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VwGH vom 27.04.1995, 95/11/0029

VwGH vom 27.04.1995, 95/11/0029

Beachte

Besprechung in:

DRdA 1996/3 S 220-224;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Simetzberger, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-SB-93-049, betreffend Übertretung des Heimarbeitsgesetzes (mitbeteiligte Partei: R B in S, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in A), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungnen in der Höhe von S 4.240,-- binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs vom wurde die Mitbeteiligte schuldig erkannt, es als Auftraggeber unterlassen zu haben, bis zum die Liste der für einen näher bezeichneten Betrieb tätigen Heimarbeiter dem zuständigen Arbeitsinspektorat vorzulegen. Dadurch habe sie eine Verwaltungsübertretung nach § 64 in Verbindung mit § 7 Abs. 2 des Heimarbeitsgesetzes, BGBl. Nr. 105/1961 (HAG), begangen. Über sie wurde eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob die Mitbeteiligte Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde das (fälschlicherweise als Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Amstetten bezeichnete) Straferkenntnis vom aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG eingestellt.

In seiner auf § 13 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 gestützten Beschwerde macht der beschwerdeführende Bundesminister Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen Aufhebung. Die belangte Behörde und die Mitbeteiligte haben Gegenschriften erstattet, in denen sie die Abweisung der Beschwerde beantragen, die Mitbeteiligte unter Einschluß eines Antrages auf Zuerkennung von Aufwandersatz.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist strittig, ob es sich bei den Personen, die für die Mitbeteiligte Arbeitsleistungen (Kuvertieren von Werbematerial) erbrachten, um Heimarbeiter im Sinne des HAG handelte oder ob diese Personen - der Auffassung der Mitbeteiligten und der belangten Behörde entsprechend - mit der Mitbeteiligten als selbständige Unternehmer auf Grund von Werkverträgen tätig waren.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a HAG ist Heimarbeiter, wer, ohne Gewerbetreibender nach den Bestimmungen der Gewerbeordnung zu sein, in eigener Wohnung oder selbstgewählter Arbeitsstätte im Auftrage und für Rechnung von Personen, die Heimarbeit vergeben, mit der Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Verpackung von Waren beschäftigt ist.

Die belangte Behörde verneinte das Vorliegen arbeitnehmerähnlicher Verhältnisse und damit von Heimarbeit auf Grund einer Gesamtschau der maßgeblichen Elemente des von ihr ermittelten und unbestrittenen Sachverhaltes, welche in ihrer Mehrheit für das Vorliegen von Werkverträgen sprächen. Insbesondere das Fehlen der organisatorischen und persönlichen Abhängigkeit der betreffenden Personen von der Mitbeteiligten, aus dem sich das Fehlen wirtschaftlicher Abhängigkeit und sozialer Schutzbedürftigkeit ergebe, führe zu diesem Ergebnis; vor dem Hintergrund des Schutzzweckes des HAG, "nämlich eine soziale Sicherstellung für wirtschaftlich abhängige Heimarbeiter zu gewährleisten", sei die Annahme gerechtfertigt, daß die gegenständlichen Arbeitskräfte nicht als Heimarbeiter zu qualifizieren seien. In diesem Zusammenhang wird als entscheidend angesehen, daß keine längerfristige Arbeitsverpflichtung gegeben gewesen sei, sondern die Auftragsannahme im Belieben der betreffenden Person mit jeweils gesonderter Entgeltfestsetzung im Einzelfall gestanden, daß ein "Arbeitsweitergaberecht" an dritte Personen vorgelegen und eine den zivilrechtlichen Gewährleistungsbestimmungen vergleichbare Haftung für fehlerhafte Arbeit vorgelegen sowie daß kein allgemeines Weisungsrecht und keine organisatorische Eingliederung in den Betrieb der Mitbeteiligten vorgelegen sei.

Die belangte Behörde nahm im wesentlichen folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Mitbeteiligte verfügt über eine Gewerbeberechtigung folgenden Inhaltes:

"Übernahme von Dienstleistungen in Brief- oder Warenversand, um die Versandtauglichkeit der Sendung herzustellen, einschließlich der Aufgabe der Sendung bei Post, Bahn oder anderen Beförderungsberechtigten, unter Ausschluß jeder den konzessionierten, handwerklichen oder gebundenen Gewerben vorbehaltenen Tätigkeiten".

Die von ihren Arbeitnehmern und den betreffenden Personen verrichteten Tätigkeiten bestehen darin, daß das von den Auftraggebern der Mitbeteiligten dieser überlassene Werbematerial kuvertiert wird. Während die im Betrieb tätigen Arbeitnehmer dazu Maschinen bedienen, verrichten die betreffenden Personen ihre Arbeit händisch. Sie holen Werbematerial und Kuverts vom Betriebsstandort der Mitbeteiligten ab und liefern die kuvertierten Sendungen wieder dort ab. Die Initiative dazu geht wechselweise von der Mitbeteiligten - wenn diese Arbeiten zu vergeben hat - oder von den betreffenden Personen - wenn diese Arbeiten übernehmen wollen - aus. Aus Anlaß der Übernahme des Materials wird von der Mitbeteiligten ein Stücklohn festgelegt. Eine Kontrolle der geleisteten Arbeit findet bei Ablieferung der Kuverts statt, mangelhafte Arbeit führt zur Verbesserung der Arbeit durch die betreffenden Personen oder zur Nichtauszahlung oder Minderung des Entgeltes. Eine Verpflichtung zur Übernahme von Arbeiten besteht nicht. Die Arbeiten werden nach freier Bestimmung der betreffenden Personen in der Regel bei ihnen zu Hause, fallweise auch im Betriebsgebäude der Mitbeteiligten oder an dritten Orten verrichtet. Die betreffenden Personen sind berechtigt, die Arbeiten auch von beliebigen anderen Personen verrichten zu lassen.

Daß es sich bei dem Kuvertieren von Werbematerial um die Herstellung udgl. von Waren im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. a HAG handelt, ist unstrittig (vgl. neben dem von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zitierten Erkenntnis vom , Slg. Nr. 6957/A, auch das Erkenntnis vom , Zl. 90/08/0208).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem - vom beschwerdeführenden Bundesminister zitierten - Erkenntnis vom , Zl. 92/18/0180, ausgesprochen, daß dann, wenn die gesetzlichen Erfordernisse (Herstellung von Waren durch Personen, die keine Gewerbetreibenden im Sinne der Gewerbeordnung sind, in eigener Wohnung oder selbstgewählter Arbeitsstätte im Auftrag und für Rechnung von Personen, die eine solche Arbeit vergeben) erfüllt sind, von Heimarbeit nur dann nicht gesprochen werden kann, wenn nur ausnahmsweise ein einzelner Auftrag erteilt und übernommen wird. Davon kann auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens keine Rede sein, haben die als Zeugen einvernommenen Personen vor der belangten Behörde doch angegeben, regelmäßig - wenngleich in unregelmäßigen zeitlichen Abständen - für die Mitbeteiligte tätig gewesen zu sein.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung des beschwerdeführenden Bundesministers, daß es im Wesen eines Heimarbeitsverhältnisses liegt, daß der Arbeitnehmer insofern nicht in den Betrieb eingegliedert ist, als er an einer selbstgewählten Arbeitsstätte in freier Arbeitszeiteinteilung und ohne Zwischenkontrolle seine Arbeit verrichtet. Zutreffend ist auch, daß der Umstand, daß das Entgelt für die verrichtete Arbeit als Nebenverdienst oder sogar nur als "Taschengeld" angesehen wird, für die vorzunehmende Lösung der anstehenden Frage ohne Bedeutung ist.

Die als Zeuginnen einvernommenen Personen waren zwar in zeitlicher Hinsicht in unregelmäßigen Abständen, aber doch zumindest hauptsächlich für die Mitbeteiligte tätig, sodaß insbesondere nicht davon die Rede sein kann, daß sie ihre Dienstleistungen auf dem Markt einer Mehrzahl von Nachfragern gegenüber angeboten hätten. Die Elemente der Dauer und der Regelmäßigkeit waren damit zumindest in Ansehung der in Rede stehenden Personen gegeben.

Dies genügt freilich noch nicht, um ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des HAG zu begründen. Dazu gehört auch - wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Slg. Nr. 8406/A, ausgesprochen hat, ein gewisses Maß an Verpflichtung zur Übernahme von Arbeitsaufträgen. Eine solche Verpflichtung bestand nach den Feststellungen der belangten Behörde nicht, weil die betreffenden Personen die Übernahme von Arbeiten jederzeit und nicht nur in Einzelfällen verweigern können. Der vom beschwerdeführenden Bundesminister ins Treffen geführte § 27 a HAG (nach dessen Abs. 1 das Heimarbeitsverhältnis 1.) zu dem vom Auftraggeber oder Heimarbeiter ausdrücklich erklärten Zeitpunkt oder

2.) 30 Tage nach der Ablieferung des letzten Auftrages, wenn der Auftraggeber dem Heimarbeiter innerhalb dieser Frist keinen weiteren Auftrag vergibt, oder

3.) 30 Tage nach der Ablieferung des letzten Auftrages, wenn sich der Heimarbeiter grundlos weigert, innerhalb dieser Frist einen weiteren Auftrag anzunehmen, endet)

zwingt auch zu keiner anderen Sicht des hier zu lösenden Problems. Das HAG geht nämlich davon aus, daß ein Heimarbeitsverhältnis durch den Heimarbeiter entweder durch ausdrückliche Erklärung (Kündigung) im Sinne der Z. 1 oder durch GRUNDLOSE Weigerung durch 30 Tage einen weiteren Auftrag anzunehmen, beendet werden kann. Das Ermittlungsverfahren hat aber ergeben, daß die Verweigerung der Entgegennahme von Aufträgen durch die betreffenden Personen ohne jede Begründung erfolgen kann. Dazu kommt, daß die Arbeiten insoferne auf Gefahr der betreffenden Personen verrichtet werden, als die Nichtablieferung des Arbeitsergebnisses zur Nichtauszahlung des Entgeltes führt, auch wenn die Arbeit geleistet wurde und der Arbeitserfolg lediglich durch höhere Gewalt zunichte gemacht wurde. Von einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des HAG zu sprechen, verbietet sich daher.

Die belangte Behörde ist daher im Ergebnis im Recht, wenn sie die betreffenden Personen nicht als Heimarbeiter angesehen hat.

Die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994, im Rahmen des gestellten Begehrens.