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VwGH vom 12.11.1997, 97/16/0014

VwGH vom 12.11.1997, 97/16/0014

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

97/16/0303

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzeden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. DDDr. Jahn, über die Beschwerden der Konsum Ö Genossenschaft m.b.H. in W, vertreten durch Dr. Marcella Prunbauer, Dr. Andreas Peyrer-Heimstätt und Dr. Leonhard Romig, Rechtsanwälte in Wien I, Mahlerstraße 7, gegen die Bescheide der Niederösterreichischen Landesregierung

1) vom , Zl. IVW3-BE-211-10/3-96 (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Stockerau) und 2) vom , Zl. IVW3-BE-134-14/10-97 (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Gmünd), je betreffend Getränke- und Speiseeisabgabe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 25.870,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte der beiden Beschwerdefälle wird auf die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 93/17/0075 und 93/17/0267, verwiesen.

Im zweiten Rechtsgang hatte die belangte Behörde (nach der Behebung von Zustellmängeln, die seinerzeit im erstinstanzlichen Abgabenverfahren unterlaufen waren) neuerlich über Vorstellungen gegen jene Berufungsbescheide zu entscheiden, mit denen die Gemeinderäte der beiden mitbeteiligten Stadtgemeinden Berufungen der Beschwerdeführerin gegen erstinstanzliche Bescheide in Angelegenheiten der Getränke- und Speiseeissteuer als unbegründet abgewiesen hatten.

Auszugehen ist von folgendem unstrittigen Sachverhalt:

Die Beschwerdeführerin hatte jeweils in der Zeit vom bis ihre Getränke- und Speiseeisumsätze in die monatlich erstattete Getränkesteuer- und Speiseeissteuererklärungen aufgenommen und die sich daraus ergebenden Abgaben an die mitbeteiligten Stadtgemeinden entrichtet.

Mit Schreiben vom 27. März bzw. brachte die Beschwerdeführerin vor, sie habe auf Grund der jeweils im Gemeindegebiet Stockerau bzw. Gmünd von ihren dort ansässigen Mitgliedern zur Rückvergütung eingereichten Belege eine Ermittlung desjenigen Umsatzes anstellen können, der mit Personen erzielt worden sei, die nicht in den Gemeindegebieten bzw. Gmünd wohnhaft gewesen seien. Dies ergebe folgende Außerortanteile:

1.) Für Stockerau:

1986 1 % = S 1.288,--

10 % = S 14.105,21

1988 25,7 % = S 94.624,10

1989 53,57 % = S 421.660,66

1990 54,5 % = S 487.180,66

zusammen S 1,018.823,51;

2.) für Gmünd:

1986 42,8 % = S 116.172,13

1987 42,7 % = S 116.195,77

1988 34,9 % = S 108.280,61

1989 32,9 % = S 122.767,75

1990 39,7 % = S 151.656,03

zusammen S 615.072,29.

Die Beschwerdeführerin brachte dazu vor, sie könne den Prozentsatz der Umsätze jährlich im Rahmen der Rückvergütungsabrechnungen ermitteln und daraus dann die bis dahin erklärten Umsätze berichtigen. Ausgehend davon wolle sie den so ermittelten auswärtigen Anteil bei der Getränkesteuer auch rückwirkend bis geltend machen und ersuchte die mitbeteiligte Stadtgemeinde Stockerau um die Überweisung eines Guthabens von S 1,018.823,51 und die mitbeteiligte Stadtgemeinde Gmünd um die Überweisung eines Guthabens von S 615.072,29.

Die Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinden erließen am bzw. ablehnende Bescheide; die dagegen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführerin blieben ohne Erfolg, weshalb die Beschwerdeführerin Vorstellung an die belangte Behörde erhob.

Die belangte Behörde wies die Vorstellungen jeweils als unbegründet ab und vertrat im Kern ihrer Bescheidbegründungen die Ansicht, die Eingaben vom 27. März bzw. seien als Anträge auf Neufestsetzung der Abgabe durch die Abgabenbehörde anzusehen, was aber mit Rücksicht auf die Verfassungsbestimmung des Art. II § 2 Abs. 3 der FAG-Nov. BGBl. Nr. 693/1991 zu unterbleiben habe. Im zweitangefochtenen Bescheid äußerte die belangte Behörde dazu noch die Ansicht, eine Mängelbehebung gemäß § 153 Abs. 2 NÖ AO komme nur in Frage, wenn die Abgabenbehörde dem Abgabenpflichtigen hiezu eine angemessene Frist gesetzt habe.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Verwaltungsgerichtshofbeschwerden, je wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem subjektiven Recht auf Berichtigung einer materiall unrichtigen Abgabenerklärung verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor; sie und die erstmitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in denen die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden als unbegründet begehrt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:

§ 153 Abs. 1 bis Abs. 3 NÖ AO 1977 hatte vor der Novelle vom , LGBl. 3400-1, folgenden Wortlaut:

"(1) Wenn die Abgabenvorschriften die Selbstbemessung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung der Abgabe zulassen, gilt die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung festgesetzt.

(2) Der Abgabepflichtige ist jedoch berechtigt, in den Fällen, in denen die Selbstbemessung zu hoch ist, die Erklärung innerhalb eines Monates ab deren Einreichung zu berichtigen. In der Abgabenerklärung unterlaufene Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche Unrichtigkeiten können jedoch vom Abgabepflichtigen innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Einreichung der Erklärung berichtigt werden.

(3) Die Abgabenbehörde hat die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterläßt oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als zu niedrig erweisen. Von der bescheidmäßigen Festsetzung ist abzusehen, wenn der Abgabepflichtige nachträglich die Mängel behebt."

Mit der zitierten Novelle wurden diese Bestimmungen dahin abgeändert, daß die Absätze 2 und 3 wie folgt neu gefaßt wurden:

"(2) Die Abgabenbehörde hat jedoch die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterläßt oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als unrichtig erweist und die Mängel vom Abgabepflichtigen nicht innerhalb einer angemessenen Frist behoben werden.

(3) Abs. 1 und 2 gelten sinngemäß, wenn nach den Abgabenvorschriften die Selbstbemessung und Einreichung der Erklärung einem abgabenrechtlich Haftungspflichtigen obliegt. An die Stelle eines Abgabenbescheides tritt ein Haftungsbescheid (§ 172)."

Der Motivenbericht zu dieser Novelle bezog sich u.a. ausdrücklich auf das zu § 149 Abs. 2 und 3 WAO ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Zl. G 107/78, 49/79, VfSlg. 8726 und zitierte daraus die folgende Textstelle:

"Es scheint unter dem Blickpunkt des Gleichheitsgebotes unvereinbar, daß eine Partei im Bereich der Selbstbemessungsabgaben keinen Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und daher auch keinen Anspruch auf Bekämpfung des Rechtsstandpunktes der Behörde haben sollte. Dies gilt umsomehr, als das Abgabenrecht von dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens beherrscht wird. Nach dem Fristenablauf kann nämlich auch vor dem Vorliegen eines allfälligen behördlichen Bescheides nach Abs. 3 keine Berichtigung einer - objektiv unrichtigen (zu hohen) Erklärung vorgenommen werden. Es ist eine gerichtsbekannte Erfahrungstatsache, daß Unrichtigkeiten wiederholt erst später, z. B. anläßlich der Erstellung des Jahresabschlusses, hervorkommen. Diese können aber dann in der Regel nicht mehr berichtigt werden."

Daraus folgt, daß der Gesetzgeber im Wege der zitierten Novelle von einer bis dahin in Gestalt des § 153 Abs. 2 (alt) NÖAO bestandenen strikten Fristenregelung (betreffend inhaltliche Mängel von einem Monat bzw. betreffend Schreib- und Rechenfehler von sechs Monaten, je ab Einreichung der Abgabenerklärung) ausdrücklich unter Berücksichtigung der Tatsache abgegangen ist, daß Unrichtigkeiten der Selbstbemessung oft erst später z.B. anläßlich der Erstellung eines Jahresabschlusses hervorkommen und dann (unter Berücksichtigung der bis dahin bestandenen strengen Fristenregelung) nicht mehr berichtigt werden konnten. Der Gesetzgeber hat somit an die Stelle der bis zur zitierten Novelle gegoltenen starren Fristenregel in Gestalt der jetzt geltenden "angemessenen Frist" ein flexibles Instrument gesetzt, das es gestattet, Unrichtigkeiten der Selbstbemessung jedenfalls auch noch nach Ablauf von einem bzw. sechs Monaten nach Einreichung der Abgabenerklärung geltend zu machen. Nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 153 Abs. 2 (neu) NÖAO kommt es für den Beginn des Fristenlaufes darauf an, wann sich die vorgenommene Selbstbemessung als unrichtig erweist (also die Unrichtigkeit iS des Zitates im Motivenbericht hervorkommt) und soll dann zur Mängelbehebung eine angemessene Frist zur Verfügung stehen. Darunter kann (jedenfalls innerhalb der Verjährungsfrist) sinnvollerweise nur ein solcher Zeitraum verstanden werden, der es dem Abgabenpflichtigen unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zumutbarerweise ermöglicht, alle jene Ermittlungen und Berechnungen anzustellen, die zur Darlegung der Unrichtigkeit einer zuvor durch Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung vorgenommenen Abgabenfestsetzung erforderlich sind.

Anders als es die belangte Behörde im zweitangefochtenen Bescheid ausgedrückt hat, kommt eine Mängelbehebung in angemessener Frist nicht nur dergestalt in Frage, daß die Abgabenbehörde dem Abgabenpflichtigen eine solche Frist setzt, sondern auch dann, wenn der Abgabenpflichtige von sich aus die Unrichtigkeit der von ihm zuvor vorgenommenen Selbstbemessung erkennen kann. Für eine Einschränkung der im § 153 Abs. 2 NÖAO vorgesehenen Mängelbehebung auf den Fall eines behördlichen Mängelbehebungsauftrages im Rahmen einer von der Behörde gesetzten Frist bietet die genannte Vorschrift keinerlei Anhaltspunkt. § 153 Abs. 2 leg. cit. stellt vielmehr eine Verfahrensrechtslage dar, die sich (wie dies auch in anderen Landesabgabenordnungen der Fall ist) dadurch auszeichnet, daß es ein mehrstufiges Selbstbemessungsverfahren gibt, das auch dem Abgabenpflichtigen selbst die Möglichkeit der Berichtigung der Selbstbemessung bietet (vgl. z.B. das zur Salzburger LAO ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/17/0318, das zum Vorarlberger AbgVG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/17/0181 u.a.)

Davon ausgehend sind in den beiden vorliegenden Fällen die Eingaben der Beschwerdeführerin vom 27. März bzw. nicht als Anträge auf bescheidmäßige Festsetzung (= Neufestsetzung) der Abgaben anzusehen (denen die am in Kraft getretene Verfassungsbestimmung des Art. II § 2 Abs. 3 der FAGNov 1991, BGBl. 693/1991, entgegengestanden wäre), sondern zweifelsfrei als Geltendmachung der Unrichtigkeit der von der Beschwerdeführerin zuvor in den Jahren 1986 bis 1990 vorgenommenen Selbstbemessungen, in welchem Zusammenhang sich allerdings die Frage stellt, ob die Beschwerdeführerin die vorgenommenen Mängelbehebungen jeweils in angemessener Frist, gerechnet von dem Zeitpunkt an durchgeführt hat, ab dem die Unrichtigkeit der Selbstbemessungen für sie jeweils erkennbar hervorgekommen ist.

Da die Gemeindeinstanzen ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, es lägen Anträge auf Neufestsetzung der Abgaben vor, diese Frage ungeprüft ließen, wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, die mit Vorstellung angefochtenen Berufungsbescheide aufzuheben und den Gemeindeinstanzen die erforderlichen Ermittlungen aufzutragen. Die angefochtenen Vorstellungsbescheide waren daher je wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben (§ 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG).

Der Ausspruch über die Aufwandersätze gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994.

Fundstelle(n):
GAAAE-38832