VwGH vom 16.07.1996, 92/14/0140
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Graf, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Kärnten gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Kärnten (Berufungssenat I) vom , Zl 142-3/88, betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1983 bis 1985 (zwischenzeitig verstorbene mitbeteiligte Partei: M in K), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die mitbeteiligte Partei (in der Folge Mitbeteiligte) betrieb ua in den Jahren 1983 bis 1985 einen Einzelhandel mit Lebensmitteln, insbesondere Wurst- und Fleischwaren in gekochtem und ungekochtem Zustand (im Verwaltungsverfahren teilweise auch als "Markt- oder Würstelstand" bezeichnet), für welche sie im Jahresdurchschnitt steuerpflichtige Umsätze von rd S 1,8 Mill und Einkünfte aus Gewerbebetrieb von
rd S 65.000,-- erklärte.
Anläßlich einer abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, daß die einzelnen Tageslosungen in einer Summe, gerundet in die Einnahmenaufzeichnungen eingetragen worden seien. Unterlagen über die Ermittlung der jeweiligen Kassaeinnahmen (tägliches Zählen des Kassastandes, Hinzuzählung etwaiger Barausgaben) hätten nicht vorgelegt werden können. Die Eintragungen in das Wareneingangsbuch seien teilweise unchronologisch und nicht am Tag des Wareneinganges erfolgt. Auf Grund des erklärten Wareneinkaufes ergebe sich ein durchschnittlicher Verkauf heißer Wurstwaren von täglich ca 27 Portionen. Laut niederschriftlicher Auskunft der Mitbeteiligten vom betrage der Verkauf an heißen Wurstwaren ein Mehrfaches des von der Prüfung auf Basis des erklärten Wareneinkaufes ermittelten Wertes. Einkauf laut Niederschrift vom : Täglich (Montag bis Freitag) ca 10 kg Brat- und Selchwürste (80 Prozent ausgekocht) und täglich (Montag bis Freitag) ca 3 kg Frankfurter (90 Prozent ausgekocht). Diese Zukäufe bedeuteten einen Verkauf an heißen Wurstwaren von mehr als 100 Portionen täglich. Da die in der Niederschrift vom getätigten Aussagen im Zuge der weiteren Prüfungshandlungen als irrtümlich hingestellt worden seien, habe der Prüfer den tatsächlichen Verkauf mehrmals beobachtet und zB am allein in der Zeit von 11.10 Uhr bis 12.30 Uhr einen Verkauf von 34 Portionen an heißen Wurstwaren festgestellt. Erhärtet würden die vom Prüfer festgestellten Einsatzverkürzungen noch durch den erklärten Einsatz an Senf und Gebäck, der im krassen Widerspruch zum erklärten Wursteinsatz stehe. Der Gemüseeinkauf (zB Sauerkraut, Kren) sei nicht vollständig in das Wareneingangsbuch eingetragen worden. Unter Hinweis auf diese Feststellungen rechnete der Prüfer in den einzelnen Jahren den erklärten Besteuerungsgrundlagen bei der Umsatzsteuer gemäß § 184 BAO (ausgehend von zusätzlich geschätzten Bruttoumsätzen von S 430.000,--, S 350.000,-- und S 400.000,--) unter Herausrechnung der 8- bzw 10-prozentigen Umsatzsteuer Nettoumsätze von S 398.148,15, S 318.181,82 und S 363.636,36 hinzu. Hinsichtlich der Einkommensteuer gelangte der Prüfer zur Auffassung, daß in den vorgelegten Steuererklärungen nicht sämtliche Betriebsvorgänge, sowohl Betriebseinnahmen wie auch Betriebsausgaben (insbesondere nicht verbuchte Warenzukäufe) lückenlos erfaßt worden seien, weshalb er die Gewinne für die bezughabenden Jahre gemäß § 184 BAO global mit jeweils 20 Prozent des Gesamtumsatzes schätzte (1983 S 274.000,--, 1984 S 287.000,-- und 1985 S 307.000,--).
Das Finanzamt folgte den Feststellungen des Prüfers und erließ (nach Wiederaufnahme der entsprechenden Verfahren gemäß § 303 Abs 4 BAO) entsprechende Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuerbescheide.
In einer dagegen eingebrachten Berufung rügte die mittlerweile steuerlich vertretene Mitbeteiligte unter Hinweis auf ihr Lebensalter (65 Jahre) und ihren schlechten Gesundheitszustand insbesondere, daß mit ihr (damals steuerlich nicht vertreten) eine Niederschrift aufgenommen worden sei, die letztlich die Grundlage für eine rigorose Schätzung "über den Daumen" gebildet habe. Zwar wurde eingeräumt, daß gewisse Buchführungsmängel vorlägen, dennoch seien aber sowohl die Umsatzerhöhungen als auch die Gewinnschätzungen zu Unrecht erfolgt. Zum Nachweis dafür, daß die Mitbeteiligte den Wareneinsatz nicht verkürzt habe, wurde beantragt, die Lieferanten der Mitbeteiligten darüber einzuvernehmen, wann und in welchem Ausmaß Lieferungen erfolgt seien. Hinsichtlich des im Prüfungsbericht erwähnten wurde vorgebracht, daß es sich dabei um einen Donnerstag gehandelt habe. Donnerstag sei Markttag, wodurch sich an diesem Tag eine größere Käuferfrequenz ergebe. Des weiteren wurde ua beantragt, den im Prüfungsbericht angeführten krassen Widerspruch zwischen erklärtem Einsatz an Senf und Gebäck zu dem erklärten Wursteinsatz aufzuklären. Das Finanzamt teilte der Mitbeteiligten diesbezüglich mit, daß sich bei Zugabe von 2 dag Senf je Portion (dieses Gewicht an Senf habe sich bei zweimaligem Abdrücken des verwendeten Senfportionierers ergeben) und der Berücksichtigung des erklärten Wareneinsatzes an Senf in den Jahren 1983 bis 1985 12.800, 20.400 und 16.300 "Portionen an Wurstwaren" ergäben, während sich unter Berücksichtigung des erklärten Wareneinsatzes an Wurstwaren nur 5660, 9130 und 9250 Portionen errechneten. Ein ähnliches Mißverhältnis ergebe sich bei der Betrachtung Wurstwaren zu Gebäck bzw Schwarzbrot. Die Mitbeteiligte wandte hiezu im weiteren Berufungsverfahren ein, er hätte ebenfalls die Senfportionen abgewogen und sei dabei auf einen Wert von 2,5 bis 3 dag je Portion gelangt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung insofern teilweise Folge gegeben, als die belangte Behörde abweichend von den vom Prüfer angewandten Schätzungsmethoden lediglich einen Sicherheitszuschlag bei Umsatz und Gewinn von jeweils S 40.000,-- in Ansatz brachte. Dies mit der Begründung, daß der Berufungssenat die niederschriftlichen Aussagen der Mitbeteiligten vom über ihren Wareneinkauf für keine geeignete Schätzungsgrundlage halte. Dem Berufungssenat erscheine die Befragung der Mitbeteiligten zu undifferenziert, um auf den entsprechenden Antworten eine Kalkulation aufzubauen, deren Ergebnis im vorliegenden Fall die Betriebsprüfung zu der Annahme veranlaßt habe, es lägen erhebliche Schwarzeinkäufe von Fleisch- und Wurstwaren vor, und mit deren Ergebnis die gegenständlichen Hinzuschätzungen der Höhe nach begründet worden seien. Die Mitbeteiligte sei auf saisonbedingte Verkaufs- und Einkaufsschwankungen überhaupt nicht angesprochen worden, was jedoch beim Verkauf von heißen Fleisch- und Wurstwaren naheliegend gewesen wäre. Was das vom Prüfer festgestellte Mißverhältnis zwischen Wurstwaren- und Senfeinsatz angehe, so schenke der Berufungssenat den Ausführungen der mitbeteiligten Partei Glauben, wonach jeder Portion Wurstwaren 2,5 bis 3 dag zugegeben werde. Dieses Vorbringen stehe im Einklang mit den Erfahrungen des täglichen Lebens. Erfahrungsgemäß werde bei Wurstständen (und im vorliegenden Fall handle es sich im wesentlichen um einen solchen) sehr großzügig mit Senf umgegangen. Bei einem Senfeinsatz von 2,5 bis 3 dag pro Portion Wurstwaren verringere sich das Mißverhältnis zwischen Wurstwaren- und Senfeinsatz auf ein tolerierbares Ausmaß. Angesichts der festgehaltenen Mängel der Geschäftsaufzeichnungen halte es der Berufungssenat aber für gerechtfertigt, Sicherheitszuschläge zu den erklärten, dem ermäßigen Steuersatz unterliegenden Umsätzen und den erklärten Gewinnen von jeweils S 40.000,-- pro Jahr zu verhängen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Kärnten, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die Mitbeteiligte beantragte in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der beschwerdeführende Präsident wendet sich gegen die Vorgangsweise der belangten Behörde, von der kalkulatorischen Schätzung des Prüfers auf Basis der Angaben der Mitbeteiligten zu ihrem Wareneinkauf in der Niederschrift vom mit der Begründung, die Befragung sei zu undifferenziert erfolgt, abzugehen und statt dessen einen vergleichsweise geringen Sicherheitszuschlag in Ansatz zu bringen. Es verstehe sich von selbst, daß der Geschäftsgang der Mitbeteiligten im Jahresverlauf gewissen Schwankungen unterliege. Die Mitbeteiligte habe diese Schwankungen bei ihren Antworten auf die Fragen des Prüfers auch insoweit berücksichtigt, als sie die Wareneinkaufsmengen pro Tag lediglich als Durchschnittswerte habe verstanden wissen wollen. Dies gehe nicht nur aus dem Wortlaut der Niederschrift ("ca 10 kg") hervor, sondern sei dies von der Mitbeteiligten auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich dargelegt worden. Es erscheine daher ungerechtfertigt, nur deshalb, weil der Prüfer seine Fragen nicht differenzierter gestellt habe, die Angaben der Mitbeteiligten als unbrauchbar anzusehen.
Der Gerichtshof teilt die Ansicht des beschwerdeführenden Präsidenten. Antwortet ein Abgabepflichtiger auf die Frage, wie viele heiße Würste am Tag ausgekocht werden, konkret damit, daß sein Einkauf an Wurstwaren je Tag, und zwar Montag bis Freitag, ca 10 kg betrage und davon um 80 Prozent ausgekocht würden, so kann unbedenklich davon ausgegangen werden, daß es sich dabei um einen einer Kalkulation zugrunde legbaren Durchschnittswert handelt, welcher sowohl saison- als auch wochentagsbedingte Schwankungen mitberücksichtigt. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß es sich beim , an welchem der Prüfer die im Prüfungsbericht erwähnte Angabe von 34 Portionen zwischen 11.10 Uhr und 12.30 Uhr beobachtete, entgegen dem Berufungsvorbringen um keinen Donnerstag, und damit um keinen umsatzstärkeren Markttag, sondern um einen Freitag handelt. Hinzukommt im Beschwerdefall, daß der Prüfer späteren Einwendungen der Mitbeteiligten insofern Rechnung trug, als er das ursprüngliche Ergebnis einer auf der erwähnten Aussage beruhenden Kalkulation um ca ein Drittel reduzierte.
Des weiteren rügt der beschwerdeführende Präsident, daß von der belangten Behörde der das Kalkulationsergebnis stützende erklärte Senfeinsatz nicht berücksichtigt worden sei. Dies ungeachtet der konkret an Ort und Stelle durch Abwaage der Senfportionen ermittelten Werte mit der auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützten Begründung, bei Wurstständen werde sehr großzügig mit Senf umgegangen. Auch in diesem Punkt teilt der Verwaltungsgerichtshof im Ergebnis die Ansicht des beschwerdeführenden Präsidenten, daß eine "allgemeine Lebenserfahrung" hinsichtlich der Senfabgabe bei Wurstständen - soweit eine solche überhaupt besteht - nicht geeignet ist, die konkrete Sachverhaltsermittlung (durch Abwaage der Senfportionen) ohne weiteres zu verwerfen.
Die Rüge des beschwerdeführenden Präsidenten, die belangte Behörde habe die vom Prüfer vorgenommenen Hinzuschätzungen ohne schlüssige Begründung verworfen und statt dessen nur einen vergleichsweise niedrigen Sicherheitszuschlag in Ansatz gebracht, trifft daher zu.
Der beschwerdeführende Präsident ist aber auch im Recht, wenn er unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit rügt, daß die belangte Behörde den in Ansatz gebrachten Sicherheitszuschlag von S 40.000,-- zu Unrecht sowohl bei der Umsatzsteuer als auch bei der Einkommensteuer in gleicher Höhe in Ansatz gebracht habe. Die Mitbeteiligte ermittelte ihren Gewinn durch Einnahmen-Ausgabenrechnung, wobei sie sich der Bruttoverrechnung bediente. Es entzieht sich nun - insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Sicherheitszuschläge der Höhe nach jeder Begründung entbehren - einer Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshof, ob die Sicherheitszuschläge von jeweils S 40.000,-- nun bei der Umsatzsteuer - wie die Mitbeteiligte, von diesem Betrag als Bruttobetrag ausgehend, meint - um die darin enthaltene Umsatzsteuer zu hoch, oder - wie der beschwerdeführende Präsident, von diesem Betrag als Nettobetrag ausgehend, meint - bei der Einkommensteuer um die darauf entfallende Umsatzsteuer zu niedrig angesetzt wurde. Ein Ansatz eines gleichhohen Sicherheitszuschlages bei Umsatz- und Einkommensteuer findet unter den gegebenen Umständen im Gesetz jedenfalls keine Deckung.
Der angefochtene Bescheid war daher aus den zuletzt angeführten Gründen gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.