall nicht unverzüglich nach dem eine Eintragung in das Gebührenjournal erfolgte, kommt eine Wiedereinsetzung mangels Versäumung einer Frist nicht in Betracht.
Versäumt hat die Verwaltungsgesellschaft aber die Fristen zur Entrichtung der auf das gegenständliche Rechtsgeschäft angefallenen Hundertsatzgebühr und zur Übersendung einer (vollständigen) Abschrift der Aufschreibungen.
Seit der Gebührengesetznovelle 1981 besteht nach der Genehmigung zur Führung eines Gebührenjournals eine VERPFLICHTUNG zur Aufnahme von Hundersatzgebühren in das Gebührenjournal (Gaier, Kommentar zum Gebührengesetz2, RZ. 55 zu § 3 GebG). Daraus folgt aber, daß die zu übermittelnde Abschrift VOLLSTÄNDIG sein muß und daß ALLE selbstberechneten Hundertsatzgebühren zum Stichtag an das Finanzamt zu entrichten sind. Die im Akt erliegende Abrechnungsliste Nr. 626-XII/2 für den Monat September 1990 enthält sieben Positionen und lautet auf eine Gesamtsumme von S 36.766,--. Sowohl die Liste selbst als auch das an das Finanzamt gerichtete Begleitschreiben wurden nicht etwa von Frau K.N., sondern von zwei Geschäftsführern der Verwaltungsgesellschaft unterfertigt. Durch die Unterfertigung wurde der Inhalt der Liste und des Begleitschreibens zu einer Erklärung der Geschäftsführer; sie haben daher die Vollständigkeit zu vertreten. Sie haben es verabsäumt, eine vollständige Liste dem Finanzamt vorzulegen und, als Folge davon, für die rechtzeitige Entrichtung zu sorgen. Daher führten die Fehlleistungen der Organe der Vertreter der Beschwerdeführerin zur Versäumung der im § 3 Abs. 4 GebG genannten Fristen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten (hg. Beschluß vom , 90/16/0042, m.w.N.). Ein Verschulden der Partei an der Fristversäumung, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, d.h. die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben (hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/16/0197 und 90/16/0129, m.w.N.). Die Beschwerdeführerin hat hinsichtlich des Verhaltens ihrer Vertreterin im Antrag vorgebracht, daß sie gewissenhaft alle Eintragungen kontrolliert habe, ist aber jede Erklärung dafür schuldig geblieben, wieso die Nichtaufnahme des gegenständlichen Rechtsgeschäftes in die Septemberliste bei Unterfertigung durch ihre Organe unentdeckt blieb. Es muß als auffallende Sorglosigkeit im Verkehr mit den Behörden angesehen werden, wenn eine Abgabenerklärung, die sich in einer Auflistung steuerrechtlich relevanter Vorgänge erschöpft, nicht auf ihre Vollständigkeit geprüft und offenbar "blind" unterfertigt wird.
Auch die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid auf das Verschulden der Geschäftsführer bei Unterfertigung der Erklärungen hingewiesen; den Beschwerdeausführungen ist ein Eingehen auf das diesbezügliche Verhalten der Organe der Verwaltungsgesellschaft nicht zu entnehmen. Da somit eine auffallende Sorglosigkeit der Vertreterin der Beschwerdeführerin zur Versäumung der im § 3 Abs. 4 GebG genannten Fristen führte, mußte der gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages gerichteten Beschwerde ein Erfolg versagt bleiben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.