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VwGH vom 17.09.1991, 88/14/0012

VwGH vom 17.09.1991, 88/14/0012

Beachte

Besprechung in:

ÖStZB 1992, 131;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Pokorny, Dr. Karger und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Nöst, über die Beschwerde des Dr. F in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , Zl. 61/10-3/87, betreffend Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1985 gemäß § 299 Abs. 2 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Finanzbeamter. Neben seinen aus dieser Tätigkeit erzielten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärte er als Sachverständiger Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Für das Jahr 1985 wurde er erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt, wobei auch sein Antrag, die Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit gemäß § 37 in Verbindung mit § 38 Abs. 4 EStG 1972 begünstigt zu besteuern, Berücksichtigung fand.

Im Zuge einer im Jahr 1986 unter anderem auch für das Streitjahr durchgeführten Betriebsprüfung, die zur Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 1985 führte, wurde die rechtliche Beurteilung der Gutachtereinkünfte als gemäß § 38 Abs. 4 EStG 1972 begünstigungsfähig beibehalten.

Mit Bescheid vom hob die belangte Behörde den im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Einkommensteuerbescheid 1985 gemäß § 299 Abs. 2 BAO mit der Begründung auf, daß das Finanzamt zu Unrecht für die Einkünfte aus Gutachtertätigkeit die Begünstigung des § 38 Abs. 4 EStG 1972 gewährt habe. Die Einkünfte stammten aus der entgeltlichen Überlassung von Werkstücken, nämlich den Gutachten, nicht jedoch aus der Verwertung von Urheberrechten im Sinne des Urheberrechtsgesetzes.

Das Finanzamt erließ einen neuen Einkommensteuerbescheid 1985, mit dem die genannte Tarifbegünstigung entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde wiederum zuerkannt wurde.

Die belangte Behörde hob diesen Bescheid ebenfalls im Dienstaufsichtsweg gemäß § 299 Abs. 2 BAO auf. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt zunächst, daß die belangte Behörde den Einkommensteuerbescheid 1985 aufgehoben habe, ohne vorher den maßgebenden Sachverhalt zu klären. Diese Rüge ist unberechtigt. Es trifft zwar zu, daß von der belangten Behörde keine Feststellungen darüber getroffen wurden, ob der Beschwerdeführer nur gerichtliche Gutachten oder auch Privatgutachten erstellt hat; eine solche Feststellung konnte aber deswegen dem Finanzamt im Zuge der Erlassung des Ersatzbescheides überlassen bleiben, weil sowohl bei gerichtlichen als auch bei privaten Gutachten eine Begünstigung gemäß § 38 Abs. 4 EStG 1972 nur in Betracht kommen würde, wenn neben der für eine Gutachtertätigkeit typischen entgeltlichen Überlassung des Gutachtens (= Werkstück) an den Auftraggeber Verwertungstatbestände im Sinne des Urheberrechtsgesetzes verwirklicht worden wären, die zu weiteren Einkünften des Beschwerdeführers geführt hätten. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte sich die Begünstigung des § 38 Abs. 4 EStG nur auf den entsprechenden Teil der Gutachtereinkünfte erstreckt (vgl. diesbezüglich die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 84/14/0006, vom , Zl. 84/13/0017, vom , Zl. 87/14/0089, vom , Zl. 87/14/0117 und vom , Zl. 85/13/0163).

Das Finanzamt hat derartige Sachverhaltsfeststellungen deswegen unterlassen, weil es der unrichtigen Rechtsansicht war, daß bereits die entgeltliche Erstellung eines Sachverständigengutachtens für einen Auftraggeber als Verwertung selbstgeschaffener Urheberrechte anzusehen sei. Geht aber ein Finanzamt bei Erlassung eines Bescheides offensichtlich von einer unrichtigen Rechtsansicht aus und unterbleibt deswegen die vollständige Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes, so ist die Oberbehörde berechtigt, den Bescheid gemäß § 299 Abs. 2 BAO wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne den maßgebenden Sachverhalt selbst zu ermitteln. Vielmehr kann sie das Finanzamt anweisen, im Zuge der Erlassung des Ersatzbescheides die unterlassene Sachverhaltsfeststellung nachzuholen.

Anders verhält es sich in Fällen, in denen die Feststellung der inhaltlichen Rechtswidrigkeit eines Bescheides nur auf Grund eines Sachverhaltes festgestellt werden kann, der noch nicht erhoben wurde. In einem solchen Fall hat eine entsprechende Sachverhaltsfeststellung VOR Erlassung des Aufhebungsbescheides zu erfolgen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 84/13/0255).

Der Beschwerdeführer erklärt sich auch durch die "mehrfache Aufhebung" des Einkommensteuerbescheides 1985 beschwert. Ein solcher Vorgang ist aber - von den Fällen des § 302 Abs. 2 BAO abgesehen - nicht rechtswidrig und insbesondere dann geboten, wenn das Finanzamt der im Aufhebungsbescheid klar zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht der Oberbehörde im Ersatzbescheid nicht Rechnung trägt.

Der Beschwerdeführer bringt schließlich vor, die belangte Behörde hätte im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung betreffend die Bescheidaufhebung auch zu prüfen gehabt, ob dem Finanzamt bei Wiederaufnahme des Einkommensteuerveranlagungsverfahrens für 1985 ein Ermessensmißbrauch anzulasten war. Auch mit diesem Vorbringen wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt.

Zunächst ist zu beachten, daß der Bescheid, mit dem die Wiederaufnahme eines Verfahrens verfügt wird, und der im wiederaufgenommenen Verfahren erlassene Sachbescheid zwei verschiedene Bescheide sind, die sowohl hinsichtlich ihrer Anfechtbarkeit im Rechtsmittelweg als auch hinsichtlich ihrer Behebbarkeit im Dienstaufsichtsweg getrennt zu beurteilen sind. Die Aufhebung des im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Einkommensteuerbescheides 1985 ließ den Bescheid über die Wiederaufnahme des betreffenden Verfahrens unberührt, sodaß die Ausführungen des Beschwerdeführers schon aus diesem Grund ins Leere gehen. Sollte sich aus der Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 1985 im Zusammenhang mit der Erlassung eines diesbezüglichen Ersatzbescheides eine Unverhältnismäßigkeit zwischen Wiederaufnahmsgründen einerseits und steuerlicher Mehrbelastung andererseits ergeben, die bei der Ermessensentscheidung betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens grundsätzlich zu berücksichtigen wäre, so könnte eine solche Berücksichtigung nur nach ZUSÄTZLICHER Aufhebung des die Wiederaufnahme verfügenden Bescheides bzw. im Rahmen einer solchen Maßnahme erfolgen.

Eine derartige zusätzliche Bescheidaufhebung scheint der Beschwerdeführer in der Tat anzustreben, wenn er anregt, der Verwaltungsgerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des § 299 BAO als verfassungswidrig stellen. Er dürfte dabei allerdings, wie auch die seiner Anregung beigeschlossene Abhandlung von Beiser "Anspruch auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO als verfassungsrechtliches Gebot" in RdW 1991/1 zeigt, nicht eine Aufhebung des § 299 BAO, den der Verfassungsgerichtshof bereits für verfassungsrechtlich unbedenklich befand (Stoll, BAO-Handbuch, S 712), im Auge haben, sondern eine Aufhebung des § 301 BAO, wonach niemandem ein Recht auf dienstaufsichtsbehördliche Bescheidaufhebung zusteht. Er übersieht, daß der Verwaltungsgerichtshof derartige Anträge an den Verfassungsgerichtshof nur stellen kann, wenn er die betreffende Gesetzesbestimmung in einem konkreten Fall anzuwenden hätte, das heißt, wenn sie für seine Entscheidung präjudiziell wäre (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 151 ff).

Ein letztinstanzlicher Bescheid, mit dem ausgesprochen worden wäre, daß der Beschwerdeführer keinen Rechtsanspruch auf eine Aufhebung des die Wiederaufnahme verfügenden Bescheides gemäß § 299 BAO habe, ist jedoch nicht Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Da es somit schon an der grundsätzlichen Voraussetzung dafür fehlt, die Anregung des Beschwerdeführers aufzugreifen, erübrigen sich Ausführungen zu der Frage, ob der Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 301 BAO teilt oder nicht.

Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/91.