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VwGH vom 30.03.1998, 97/16/0425

VwGH vom 30.03.1998, 97/16/0425

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. DDDr. Jahn, über die Beschwerde des K H in S, vertreten durch Kerres & Diwok, Rechtsanwälte in Wien I, Stubenring 18, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg vom , Zl. 700-6/96, betreffend Einleitung eines Finanzstrafverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom hat das Zollamt Feldkirch gegen den Beschwerdeführer gemäß § 83 Abs. 1 FinStrG ein Finanzstrafverfahren eingeleitet, weil der Verdacht bestehe, daß er am anläßlich seiner mit dem Flugzeug OE-FSM über das Flugfeld Hohenems-Dornbirn (Nebenweg gemäß § 21 ZollR-DG) aus der Schweiz erfolgten Einreise in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich ein Diadem, auf welches Eingangsabgaben in damals noch nicht bekannter Höhe lasteten, vorsätzlich dem Zollverfahren entzogen und hiemit ein Finanzvergehen nach § 35 Abs. 1 FinStrG begangen habe.

Die belangte Behörde wies die dagegen erhobene Administrativbeschwerde als unbegründet ab, wobei sie unter Einbeziehung des inzwischen ermittelten, auf das Diadem entfallenden Abgabenbetrages den Spruch neu faßte wie folgt:

"Gegen Herrn K H, wohnhaft in S, vertreten durch die Europa Treuhand Ernst & Young, 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 49, wird das Finanzstrafverfahren eingeleitet, weil der Verdacht besteht, daß er am anläßlich seiner mit dem Flugzeug OE-FSM über das Flugfeld Hohenems-Dornbirn (Nebenweg gem. § 21 ZollR-DG) aus der Schweiz erfolgten Einreise in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich ein Diadem, auf welches Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von S 63.043,-- entfällt, vorsätzlich dem Zollverfahren entzogen und hiemit das Finanzvergehen des Schmuggels nach § 35 Abs. 1 FinStrG begangen hat."

Die belangte Behörde ging bei ihrer Entscheidung von folgenden Sachverhaltsfeststellungen aus: Der Beschwerdeführer sei am in den Nachmittagsstunden, aus dem Schweizer Zollgebiet kommend, mit einem Flugzeug in das Zollgebiet der Gemeinschaft eingereist. Die zuerst noch allgemein gehaltene Frage des Zollorgans nach mitgeführten Waren habe der Beschwerdeführer wahrheitswidrig verneint. Auf die nachstoßende Frage, ob er irgendwelche Alkoholika oder Zigaretten dabei habe, habe er angegeben, daß er Babynahrung eingekauft habe. Erst als das Zollorgan sich damit nicht zufrieden gegeben und zur Gepäckskontrolle im Flugzeug schritt, habe der Beschwerdeführer mitgeteilt, daß er auch ein Diadem mitführe, welches dann hinten im Flugzeugrumpf in einer verschlossenen Schatulle, eingelegt in eine weiße Plastiktasche, vorgefunden worden sei.

Rechtlich ging die belangte Behörde davon aus, daß eine Ware dem Zollverfahren auch dann entzogen werde, wenn sie ihm überhaupt nicht zugeführt werde. Im Wege der Novellierung des Wortlautes des § 35 Abs. 1 FinStrG sei keine Einschränkung des nationalen Strafrechtes erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die ursprünglich an den Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem nach Ablehnung ihrer Behandlung antragsgemäß an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht darauf verletzt, daß gegen ihn kein Finanzstrafverfahren wegen des Verdachts des Finanzvergehen des Schmuggels nach § 35 Abs. 1 FinStrG eingeleitet wird.

Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten und die von der belangten Behörde erstattete Gegenschrift vor, in der die Abweisung der Beschwerde als unbegründet begehrt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer (der die von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegten Tatsachenfeststellungen selbst nicht angreift) argumentiert ausschließlich dahin, daß § 35 Abs. 1 FinStrG in der zur Tatzeit geltenden Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 421/1996 im Lichte der Bestimmung des Art. 203 Abs. 1 ZK auf das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten gar nicht anwendbar sei, weil der Begriff "Entziehen" voraussetze, daß die Zollbehörde zuvor einen Überwachungsschritt gesetzt habe.

§ 35 Abs. 1 FinStrG hatte ursprünglich folgenden Wortlaut:

"(1) Des Schmuggels macht sich schuldig, wer eingangs- oder ausgangsabgabepflichtige Waren vorsätzlich unter Verletzung einer zollrechtlichen Stellungs- oder Erklärungspflicht dem Zollverfahren entzieht."

Mit Art. X Z. 7 des Abgabenänderungsgesetzes 1994, BGBl. Nr. 680 wurden zum Zwecke der Anpassung an das Zollrecht der Europäischen Union in § 35 Abs. 1 FinStrG Anpassungen an das Zollschuldrecht des ZK vorgenommen (vgl. dazu den Bericht des Finanzausschusses, 1816 der Blg. z. d. Sten. Prot. des NR XVIII.GP) und der Text der zitierten Gesetzesstelle neu gefaßt wie folgt:

"(1) Des Schmuggels macht sich schuldig, wer eingangs- oder ausgangsabgabepflichtige Waren vorsätzlich dem Zollverfahren oder sonst der zollamtlichen Überwachung entzieht."

In dieser Fassung galt die Bestimmung zur hier maßgeblichen Tatzeit.

Mit der Novelle BGBl. 421/1996 schließlich wurde die zitierte Bestimmung dahin geändert, daß sie nunmehr zu lauten hat wie folgt:

"(1) Des Schmuggels macht sich schuldig, wer

a) eingangsabgabepflichtige Waren vorsätzlich vorschriftswidrig in das Zollgebiet oder aus einer Freizone oder aus einem Freilager in einen anderen Teil des Zollgebietes verbringt oder der zollamtlichen Überwachung entzieht oder

b) ..."

Der Zollkodex der Gemeinschaften, Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom (im folgenden kurz: ZK), regelt im Titel VII Kapitel 2 das Entstehen der Zollschuld. Dazu bestimmt u.a. Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a ZK, daß eine Einfuhrzollschuld entsteht, "wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht wird".

Im Sinne dieses Artikels ist vorschriftswidriges Verbringen jedes Verbringen unter Nichtbeachtung der Art. 38 bis 41 und 177 zweiter Gedankenstrich.

Art. 38 ZK lautet auszugsweise:

"(1) Die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbrachten Waren sind vom Verbringer unverzüglich und gegebenenfalls unter Benützung des von den Zollbehörden bezeichneten Verkehrsweges nach Maßgabe der von diesen Behörden festgelegten Einzelheiten zu befördern:

a) zu der von den Zollbehörden bezeichneten Zollstelle oder einem anderen von diesen Behörden bezeichneten oder zugelassenen Ort oder ..."

Gemäß Art. 40 ZK sind Waren, die nach Maßgabe des Art. 38 Abs. 1 Buchstabe a) bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort eintreffen, von der Person zu gestellen, welche die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht hat oder die gegebenenfalls die Beförderung der Waren nach dem Verbringen übernimmt.

Unter Gestellung ist gemäß Art. 4 Nr. 19 ZK die Mitteilung an die Zollbehörden in der vorgeschriebenen Form zu verstehen, daß sich die Waren bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort befinden.

Art. 203 Abs. 1 ZK lautet:

"(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

- wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird."

Der Beschwerdeführer vermeint dazu, die in seinem Fall

anzuwendende Fassung des § 35 Abs. 1 FinStrG ("... wer ...

Waren ... dem Zollverfahren oder sonst der zollamtlichen

Überwachung entzieht") sei zufolge des Wortlautes des Art. 203

Abs. 1 ZK (arg.: "... der zollamtlichen Überwachung entzogen

wird") nur auf diesen Fall des Entstehens einer

Einfuhrzollschuld anzuwenden, womit das Verhalten des

Beschwerdeführers nicht strafbar gewesen sei.

Dazu ist der Beschwerdeführer (wie dies die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend hervorhebt) darauf zu verweisen, daß sich der Straftatbestand des § 35 Abs. 1 FinStrG in der auf den Beschwerdefall maßgeblichen Fassung nicht in der Entziehung von Waren aus der zollamtlichen Überwachung erschöpft, sondern primär auch den Fall umfaßt, daß Waren dem Zollverfahren überhaupt entzogen werden, wobei es seit der Novelle BGBl. 681/1994 nicht mehr darauf ankommt, auf welche Art und Weise die Entziehung bewirkt wird.

Da der ZK neben Art. 203 Abs. 1 noch andere Fälle des Entstehens einer Einfuhrzollschuld kennt, insbesondere den Tatbestand gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a, existierte für den oben genannten Primärtatbestand des Schmuggels (der darin gelegen ist, daß eine Ware dem Zollverfahren überhaupt entzogen wird) gerade betreffend den Zollschuldentstehungstatbestand gemäß Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a ZK auch für den Zeitpunkt der Tat des Beschwerdeführers ein entsprechender Anwendungsbereich.

Der vom Beschwerdeführer unternommene Interpretationsversuch würde darauf hinauslaufen, daß für die Erfüllung des Tatbestandes gemäß § 35 Abs. 1 FinStrG nur mehr der Fall der Entstehung der Zollschuld gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK denkbar wäre, womit z.B. die vorsätzliche Verwirklichung des Tatbestandes nach Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a ZK ohne strafrechtliche Sanktion wäre. Für eine derartige Reduktion des Anwendungsbereiches des § 35 Abs. 1 FinStrG im maßgeblichen Zeitraum findet sich keinerlei Anhaltspunkt; im Gegenteil:

Gerade der Wille des Gesetzgebers, im Wege der Novelle BGBl. 681/1994 den Straftatbestand des § 35 Abs. 1 FinStrG an das Zollschuldrecht des ZK anzupassen, zeigt mit aller Deutlichkeit, daß der Primärtatbestand (daß die Ware dem Zollverfahren überhaupt entzogen wird) den Zweck hat, Verstöße gegen das Zollschuldrecht der Gemeinschaften, die z.B. darin gelegen sind, daß die Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht und dadurch dem Zollverfahren an sich entzogen wird, strafrechtlich zu sanktionieren. Der klassische Fall der Zollschuldentstehung nach Artikel 202 Abs. 1 Buchstabe a ZK betrifft den Einfuhrschmuggel - also die unerlaubte Wareneinfuhr, um Eingangsabgaben zu verkürzen. Beim Schmuggel ist ja geradezu typisch, daß bewußt bestehende Rechtspflichten (z.B. Gestellung, Anmeldung) nicht eingehalten werden und damit einer zollamtlichen Überwachung entgegengewirkt wird, die zugrundelegt, daß Waren umgehend und unter Benutzung des von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden bezeichneten Weges zu einer Zollstelle oder einen anderen von diesen Behörden bezeichneten und unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ort befördert werden (vgl. Art. 37 bis 47 ZK). Die Zollschuld entsteht im Zeitpunkt des vorschriftswidrigen Handelns, also mit Beginn des Verkürzungsvorganges.

In der Judikatur des Verwaltungsgerichtshof wurde auch bisher schon ausdrücklich betont, daß eine Ware dem Zollverfahren auch dadurch entzogen wird, daß sie dem Verfahren überhaupt nicht zugeführt, das heißt nicht gestellt wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/16/0227, und das dort zitierte Vorerkenntnis vom , Zl. 81/16/0081, Slg. 5670/F). An dieser Sicht hat sich mit Rücksicht auf die oben dargestellten Bestimmungen der Art. 38 und 40 ZK auch durch das Inkraftreten des ZK nichts geändert. Unter Berücksichtigung der genannten Bestimmungen hat sich der Beschwerdeführer nach den unbekämpften Sachverhaltsfeststellungen genau so verhalten, wie der Verwaltungsgerichtshof dies z.B. in seinem Erkenntnis vom , Zl. 90/16/0050, Slg. N.F. 6520/F (unter Berufung auf Vorjudikatur) betreffend die typische Begehungsform des Reiseschmuggels plastisch formuliert hat: "Die typische Begehungsform beim Reiseschmuggel ist - wie der Verwaltungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen VwSlg. 5986/F und 6041/F, dargelegt hat - die wahrheitswidrige Verneinung der Frage des Abfertigungsbeamten oder die Deklarierung einer Kleinigkeit - unter Verschweigung anderer zu verzollenden Waren - in der Erwartung, damit werde sich das die Zollabfertigung durchführende Organ zufriedengeben."

Da mit Rücksicht auf den Zollschuldentstehungstatbestand nach Art. 202 Abs. 1 Buchstabe a ZK in der Zeit, auf die § 35 Abs. 1 FinStrG idF der Novelle BGBl. 681/1994 anzuwenden war, nicht nur die Entziehung einer Ware aus einer bereits bestehenden zollamtlichen Überwachung (gemäß Art. 203 Abs. 1 ZK) den Tatbestand nach § 35 Abs. 1 FinStrG erfüllte, sondern auch ein Verhalten, wodurch die betreffende Ware dem Zollverfahren an sich entzogen wurde, kann keine Rede davon sein, daß das Verhalten des Beschwerdeführers von vornherein gar nicht strafbar gewesen wäre.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher frei von der behaupteten Rechtswidrigkeit, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war. Im Hauptverfahren wird sich die Finanzstrafbehörde insbesondere mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob allenfalls nur Versuch vorliegt.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994.