VwGH vom 18.05.1994, 92/13/0129
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl GA 7-672/4/91, betreffend Nachsicht, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Ansuchen vom beantragte der beschwerdeführende Rechtsanwalt die Nachsicht des gesamten zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Abgabenrückstandes in Höhe von rund S 690.000,--. Er begründete dieses Ansuchen damit, daß die Klienten eines "heutigen Strafverteidigers" unabhängig davon, ob das Urteil mit Freispruch oder Verurteilung ende, weitgehend als "U-Boote" lebten und somit im vermehrten Maße Honorare nicht einbringlich seien. Der Beschwerdeführer dokumentierte in diesem Zusammenhang - ohne Zeitbezug - Forderungsausfälle von rund S 2,8 Mio. Der Beschwerdeführer habe sich daher veranlaßt gesehen, "den Strafsektor nicht weiter zu bearbeiten und seine Kanzlei auf Ziviltätigkeiten umzustellen, doch sei hier zu beachten, daß ein entsprechendes auftragsstarkes Klientel" erst über mehrere Jahre aufgebaut werden müsse. Der Beschwerdeführer hätte daher 1987 und 1988 erhebliche Verluste hinnehmen müssen und zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes sein gesamtes Privatvermögen eingesetzt. Um entsprechend werblich aufzutreten habe der Beschwerdeführer sogar Verurteilungen seitens der Disziplinarbehörden der Anwaltschaft in Kauf genommen, um dadurch einen entsprechenden Zugang zu Zivilklienten zu erhalten. Es werde ersucht, den Lebens- und Nahrungsstand des Beschwerdeführers zu erhalten. Dies deshalb, da der Beschwerdeführer verpflichtet sei, die entsprechenden Disziplinarstrafen zu entrichten, widrigenfalls mit dem Entzug seiner anwaltschaftlichen Befugnis zu rechnen wäre, womit sein Nahrungsstand endgültig vernichtet wäre. In einer das Nachsichtsansuchen ergänzenden Eingabe wurde darauf hingewiesen, daß der Abgabenrückstand durch Einnahmenverschiebungen, welche dem Prinzip der Einnahmen-Ausgabenrechnung entsprechend zu versteuern gewesen seien, verursacht worden sei. Konkret habe die "abgabenrechtliche Betriebsprüfung Treuhandgelder, welche bei Prozeßbeginn erlegt worden seien", zur Gänze im Jahr des Erlages zur Versteuerung herangezogen, die mit der Prozeßführung verbundenen Kosten hätten sich jedoch über mehrere Jahre erstreckt. Demzufolge sei der Beschwerdeführer bedingt durch die geballte Versteuerung dieses Zuflusses in eine Steuerbelastung geraten, welche bei gleichmäßigem Zufließen der Einnahmen zu keiner derartigen Steuerbelastung geführt hätte. Bei jahresübergreifender Betrachtungsweise der Ergebnisse sei die Gesamtsteuerbelastung höher als die "wirtschaftlichen und steuerrechtlichen Ergebnisse" dieser Jahre. Es erscheine daher unbillig, daß der Beschwerdeführer mehr Steuer zu bezahlen habe, als der wirtschaftliche Erfolg aus der Geschäftstätigkeit insgesamt zulassen würde. Bei Erkennen dieser Situation sei der Beschwerdeführer zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs 1 EStG übergegangen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde eine gegen die bescheidmäßige Abweisung des Nachsichtsansuchens eingebrachte Berufung aus Rechtsgründen ab. Die angeführten Forderungsausfälle seien nicht geeignet, eine Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO zu begründen, da derartige Verluste zum allgemeinen Unternehmerwagnis gehörten. Mit der bloß ziffernmäßigen Angabe der Honorarausfälle würde noch nicht dargetan, daß diese Ausfälle das übliche Unternehmerwagnis überschritten hätten. Auch die durch die Umstellung der Kanzlei auf Zivilrechtsfälle resultierenden Verluste seien nicht geeignet, eine Unbilligkeit in der Einhebung der den steuerlichen Ergebnissen der Jahre 1984 bis 1986 entsprechenden Abgaben darzutun. Die Auswirkungen einer dem Prinzip der Einnahmen-Ausgabenrechnung entsprechenden Versteuerung könne nicht durch eine Nachsicht beseitigt werden. Auch ein im Berufungsverfahren dargelegter Einnahmenrückgang durch einen Spitalsaufenthalt vermöge der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil es sich hiebei um Nachteile handle, die alle "Freiberufler" in ähnlicher Lage träfen. Eine Beachtung der im Berufungsverfahren zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes sei nicht geboten, weil der diesen Erkenntnissen zugrundeliegende Sachverhalt mit dem gegenständlichen nicht vergleichbar sei.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf antragsmäßige Stattgabe des Nachsichtsansuchens verletzt und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die im § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl zB das hg Erkenntnis vom , 90/15/0015).
Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid ergibt, hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Rechtsentscheidung die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben (vgl Stoll, BAO, Handbuch, 583, und die dort angeführte
hg Rechtsprechung). Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine "persönliche" Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtswerbers gefährdete. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht (aus "persönlichen" Gründen) nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleich käme.
Eine "sachliche" Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus "persönlichen" Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen (vgl abermals ua das vorstehend zitierte Erkenntnis vom ).
Im Beschwerdefall räumt der Beschwerdeführer der belangten Behörde ein, daß nachteilige Folgen, die alle Wirtschaftstreibende in ähnlicher Lage treffen, und Geschäftsvorfälle, die dem Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzuordnen sind, grundsätzlich eine Nachsicht nicht rechtfertigen. Im Fall des Beschwerdeführers ergebe sich eine unbillige Härte jedoch aus dem Zusammentreffen seiner Krankheiten mit anderen, in der Beschwerde im Detail erörterten Umständen, nämlich die nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht dem allgemeinen Unternehmerwagnis zuzuordnenden Forderungsausfälle in der Höhe von rund S 2,8 Mio, die Umstellung seiner Anwaltskanzlei auf Ziviltätigkeiten, und Einnahmeverschiebungen durch erlegte "Treuhandgelder".
Insbesondere im letztgenannten Umstand sieht der Beschwerdeführer die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, welche dazu geführt habe, daß es zu "einer Einkommensteuervorschreibung gekommen sei, die weitaus höher sei als dem tatsächlich in den Jahren erzielten Einkommen bei gleichmäßiger Verteilung entsprechen würde". Der Beschwerdeführer weist in diesem Zusammenhang gestützt auf das hg Erkenntnis vom , 3114/79, Slg 5478/F, darauf hin, daß § 236 BAO Anwendung finde, wenn der fehlende Verlustvortrag zu einer bereits konfiskatorischen Besteuerung der Ergebnisse aus einer schon abgeschlossenen Tätigkeit geführt habe.
Nun ist dem Beschwerdeführer einzuräumen, daß der Gerichtshof in dem zitierten Erkenntnis eine ua wegen des fehlenden Verlustvortragsrechtes entstandene Besteuerung einer sachlich abgegrenzten Tätigkeit mit mehr als 200 %, als rechtswidrig beurteilte. Weder das Beschwerdevorbringen noch die Aktenlage bietet jedoch einen Anhaltspunkt dafür, daß im Beschwerdefall ein dem zitierten Erkenntnis auch nur annähernd vergleichbarer Sachverhalt vorliegt: Abgesehen davon, daß bei der gegebenen Fallkonstellation - bei Prozeßbeginn erlegte Gelder in Verbindung mit erst anläßlich der (naturgemäß späteren) Prozeßführung entstandenen Kosten - dem Umstand, daß der Beschwerdeführer seinen Gewinn nach § 4 Abs 3 EStG durch Einnahmen-Ausgabenrechnung ermittelt und daher die gesetzlichen Bestimmungen über den Verlustabzug nicht anzuwenden sind, keine Bedeutung zukommt, weil Verluste allenfalls in späteren, nicht aber in vorangegangenen Wirtschaftsjahren entstanden, entspricht es unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ein Einnahmen-Ausgabenrechner die Möglichkeit hat, durch Steuerung des Zeitpunktes der Vereinnahmung und der Verausgabung den im Kalenderjahr zu versteuernden Gewinn zu beeinflussen, der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß die Folgen einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs 3 EStG 1972 - nämlich, daß Verluste einzelner Perioden steuerlich unberücksichtigt bleiben - vom Gesetzgeber offensichtlich gewollt sind und daher keine "sachliche" Unbilligkeit darstellen (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , 86/13/0156). Daß es im Beschwerdefall zu einer konfiskatorischen Besteuerung gekommen wäre, trug der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren vor, noch ist solches der Beschwerde zu entnehmen, wenn darin lediglich ausgeführt wird, daß der Beschwerdeführer durch die geballte Versteuerung der Zuflüsse in eine Steuerbelastung geraten wäre, welche bei gleichmäßigem Zufließen der Beträge zu keiner derartigen Steuerbelastung geführt hätte.
Auch mit seiner nicht näher begründeten Beschwerdebehauptung, die Forderungsausfälle in Höhe von "mehr oder weniger S 2,800.000,--" seien nicht dem allgemeinen Unternehmerwagnis zuzuordnen, vermag der Beschwerdeführer eine für eine Unbilligkeit der Einhebung sprechende anormale Belastungswirkung nicht darzutun, zumal nicht zugeflossene Beträge bei Einnahmen-Ausgaben-Rechnern nicht zur Besteuerungsgrundlage gehören.
Der Beschwerdeführer tritt der Ansicht der belangten Behörde, daß nachteilige Folgen, die alle Wirtschaftstreibenden in ähnlicher Lage treffen und daher dem Bereich des allgemeinen Unternehmerwagnisses zuzuordnen sind, grundsätzlich eine Nachsicht nicht rechtfertigen, nicht entgegen, sieht eine "unbillige Härte" jedoch im Zusammentreffen der angeführten Umstände.
Nun ist es jedoch Sache des Nachsichtswerbers, einwandfrei und unter Ausschluß jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , 88/13/0199, 0200, oder vom , 89/15/0088). Im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit allfälligen Auswirkungen der Abgabeneinhebung eine Gefährdung seines Nahrungsstandes nur im Zusammenhang damit behauptet, daß im Fall der Nichtentrichtung der gegen ihn seitens der Anwaltschaft verhängten Disziplinarstrafen mit einem Entzug der anwaltschaftlichen Befugnis zu rechnen wäre, und DAMIT der Nahrungsstand des Beschwerdeführers vernichtet wäre. Daß der Nahrungsstand des Beschwerdeführers durch die Einhebung der in Rede stehenden Abgaben als solche gefährdet oder die Abstattung der Abgabenschuld zumindest mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden gewesen wäre, hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht dargetan. Auch mit seiner ausschließlichen Behauptung, daß sich eine "unbillige Härte" aus dem Zusammentreffen der in der Beschwerde dargestellten, nach Ansicht des Beschwerdeführers eine Nachsicht rechtfertigenden Umstände ergebe, zeigt der Beschwerdeführer solche außergewöhnlichen Auswirkungen nicht auf.
Dem angefochtenen Bescheid haftet daher die geltend gemachte Rechtswidrigkeit nicht an, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 104/1991.