VwGH vom 21.07.1993, 92/13/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde der Dr. K in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der FLD Wien, NÖ und Bgld (Berufungssenat II) vom , GZ. 6/1-1240/89-13, betreffend Einkommensteuer 1984 und 1985, Gewerbesteuer 1983 bis 1985 sowie Einkommen- und Gewerbesteuervorauszahlungen 1988, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin führte in ihren Einkommensteuererklärungen für 1983, 1984 und 1985 unter Beruf oder Art der Tätigkeit Motivforschung an und erklärte diesbezüglich Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Anläßlich der Durchführung einer abgabenbehördlichen Prüfung brachte die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit ihrer Tätigkeit vor, die von ihr erbrachten Leistungen seien eng an ihre Person gebunden; sie könnten nicht delegiert werden. Dies liege an der Besonderheit ihres wissenschaftlichen Zuganges, der im Augenblick von niemandem in Österreich verwendet werde. Sie versuche die Theorien der Semiotik und der Kulturanthropologie auf die österreichische Gegenwartskultur anzuwenden. Die Semiotik (Lehre von der Zeichenverwendung) sei eine der Linguistik übergeordnete Disziplin; sie beschreibe die Regeln und Bedingungen, nach denen Zeichensysteme funktionieren. Es sei nur möglich, Bedeutung mitzuteilen und Kommunikation zu etablieren, wenn Zeichen regelhaft verwendet werden. Die Besonderheit des Zuganges der Beschwerdeführerin liege darin, daß sie nonverbale Zeichensysteme analysiere, die sich besonders häufig im Bereich der Marken, der Werbung und der Packungsgestaltung befinden. Systeme dieser Art seien bisher kaum analysiert worden, und ihre Erforschung habe bereits zu einer Reihe von Erkenntnissen über Zeichensysteme generell geführt, die auch öffentlich vorgetragen wurden (Deutsche Semiotiktagung, Essen 1987). Ähnlich werde mit den Ansatz der Kulturanthropologie, welche die für eine Kultur jeweils gültigen Bedeutungen und Regeln in anthropologisch wichtigen Feldern wie Essen, Wohnen und Körperpflege untersucht, verfahren. Die Tätigkeit für Kunden bestehe in einer Reihe von Beratungsverträgen sowie Aufträgen, bei denen anhand von Untersuchungen Gelegenheit sei, Hypothesen empirisch zu bestätigen; die Kunden gewännen ihrerseits jeweils Einblick in die Zusammenhänge und Bedeutungen von anthropologischen Feldern. Dieses Wissen könne von der Beschwerdeführerin - entsprechend der ausdrücklichen Vereinbarung mit den Auftraggebern - frei verwendet werden, was je nach publizistischen Angeboten geschehe (bei Tagungen, Kongressen, Vorträgen im Rahmen der Lehrtätigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, als Vorstandsmitglied der Werbewissenschaftlichen Gesellschaft). Ausgenommen hievon seien nur vertrauliche Produktinformationen. Die Ergebnisse der Arbeiten seien auch für Massenmedien (z.B. ORF) interessant, von denen die Beschwerdeführerin fallweise zur Begutachtung verschiedener Phänomene (z.B. Sex in der Werbung; Körpersprache im Sport) herangezogen werde. Die Lehrveranstaltung an der Wirschaftsuniversität baue ausschließlich auf den Erkenntnissen dieser Untersuchungen auf und diene der Vermittlung und Erweiterung des Wissensstandes der Hörer. Im Rahmen der Motivforschung werden keine standardisierten, repräsentativen Marktforschungen durchgeführt; entsprechende Aufgaben werden ausnahmslos an das Österreichische Gallup-Institut (gemeint wohl: Österreichisches Meinungs- und Marktforschungs-Institut,
Das österreichische Gallup-Institut, Dr. K-Gesellschaft m.b.H.) weitergeleitet. Ihre Aufgabe beschränke sich auf individuelle wissenschaftliche Analysen bzw. Interpretationen. Es gehe ihr primär darum, übergeordnete Gesetzmäßigkeiten an Einzelphänomenen zu erkennen und diese auch darzustellen. Eine gezielte Beratung im Sinne von Marketing und Werbeempfehlungen sei mit den Forschungsaufträgen nicht verbunden.
Das Finanzamt qualifizierte die aus der Motivforschung zugeflossenen Einnahmen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 23 EStG) und erließ die entsprechenden einkommen- und gewerbesteuerlichen Sachbescheide.
Der dagegen erhobenen Berufung wurde insoweit stattgegeben, als der Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 1983 aufgehoben wurde. Im übrigen wurde die Berufung abgewiesen.
In der Beschwerde gegen diese Berufungsentscheidung wird deren inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist strittig, ob die Beschwerdeführerin eine wissenschaftliche Tätigkeit entfaltet und daher Einkünfte aus selbständiger Arbeit vorliegen (§ 22 Z. 1 lit. a EStG 1972), oder ob die Einnahmen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren sind (§ 23 Z. 1 EStG 1972 und somit in weiterer Folge der Gewerbesteuer (§ 1 Abs. 1 GewStG 1953)
unterliegen.
Mit der Frage, wann eine Tätigkeit als wissenschaftlich anzusehen ist, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach befaßt. Er gelangte u.a. zur Auffassung, eine wissenschaftliche Tätigkeit müsse ausschließlich oder nahezu ausschließlich der Forschung, d.h. dem Erringen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse dienen (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom , 91/13/0120; vom , 90/14/0004, 0005, und vom , 82/14/0215, 0250). Die wissenschaftliche Tätigkeit beschränke sich nicht nur auf die Grundlagenforschung, sondern diene auch der Lösung von Fragen des praktischen Lebens (vgl. etwa das Erkenntnis vom , 82/14/0099). Eine solche "angewandte Wissenschaft" werde erst dann zu einer wissenschaftlichen Tätigkeit, wenn grundsätzliche Fragen oder konkrete Vorgänge methodisch nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten in ihren Ursachen erforscht, begründet und in einen Verständniszusammenhang gebracht werden, wozu auch gehörte, daß die Tätigkeit von der Methodik her nachprüfbar und nachvollziehbar ist (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom , 88/15/0057, 0092, und vom , 82/14/0304).
Nach Ansicht der belangten Behörde entspricht die Arbeit der Beschwerdeführerin diesen Kriterien nicht, weil sie für Unternehmen, die mit ihren Fragen nach Einstellungen und Verhaltensweisen von Menschen in ihrer Rolle als Konsumenten an sie herantreten, Lösungen suche. Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, daß es für die Qualifikation als Wissenschaftler nicht entscheidend ist, darauf abzustellen, welche Motive die Auftraggeber verfolgen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die - die Leistung des von der Beschwerdeführerin vereinnahmten Entgeltes bewirkende (vgl. das allerdings einen anderen Sachverhalt betreffende hg. Erkenntnis vom , 90/14/0004, 0005) - Tätigkeit der Beschwerdeführerin an sich den obengenannten wissenschaftlichen Charakteristika entspricht.
Der Ablauf eines konkreten Projektes gestaltet sich nach den schlagwortartigen Angaben der Beschwerdeführerin im allgemeinen folgendermaßen:
"Forschungsfrage/Aufgabenstellung
Einordnung der Forschungsfrage in einen übergeordneten Bezugsrahmen (Semiotischer/kulturanthropologischer Kontext)
Hypothesenbildung
Überprüfung der Hypothesen durch empirische Untersuchungen
Überprüfung der Hypothesen durch semiotische Analyseverfahren Bestätigung/Falsifizierung der Hypothesen
Einordnung der Resulate in den übergeordneten Bezugsrahmen."
Diese von der Beschwerdeführerin aufgezeigten Sachverhaltselemente weisen auf das Vorliegen der von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für eine wissenschaftliche Tätigkeit geforderten Merkmale hin.
Unbestritten ist, daß die von der Beschwerdeführerin gewonnenen Erkenntnisse von den Auftraggebern zu wirtschaftlichen Zwecken umgesetzt werden. Die Berufungsbehörde verneint aber den wissenschaftlichen Gehalt der Tätigkeit mit der Begründung, die Auftraggeber würden ihr Entgelt regelmäßig für die bestellte Lösung ihrer betrieblichen Probleme leisten. Das Ziel sei lediglich die klaglose Bewältigung bestimmter unternehmensinterner Aufgaben. Dieser Ansicht kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anschließen. Der Qualifikation der Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Wissenschaftler stünde die innerbetriebliche Umsetzung der von ihr gewonnenen Ergebnisse nicht entgegen, weil die von den Auftraggebern verfolgten weiteren Zielsetzungen für die Beurteilung der Wissenschaftlichkeit keine Relevanz besitzen.
Die belangte Behörde hat sich, ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, einem wissenschaftlichen Gehalt der Tätigkeit der Beschwerdeführerin komme keine Bedeutung zu, weil das Ergebnis dieser Tätigkeit letztlich die Lösung kontreter Einzelprobleme, gewesen sei, mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht auseinandergesetzt und daher ihren Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Es erübrigt sich somit, auf die in der Beschwerde geltend gemachte Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften einzugehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.