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VwGH vom 30.06.1994, 92/15/0211

VwGH vom 30.06.1994, 92/15/0211

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde der D in B, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. 6/4-4075/92-07, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung der Berufung gegen die Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuerbescheide für die Jahre 1986 bis 1988, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom beantragte der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin in deren Namen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen die der Beschwerdeführerin zu Handen ihres steuerlichen Vertreters am zugestellten Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuerbescheide für die Jahre 1986 bis 1988; dies mit der Begründung, daß in der Woche, in der die Berufungsfrist abgelaufen sei, die für die Vormerkung und Einhaltung sämtlicher Zahlungserleichterungsansuchen sowie Berufungsfristen zuständige Sekretärin, Frau T., auf Urlaub gewesen sei. "Die für diese Belange während des Urlaubes von Frau T. befaßte Hilfskraft im Sekretariat" des steuerlichen Vertreters der Beschwerdeführerin habe es jedoch verabsäumt, die Berufungsfrist gegen die genannten Bescheide zu erfassen (vorzumerken).

Die vom Finanzamt niederschriftlich einvernommene Hilfskraft, Frau F., gab an, sie sei seit März 1990 als Büroangestellte in der Kanzlei des steuerlichen Vertreters der Beschwerdeführerin tätig. Sie vertrete Frau T., die für die Vormerkung und Einhaltung von Fristen verantwortlich sei, zwar nicht, sehe aber bei deren Abwesenheit die Post durch und gebe, was ihr wichtig erscheine, an den steuerlichen Vertreter weiter. Die den Gegenstand des Wiedereinsetzungsantrags bildende Berufungsfrist sei wegen der Abwesenheit von Frau T. nicht vorgemerkt worden. Sie (Frau F.) habe aber die Bescheide am Tag des Einlagens an den steuerlichen Vertreter der Beschwerdeführerin weitergegeben und von diesem nicht den Auftrag erhalten, eine Frist vorzumerken. Der eben Genannte habe sich bezüglich des Fristvormerks auf die damals nicht anwesende Frau T. verlassen, die diesen Fristvormerk auch nach ihrer Rückkehr nicht habe nachtragen können, weil sie (Frau F.) die Bescheide mittlerweile an den steuerlichen Vertreter weitergegeben habe. Unter einem mit dem Wiedereinsetzungsantrag erhob die Beschwerdeführerin Berufung gegen die genannten Abgabebescheide.

Mit Bescheiden je vom wies das Finanzamt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO ab und die Berufung gegen die Abgabenbescheide wegen nicht fristgerechter Einbringung gemäß § 273 Abs. 1 lig. cit. zurück. Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen; dies nach Darstellung des Sachverhaltes und der Rechtslage im wesentlichen mit der Begründung, daß es Sache des steuerlichen Vertreters der Beschwerdeführerin gewesen wäre, zu prüfen, ob bei Abwesenheit der Sekretärin die dann tätige Hilfskraft alle Aufgaben ordnungsgemäß wahrnehme. Ein bevollmächtigter Parteienvertreter habe die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozeßhandlungen, etwa die fristgerechte Einbringung von Rechtsmitteln, gesichert erscheine. Dabei sei durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen seien. Der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin hätte, nachdem ihm die Hilfskraft die Abgabenbescheide - angesichts der von ihr erkannten Wichtigkeit - persönlich überreicht gehabt habe, die Hilfskraft entweder mit der Fristvormerkung betrauen oder ihr ausdrückliche Anweisungen über die weitere Vorgangsweise erteilen müssen. Er hätte sich ferner - zumindest stichprobenartig - zu vergewissern gehabt, daß auch im Krankheitsfall der Sekretärin alle erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Fristversäumnissen getroffen würden. Derartiges sei im Beschwerdefall aber nicht einmal behauptet worden. Bei einem hinsichtlich der Fristenwahrung unzureichendem Kontrollsystem und auch in Fällen, in denen ein steuerlicher Vertreter seine Aufsichtspflicht überhaupt nicht erkannt habe, könne auch nicht von einem bloß minderen Grad des Versehens gesprochen werden. Sei aber auf Grund des Gesagten der Wiedereinsetzungsantrag zu Recht abgewiesen worden, so sei auch die Zurückweisung der Berufung gegen die Abgabenbescheide nicht rechtswidrig gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach ihrem gesamten Vorbringen Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 308 Abs. 1 BAO idF. der Novelle BGBl. Nr. 151/1980 ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während das Verschulden eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Verschulden der Partei oder des bevollmächtigten Rechtsanwaltes nicht schlechterdings gleichgesetzt werden darf; das Versehen eines Kanzleibediensteten stellt für den Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne der genannten Gesetzesstelle dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleibediensteten nachgekommen ist. Hiebei ist zu beachten, daß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Aufgaben, die aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit erfüllen muß, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Er muß gegenüber diesem Apparat alle Vorsorgen treffen, die die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gewährleisten, die ihm nach dem Bevollmächtigungsvertrag obliegen. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und in dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumung in Betracht. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen u.a. dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt z.B. verstößt darnach auch dann gegen eine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind. Ein Verschulden trifft den Rechtsanwalt in einem solchen Fall nur dann nicht, wenn dargetan wird, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten beruht. Alle diese Grundsätze gelten auch für Wirtschaftstreuhänder, die gemäß § 33 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit §§ 31 und 32 der Wirtschaftstreuhänder-Berufsordnung, BGBl. Nr. 125/1955 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung, unter anderem zur Vertretung ihrer Auftraggeber im Abgabenverfahren vor den Finanzbehörden des Bundes befugt sind.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung weiters dargetan hat, ist das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gesteckt ist (vgl. zu allen diesen Rechtsfragen beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , Zl. 86/18/0236, und die dort bezogene weitere Rechtsprechung). Nun hat jedoch die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren keinerlei Behauptungen darüber aufgestellt, geschweige denn glaubhaft gemacht, daß die Versäumung der Berufungsfrist ohne Verschulden ihres steuerlichen Vertreters eingetreten wäre. Insbesondere wird im Wiedereinsetzungsantrag nicht behauptet, daß der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin die Organisation seines Kanzleibetriebes so eingerichtet hat, daß die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Berufungsfristen ganz allgemein und im besonderen Fall der vorübergehenden Abwesenheit einer ansonsten mit der Vormerkung von Terminen befaßten (verläßlichen) Kanzleikraft sichergestellt ist. Da insofern dem steuerlichen Vertreter der Beschwerdeführerin nicht nur ein minderer Grad des Versehens anzulasten ist, haftet dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit des Inhaltes nicht an. Auf die weiteren im angefochtenen Bescheid hervorgehobenen Umstände und das dazu erstattete Beschwerdevorbringen kam es hiebei nicht mehr an.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2.