TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 22.03.1995, 92/13/0025

VwGH vom 22.03.1995, 92/13/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny und Dr. Hargassner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des Präsidenten der FLD für Wien, NÖ und Bgld gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat II) vom , Zl. 6/1-1148/88-13, betreffend Gewerbesteuer 1982 und 1983 der mitbeteiligten Partei Dr. S in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte, die ihren Beruf als "Psychotechnikerin" bezeichnet, ist als "psychologische Marktforscherin" tätig und erklärte in den Streitjahren aus dieser von ihr als wissenschaftlich qualifizierten Tätigkeit Einkünfte aus selbständiger Arbeit.

Die Abgabenbehörde folgte der rechtlichen Beurteilung der Mitbeteiligten und erblickte in den in Rede stehenden Einkünften ebenfalls solche aus selbständiger Arbeit.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, daß es sich bei den Einkünften der Mitbeteiligten um solche aus Gewerbebetrieb handle. Aus Gründen, die nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sind, wurden die Verfahren betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer für die Jahre 1982 und 1983 wiederaufgenommen. Im wiederaufgenommenen Verfahren erließ das Finanzamt Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheide, in denen die Einkünfte der Mitbeteiligten als solche aus Gewerbebetrieb qualifiziert wurden. Außerdem erließ das Finanzamt Bescheide betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer 1984 sowie Gewerbesteuer für die Jahre 1982 bis 1984.

Die Mitbeteiligte erhob Berufung, in der sie einerseits die Beurteilung ihrer Tätigkeit als gewerblich bekämpfte und den wissenschaftlichen Charakter der Tätigkeit hervorhob und andererseits die Wiederaufnahme der Verfahren bekämpfte.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung insoweit Folge, als sie sämtliche Bescheide betreffend die Wiederaufnahme der Umsatzsteuer- und Einkommensteuerverfahren sowie die Gewerbesteuerbescheide für die Jahre 1982 und 1983 aufhob. Die Aufhebung der die Wiederaufnahme verfügenden Bescheide erfolgte im wesentlichen mit der Begründung, daß die aufgegriffenen Wiederaufnahmsgründe in einem "eklatanten" Mißverhältnis zu den steuerlichen Gesamtauswirkungen stünden. Die Gewerbesteuerbescheide 1982 und 1983 wurden mit der Begründung aufgehoben, daß nunmehr wiederum die einkommensteuerlichen Erstbescheide in den Rechtsbestand getreten seien, in denen die Einkünfte als solche aus selbständiger Arbeit qualifiziert worden seien.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland. Bekämpft wird lediglich die Aufhebung der Gewerbesteuerbescheide 1982 und 1983.

Die Mitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zunächst hält es der Gerichtshof für erforderlich, darauf hinzuweisen, daß die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Auffassung vertritt, daß die Einkünfte der Mitbeteiligten solche aus Gewerbebetrieb sind und daß sie nur deswegen die Gewerbesteuerbescheide für 1982 und 1983 (nicht jedoch für 1984) aufgehoben hat, weil sonst ein ihr rechtswidrig erscheinender Widerspruch zwischen Einkommensteuerbescheiden einerseits und Gewerbesteuerbescheiden andererseits entstanden wäre. Die Mitbeteiligte ist in ihrer Gegenschrift der Beurteilung ihrer Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb nicht entgegengetreten. Der Gerichtshof hatte sich daher mit dieser Frage nicht zu befassen.

Der beschwerdeführende Präsident vertritt die Rechtsansicht, daß die Erlassung von Gewerbesteuerbescheiden eigenständig zu erfolgen habe, wenn gewerbesteuerpflichtige Einkünfte vorliegen. Eine Bindung an Einkommensteuerbescheide hinsichtlich der Frage, ob die betreffenden Einkünfte solche aus Gewerbebetrieb seien oder nicht, sei zu verneinen. Eine Bindung bestehe lediglich in der Frage der Höhe des Gewinnes.

Die Mitbeteiligte tritt dieser Rechtsansicht mit folgenden Argumenten entgegen:

Die Bestimmung des § 296 BAO eröffne keine Möglichkeit zur Erlassung von Gewerbesteuerbescheiden, wenn sich der in den Einkommensteuerbescheiden ausgewiesene Gewinn nicht geändert habe. Dem ist zuzustimmen. Die Mitbeteiligte übersieht jedoch, daß es einer Anwendung des § 296 BAO gar nicht bedarf, weil diese Bestimmung nur den Ersatz eines Gewerbesteuermeßbescheides durch einen neuen derartigen Bescheid für den Fall regelt, daß der Einkommen- oder Körperschaftsteuerbescheid abgeändert oder nachträglich erlassen UND dadurch die Höhe des Gewinnes aus Gewerbebetrieb berührt wird. Diese verfahrensrechtliche Verknüpfung des Gewerbesteuermeßbescheides mit der Höhe des im Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerbescheid ausgewiesenen Gewinnes aus Gewerbebetrieb folgt aus der Bestimmung des § 6 Abs. 1 und 2 GewStG, wonach der Gewerbeertrag unter Zugrundelegung des Gewinnes aus Gewerbebetrieb zu ermitteln ist, wobei als Gewinn jener im Sinne der Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (Körperschaftsteuergesetzes) gilt. Eine über die HÖHE des Gewinnes hinausgehende Bindung des Gewerbesteuermeßbescheides an den Einkommensteuerbescheid (Körperschaftsteuerbescheid) für dieselbe Besteuerungsperiode, läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Es ist daher entbehrlich, auf das weitere Vorbringen der Mitbeteiligten einzugehen, wonach auch der Ausspruch über die Art der Einkünfte Spruchbestandteil eines Einkommensteuerbescheides sei. Denn selbst wenn man dies bejahen wollte, so bestünde keine gesetzlich angeordnete Bindung des Gewerbesteuermeßbescheides an diesen Ausspruch des Einkommensteuerbescheides (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, Band 3, S. 2867 und die dort zitierte hg. Rechtsprechung). Eine derartige Bindung ist gemäß § 295 Abs. 1 BAO nur gegenüber Feststellungsbescheiden angeordnet.

Es mag unbefriedigend erscheinen, wenn ein und derselbe Sachverhalt in verschiedenen Verfahren rechtlich unterschiedlich beurteilt wird. Dessenungeachtet ist das solcherart verursachte Erlassen einander widersprechender Bescheide möglich, die auch in weiterer Folge nebeneinander bestehen können, wenn gesetzliche Vorschriften nicht ausdrücklich anderes anordnen. Bei der rechtlichen Beurteilung, ob bestimmte Einkünfte solche aus Gewerbebetrieb oder solche aus einer anderen Einkunftsart sind, handelt es sich um eine Frage, die im Einkommensteuerverfahren einerseits und im Gewerbesteuerverfahren andererseits unterschiedlich gelöst werden kann, mit der Folge, daß diese Bescheide zwar in Widerspruch zueinander geraten, dessenungeachtet aber in ihrer Erlassung und weiteren Existenz voneinander unabhängig bleiben.

Zu Recht vertritt der beschwerdeführende Präsident daher die Auffassung, daß die Erstbescheide betreffend Einkommensteuer, in denen die Einkünfte der Mitbeteiligten als solche aus selbständiger Arbeit beurteilt worden waren, der eigenständigen späteren Erlassung von Gewerbesteuerbescheiden nicht entgegenstanden, sodaß die Aufhebung dieser Gewerbesteuerbescheide, die ausschließlich mit dem Widerspruch zu den Einkommensteuerbescheiden begründet wurde, rechtswidrig erfolgte.

Die Mitbeteiligte bringt weiters vor, es stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dar, wenn die Abgabenbehörde ihre Rechtsansicht rückwirkend ändere. Zu diesem Argument genügt der Hinweis auf die ständige

hg. Rechtsprechung, wonach dieser Grundsatz nicht darin besteht, ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung für die Vergangenheit zu schützen. Vielmehr müssen besondere Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der bisherigen Rechtsauffassung durch die Finanzverwaltung unbillig erscheinen lassen, wie dies z.B. der Fall sein kann, wenn ein Abgabepflichtiger von der Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert wird und sich nachträglich die Unrichtigkeit dieser Vorgangsweise herausstelt. Derartige besondere Umstände werden von der Mitbeteiligten nicht behauptet und können auch den Verwaltungsakten nicht entnommen werden. Die Langjährigkeit einer unrichtigen Vorgangsweise allein stellt jedenfalls keinen solchen besonderen Umstand dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 17/3166/79, 3225 bis 3227/79).

Schließlich meint die Mitbeteiligte, daß die Erlassung von einander widersprechenden Einkommen- und Gewerbesteuerbescheiden (wenn überhaupt) eine "Ermessensausübung" darstelle, deren Überprüfung dem Gerichtshof nicht zustehe. Diese Behauptung ist unrichtig. Ob die Abgabenbehörde Abgabenbescheide erläßt oder nicht erläßt, steht keineswegs in ihrem Ermessen, sondern hat in Erfüllung jener gesetzlichen Vorschriften zu erfolgen, die das Erlassen solcher Bescheide durch zwingende Bestimmungen regelt.

Da sich somit der angefochtene Bescheid im angefochtenen Ausmaß als inhaltlich rechtswidrig erweist, war er im Ausmaß seiner Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.