VwGH vom 24.04.1990, 89/05/0009
Betreff
1.) Dipl.-Ing. AM, 2.) Dr. BM, 3.) Dr. CM und 4.) Dr. DN gegen die Bauoberbehörde für Wien, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht mangels Erledigung einer Berufung in einer Bausache
Spruch
Gemäß § 42 Abs. 5 VwGG in Verbindung mit § 62 Abs. 2 VwGG wird der Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom , MA 37/19-GH-Weg E 731/1976/88, gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 aufgrund der Berufung der Beschwerdeführer dahingehend geändert, daß Regenwässer von der Verpflichtung zum Kanalanschluß ausgenommen werden und die Verpflichtung zur Beseitigung einer Sickergrube entfällt; im übrigen wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 5.415,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erteilte der Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid vom den Beschwerdeführern als Eigentümern der Baulichkeit auf der Liegenschaft in Wien 19, H-Weg ONr. n, den auf § 2 Abs. 1 des Wiener Kanalgesetzes gestützten Auftrag, binnen einer Frist von sechs Monaten nach Rechtskraft des Bescheides alle Abwässer in den Straßenkanal zu leiten und nach hergestellter Einmündung innerhalb eines Monates die Senkgrube bzw. Sickergrube zu beseitigen. Begründet wurde dies im wesentlichen damit, daß die Verpflichtung zum Kanalanschluß durch die nunmehrige Herstellung des öffentlichen Straßenkanals (im Bereich des GH-Weges) entstanden sei, weil die Liegenschaft nicht mehr als 30 m vom Straßenkanal entfernt sei. Im Bereich des H-Weges werde der Straßenkanal nur bis zum Haus H-Weg ONr. t hergestellt werden.
Gegen diesen Auftrag erhoben die Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Berufung. Gleichzeitig beantragten sie eine Ausnahme von der Verpflichtung zum Anschluß an das öffentliche Kanalnetz. Gemäß § 2 Abs. 1 des Gesetzes über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren bestehe die Verpflichtung zur Einleitung nur dann, wenn der Bauplatz vom Straßenkanal nicht mehr als 30 m entfernt sei. Dem Gesetz sei allerdings nicht zu entnehmen, was unter dem Begriff des Bauplatzes zu verstehen sei. Da die Verpflichtung zur Einleitung nicht unmittelbar an das Vorliegen eines Bauplatzes anknüpfe, sondern voraussetze, daß auf dem Bauplatz ein Gebäude errichtet sei, scheine es naheliegend, bei der Auslegung des Begriffes "Bauplatz" nicht von jener Grundfläche auszugehen, die nach der Bauordnung als Bauplatz bewilligt worden ist, sondern von der vom Gebäude eingenommenen Grundfläche einschließlich jener Grundflächen, die nach den Bebauungsvorschriften als notwendiges Zubehör zum Bau (als Vorgarten etc.) unbebaut bleiben müssen. Schließlich sollten nach dem Willen des Gesetzgebers die Abwässer bloß aus einem Gebäude abgeleitet werden und nicht von einem Bauplatz, der üblicherweise als solcher mit Abwässern welcher Art auch immer kaum belastet sein werde. Im gegenständlichen Fall sei zwar zugegebenermaßen, wenn auch nur zufällig, die gesamte Liegenschaft als Bauplatz bewilligt, doch sei das darauf errichtete Gebäude mit einer Grundfläche von rund 70 m2 mehr als 40 m von dem in Bau befindlichen Kanal entfernt. Die restliche Liegenschaft sei gärtnerisch gestaltet bzw. unverbaut. Nach Ansicht der Beschwerdeführer bestehe daher keine Verpflichtung zur Einleitung der Abwässer in den künftigen Kanal. Überdies gebe es auf der Liegenschaft keine Sickergrube. Aus dem im Akt erliegenden Plan ergebe sich zweifelsfrei, daß zwischen der Liegenschaft und dem GH-Weg, unter dem der in Bau befindliche Kanal verlaufen werde, noch eine Grundfläche liege, die nicht im Eigentum der Beschwerdeführer stehe. Es bestehe aber die Verpflichtung zur Einleitung nur dann, wenn der Bauplatz vom Straßenkanal ohne Verbindung über eine andere Liegenschaft nicht mehr als 30 m entfernt sei. Da somit die Herstellung des Kanalanschlusses die Zustimmung eines anderen Liegenschaftseigentümers voraussetze, die von den Beschwerdeführern selbstverständlich nicht erzwungen werden könne, sei der angefochtene Bescheid auch in diesem Punkt rechtswidrig. Aus dem im Akt erliegenden Plan gehe ferner hervor, daß etwa in der Mitte der Liegenschaft eine Linde mit einem Stammdurchmesser von weit mehr als 1 m stehe. Ein Verfahren gemäß § 13 des Wiener Naturschutzgesetzes mit dem Zweck, diesen Baum zum Naturdenkmal zu erklären, sei anhängig, demnächst werde der Bescheid gemäß § 14 leg. cit. erlassen werden. Damit sei es den Beschwerdeführern untersagt, irgendwelche Eingriffe vorzunehmen, die den Bestand des Baumes gefährden könnten. Dem angefochtenen Bescheid stünden daher durch das Wiener Naturschutzgesetz geschützte Interessen diametral entgegen, weshalb der Bescheid unter dem Aspekt, daß in der heutigen Zeit Naturschutzinteressen jedenfalls den Vorrang haben müßten, rechtswidrig zu sein scheint.
Zu diesen Vorbringen wurde das Gutachten eines Amtssachverständigen der Wasserbauabteilung des Wiener Magistrates eingeholt, der im einzelnen begründet, aus welchen Erwägungen gegen eine Versickerung der Regenwässer keine Bedenken bestünden, gleichzeitig aber einer Ausnahme zur Ableitung der Schmutzwässer nicht zugestimmt werden könne.
Mit Bescheid des Wiener Magistrates vom wurde gemäß § 2 Abs. 3 des Wiener Kanalgesetzes der Antrag auf Ausnahme von der Verpflichtung zur Ableitung der Schmutzwässer abgewiesen, von einem Ausspruch über die Verpflichtung zur Ableitung von Regenwässern jedoch Abstand genommen.
In ihrer beim Verwaltungsgerichtshof am eingelangten Säumnisbeschwerde rügen die Beschwerdeführer, daß die Bauoberbehörde für Wien durch mehr als sechs Monate nach Einlangen der Berufung gegen den Bescheid vom über diese bisher nicht entschieden habe. Mit Verfügung vom leitete der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 35 Abs. 3 VwGG das Vorverfahren ein. Der belangten Behörde wurde die Beschwerde mit dem Auftrag zugestellt, gemäß § 36 Abs. 2 VwGG innerhalb der Frist von drei Monaten den versäumten Bescheid zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege, und dazu gemäß § 36 Abs. 1 VwGG die Akten des Verwaltungsverfahrens vorzulegen. Mit Schriftsatz vom legte die Bauoberbehörde für Wien die Verwaltungsakten vor. In einem ergänzenden Ermittlungsverfahren prüfte der Verwaltungsgerichtshof die Fragen der rechtlichen und tatsächlichen Existenz der Verkehrsfläche GH-Weg, die Errichtung des öffentlichen Straßenkanals und die Voraussetzungen der Kanalanschlußpflicht sowie die mögliche Herstellung eines öffentlichen Straßenkanales auf dem H-Weg. Zum Ergebnis des ergänzenden Ermittlungsverfahrens bot der Verwaltungsgerichtshof den Beschwerdeführern Parteiengehör, das von diesen allerdings nicht genutzt wurde.
Zunächst ist davon auszugehen, daß zu Recht Säumnisbeschwerde erhoben wurde, weil die belangte Behörde durch mehr als sechs Monate nicht über die Berufung der Beschwerdeführer gegen den erstinstanzlichen Auftrag zum Kanalanschluß entschieden hat (vgl. § 27 VwGG).
In der Sache selbst hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Nach § 2 Abs. 1 des Wiener Kanalgesetzes, LGBl. Nr. 22/1955, müssen von Baulichkeiten auf Bauplätzen alle Abwässer unterhalb der Verkehrsflächen in den Kanal geleitet werden, wenn der Bauplatz von einem bei der Bauführung bereits bestehenden Straßenkanal ohne Verbindung über eine andere Liegenschaft nicht mehr als 30 m entfernt ist. Dieselbe Verpflichtung zur Einmündung tritt ein, wenn der Straßenkanal nach Errichtung der Baulichkeit hergestellt wird.
Das durchgeführte Ermittlungsverfahren hat, von den Beschwerdeführern unbestritten, ergeben, daß ein Straßenkanal nach Errichtung der Baulichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 zweiter Satz des Wiener Kanalgesetzes hergestellt worden ist.
Die Liegenschaft der Beschwerdeführer (H-Weg n) schließt unmittelbar an den GH-Weg und den H-Weg an. Das bedeutet aber, wie die Behörde erster Instanz zutreffend ausgeführt hat, daß der Bauplatz von dem 1988 errichteten Straßenkanal nicht mehr als 30 m entfernt ist. Auf die Entfernung des Gebäudes vom Straßenkanal kommt es dabei nicht an, da § 2 Abs. 1 des Wiener Kanalgesetzes nur auf die Entfernung der LIEGENSCHAFT zum Straßenkanal abstellt. Ob sich die bestehende Verkehrsfläche im Eigentum der Stadt Wien oder im Eigentum des Bundes befindet, ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zum Kanalanschluß nach § 2 Abs. 1 des Wiener Kanalgesetzes ohne Bedeutung, handelt es sich doch dabei nicht um eine andere Liegenschaft im Sinne der zitierten Gesetzesstelle (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 89/05/0032).
Das in der Berufung gleichermaßen wie in der Beschwerde vorgebrachte Argument der Beschwerdeführer, daß bei einem Kanalbau eine mittlerweile mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom zum Naturdenkmal erklärte Sommerlinde derart beschädigt würde, daß das Absterben des Baumes unvermeidlich wäre, vermag an der Verpflichtung zum Kanalanschluß mangels Berücksichtigung einer derartigen Situation durch den Gesetzgeber nichts zu ändern.
Schließlich hat der Verwaltungsgerichtshof noch die Frage geprüft, ob die Errichtung eines öffentlichen Kanales auf der Verkehrsfläche H-Weg vorgesehen ist, was zu dem Ergebnis geführt hat, daß dies nicht der Fall ist. Die Wiener Stadtverwaltung beabsichtigt nämlich, im Bereich des H-Weges nur bis zum Haus Nr. t einen öffentlichen Kanal herzustellen. Berücksichtigt man die in diesem Bereich gegebene tatsächliche Verbauung und die im Flächenwidmungsplan festgesetzte Baulandwidmung, so erweist sich eine solche Absicht als sachgerecht, ist doch im Bereich des H-Weges nur bis zur Liegenschaft Nr. t eine beiderseitige Bebauung möglich. Der eingeholte Flächenwidmungs- und Bebauungsplan Plandokument u weist im übrigen für die Liegenschaft der Beschwerdeführer die Widmung Bauland- Wohngebiet aus, sodaß etwa die im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. N.F. Nr. 4811/A, angestellten Erwägungen über eine Ausnahme vom Anschlußzwang hier nicht Platz greifen. Über die Frage einer solchen Ausnahme hat in der Zwischenzeit der Wiener Magistrat mit Bescheid vom bereits rechtskräftig entschieden. Da in diesem Bescheid von einem Abspruch über die Verpflichtung zur Ableitung von Regenwässern in den öffentlichen Straßenkanal Abstand genommen worden ist, war in dieser Beziehung sowie wegen der damit verbundenen Entbehrlichkeit der Beseitigung einer Sickergrube für die Einleitung von Regenwässern der erstinstanzliche Bescheid spruchgemäß abzuändern. Im übrigen erweist sich die Berufung aufgrund der dargelegten Erwägungen als unbegründet.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Antrages auf die §§ 47 ff. VwGG sowie auf die Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.