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VwGH vom 20.04.1993, 88/14/0199

VwGH vom 20.04.1993, 88/14/0199

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Pokorny, Dr. Karger und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der L in S, vertreten durch Dr. HF, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Kärnten (Berufungssenat I) vom , Zl. 187-3/85, betreffend Einkommensteuer 1982, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin erklärte im Jahr 1982 als Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von S 36,757.303,-- und solche aus Kapitalvermögen in Höhe von S 2,328.995,--. Streit besteht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren darüber, ob eine Zahlung von S 10,167.284,--, die die Beschwerdeführerin im Jahr 1982 als Bürge für Verbindlichkeiten ihres Ehegatten an eine Bank leisten mußte, entgegen der Auffassung der belangten Behörde deswegen als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen ist, weil die Bürgschaftsübernahme erforderlich war, um die wirtschaftliche Existenz des Ehegatten der Beschwerdeführerin zu sichern.

Ursprünglich war die Übernahme der Bürgschaft von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates der F-AG

(= Familienkonzerngesellschaft) gebracht und der dadurch entstandene Aufwand als Betriebsausgabe bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit geltend gemacht worden. Erst im Berufungsverfahren wurde dann der Eventualantrag gestellt, den Aufwand als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird als Beschwerdepunkt nur mehr das "Recht auf Geltendmachung einer außergewöhnlichen Belastung gemäß § 34 EStG 1972" vorgebracht.

Den Verwaltungsakten ist zu diesem Beschwerdepunkt folgender Sachverhalt zu entnehmen:

Die Bürgschaftsverpflichtung wurde mit Schreiben vom der Bank gegenüber eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war laut Vorbringen der Beschwerdeführerin die Finanzierung des Familienkonzerns infolge konjunkturbedingter ständiger Verschlechterung der Ertragslage und der Notwendigkeit diverser Investitionen zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit äußerst schwierig. Auf Grund der bei Familienunternehmen üblichen Besonderheiten habe die Beschwerdeführerin über dringendes Ersuchen ihres Ehegatten, der Vorsitzender des Vorstandes der F-AG gewesen sei, die "spezielle Haftung" gegenüber der Bank übernommen. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme werde durch private Haftungen, die letztlich (nach dem Zusammenbruch des Konzerns) in einer Größenordnung von insgesamt S 100 Millionen schlagend geworden seien, unterstrichen. Für die Beschwerdeführerin habe eine sittliche Verpflichtung zur Bürgschaftsübernahme bestanden.

Die belangte Behörde vertrat im Berufungsverfahren die Rechtsansicht, daß eine Berücksichtigung des Aufwandes aus der schlagend gewordenen Bürgschaft als außergewöhnliche Belastung nur dann in Betracht käme, wenn der besicherte Kredit dazu gedient hätte, vom Ehegatten der Beschwerdeführerin eine unmittelbare Existenzbedrohung abzuwenden. Der Kredit sei jedoch nicht dem Ehegatten, sondern der F-Industrieverwaltung GmbH. (eine der Konzerngesellschaften) eingeräumt worden. Die belangte Behörde richtete daher an die Beschwerdeführerin die Frage, welche Umstände zu der Annahme berechtigten, daß mit der Besicherung eines Kredites an den F-Konzern eine unmittelbare Existenzbedrohung des Ehegatten der Beschwerdeführerin abgewendet hätte werden können. In Anbetracht eines Gesamtvermögens des Ehegatten der Beschwerdeführerin zum von S 50,084.420,-- erscheine es nahezu denkunmöglich, daß sich der Ehegatte der Beschwerdeführerin in einer existenzbedrohenden Notlage befunden habe und seine Existenzvernichtung mit der Haftungsübernahme der Beschwerdeführerin erfolgreich hintangehalten werden konnte.

Die Beschwerdeführerin beantwortete den Vorhalt im wesentlichen wie folgt:

In sämtlichen zum Konzern gehörigen Gesellschaften seien im Zeitraum 1974 bis 1977 Verluste erwirtschaftet worden, die bei den Kreditinstituten zu einer Vertrauenskrise geführt hätten. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin, der maßgebend an den Gesellschaften beteiligt gewesen sei, habe als "Entscheidungsträger wiederholt die volle persönliche Verantwortung" auch mit seinem Privatvermögen übernommen. De facto habe er sein Unternehmen "wie ein vollhaftender offener Handelsgesellschafter" geführt und sich persönlich für die Mitarbeiter und die Wirtschaftsregionen, in denen seine Unternehmen und Betriebe ansässig waren, verantwortlich gefühlt. Um einen "Durchgriff" auf den Ehegatten der Beschwerdeführerin wegen der übernommenen Haftungen zu vermeiden, habe 1976/1977 die Notwendigkeit bestanden, zusätzlich haftendes Kapital aufzubringen und Änderungen sowie Erweiterungen sowohl im Aufbau als auch in der Finanzierung des F-Konzerns vorzunehmen. Es seien die F-Industriebeteiligungen GmbH. & Co. KG (Kommanditkapital S 30 Millionen) sowie die F-Industrieverwaltung GmbH. (Gesellschaftskapital S 50 Millionen) gegründet worden; weiters seien Sale-and-lease-back-Verträge bei der F-AG abgeschlossen und Umfinanzierungen durchgeführt worden. Alle diese Maßnahmen seien getroffen worden, um die dem Ehegatten der Beschwerdeführerin "massiv drohende Existenzvernichtung wegen Verlustes seines gesamten Vermögens" und seine "Inanspruchnahme aus den eingegangenen und dinglichen Haftungen zu vermeiden". In dieser Situation sei auch die Beschwerdeführerin sittlich verpflichtet gewesen, die später schlagend gewordene Haftungserklärung abzugeben. Nach der zum damaligen Zeitpunkt erkennbaren Situation habe sie der Meinung sein können, durch ihren Beitrag die drohende Existenzvernichtung von ihrem Ehegatten abwenden zu können. Der von der Beschwerdeführerin besicherte Kredit habe nicht dazu gedient, das Unternehmen zu erweitern oder eine bessere Ertragslage zu ermöglichen, sondern das Bestehende zu erhalten.

Das Vermögen des Ehegatten der Beschwerdeführerin bestehe zu einem Großteil aus Forderungen gegenüber den Konzerngesellschaften, deren Einbringlichkeit gefährdet sei und die mit mindestens 60 bis 100 % abzuwerten seien. Werde auch das private Haftungsrisiko berücksichtigt, so sei das zum vorhandene Vermögen wesentlich niedriger als von der belangten Behörde bezeichnet "bzw. negativ".

In der mündlichen Berufungsverhandlung wurde unter anderem die Vermögenssituation des Ehegatten der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme eingehend erörtert. Während der Berichterstatter unter Berücksichtigung von notwendigen Wertberichtigungen aber auch unter Einbeziehung der über den Einheitswerten von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Grundvermögen hinausgehenden Liegenschaftswerte zu einem Vermögen von ca. S 50 Millionen gelangte, hielt die Beschwerdeführerin bzw. deren steuerlicher Vertreter dieser "im großen und ganzen" zutreffenden Berechnung die eingegangenen Haftungsverpflichtungen des Ehegatten im Ausmaß von S 100 Millionen entgegen, die damals schon schlagend geworden wären, wenn sich die Banken nicht bereit erklärt hätten, den Konzern weiterhin mit Krediten zu stützen. Später seien diese Haftungen tatsächlich schlagend geworden und der Ehegatte der Beschwerdeführerin habe entsprechende Zahlungen leisten müssen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung in jenem Punkt, der Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist, ab. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1972 werden auf Antrag außergewöhnliche Belastungen, die dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen, insweit vor Berechnung der Steuer vom Einkommen abgezogen, als sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen. Außergewöhnlich ist eine Belastung, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (§ 34 Abs. 2 leg. cit.). Zwangsläufigkeit liegt vor, wenn sich der Steuerpflichtige der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 34 Abs. 3 leg. cit.).

Handelt es sich, wie im vorliegenden Beschwerdefall, um Zahlungen aus Anlaß eingegangener Bürgschaften, so muß nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Zwangsläufigkeit schon für das Eingehen der Bürgschaftsverpflichtungen gegeben gewesen sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 86/14/0004, und die dort zitierte Judikatur). Außerdem müssen noch folgende weitere Voraussetzungen erfüllt sein, um Zahlungen, die auf die Übernahme von Bürgschaftsverpflichtungen zurückzuführen sind, als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen:

1. Es ist erforderlich, daß der Steuerpflichtige glaubt, durch die Übernahme von Bürgschaften eine existenzbedrohende Notlage eines nahen Angehörigen mit Aussicht auf Erfolg abwenden zu können.

2. Eine existenzbedrohende Notlage liegt nicht schon dann vor, wenn nur die Fortführung einer selbständigen Betätigung ohne die Übernahme von Bürgschaften nicht mehr möglich scheint, sondern wenn die wirtschaftliche Existenz des nahen Angehörigen überhaupt verloren zu gehen droht, dieser also seine berufliche Existenz nicht auch auf andere ihm zumutbare Weise hätte erhalten können.

3. Die besicherten Kredite dürfen nicht dazu dienen, den Betrieb des Schuldners zu erweitern oder ihm sonst bessere Ertragschancen zu ermitteln.

4. Es besteht keine sittliche Verpflichtung eines Steuerpflichtigen zur Übernahme von Bürgschaften für Schulden, die ein naher Angehöriger ohne besondere Notwendigkeit eingegangen ist.

5. Eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen setzt voraus, daß sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen der Übernahme von Bürgschaften nicht entziehen kann. Nicht das persönliche Pflichtgefühl des Steuerpflichtigen, sondern der objektive Pflichtbegriff nach den herrschenden moralischen Anschauungen ist entscheidend. Es reicht daher nicht aus, daß das Handeln des Steuerpflichtigen menschlich verständlich ist, es muß vielmehr die Sittenordnung dieses Handeln gebieten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 86/14/0085 und die dort zitierte hg. Rechtsprechung).

Im Lichte dieser Ausführungen ergibt sich unter Berücksichtigung des Verwaltungsgeschehens und des Beschwerdevorbringens folgendes:

Die belangte Behörde geht davon aus, daß sich der F-Konzern bereits im Jahr 1977 in finanziellen Schwierigkeiten befand und daß diverse Maßnahmen ergriffen wurden, um eine Sanierung der Unternehmensgruppe zu erreichen. Auch daß die Gründung der F-Industrieverwaltung GmbH., deren Verbindlichkeiten durch die Bürgschaftserklärung der Beschwerdeführerin besichert wurden, diesem Zweck gedient hat, wird von der belangten Behörde nicht bezweifelt. Es kann dahingestellt bleiben, ob darin eine schädliche "Erweiterung" der betrieblichen Sphäre bzw. eine Verbesserung der Ertragschancen zu erblicken war (die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde werden von der Beschwerdeführerin bestritten); die belangte Behörde begründet den angefochtenen Bescheid nämlich unter anderem auch mit dem Hinweis, daß die Verschuldung des Ehegatten der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme (1977) nicht existenzbedrohend gewesen sei. Bereits dieses zutreffende Argument ist geeignet, den angefochtenen Bescheid zu stützen. Nach den Berechnungen der belangten Behörde verfügte der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Jahr 1977 über ein Vermögen von ca. S 50 Millionen. Der Steuerberater der Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Berufungsverhandlung zugegeben, daß diese "Berechnung im großen und ganzen stimmt". Er hat aber auf die damals bereits eingegangenen Haftungsverpflichtungen des Ehegatten der Beschwerdeführerin im Ausmaß von insgesamt ca. S 100 Millionen hingewiesen. Wären diese Verpflichtungen damals schon schlagend geworden, so hätte dies zu einer Überschuldung geführt. Dem hält die belangte Behörde entgegen, daß ein Schlagendwerden der eingegangenen Haftungen im Jahr 1977 nicht zu befürchten gewesen sei. Auch sei zu beachten, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin in den Folgejahren noch weitere Haftungsverpflichtungen im Ausmaß von ca. S 176 Millionen eingegangen sei. Dies spreche dagegen, bereits im Jahr 1977 eine unmittelbar drohende Existenzgefährdung anzunehmen.

Die nach Bürgschaftsübernahme erfolgte Ausdehnung der Haftungsverpflichtungen ihres Ehegatten um weitere ca. S 176 Millionen wird von der Beschwerdeführerin nicht in Abrede gestellt. In ihrer Äußerung zur Gegenschrift der belangten Behörde weist sie lediglich darauf hin, daß das Ausmaß der weiteren Haftungsverpflichtungen keinen Schluß auf vorhandenes Vermögen zulasse, weil es nicht unüblich sei, daß insgesamt höhere Bürgschaftsverpflichtungen eingegangen würden, als Deckungsvermögen vorhanden sei. Dies mag zutreffen. Es ist allerdings ebenfalls nicht unüblich, daß bei Kreditgewährungen in der genannten Größenordnung die Bonität der zur Haftung herangezogenen Personen geprüft wird. Mit der Bezugnahme auf die Usancen im Bereich der Kreditwirtschaft läßt sich daher kein verläßliches Bild von der Vermögenslage einer Person gewinnen, deren Haftung für einen Kredit vom Kreditgeber als Besicherung akzeptiert wird. Dessenungeachtet spricht das Eingehen von Haftungsverpflichtungen gegenüber diversen Banken im Gesamtausmaß von ca. S 176 Millionen eher gegen eine unmittelbare Existenzbedrohung des Haftenden VOR Eingehen solcher Verpflichtungen. Wenn die belangte Behörde daher aus diesem Umstand in freier Beweiswürdigung den Schluß gezogen hat, daß der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Jahr 1977 noch nicht unmittelbar in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht war, so ist für den Gerichtshof nicht erkennbar, daß eine solche Beweiswürdigung unschlüssig oder den Erfahrungen des Wirtschaftslebens widersprechend wäre. Vielmehr wäre es Sache der Beschwerdeführerin gewesen, die Vermögenslage ihres Ehegatten im Zeitpunkt der Übernahme der Bürgschaft so klar und detailliert darzustellen, daß sowohl seine unmittelbare Existenzbedrohung als auch deren (mögliche) Beseitigung durch die Bürgschaftsübernahme erkennbar gewesen wäre. Das unbestimmt gebliebene Vorbringen, daß sämtliche damaligen Haftungsverpflichtungen im Ausmaß von ca. S 100 Millionen bereits 1977 hätten schlagend werden können, erfüllt diese Voraussetzung nicht.

Zur Verfahrensrüge der Beschwerdeführerin, die belangte Behörde habe ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht gemäß § 115 BAO nicht entsprochen, genügt der Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach es bei Inanspruchnahme von Abgabenbegünstigungen in erster Linie dem Abgabepflichtigen obliegt, den für die Begünstigung maßgebenden Sachverhalt nachzuweisen bzw. glaubhaft zu machen, während die amtswegige Ermittlungspflicht der Abgabenbehörde in den Hintergrund tritt (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung, S. 270 und die dort zitierte hg. Rechtsprechung). Dies gilt insbesondere auch für die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.