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VwGH vom 29.05.1996, 95/13/0236

VwGH vom 29.05.1996, 95/13/0236

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. DDr. Jahn, über die Beschwerde des J in G, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 7 - 910/2/95, betreffend Haftung gemäß §§ 9 und 80 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war in der Zeit vom bis zum Geschäftsführer der R.-Gesellschaft m.b.H. Als diese Gesellschaft am ihre Geschäftstätigkeit einstellte, hatte sie Verbindlichkeiten aus einem Bankkredit in Höhe von ca. 3,4 Mio. Schilling und bei weiteren Gläubigern in Höhe von ca. 1,5 Mio. Schilling. Der Bankkredit war auf einer der Alleingesellschafterin der R.-Gesellschaft m.b.H. gehörenden Liegenschaft grundbücherlich sichergestellt. Nach Einstellung des Betriebes übernahm eine Tochtergesellschaft der Alleingesellschafterin die Rückzahlungsverpflichtung für den Bankkredit und weitere Verbindlichkeiten gegen die Überlassung des Kundenstockes und der Warenbezugsquellen der R.-Gesellschaft m.b.H., worüber die R.-Gesellschaft m.b.H. auf Verlangen der ihre Rückzahlungsverpflichtungen übernehmenden Gesellschaft eine mit datierte Rechnung über den Verkauf des Firmenwertes zum Preis von S 3,000.000,-- zuzüglich 20 % Umsatzsteuer in Höhe von S 600.000,-- ausstellte. Am wurde die Firma der R.-Gesellschaft m.b.H. wegen Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht; da die Gläubiger offener Verbindlichkeiten des Unternehmens einen entsprechenden Ausfall ihrer Forderungen erlitten, kam es im Gefolge der amtswegigen Löschung der Firma der R.-Gesellschaft m. b.H. zu einer Umsatzsteuerberichtigung gemäß § 16 UStG 1972, woraus für die R.-Gesellschaft m.b.H. unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer für die "Veräußerung des Firmenwertes" in Höhe von S 600.000,-- im Ergebnis eine Umsatzsteuerzahllast für das Jahr 1992 im Betrage von S 852.867,-- erwuchs, welche bei der R.-Gesellschaft m.b.H. uneinbringlich war.

Für diesen Betrag zog das Finanzamt mit Haftungsbescheid vom den Beschwerdeführer gemäß §§ 9 und 80 BAO zur Haftung heran.

In seiner gegen diesen Haftungsbescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, zum Zeitpunkt des Entstehens der von der Haftung betroffenen Abgabenschulden über keinerlei Mittel mehr verfügt zu haben. Die Betriebseinstellung Anfang des Jahres 1991 sei deswegen erfolgt, weil die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits über keinerlei liquide Mittel mehr verfügt habe. Die einzige nachfolgende Tätigkeit des Unternehmens sei der mit der Rechnung vom verrechnete "Verkauf des Firmenwertes" gewesen, der aber keinen Mittelzufluß bewirkt habe, da der Ausgleich der Rechnung durch Aufrechnung erfolgt sei. An der Vermögenslosigkeit der Gesellschaft habe sich auch bis zum Zeitpunkt der Löschung ihrer Firma im Firmenbuch nichts geändert. Eine Benachteiligung des Abgabengläubigers sei nicht erfolgt, da kein anderer Gläubiger bevorzugt worden sei. Das Fehlen der Mittel zur Abgabenerstattung im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben schließe eine schuldhafte Verletzung der Geschäftsführerpflichten durch den Beschwerdeführer aus.

Mit Berufungsvorentscheidung vom schränkte des Finanzamt den Haftungsbetrag auf S 600.000,-- mit der Begründung ein, daß hinsichtlich der im Festsetzungsbescheid zugerechneten Vorsteuerberichtigung nach § 16 UStG 1972 kein Verschulden des Beschwerdeführers festgestellt werden könne. Unberechtigt sei das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers im Umfang der Überlassung des Kundenstockes deswegen, weil diesbezüglich sowohl die Erwerberin als auch die Verkäuferin um die nicht entrichtete Umsatzsteuer als bereichert erscheine. Werde eine bestehende Forderung von Seite der Gläubigerin nicht geltend gemacht, dann könne nicht von Mittellosigkeit gesprochen werden. Da der Beschwerdeführer es unterlassen habe, die Umsatzsteuer vom Kaufpreis einzufordern und mit geeigneten Mitteln im Namen der R.-Gesellschaft m.b.H. einzubringen, damit aus dem eingenommenen Mittel die Umsatzsteuer abgeführt werden könne, treffe ihn das maßgebliche Verschulden an der nunmehrigen Uneinbringlichkeit der Umsatzsteuerschuld.

In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz trat der Beschwerdeführer diesem Argument des Finanzamtes mit dem Vorbringen entgegen, daß die R.-Gesellschaft m.b.H. über keine weitere geltend zu machende Forderung verfügt habe. Die Erwerberin des Firmenwertes habe die Rückzahlungsverpflichtungen für einen Kredit übernommen, sodaß sich die Forderungen in gleicher Höhe gegenübergestanden und durch Aufrechnung getilgt worden seien. Eine Benachteiligung des Finanzamtes sei hiedurch nicht bewirkt worden, sodaß von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers nicht die Rede sein könne.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes zur Gänze als unbegründet ab. Unbestritten sei, führte die belangte Behörde begründend aus, daß der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der R.-Gesellschaft m.b.H. im Jahr 1992 den Firmenwert veräußert habe, wobei mit der Erwerberin vereinbart worden sei, Verbindlichkeiten in der Höhe des Rechnungsbetrages zu übernehmen. Der Beschwerdeführer habe damit keine Vorkehrungen dafür getroffen, daß die durch das Veräußerungsgeschäft anfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt werden könne. Im Hinblick auf die durch völlige Überschuldung und Betriebseinstellung schon im Jahr 1991 gekennzeichnete wirtschaftliche Situation des Betriebes habe der Beschwerdeführer gegen die Pflicht verstoßen, die Benachteiligung von Abgabenforderungen zu vermeiden, weil er nicht damit habe rechnen können, über Barmittel zur Bezahlung der in der Rechnung enthaltenen Umsatzsteuer verfügen zu können. Der Beschwerdeführer habe zudem in seiner Berufung auch angeführt, Kundenforderungen an die Hausbank zediert zu haben. Es habe der Beschwerdeführer damit trotz der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens auch hier keine Vorsorge getroffen, über erhaltene Mittel verfügen zu können, um alle andrängenden Gläubiger, somit auch den Bund als Abgabengläubiger aliquot zu befriedigen. Die in der Berufungsvorentscheidung zum Ausdruck gebrachte Einschränkung der Haftung erweise sich damit nicht als rechtens.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt; dem Inhalt seines Vorbringens nach erachtet er sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht darauf als verletzt, nicht ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Haftung für uneinbringliche Abgabenschulden der R.-Gesellschaft m.b.H. herangezogen zu werden.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff leg. cit. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Nach § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Voraussetzung für die Haftung sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit. Dem Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren Abgaben nicht entrichtet wurden und uneinbringlich geworden sind, trifft im Haftungsverfahren die Obliegenheit darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, daß die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf. Im Falle des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und den Rechtswidrigkeitszusammenhang (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 91/13/0181, mit weiteren Nachweisen).

Zutreffend verweist der Beschwerdeführer zunächst darauf, daß sein Vorbringen über die völlige Mittellosigkeit der Gesellschaft nach Einstellung der Geschäftstätigkeit anfangs des Jahres 1991 von der belangten Behörde nicht widerlegt werden konnte. Verfügte der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Entstehens der Abgabenschuldigkeiten über keinerlei Gesellschaftsmittel mehr, dann konnte es ihm auch nicht als Pflichtwidrigkeit angelastet werden, nicht vorhandene Mittel nicht abgeführt zu haben. Der Beschwerdeführer übersieht dabei aber, daß die belangte Behörde eine ihn treffende, für die Uneinbringlichkeit der Abgaben kausale Pflichtverletzung aus anderen Umständen als der unterlassenen Abfuhr vorhandener Mittel abgeleitet hat. Im Umfang der Umsatzsteuerschuld aus der Veräußerung des Firmenwertes macht die belangte Behörde es dem Beschwerdeführer zum Vorwurf, mit der die Rückzahlungsverbindlichkeiten übernehmenden Gesellschaft ein Rechtsgeschäft abgeschlossen zu haben, dessen Erfüllungsmodalitäten in einer Weise vereinbart wurden, die dem Beschwerdeführer die Entrichtung der aus dem Leistungsaustausch erfließenden Umsatzsteuerschuld zwangsläufig unmöglich machen mußte. Die Berechtigung dieses Vorwurfes aber trägt den angefochtenen Haftungsbescheid in diesem Umfang.

Wohl trifft es zu, daß unter jenen im § 9 Abs. 1 BAO genannten Pflichten, deren schuldhafte Verletzung eine der Voraussetzungen für die Haftung des Vertreters ist, nur abgabenrechtliche Verpflichtungen und damit ausschließlich solche Obliegenheiten zu verstehen sind, die in Abgabenvorschriften wurzeln (vgl. erneut das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom , 91/13/0181), doch hat der Verwaltungsgerichtshof es immer wieder auch als abgabenrechtlich relevante Pflichtverletzung angesehen, wenn der Vertreter einer Gesellschaft durch den Abschluß eines ihn völlig knebelnden Vertrages sich des Handlungsspielraumes hinsichtlich der Abstattung der Schuldigkeiten gegenüber der Abgabenbehörde begeben hatte (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 92/14/0088, mit weiteren Nachweisen). Vergleichbare Überlegungen sind auch in der Beurteilung jenes Rechtsgeschäftes am Platz, mit welchem der Beschwerdeführer als Vertreter der R.-Gesellschaft m.b.H. den Firmenwert dieses Unternehmens veräußert hatte. Fand sich der Beschwerdeführer dazu bereit, den Firmenwert der Gesellschaft um ein Entgelt zu veräußern, dessen davon durch die Gesellschaft zu entrichtende Umsatzsteuer zufolge Bestandes einer Gegenforderung der erwerbenden Gesellschaft in der vollen Höhe des Bruttokaufpreises ihm zwangsläufig nicht zufließen konnte, dann war die in Kenntnis der völligen Mittellosigkeit der Gesellschaft unternommene Einlassung des Beschwerdeführers in einen solchen Leistungsaustausch als ein Verhalten zu beurteilen, mit dem er das Entstehen einer zwangsläufig uneinbringlichen Abgabenschuld herbeigeführt und damit die ihn als Vertreter der abgabepflichtigen Gesellschaft treffende Pflicht verletzt hat, für die Möglichkeit der Entrichtung der anfallenden Abgaben Sorge zu tragen.

Anderes gilt allerdings für die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gleichfalls aufrecht erhaltene Haftung des Beschwerdeführers für die im Gefolge der amtswegigen Löschung der Firma der Gesellschaft durch Umsatzsteuerberichtigung angewachsenen Umsatzsteuerschulden. Insofern die belangte Behörde die Aufrechterhaltung des Haftungsbescheides auch in diesem Umfang damit zu begründen können glaubte, daß der Beschwerdeführer in seiner Berufung auch angegeben habe, sämtliche Kundenforderungen seien an die Hausbank zediert worden, trägt diese Begründung ihren Bescheid schon deswegen nicht, weil die Wirkungen einer solchen Abtretung zum Zeitpunkt des Entstehens der durch die Umsatzsteuerberichtigung ausgelösten Abgabenforderungen durch die zwischenzeitige Übernahme der Rückzahlungsverpflichtungen gegenüber der Bank durch die Tochtergesellschaft der Alleingesellschafterin der R.-Gesellschaft m.b.H. rechtlich bereits überholt gewesen sein mußten, sodaß die seinerzeitige Abtretung bestandener Kundenforderungen an die Hausbank für die Uneinbringlichkeit der erst später entstandenen Abgabenschulden aus der Umsatzsteuerberichtigung nicht mehr kausal gewesen sein konnte. Angesichts der auch von der belangten Behörde nicht bestrittenen absoluten Vermögenslosigkeit der R.-Gesellschaft m. b.H. aber zum Zeitpunkt des Entstehens und der Fälligkeit der durch die Umsatzsteuerberichtigung nach § 16 UStG 1972 ausgelösten Abgabenverbindlichkeiten war es rechtswidrig, dem Beschwerdeführer eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten im Umfang auch der Uneinbringlichkeit dieser Abgabenschuldigkeiten der Gesellschaft anzulasten.

Die belangte Behörde hat ihren Bescheid im aufgezeigten Umfang daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.