VwGH vom 30.03.1998, 97/16/0172
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
97/16/0173
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn in den Beschwerdesachen 1) des BK in G und 2) des PK in W, beide vertreten durch
Dr. Werner J. Loibl, Rechtsanwalt in Wien I, Riemergasse 14, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zlen. GA 7 - 635/97 und GA 7 - 634/97, betreffend Vollstreckbarkeitserklärung hinsichtlich Eingangsabgaben, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 25.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom begehrte die Oberfinanzdirektion Hannover von der belangten Behörde Rechts- und Amtshilfe in Zoll-, Verbrauchsteuer- und Monopolangelegenheiten nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom (BGBl. Nr. 430/1971, im folgenden: Vertrag). Begehrt wurden Sicherungsmaßnahmen wegen Abgabenforderungen gegen die beiden Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf Art. 12 des Vertrages. Steuerschuldner der in den angeschlossenen Rückstandsanzeigen ausgewiesenen Beträge von zusammen DM 77,137.936,99, derentwegen um Sicherungsmaßnahmen ersucht werde, seien die beiden Beschwerdeführer als Gesamtschuldner. Das Hauptzollamt Hannover habe die beiden Beschwerdeführer mit Steuerbescheiden vom und für entstandene Einfuhrabgaben in Anspruch genommen. Gegen die beiden Steuerbescheide seien Rechtsbehelfe eingelegt worden, weshalb vorerst nur um Vornahme von Sicherungsmaßnahmen nach Art. 12 des Vertrages ersucht wurde.
Vollstreckungsmöglichkeiten gegen die Beschwerdeführer seien im Inland (in der Bundesrepublik Deutschland) nicht gegeben.
Angeschlossen wurden die beiden den Erstbeschwerdeführer betreffenden Rückstandsanzeigen vom mit dem Ordnungsbegriff SK 001596000142 und SK 000595000063 sowie die beiden den Zweitbeschwerdeführer betreffenden Rückstandsanzeigen vom , SK 001596000143 und SK 000595000077.
Die belangte Behörde ersuchte mit Schreiben vom das Finanzamt Gänserndorf bzw. das Finanzamt für den 21. und 22. Bezirk um Durchführung von Sicherungsmaßnahmen im Sinne des Art. 12 des Vertrages.
Der Spruch des erstangefochtenen Bescheides lautet wie folgt:
"Die beiden Rückstandsanzeigen des Hauptzollamtes Hannover vom über Abgabenschulden des Herrn ... (Erstbeschwerdeführer), wohnhaft in ..., werden anerkannt und für vollstreckbar erklärt.
Der zu vollstreckende Geldbetrag von insgesamt 77,137.936,99 Deutsche Mark wird in 544,863.817,92 Österreichische Schilling umgerechnet."
Der zweitangefochtene Bescheid hat mit Ausnahme des Namens und der Adresse des Zweitbeschwerdeführers denselben Inhalt. In den Begründungen wird auf Art. 11 Abs. 2 des Vertrages verwiesen. Die Umrechnung des DM-Betrages in österreichische Währung sei gemäß Art. 11 Abs. 3 des Vertrages erfolgt.
Gegen diese beiden Bescheide richten sich die vorliegenden, vom ursprünglich angerufenen Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetretenen Beschwerden. Die Beschwerdeführer erachten sich in ihrem Recht verletzt, daß die Rückstandsanzeigen des Hauptzollamtes Hannover nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen anerkannt und vollstreckbar erklärt werden; sie machen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Der Bundesminister für Finanzen legte die Verwaltungsakten und die Gegenschriften der belangten Behörde vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und erwogen:
Vorweg ist auf den dritten Satz des § 120 Abs. 1c des Zollrechts-Durchführungsgesetzes in der Fassung der 3. Zollrechts-Durchführungsgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 13/1998, zu verweisen: Danach sind die §§ 85a bis 85f auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem EU-Beitritt ereignet haben. Nach den beiden vorliegenden Bescheiden des Hauptzollamtes Hannover vom und vom werden Eingangsabgaben für Einfuhren nach Deutschland in den Jahren 1992 und 1993 begehrt. Allein das ist der "Sachverhalt", aufgrund dessen zunächst die ersuchende und in der Folge die ersuchte Behörde eingeschritten sind. Die neuen Bestimmungen über das Rechtsbehelfsverfahren in der 3. Zollrechts-Durchführungsgesetz-Novelle kommen daher noch nicht zur Anwendung.
Die (auch) die Vollstreckung von in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Gemeinschaften geschaffenen Abgabentitel betreffende sogenannte "Beitreibungsrichtlinie" (76/308/EWG) wurde innerstaatlich durch das EG-Vollstreckungsamtshilfegesetz, BGBl. Nr. 658/1994, hinsichtlich der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben durch die §§ 117 bis 119 Zollrechtsdurchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 (ZollR-DG), umgesetzt. Gemäß § 117 Abs. 1 ZollR-DG wird Amtshilfe zur Einhebung und zwangsweisen Einbringung (Vollstreckung) von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben nur geleistet nach Maßgabe völkerrechtlicher Vereinbarungen oder der Richtlinie des Rates (76/308/EWG) vom ... (Beitreibungsrichtlinie).
Aufgrund des Umstandes, daß der Vertrag innerstaatlich bislang nicht außer Kraft gesetzt wurde, stellt sich die Frage, ob der Vertrag neben der Beitreibungsrichtlinie bzw. den §§ 117 bis 119 ZollR-DG anzuwenden ist. In der Präambel zur Richtlinie heißt es diesbezüglich:
"Diese Richtlinie darf nicht dazu führen, daß die gegenseitige Unterstützung, die sich einige Mitgliedstaaten aufgrund bilateraler oder multilateraler Abkommen oder Vereinbarungen gewähren, eingeschränkt wird."
Wenn somit gemäß § 117 Abs. 1 lit. a ZollR-DG Amtshilfe nach Maßgabe völkerrechtlicher Vereinbarungen oder der Beitreibungsrichtlinie (lit. b) geleistet wird, dann bedeutet dies, daß im Verhältnis zu Mitgliedstaaten der EU die Richtlinie neben den zweiseitigen Abkommen gilt (Beermann in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur deutschen Abgabenordnung, Rz. 170 zu § 250). Die belangte Behörde konnte daher auch auf Basis der durch den EU-Beitritt geänderten Rechtslage aufgrund des Vertrages vorgehen.
Die Art. 11 und 12 des Vertrages lauten:
"Artikel 11
Vollstreckung
(1) Dem Ersuchen um Vollstreckung ist eine Ausfertigung des Exekutionstitels (Entscheidung, Rückstandsanzeige, Rückstandsausweise) sowie eine Bescheinigung der zuständigen Oberfinanzdirektion oder der zuständigen Finanzlandesdirektion beizufügen, daß die dem Ersuchen zugrunde liegende Entscheidung unanfechtbar und vollstreckbar ist.
(2) Exekutionstitel, die den Bestimmungen des Absatzes 1 entsprechen, sind von der zuständigen Oberfinanzdirektion oder Finanzlandesdirektion des ersuchten Staates anzuerkennen und für vollstreckbar zu erklären. Artikel 4 bleibt unberührt.
(3) Die Vollstreckung wird in der Währung des ersuchten Staates durchgeführt. Zu diesem Zweck hat die Oberfinanzdirektion oder Finanzlandesdirektion den zu vollstreckenden Geldbetrag in ihre Landeswährung umzurechnen. Für die Umrechnung maßgebend ist in der Bundesrepublik Deutschland der in Frankfurt am Main festgestellte amtliche Devisenkurs für telegraphische Auszahlung und in der Republik Österreich der an der Wiener Börse notierte Devisenkurs für Zahlung Frankfurt am Main an dem Tage, an dem das Ersuchen bei der Oberfinanzdirektion oder der Finanzlandesdirektion eingegangen ist.
(4) Die Exekutionstitel werden in der gleichen Weise wie gleichartige Exekutionstitel des ersuchten Staates vollstreckt.
(5) Über Einwendungen gegen die Maßnahmen nach den Absätzen 2 und 3 sowie gegen die Zulässigkeit oder die Art der Vollstreckung entscheiden die zuständige Behörde des ersuchten Staates nach dessen Recht.
(6) Einwendungen gegen das Bestehen, die Höhe oder die Vollstreckbarkeit des Anspruches, dessen Erfüllung erzwungen werden soll, sind von der zuständigen Behörde des ersuchenden Staates nach dessen Recht zu erledigen. Werden solche Einwendungen bei der ersuchten Behörde erhoben, so sind sie der ersuchenden Behörde zu übermitteln, deren Entscheidung abzuwarten ist; Maßnahmen zur Sicherung der Vollstreckung können getroffen werden.
Artikel 12
Sicherungsmaßnahmen
Auf Grund eines vollstreckbaren, jedoch nicht unanfechtbaren Exekutionstitels kann nur um Vornahme von Sicherungsmaßnahmen ersucht werden. Artikel 11 ist sinngemäß anzuwenden."
Die angefochtenen Bescheide lassen weder im Spruch noch in der Begründung erkennen, daß von der ersuchenden Behörde die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen begehrt werde. Es werden Rückstandsanzeigen "anerkannt und für vollstreckbar erklärt"; in der Begründung wird nur auf Art. 11 Abs. 2 des Vertrages, nicht aber auf Art. 12 verwiesen. Die belangte Behörde entgegnet dem Vorwurf, es sei über das Rechtshilfeersuchen hinausgegangen worden, mit dem Hinweis auf ihre oben erwähnten Schreiben an die Finanzämter. Diese Schreiben wurden jedoch nicht Bescheidinhalt und entfalten keinerlei normative Wirkung.
Zwar ergibt sich aus dem Vertrag nicht, daß ein gemäß § 11 Abs. 2 erlassener Bescheid einen Hinweis auf Sicherungsmaßnahmen enthalten muß. Art. 12 nennt ausdrücklich vollstreckbare, jedoch nicht unanfechtbare Exekutionstitel, aufgrund derer um die Vornahme von Sicherungsmaßnahmen ersucht werden kann. Es konnte daher erklärt werden, daß die Rückstandsausweise "vollstreckbar" sind. Andererseits sind nach § 11 Abs. 2 des Vertrages Exekutionstitel die den Bestimmungen des Abs. 1 entsprechen, "anzuerkennen". Hier liegt ein Exekutionstitel vor, der den Bestimmungen des Abs. 1 nicht entspricht, weil eine Bescheinigung, daß die Rückstandsausweise auch "unanfechtbar" seien, nicht vorgelegt wurde; die Bescheinigungen beziehen sich ausdrücklich nur auf die Vollstreckbarkeit. Eine Anerkennung gemäß Art. 11 Abs. 2 des Vertrages ohne jeden Hinweis auf Art. 12 des Vertrages erweckt den Eindruck, daß ein Exekutionstitel im Sinne des Art. 11 Abs. 1 des Vertrages vorliegt. Im Fall des Art. 12 des Vertrages kann daher keine "Anerkennung", sondern nur eine Erklärung der Vollstreckbarkeit erfolgen.
Da die belangte Behörde über die Schranken des Art. 12 hinaus die Rückstandsausweise ausdrücklich "anerkannt" hat und ihnen damit eine dem Art. 11 Abs. 1 widersprechende Qualifikation zugebilligt hat, belastete sie ihre Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, sodaß sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren. Auf die geltend gemachten Verfahrensrügen ist daher nicht weiter einzugehen; allerdings fällt auf, daß die Beschwerdeführer gar nicht behaupten, daß der Umrechnungskurs am (Einlangen des Ersuchens bei der belangten Behörde) ein anderer gewesen sei, als jener, den die belangte Behörde bei ihrer Umrechnung herangezogen hat. Auch lassen sich die Rückstandsauweise ohne weiteres, wie eingangs dargestellt, zuordnen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994, hinsichtlich des Schriftsatzaufwandes in der beantragten Höhe. Die Pauschalgebühr deckt auch die Umsatzsteuer ab.