VwGH vom 04.09.1992, 88/13/0244
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der C in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld vom , Zl. 6/3-3345/88, betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften, Gewerbesteuer sowie Wiederaufnahme der genannten Verfahren für die Jahre 1979 und 1982, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.750,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin betrieb bis handelsrechtlich als Einzelunternehmerin eine Handelsagentur. An ihrem Unternehmen war Heinz B. als unechter stiller Gesellschafter beteiligt. Seit wird das Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG geführt, deren Kommanditisten die Beschwerdeführerin und Heinz B. sind.
Für die Jahre 1979 bis 1982 fand im Unternehmen eine Betriebsprüfung statt, die zur Wiederaufnahme der Verfahren betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften sowie betreffend Gewerbesteuer für die Jahre 1979 bis 1982 führte. Der Prüfer traf insbesondere folgende Feststellungen:
Im Zusammenhang mit dem Vertrieb eines Reinigungsmittels seien in den Streitjahren an die in Liechtenstein ansässige D-AG als Provisionen bzw. Lizenzen Beträge im Gesamtausmaß von knapp S 3 Millionen bezahlt worden. Wirtschaftlicher Hintergrund für diese Zahlungen sei die Einräumung der Berechtigung gewesen, Reinigungsmittel mit bestimmten Zusätzen zu versehen. Inhaberin des betreffenden Verfahrens sei die weltweit bekannte S-AG in der Schweiz gewesen. Die Lizenzgebühren seien aber nicht an diese Firma, sondern an zwei in Liechtenstein domizilierte Briefkastenfirmen geleistet worden, und zwar an die I-Establishment und an die bereits genannte D-AG. Weiters sei festgestellt worden, daß die Lizenzgebühren freiwillig auch für gesondert fakturierte Teppichreinigungsmaschinen bezahlt worden seien und daß die D-AG von Dr. Sch. vertreten worden sei, der als Angestellter des Steuerberaters der Beschwerdeführerin auch diese betreut habe, was auf ein Naheverhältnis der Geschäftspartner schließen lasse. Weiters habe eine Überprüfung der Kraftfahrzeugkosten ergeben, daß die Treibstoffkosten nicht aus betrieblichen Mitteln getragen worden seien. Vielmehr seien die Vertreter, denen die Kraftfahrzeuge zur Verfügung gestellt worden waren, für diese Kosten selbst aufgekommen und hätten sie als "erhöhte Werbungskosten bei der Lohnbesteuerung zum Abzug gebracht". Die Kraftfahrzeugkosten seien daher "um die den Treibstoffkosten entsprechende Komponente" zu kürzen gewesen.
Das Finanzamt folgte den Feststellungen des Betriebsprüfers und erließ im wiederaufgenommenen Verfahren entsprechende Feststellungs- und Abgabenbescheide.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, mit der zwar formell nur die Bescheide betreffend einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften sowie Gewerbesteuer bekämpft wurde, die sich jedoch inhaltlich in erster Linie gegen die Wiederaufnahme der jeweiligen Verfahren richtete. Für die Jahre 1977 und 1978 habe bereits eine Betriebsprüfung stattgefunden, in deren Rahmen der gesamte Sachverhalt betreffend die Lizenzgebühren offengelegt und geprüft worden sei. Auch die Kraftfahrzeugkosten seien bei dieser Betriebsprüfung geprüft und mit S 1,30 pro gefahrenem Kilometer festgesetzt worden. Da somit keine neuen Tatsachen und Beweismittel hervorgekommen seien, bestehe kein Grund für eine Wiederaufnahme der Verfahren. Auch sei die Feststellung des Betriebsprüfers unzutreffend, daß mit der S-AG keine Kontakte aufgenommen worden seien. Aus den Arbeitsunterlagen der Vor-Betriebsprüfung und der Beantwortung des Vorhaltes vom (den Verwaltungsakten nicht angeschlossen) gehe hervor, daß die Beschwerdeführerin und Heinz B. sowie deren damaliger steuerlicher Vertreter Dr. Sch. im Jahr 1978 zunächst mit den Herren Markus und Peter L. von der S-AG in zweitägigen Gesprächen die wesentlichen Fragen einer möglichen künftigen Zusammenarbeit erörtert hätten. Erst nach Klärung aller grundsätzlichen Fragen hätten die Vertreter der S-AG die Zahlungsbedingungen genannt, wonach eine Provision an die I-Establishment zu leisten sei und der Vertragsabschluß selbst mit einem anderen liechtensteinischen Unternehmen (gemeint offensichtlich die D-AG) erfolgen sollte. Im "Vertretungsvertrag" sei vorgesehen gewesen, daß die Umsatzprovision (Lizenz) für alle Waren zu entrichten sein sollte, die gemeinsam mit jenen Artikeln verkauft würden, auf die das Verfahren (Zusatz zu Reinigungsmitteln) angewandt worden sei. Dies sei bei den Teppichreinigungsmaschinen der Fall gewesen, sodaß sie in die Provisionsabrechnung einzubeziehen gewesen seien.
Zu den Kraftfahrzeugkosten sei zu sagen, daß auch hier der Sachverhalt im Zuge der vorangegangenen Betriebsprüfung offengelegt worden sei. Der Umstand, daß die Vertreter die von ihnen getragenen Treibstoffkosten als Betriebsausgaben (und nicht als Werbungskosten) geltend gemacht hätten, könne keinen Einfluß auf die Abzugsfähigkeit der übrigen Kraftfahrzeugkosten im Unternehmen der Beschwerdeführerin haben. Die Annahme eines Naheverhältnisses zwischen der D-AG und der Beschwerdeführerin sei unbegründet und beweise die voreingenommene und unobjektive Einstellung des Betriebsprüfers.
Der Betriebsprüfer nahm zur Berufung wie folgt Stellung:
Die gewählte Vorgangsweise hinsichtlich der Vertragserrichtung und der Lizenzzahlungen sei wirtschaftlich unüblich, es sei denn, man wolle unversteuerte Gewinne in das Ausland transferieren. Ein Wiederaufnahmsgrund liege deswegen vor, weil "das Ausmaß der Geschäftsbeziehung" erst bei Prüfung der Streitjahre hervorgekommen sei. "Die zum Zeitpunkt der Vor-Betriebsprüfung zwar bekannten aber rückwirkend betrachtet erst wirtschaftlich zu beurteilenden Vertragspunkte im Vertretungsvertrag mit der D-AG zeigen zweifelsfrei, daß im Hinblick auf die unrealistisch hohen Abnahmeverpflichtungen eine längerfristige Nutzung der Vertragsrechte von Beginn an höchst unwahrscheinlich, wenn nicht sogar ausgeschlossen war".
In der mündlichen Berufungsverhandlung wies der Steuerberater der Beschwerdeführerin darauf hin, daß die im Vertrag vorgesehenen Mindestabnahmemengen durchaus nicht unrealistisch gewesen seien. Daß die vereinbarten Abnahmemengen in der Folge nicht eingehalten worden seien, liege an der 1980 eingetretenen wirtschaftlichen Rezession.
Der Steuerberater legte weiters drei Vertragsmuster als Beweismittel dafür vor, daß
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1. | die Vergabe von überregionalen Lizenzrechten für bestimmte Artikelgruppen exklusiv üblich sei, obwohl in den jeweiligen Ländern nationale Unternehmungen das S-Verfahren für andere Produktbereiche anwenden; | |||||||||
2. | Lizenzzahlungen von (bis zu) 40 % der Nettoverkaufserlöse vereinbart würden, wogegen im Streitfall nur 7 % vereinbart gewesen seien und | |||||||||
3. | hohe Mindestabnahmemengen, | |||||||||
die sich bereits im zweiten Vertragsjahr auf das Doppelte erhöhten, den kaufmännischen Gepflogenheiten entsprechen. | ||||||||||
Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid ab. | ||||||||||
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. | ||||||||||
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen: | ||||||||||
Sowohl dem angefochtenen Bescheid als auch der Gegenschrift der belangten Behörde ist zu entnehmen, daß diese die Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließlich darauf stützt, es sei als neue Tatsache hervorgekommen, daß die liechtensteinischen Vertragsfirmen der Beschwerdeführerin (die D-AG und die I-Establishment) sogenannte "Briefkastenfirmen" seien. Die Vertragsgestaltung selbst sei jedoch im Zuge der vorangegangenen Betriebsprüfung für die Jahre 1977 und 1978 offengelegt worden. | ||||||||||
Damit scheidet aber der Vertragsinhalt, der wiederholt als "unglaubwürdig" bezeichnet wird, als Wiederaufnahmsgrund aus. Dies trifft insbesondere auch auf die vereinbarte Abnahmemenge sowie auf den vom Betriebsprüfer als "wirtschaftlich unüblich" bezeichneten Umstand zu, daß die vertraglichen Abmachungen nicht direkt mit der S-AG, sondern mit zwei liechtensteinischen Unternehmen erfolgten. Im übrigen ist der Wortlaut der beanstandeten Vertragskonstruktion weder den Verwaltungsakten noch dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen und entzieht sich daher einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof. | ||||||||||
Ohne einen Verstoß gegen die vertraglichen Abmachungen oder darüber hinausgehende wirtschaftliche Aktivitäten der Beschwerdeführerin festzustellen, vertritt die belangte Behörde die Auffassung, der Umstand allein, daß die Vertragspartner sogenannte Briefkastenfirmen sind, stelle einen Wiederaufnahmsgrund dar. | ||||||||||
Der Gerichtshof teilt diese Auffassung nicht. Eine gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO neu hervorgekommene Tatsache bildet nur dann einen Wiederaufnahmsgrund, wenn die Kenntnis von ihr allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Nun mag es zwar zutreffen, daß Kenntnisse von Umständen betreffend die Person eines Vertragspartners geeignet sein können, Zweifel an der Ernsthaftigkeit der vertraglichen Vereinbarungen zu begründen, die vor Kenntnis dieser Umstände nicht bestanden. Auftauchende Zweifel sind jedoch für sich allein noch keine Tatsache, die den Spruch eines Bescheides zu tragen vermögen. Sie können nur dazu führen, weitere (neue) Ermittlungen durchzuführen, mit dem Ziel, die Zweifel in einem einwandfreien Beweisverfahren zu Tatsachen zu erhärten. Die belangte Behörde hat sich jedoch damit begnügt, an die Feststellung, die Partnerunternehmen der Beschwerdeführerin seien liechtensteinische Briefkastenfirmen, die Vermutung zu knüpfen, es sei "ein Geldrückfluß ... nicht auszuschließen". Die bloße Überlegung, daß ein bestimmter Vorgang nicht auszuschließen ist, rechtfertigt aber noch nicht, ihn als erwiesen anzunehmen. | ||||||||||
Gerade im Beschwerdefall ist es nämlich ebensowenig auszuschließen, daß für die unbestrittene Verwendung eines bestimmten Verfahrens der S-AG Provisionen bzw. Lizenzen bezahlt wurden, was auch bei der von der Beschwerdeführerin behaupteten Zwischenschaltung von in Liechtenstein domizilierten Briefkastenfirmen der Fall sein kann. Unangemessen hohe Zahlungen wurden von der belangten Behörde nicht festgestellt und wären überdies, nachdem der Vertragsinhalt der Abgabenbehörde bereits in vollem Umfang bekannt war, kein Wiederaufnahmsgrund gewesen. | ||||||||||
Weiters ist den Überlegungen der belangten Behörde entgegenzuhalten, daß die Zwischenschaltung liechtensteinischer Briefkastenfirmen auch im ausschließlichen Interesse der S-AG denkbar wäre. Damit wird deutlich, daß die Überlegungen und Vermutungen der belangten Behörde für sich allein keine ausreichende Grundlage für eine Abgabenfestsetzung bieten; sie sind daher auch nicht als Wiederaufnahmsgrund geeignet. Ob andere Fakten, z.B. die Höhe der geltend gemachten Kraftfahrzeugkosten, eine Wiederaufnahme des Verfahrens gerechtfertigt hätten, war nicht zu untersuchen, weil der Gerichtshof nur jenen Wiederaufnahmsgrund auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen hatte, der im angefochtenen Bescheid für die Wiederaufnahme des Verfahrens herangezogen wurde. Den diesbezüglichen Feststellungen der belangten Behörde liegt, wie bereits gesagt, eine unvollständige Sachverhaltsermittlung sowie eine fehlende bzw. unschlüssige Beweiswürdigung zugrunde, womit Verfahrensvorschriften verletzt wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. | ||||||||||
Die rechtswidrige Vorgangsweise bei der Wiederaufnahme des Verfahrens bewirkt auch eine Rechtswidrigkeit der getroffenen Sachentscheidung, sodaß der angefochtene Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben war. | ||||||||||
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991. |