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VwGH vom 25.09.1997, 97/16/0050

VwGH vom 25.09.1997, 97/16/0050

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

97/16/0061 E

98/16/0087 E

97/16/0071 E

97/16/0152 E

97/16/0156 E

97/16/0159 E

97/16/0183 E

97/16/0267 E

97/16/0289 E

97/16/0357 E

97/16/0359 E

97/16/0362 E

97/16/0363 E

97/16/0455 E

97/16/0469 E

98/16/0047 E

98/16/0048 E

97/16/0070 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. DDDr. Jahn, über die Beschwerden 1) der O GmbH in W und 2) der S GmbH in S, beide vertreten durch Preslmayr & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Dr. Karl Lueger-Ring 12, gegen die Bescheide 1) des Präsidenten des Handelsgerichtes Wien vom , Zl. Jv 1438-33/96 und 2) des Präsidenten des Landesgerichtes Innsbruck vom , Zl. Jv 5664-33/96, beide betreffend Gerichtsgebühren, zu Recht erkannt:

Spruch

Beide angefochtenen Bescheide werden, soweit mit ihnen Eintragungsgebühren gem. TP 10 I lit. c bzw. TP 10 I lit. a Z. 3 GGG vorgeschrieben wurden, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beiden Beschwerdeführerinnen Aufwendungen von je S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem erstangefochtenen Bescheid gab die erstbelangte Behörde einem Berichtigungsantrag der Erstbeschwerdeführerin keine Folge und bestätigte die vom Kostenbeamten vorgeschriebene Pauschalgebühr nach TP 10 D Ic GGG für die Eintragung einer Kapitalerhöhung am (samt Einhebungsgebühr und Verlautbarungspauschale) in der Höhe von insgesamt

S 183.100,--.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid gab die zweitbelangte Behörde einem Berichtigungsantrag der Zweitbeschwerdeführerin keine Folge und bestätigte die vom Kostenbeamten vorgeschriebene Pauschalgebühr nach TP 10 D Ia 3 GGG in Höhe von S 100.000,-- für die Eintragung der Zweitbeschwerdeführerin in das Firmenbuch.

In beiden Fällen vertraten die belangten Behörden die Rechtsauffassung, daß weder die Richtlinie des Rates vom betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital, 69/335 EWG noch die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom , C-71/91, C-178/91 "Ponente Carni" der weiteren Einhebung der in Rede stehenden Pauschalgebühren entgegenstünden.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Verwaltungsgerichtshofbeschwerden je wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes. Die Beschwerdeführerinnen erachten sich in ihren Rechten auf Nichtvorschreibung der Eintragungsgebühren gem. TP 10 D I lit. c bzw. TP 10 D I lit. a Z. 3 GGG verletzt und erklärten ausdrücklich, die Bescheide nur insoweit anzufechten.

Die belangten Behörden legten die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstatteten Gegenschriften, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden wegen ihres sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

Gemäß TP 10 D 1c GGG (idF vor der Novelle BGBl. I 1977 Nr. 106) war für die Eintragung der Erhöhung des Stamm(Grund)kapitals bei Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung sowie des Gründungsfonds bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit eine Pauschalgebühr von 4,5 vT von der Kapitalerhöhung vorgesehen.

Nach TP 10 D Ia Z. 3 GGG (ebenfalls idF vor der oben erwähnten Novelle) war für die Eintragung von Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit in das Firmenbuch eine Pauschalgebühr von 5,5 vT vom Stamm(Grund)kapital oder Gründungsfonds vorgesehen.

Die Beschwerdeführerin hält dem die Richtlinien des Rates vom betreffenden indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (69/335/EWG) in der Fassung der Richtlinie des Rates vom (85/303/EWG) (im folgenden: Richtlinie) entgegen. Danach dürfen die Mitgliedstaaten auf Kapitalzufuhren an Kapitalgesellschaften eine harmonisierte Abgabe, die als Gesellschaftsteuer bezeichnet wird, erheben; andere Abgaben dürfen anläßlich der Kapitalerhöhung einer Gesellschaft nicht eingehoben werden.

Die belangte Behörde bestreitet nicht die unmittelbare Geltung (Art. 2 in Verbindung mit Art. 166 der den Beitrittsvertrag BGBl. Nr. 45/1995 beigefügten Akte über die Bedingungen des Beitritts u.a. der Republik Österreich), wohl aber die unmittelbare Wirkung dieser Richtlinie. Im Falle der Bejahung der unmittelbaren Wirkung beruft sie sich auf den Ausnahmetatbestand des Art. 12 Abs. 1 lit. e der Richtlinie.

Die gegenständliche Richtlinie bezweckt laut Präambel die Harmonisierung der Steuern auf die Ansammlung von Kapital.

Folgende Bestimmungen seien hervorgehoben:

"Artikel 1

Die Mitgliedstaaten erheben eine gemäß den Bestimmungen der Artikel 2 bis 9 harmonisierte Abgabe auf Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften, die nachfolgend als Gesellschaftsteuer bezeichnet wird.

Artikel 4

(1) Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:


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a)
die Gründung einer Kapitalgesellschaft
b)
die Umwandlung einer Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristischen Person, die keine Kapitalgesellschaft ist, in eine Kapitalgesellschaft;
c)
die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;
...

Artikel 10

Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristische Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf:


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a)
die in Artikel 4 genannten Vorgänge;
b)
die Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Artikel 4 genannten Vorgänge;
c)
die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck auf Grund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann.

Artikel 12

(1) In Abweichung von den Artikeln 10 und 11 können die Mitgliedstaaten folgendes erheben:

...


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e)
Abgaben mit Gebührencharakter;
..."

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes kommt einer Richtlinie unmittelbare Wirkung dann zu, wenn sie (der Zusammenfassung bei Kucsko-Stadlmayer, Der Vorrang des EU-Rechts vor österreichischem Recht, ecolex 1995, 338 ff folgend),


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a)
hinreichend bestimmt (eindeutig, klar),
b)
inhaltlich unbedingt (von keinem weiteren Rechtsakt mehr
abhängig und nicht durch Vorbehalte oder die Möglichkeit zu abweichenden Regelungen eingeschränkt) sind,
c) eine Frage abschließend regeln (nicht nur Mindestanforderungen aufstellen) und
d) vollständige Regelungen (nicht nur unselbständige Teile von Rechtsvorschriften, z.B. Begriffsdefinitionen) enthalten.
Richtlinien können unmittelbare Wirkungen darüberhinaus nur
e) zugunsten des Bürgers entfalten, diesem aber keine Verpflichtungen auferlegen.

Die gegenständliche Gerichtsgebühr widerspricht Art. 10 der Richtlinie, weil für die im Art. 4 genannten Vorgänge keinerlei andere Steuern oder Abgaben erhoben werden dürfen, als die Gesellschaftsteuer. Diese Anordnung erfüllt alle oben genannten Kriterien der unmittelbaren Wirksamkeit. Die Anordnung, daß "keine" andere Steuer oder Abgabe erhoben werden darf, ist hinreichend bestimmt. Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde nimmt die Ausnahmebestimmung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie nicht die Unbedingtheit, weil damit nur eindeutig festgelegt wird, daß Steuern und Abgaben, aber nicht Gebühren vom Gebot des Art. 10 ausgenommen sind; keineswegs wird damit die Möglichkeit einer vom § 10 abweichenden Regelung eröffnet.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in der Entscheidung vom , C-71/91, C-178/91- ("Ponente Carni") klargestellt, daß Art. 12 der Richtlinie 69/335/EWG betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital so auszulegen ist, daß die in Abs. 1 Buchstabe e dieses Artikels genannten Abgaben mit Gebührencharakter Abgaben sein können, die als Gegenleistung für im Allgemeininteresse gesetzlich vorgeschriebene Vorgänge, wie etwa die Eintragung von Kapitalgesellschaften, erhoben werden. Die Höhe dieser Abgaben, die je nach der Gesellschaftsform verschieden sein kann, muß aber nach den Kosten des Vorganges, die pauschal ermittelt werden können, berechnet sein. In einer Abgabe, deren Höhe keinen Zusammenhang mit den Kosten des besonderen Dienstes aufweist, oder deren Höhe sich nicht nach den Kosten des Vorganges, für den sie die Gegenleistung darstellt, richtet, sondern nach den gesamten Verwaltungs- und Investitionskosten des mit dem Vorgang betrauten Dienstes, müßte eine Belastung gesehen werden, für die allein das Verbot des Art. 10 der Richtlinie gilt.

Was diese Entscheidung beispielsweise für die Eintragung von Kapitalgesellschaften in das Firmenbuch besagt, hat selbstverständlich auch für die Eintragung von Kapitalerhöhungen zu gelten.

Daß die von den belangten Behörden angewendeten, oben zitierten Bestimmungen der TP 10 GGG diesem Postulat des für Österreich seit verbindlichen Gemeinschaftsrechtes widersprachen, lag angesichts des Umstandes, daß die Pauschalgebühren für die in Rede stehenden Eintragungen nicht nach den (allenfalls pauschaliert ermittelten) Kosten des Eintragungsvorganges, sondern im Wege der Anwendung eines Tausendsatzes vom Betrag des Kapitals bzw. der Kapitalerhöhung bemessen wurden, klar auf der Hand.

Dem hat mittlerweile auch der österreichische Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er im Wege der Novelle BGBl. I 1997 Nr. 114 die TP 10 GGG u.a. dahin geändert hat, daß gemäß D Ib

Z. 1 bis 4 leg. cit. die Eintragungsgebühren für Neueintragungen und Änderungen jetzt wie folgt bestimmt werden:

"1. Firma 100,-- S

2. Sitz, bei Zweigniederlassungen

Ort der Niederlassung 100,-- S

3. Geschäftsanschrift 100,-- S

4. Kapital (auch Kapitalerhöhung

und -herabsetzung) 1.500,-- S".

In den EB zur RV, 734 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XX GP, S 68, wird dazu ausdrücklich ausgeführt, daß damit u.a. auf Art. 12 lit. e der Richtlinie des Rates der EWG vom , Zl. 69/335/EWG, und die dazu ergangene, oben schon zitierte Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Bedacht genommen wird.

Damit brachte auch der österreichische Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck, daß die bislang bestandenen Regelungen mit dem Gemeinschaftsrecht in Konflikt standen. Allerdings sieht die Übergangsregelung im Art. XII Punkt 12 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 114/1997 die Anwendung der Neufassung der TP 10 erst dann vor, wenn der Antrag auf Vornahme der Amtshandlung nach dem beim Firmenbuchgericht eingelangt ist. Für die Zeit bis dahin gilt jedoch, daß ein Mitgliedstaat nicht seine eigene Vertragsverletzung, die in der (bis dahin) unterlassenen Umsetzung der Richtlinie besteht, dem Bürger entgegenhalten dürfe, um ihm die Vergünstigungen vorzuenthalten, die ihm die Richtlinie zuerkennen will (Everling, Zum Vorrang des EG-Rechts vor nationalem Recht, DVBl. 1985, 1204).

Da auch nach der hg. Judikatur eine dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende innerstaatliche Norm vom Gemeinschaftsrecht verdrängt wird (vgl. dazu z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 94/16/0182, und vom , Zl. 96/09/0088, sowie Jabloner, ÖJZ 1995, 921) haben die belangten Behörden durch die nach dem Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften weiterhin vorgenommene Anwendung der Bestimmungen TP 10 D Ic bzw. TP 10 D Ia Z. 3 GGG ihre Bescheide mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu deren Aufhebung führen mußte.

Da jeder Zweifel daran fehlt, daß die den Beschwerdeführerinnen vorgeschriebenen Pauschalgebühren im Konflikt mit Gemeinschaftsrecht stehen, bestand auch keine Pflicht zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens (vgl. dazu den hg. Beschluß vom , Zl. 96/16/0199, die dort zitierte E des 238/81 - C.I.L.F.I.T. - EuGHE 1982, 3415 und den B des BFH vom , VII B 164/96 ZfZ 1997/7, 233).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich (im Umfang des gestellten Begehrens) auf die §§ 47 ff VwGG iVm die VO BGBl. 416/1994.