VwGH vom 10.05.1995, 95/13/0010
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des O in H, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl GA 7-1312/1/94, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom ersuchte der Beschwerdeführer um Nachsicht von vorgeschriebener Einkommensteuer für 1992 in Höhe von S 684.749,-- und begründete dies im wesentlichen wie folgt:
Der Beschwerdeführer sei Gesellschafter eines Unternehmens gewesen, welches bis 1974 in der Herstellung von Salami und Krakauer Wurstwaren führend gewesen sei. Ab diesem Jahr seien bei der Erzeugung ungarischer Salami Fehlfabrikate aufgetreten. Obwohl 1979 der Fehler gefunden werden habe können, seien bereits zwei Drittel der Kunden zur Konkurrenz abgewandert gewesen und hätten diese auch nicht mehr zurückgewonnen werden können. Trotz größter Anstrengungen, kapitalstarke Interessenten als Gesellschafter oder Käufer zu finden, um die immer größer werdende Abhängigkeit von den Banken abzuwenden, seien diese Versuche fehlgeschlagen. Im Jahre 1991 sei der Entschluß gefaßt worden, die Erzeugung 1992 einzustellen, die vorhandenen Aktiva (hauptsächlich Grundvermögen) zur Abdeckung der Verbindlichkeiten bestmöglich zu verwerten und danach das Unternehmen zu liquidieren.
Nach Begleichung aller Firmenschulden seien dem Beschwerdeführer rund S 250.000,-- verblieben, wovon er S 80.000,-- in fest verzinslichen Wertpapieren anlegen habe können. Der 1930 geborene Beschwerdeführer beziehe eine Nettorente in Höhe von rund S 9.000,-- und übe daneben eine Konsulententätigkeit aus, wofür er monatlich rund S 2.500,-- erhalte. Darüber hinaus habe er keinerlei Einkünfte und es sei fraglich, wie lange er seine Konsulententätigkeit noch ausüben werde können. Mit seinem Einkommen könne er sein Leben notdürftig fristen, es sei ihm aber weder möglich, Ersparnisse anzulegen noch irgendwelche Zahlungsverpflichtungen einzugehen. Sein Vermögen bestehe aus einem halben Hausanteil in H mit einem Einheitswert von S 95.500,-- sowie Wertpapieren in Höhe von rund S 80.000,--.
Das Finanzamt wies das Ansuchen im wesentlichen mit der Begründung ab, daß das Vorliegen einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit nicht hinreichend dargelegt worden sei.
In einer dagegen eingebrachten Berufung wiederholte der Beschwerdeführer seine wirtschaftlichen Verhältnisse und meinte, weniger zu besitzen, als dies bei ihm der Fall sei, sei ohnedies schwer denkbar, insbesondere, wenn man "an seinen Vermögensstand vor etwa 25 Jahren" denke. Es sei ihm nicht möglich gewesen, für sein Alter angemessene Reserven zu schaffen, die für etwaige Krankheitsfälle vonnöten wären. Das Bestreben aller Gesellschafter sei gewesen, das von den Vätern geerbte Unternehmen zumindest lastenfrei zu beenden, was auch geschehen sei. Für "private Schulden, wie es etwa die durch den theoretischen Veräußerungsgewinn vorgeschriebene Einkommensteuer ergab", hätten keine Reserven mehr gebildet werden können.
Die belangte Behörde wies die Berufung nach Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers ab. Die Angaben des Beschwerdeführers, nach Verwertung der Aktiva des Betriebes sei ihm lediglich ein Betrag von S 250.000,-- verblieben und sein derzeitiges Vermögen bestehe aus einem halben Hausanteil in H sowie Wertpapieren im Wert von ca S 80.000,--, seien allein nicht ausreichend, um die Einhebung der Abgaben unbillig erscheinen zu lassen. Da mit dem dem Beschwerdeführer verbliebenen Betrag mehr als ein Drittel der gegenständlichen Einkommensteuer beglichen hätte werden können, wäre es am Antragsteller gelegen gewesen, den Verbleib bzw die Verwendung dieses Betrages offenzulegen. Weiters habe es der Nachsichtswerber verabsäumt darzulegen, weshalb nicht die vorhandenen Ersparnisse zur teilweisen Entrichtung der Abgaben herangezogen werden hätten können.
Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und beantragt die Bescheidaufhebung.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer hat auf die Gegenschrift repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl zB das hg Erkenntnis vom , 90/15/0015).
Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Rechtsentscheidung die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdete. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht (aus "persönlichen" Gründen) nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleich käme.
Eine "sachliche" Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus "persönlichen" Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen (vgl abermals ua das vorstehend zitierte Erkenntnis vom ).
Wenngleich der Beschwerdeführer in der Berufung von einer sich aus einem "theoretischen Veräußerungsgewinn" ergebenden Einkommensteuer spricht, ist weder seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer die Meinung vertritt, eine Unbilligkeit der Einhebung des nachsichtsbezogenen Abgabenbetrages sei im vorstehend angeführten Sinn "sachlich" bedingt. Insbesondere hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren weder behauptet, im Beschwerdefall sei ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtiges Ergebnis eingetreten, noch eine solche Ansicht sachverhaltsbezogen begründet.
Aber auch eine "persönliche" Unbilligkeit der Abgabeneinhebung durfte die belangte Behörde auf der Basis des Vorbringens im Verwaltungsverfahren verneinen.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers reicht für eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht aus, wenn die Abstattung der Abgabenschuld trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch die Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre. Nur wenn die Verwertung von Vermögenswerten einer Vermögensverschleuderung gleich käme, tritt Unbilligkeit der Abgabeneinhebung ein, nicht aber schon deshalb, weil es zu Einbußen an vermögenswerten Interessen kommt, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind (vgl das hg Erkenntnis vom , 90/15/0060, und die dort zitierte Vorjudikatur). Daß und warum eine Veräußerung des Hausanteiles in H einer Vermögensverschleuderung gleich käme, hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren aber nicht behauptet. Ebenso neu ist der in der Beschwerde vorgetragene Umstand, daß der Beschwerdeführer diesen Hausanteil zur Deckung seiner Wohnbedürfnisse benötigt. Nach den ua vom Beschwerdeführer unterschriebenen Feststellungen über seine wirtschaftlichen Verhältnisse im Verwaltungsverfahren bewohnte der Beschwerdeführer eine Wohnung im 14. Wiener Gemeindebezirk.
Unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers sind daher die Beschwerdebehauptungen der dauernden Mittellosigkeit bzw der Bedrohung der wirtschaftlichen Lebensgrundlage des Beschwerdeführers durch die nachsichtsbezogene Abgabe nicht nachvollziehbar. Dies ganz abgesehen von der dem Beschwerdeführer aus der Unternehmensveräußerung verbliebenen Summe von S 250.000,--, deren Schicksal der Beschwerdeführer mit Ausnahme eines Teilbetrages von S 80.000,-- auch in der Beschwerde verschweigt.
Der Gerichtshof teilt daher die Ansicht der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer eine für eine Nachsicht vorauszusetzende Unbilligkeit der Einhebung des antragsbezogenen Betrages auch nur teilweise, was allenfalls eine teilweise Nachsicht rechtfertigen würde, nicht dargetan hat. Auf dieser Basis des Antragsvorbringens sind auch die in der Replik zur Gegenschrift der belangten Behörde behaupteten, aber auch an dieser Stelle nicht näher ausgeführten Ermittlungsmängel nicht geeignet, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Wie dem bereits zitierten Wortlaut des § 236 Abs 1 BAO zu entnehmen ist, bedarf die Gewährung einer Abgabennachsicht eines Antrages. Ein derartiger Antrag kann aber nicht bloß als Formalerfordernis angesehen werden. Vielmehr kann unter einem Antrag im Sinne des § 236 Abs 1 BAO nur ein BEGRÜNDETER Antrag verstanden werden. Voraussetzung dafür, daß die Abgabenbehörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht die Gründe prüft, die für eine Abgabennachsicht sprechen, ist daher, daß solche Gründe vom Antragsteller geltend gemacht werden. Selbst wenn der Abgabenbehörde Umstände bekannt sind, die eine Abgabennachsicht in Betracht ziehen lassen, hat sie diese Umstände nicht von Amts wegen als Nachsichtsgründe aufzugreifen, wenn der Nachsichtswerber selbst nichts in dieser Richtung vorbringt.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 416/1994.