VwGH vom 12.12.1988, 88/15/0017

VwGH vom 12.12.1988, 88/15/0017

Beachte

Besprechung in:

ÖStZB 1989, 261;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Großmann, Dr. Närr, Dr. Wetzel und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde der B in W, vertreten durch Dr. Wolf-Dieter Arnold, Rechtsanwalt in Wien I, Wipplingerstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom , Zl. 380/3-10/Ma-1987, betreffend Haftung für Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.810,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug angefochtenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 14 Abs. 1 lit. a BAO für beim Primärschuldner GG in W aushaftende Umsatzsteuer und Säumniszuschläge in der Höhe von insgesamt S 288.406,-- zur (persönlichen) Haftung herangezogen. Dies im Zusammenhang mit dem Erwerb des Einzelunternehmens des Primärschuldners durch die Beschwerdeführerin auf Grund des Kaufvertrages vom 16./. Punkt 1) dieses Vertrages hat folgenden Wortlaut:

"Herr GG, in der Folge kurz 'Verkäufer' genannt, verkauft und übergibt an die Firma B, in der Folge kurz 'Käufer' genannt, und diese kauft und übernimmt vom Erstgenannten das diesem allein gehörige mit dem Standort W, X-straße 26, betriebene Geschäft des Einzelhandels mit Glas, Porzellan, Haus-Küchengeräte, wobei aber sämtliche Forderungen, Geldbestände, Guthaben, sowie Verbindlichkeiten dieses Geschäftes nicht mitverkauft werden. Gegenstand des Kaufvertrages sind daher nur das gesamte Sachanlagevermögen einschließlich der Geschäftsausstattung, des Geschäftslokales und des Warenlagers, wie sich dieses mit Stichtag darstellt.

Das Geschäftslokal, bestehend aus den 3 Verkaufs- und Ausstellungsräumen, einem Lagerraum und einem Kellerraum, steht dem Verkäufer auf Grund eines Mietvertrages mit den Hauseigentümern H und A R, W, Y-Straße, zu. Zwischen den Vertragsteilen herrscht darüber Einverständnis, daß der Verkäufer das bestehende Mietverhältnis zum zur Auflösung bringen wird. Nach dem wird die Mieterin (Anmerkung: gemeint offenbar die Beschwerdeführerin) mit den Hauseigentümern ein neues und selbständiges Mietverhältnis begründen, wobei die Käuferin diesbezüglich mit den Hauseigentümern bereits des Einvernehmen hergestellt hat."

Zur Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, unbestritten sei, daß die im Haftungswege geltend gemachte Umsatzsteuer 1980 samt Nebengebühren ursächlich auf die Geschäftsveräußerung zurückzuführen sei. Betriebliche Abgaben, die mit der Veräußerung des Gewerbebetriebes des Rechtsvorgängers als dem letzten Akt dessen gewerblicher Tätigkeit im Zusammenhang stünden, seien grundsätzlich von der Haftung des Betriebsnachfolgers umfaßt. Eine Übereignung des Unternehmens im ganzen liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, wenn der Erwerber ein lebendes oder lebensfähiges Unternehmen übernehme; dabei müßten nicht alle zum Unternehmen gehörigen Wirtschaftsgüter übereignet werden, sondern nur jene, welche die wesentliche Grundlage des Unternehmens bildeten und den Erwerber in die Lage versetzten, das Unternehmen fortzuführen. Im vorliegenden Fall habe die Beschwerdeführerin das gesamte Warenlager und das Sachanlagevermögen einschließlich der Geschäftsausstattung, also sämtliche Wirtschaftsgüter, die die wesentlichen Grundlagen des bisherigen Unternehmens bildeten, erworben. Dafür spreche auch die Tatsache, daß die Beschwerdeführerin als Eigentümerin des von ihr übernommenen Warenlagers dieses mit Kaufvertrag vom (16./ an die HG Ges.m.b.H. weiterveräußert habe. Dieser Vorgang sei bereits im Rahmen der Geschäftstätigkeit der Beschwerdeführerin erfolgt. Auch die Zurverfügungstellung des Geschäftslokales an die eben genannte Erwerberin des Warenlagers bis zum zum Abverkauf der Waren spreche dafür, daß der erworbene Betrieb habe weitergeführt werden können. Infolge Auflösung des bis dahin bestehenden Mietverhältnisses des Primärschuldners mit den Hauseigentümern habe die Beschwerdeführerin mit letzterem ein neues Mietverhältnis begründen können. Somit habe in jeder Hinsicht objektiv die Möglichkeit für die Beschwerdeführerin bestanden, das von ihr erworbene Unternehmen fortzuführen. Die Firma HG Ges.m.b.H. habe zwar von der Beschwerdeführerin das von dieser miterworbene Warenlager gekauft, sei aber nicht Betriebsnachfolger des Primärschuldners.

Mit Beschluß vom , B 700/87-3, hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobenen Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG abgetreten.

Die vorliegende Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht verletzt, "in concreto nicht als Haftende für eine fremde Abgabenschuld herangezogen zu werden. Hiezu gehört auch unser Recht, daß sowohl die Voraussetzungen für die Haftung als auch der Umfang der Haftsumme jeweils in einem mängelfreien Verfahren festgestellt werden." Die Beschwerdeführerin bekämpft auch die Ermessensübung betreffend die Geltendmachung der persönlichen Haftung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wird ein Unternehmen oder ein im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet, so haftet der Erwerber gemäß § 14 Abs. 1 lit. a BAO für Abgaben, bei denen sich die Abgabepflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, soweit die Abgaben auf die Zeit seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entfallen.

Diese Haftungsregelung dient dem Zweck, die im Unternehmen (Betrieb) als solchem liegende Sicherung für die auf den Betrieb sich gründenden Abgabenschulden durch den Übergang des Unternehmens (Betriebes) in andere Hände nicht verlorengehen zu lassen. Die Haftung knüpft dabei an die Übereignung eines Unternehmens (oder eines im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführten Betriebes) im ganzen, also an den Übergang eines lebenden (lebensfähigen) Unternehmens bzw. Betriebes an; dabei müssen nicht alle zum Unternehmen (Betrieb) gehörigen Wirtschaftsgüter übereignet werden, sondern nur jene, welche die wesentliche Grundlage des Unternehmens (Betriebes) bilden und den Erwerber in die Lage versetzen, das Unternehmen fortzuführen. Die Frage, welche Wirtschaftsgüter die wesentliche Grundlage des Unternehmens (Betriebes) bilden, ist in funktionaler Betrachtungsweise nach dem jeweiligen Unternehmens- bzw. Betriebstypus (z.B. ortsgebundene Tätigkeit, kundengebundene Tätigkeit, Produktionsunternehmen usw.) zu beantworten (siehe hiezu beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 83/13/0042, und vom , Zl. 85/14/0165).

1) Die Beschwerdeführerin bringt in ihrem ursprünglichen Beschwerdeschriftsatz vor dem Verfassungsgerichtshof zunächst Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 14 BAO vor und meint, bei der Geltendmachung der Haftung im Grunde dieser Vorschrift handle es sich um die Geltendmachung eines "civil right" im Sinne der Verfassungsgarantie des Art. 6 Abs. 1 MRK. Über die Haftung sei im vorliegenden Fall nicht in einem "fair trial" durch ein unabhängiges und unparteiisches "Tribunal" entschieden worden.

Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des im Beschwerdefall präjudiziellen § 14 Abs. 1 lit. a BAO sind aus Anlaß vorliegenden Beschwerdefalles beim Verwaltungsgerichtshof nicht entstanden. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang meint, die Haftungsregelung finde ihre sachliche Rechtfertigung in einem unterlassenen, gesetzlich nicht zur Pflicht gemachten Meldevorgang des Haftungspflichtigen, verkennt sie den schon wiedergegebenen Zweck der Haftungsregelung. Auch erfordert es das sich aus dem Gleichheitsgrundsatz ergebende Sachlichkeitsgebot nicht, bei der Normierung einer abgabenrechtlichen Haftungsregelung von einer analogen Haftungsregelung im bürgerlichen Recht nicht abzuweichen.

Bei der Geltendmachung der abgabenrechtlichen Haftung im Grunde der in Rede stehenden Gesetzesstelle handelt es sich ebensowenig wie bei der Festsetzung einer Abgabe gegenüber einem Abgabenschuldner kraft Gesetzes um die Geltendmachung eines "civil right"; dementsprechend liegt im Beschwerdefall auch kein Anwendungsfall des Art. 6 Abs. 1 MRK vor (vgl. hiezu beispielsweise die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. Nr. 7492/1975, 7612/1975, 8111/1977, und vom , B 267/86-13).

Sohin ist die Beschwerde in diesem Punkt nicht berechtigt.

2) Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales "Übereignung eines Unternehmens oder eines im Rahmen eines Unternehmens gesondert geführten Betriebes im ganzen" bringt die Beschwerdeführerin vor, sie sei in bezug auf das Warenlager nur "zwischengeschaltet" gewesen; dies sei möglicherweise umsatzsteuerrechtlich beachtlich, für die Haftungsinanspruchnahme gemäß § 14 BAO müsse diese "Zwischenschaltung" der Beschwerdeführerin aber außer Betracht bleiben.

Dieser Rechtsansicht der Beschwerdeführerin vermag sich der Verwaltungsgerichtshof schon deswegen nicht anzuschließen, weil die Haftungsregelung des § 14 BAO nicht nach dem von der Beschwerdeführerin hervorgehobenen Merkmal "Zwischenschaltung" unterscheidet. Das Warenlager des Primärschuldners wurde von der Beschwerdeführerin miterworben; dies wird durch die Weiterveräußerung an die HG Ges.m.b.H. noch unterstrichen. Da im übrigen selbst von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wird, daß sie ein lebendes (lebensfähiges) Unternehmen oder einen im Rahmen des Einzelunternehmens des Primärschuldners gesondert geführten Betrieb im ganzen erworben hat, ist dieses Tatbestandsmerkmal des § 14 Abs. 1 lit. a BAO erfüllt.

3) Die Beschwerde bringt gegen die Erfüllung des Haftungstatbestandes im Beschwerdefall weiters vor, die haftungsgegenständlichen Abgaben gründeten sich nicht auf den Betrieb des Unternehmens (Betriebes) des Primärschuldners, sondern auf die Veräußerung des Unternehmens (Betriebes).

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem einen auch Umsatzsteuer umfassenden Haftungsfall gemäß § 14 BAO betreffenden Erkenntnis vom , Zl. 732/67, ausgeführt hat, umfaßt die Haftung des Betriebsnachfolgers auch die betrieblichen Abgaben, die mit der Veräußerung des Gewerbebetriebes des Rechtsvorgängers als dem letzten Akt seiner gewerblichen Tätigkeit im Zusammenhang stehen.

Daß die Umsatzsteuerschuld des Primärschuldners im Zusammenhang mit der Veräußerung seines Unternehmens (Betriebes) entstanden ist, rechtfertigt also, weil die Veräußerung noch einen letzten Akt des Betriebes des Unternehmens darstellt (vgl. hiezu auch Kranich-Siegl-Waba, Kommentar zum UStG 1972, Anmerkung 33 zu § 1 und Anmerkung 240 zu § 4), den Schluß, daß eine durch Unternehmens-(Betriebs-)veräußerung entstandene Umsatzsteuerschuld vom Haftungstatbestand des § 14 Abs. 1 lit. a BAO erfaßt ist.

4) Dagegen ist die Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin begründet.

Die Beschwerdeführerin hat schon in ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Haftungsbescheid u.a. den Antrag gestellt, das Finanzamt möge ihr bekannt geben, ob gegebenenfalls welche, Maßnahmen von seiten des Finanzamtes zur Ausforschung des Aufenthaltes des Primärschuldners und zur Ermittlung seiner Vermögenslage durchgeführt worden seien.

Auf dieses Ersuchen gingen die Verwaltungsinstanzen aber trotz Erinnerung daran durch die Beschwerdeführerin in keiner Weise ein. In diesem Umfang läßt aber der angefochtene Bescheid eine Begründung für die Ermessensübung über die Haftungsinanspruchnahme vermissen; dies stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, weil nicht auszuschließen ist, daß bei Vermeidung dieses Mangels ein anderer Bescheid hätte erlassen werden können.

Auf Grund des Gesagten mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof wurde aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 lit. c VwGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom , BGBl. Nr. 243.

Wien, am