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VwGH vom 11.04.1996, 95/09/0183

VwGH vom 11.04.1996, 95/09/0183

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Höß, Dr. Fuchs, Dr. Blaschek und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, über die Beschwerde des Disziplinaranwaltes bei der Disziplinaroberkommission gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom , Zl. 27/8-DOK/95, betreffend Verhängung der Disziplinarstrafe der Geldstrafe (mitbeteiligte Partei: N A), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte steht seit als Postbeamter (zuletzt in der Verwendungsgruppe PT 4) in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er war im Zeitraum der beschwerdegegenständlichen Disziplinarvergehen als "Springer bei diversen Postämtern im Raum Tirol" eingesetzt.

Mit dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom , AZ 28 Vr 760/94, wurde der Mitbeteiligte wie folgt schuldig erkannt:

"Er hat in der Zeit vom bis in R, T, B,

X und V ein ihm als Postbeamter anvertrautes Gut, nämlich zum Zwecke der Abwicklung des Postsparverkehrs zur Verfügung gestandene Gelder, sich mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er Geldbeträge in Höhe von S 297.000,-- von diversen Postsparbüchern behob, wobei der Schaden S 25.000,-- übersteigt.

N hat hiedurch begangen das Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB und wird hiefür nach § 133 Abs. 2 erster Strafsatz in Anwendung des § 37 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von

300 (dreihundert) Tagessätzen

im Uneinbringlichkeitsfall 150 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, sowie gemäß § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Die Höhe des einzelnen Tagessatzes wird mit S 30,-- bestimmt, die gesamte Geldstrafe beträgt sohin S 9.000,--.

Gemäß § 43 Abs. 1 StGB wird die ausgesprochene Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen."

In dem dieselbe Vorgangsweise des Mitbeteiligten betreffenden, im Anschluß an das gerichtliche Strafverfahren durchgeführten Disziplinarverfahren wurde der Mitbeteiligte mit "Disziplinarerkenntnis" der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom wie folgt schuldig erkannt:

"Er hat in der Zeit vom bis in R, T, P, X und V ein ihm als Postbeamter anvertrautes Gut, nämlich zum Zwecke der Abwicklung des Postsparverkehrs zur Verfügung gestandene Gelder, sich mit dem Vorsatz zugeeignet, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem er Geldbeträge in Höhe von S 297.000,-- von diversen Postsparbüchern behoben hat.

Revident N hat dadurch gegen die nachstehend angeführten Dienstpflichten des Beamten


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a)
seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu und gewissenhaft aus eigenem zu besorgen (§ 43 Abs. 1 BDG);
b)
in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, daß das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt (§ 43 Abs. 2 BDG);
schuldhaft verletzt.

Es wird daher über ihn die Disziplinarstrafe der Entlassung gemäß § 126 Abs. 2 BDG in Verbindung mit § 92 Abs. 1 Z. 4 BDG verhängt.

Verfahrenskosten gemäß § 117 Abs. 2 BDG werden dem Beschuldigten nur insoweit auferlegt, als sie bei der Vorlage einer Reiserechnung des Beschuldigten erwachsen würden."

Dagegen erhob der Mitbeteiligte Berufung, in der er ausschließlich die verhängte Disziplinarstrafe bekämpfte.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid ("Disziplinarerkenntnis") vom gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten Folge und änderte den Bescheid ("Disziplinarerkenntnis") der Disziplinarkommission in seinem Strafausspruch dahingehend ab, daß über ihn gemäß § 92 Abs. 1 Z. 3 BDG 1979 eine Geldstrafe von fünf Monatsgehältern verhängt wurde, deren Abstattung ihm in 36 Monatsraten bewilligt wurde.

Zur Begründung dieser abgeänderten Strafbemessung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe seine Dienstpflichten in schwerwiegender Weise verletzt und das Vertrauen der Bevölkerung "in ihn selbst als Beamten und in die Postsparkasse als Institution erschüttert". Im Fall des Mitbeteiligten gebe es jedoch Gründe, daß dieses Vertrauen "in ihn" nicht restlos zerstört worden sei. Die belangte Behörde sei "nach reiflicher Überlegung der Meinung, daß dem Beamten die Chance gegeben werden soll, ein neues Leben zu beginnen". Untragbarkeit des Mitbeteiligten sei nicht gegeben. Die Funktionsfähigkeit der Verwaltung sei auch bei seinem weiteren Mitwirken gewährleistet. Der Mitbeteiligte habe den Eindruck gemacht, daß er seine Verfehlungen "aufrichtig bereut", er habe sofort an der "Aufklärung der Tat" mitgewirkt, ein volles Geständnis abgelegt, den Schaden gutgemacht und seine Schuld eingesehen. Er sei unbescholten und nach seiner Dienstbeschreibung als "vielseitige, hilfsbereite und engagierte Person" ausgewiesen. Für den Mitbeteiligten spreche seine schonungslose Offenheit und "es trat in erschreckendem Maß zutage, wie leicht es dem Beamten bei der PSK gemacht wird, solche Malversationen vorzunehmen". Da der Mitbeteiligte durch Pfändungen belastet gewesen sei, wäre zu erwarten gewesen, daß der Dienstgeber auf seine finanzielle Lage aufmerksam hätte werden müssen. Die belangte Behörde sei im Hinblick auf den guten Willen des Mitbeteiligten, dessen günstige Persönlichkeitsprognose und seine Sozialstruktur zu der Ansicht gekommen, daß von einer Entlassung abzusehen sei. Für die belangte Behörde sei nicht nachvollziehbar, warum die Behörde erster Instanz diese Tatsachen sowie die vom Strafgericht herangezogenen Milderungsgründe nicht berücksichtigt habe.

Gegen diesen Bescheid, und zwar ausdrücklich nur "wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes hinsichtlich der Strafbemessung (§ 93 BDG 1979)" richtet sich die vorliegende, vom Disziplinaranwalt gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG im Zusammenhalt mit § 103 Abs. 4 BDG 1979 erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Disziplinarverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde "kostenpflichtig" als unbegründet abzuweisen.

Der Mitbeteiligte erstattete gleichfalls eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde "keine Folge zu geben und die Beschwerde abzuweisen".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In der Beschwerde wird ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen der Mitbeteiligte aufgrund des festgestellten Sachverhaltes für seinen Dienstgeber untragbar geworden sei und das Vertrauen der Öffentlichkeit in seine Person und in die Post (bzw. die PSK) derart schwer erschüttert habe, daß bei fehlerfreier Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen über die Strafbemessung mit Entlassung vorzugehen gewesen wäre.

Mit diesen (zusammenfassend wiedergegebenen) Ausführungen ist die Beschwerde im Recht.

Nach § 91 BDG 1979 ist der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, nach diesem Abschnitt (d.h. dem 9. Abschnitt des BDG 1979) zur Verantwortung zu ziehen.

§ 92 Abs. 1 leg. cit. (i.d.F. vor dem Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 297/1995) sieht als Disziplinarstrafen vor


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1.
den Verweis,
2.
die Geldbuße bis zur Höhe eines halben Monatsbezuges unter Ausschluß der Haushaltszulage,
3.
die Geldstrafe bis zur Höhe von fünf Monatsbezügen unter Ausschluß der Haushaltszulage und
4.
die Entlassung.
Gemäß § 93 Abs. 1 leg. cit. ist das Maß für die Höhe der Strafe die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist jedoch darauf Rücksicht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. Die nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründe sind dem Sinne nach zu berücksichtigen; weiters ist auf die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beamten Bedacht zu nehmen.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. beispielsweise etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 93/09/0361, und vom , Zl. 94/09/0174) dargelegt, daß für die Schwere der Dienstpflichtverletzung maßgeblich ist, in welchem objektiven Ausmaß gegen (Standesoder) Amtspflichten verstoßen oder der Dienstbereich beeinträchtigt wird.
Die Disziplinarstrafe der Entlassung ist keine Strafe, die der Sicherung der Gesellschaft, der Resozialisierung des Täters oder gar der Vergeltung dient, sondern eine dienstrechtliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes (VwSlg. NF. Nr. 10060/A). Im Vordergrund steht dabei die Frage des durch die Verfehlung eingetretenen Vertrauensverlustes. Die Gründe für eine solche Unvereinbarkeit lassen sich nur den Anforderungen entnehmen, die das Dienstrecht an einen Beamten stellt. Wird dieser überhaupt nicht mehr der Achtung und dem Vertrauen gerecht, die seine Stellung als Beamter erfordert, hat er das Vertrauensverhältnis zwischen sich und der Verwaltung zerstört, dann kann er auch nicht mehr im Dienst verbleiben. Ist das gegenseitige Vertrauensverhältnis zerstört, fehlt es an der Grundlage für weitere Differenzierungen und Bemessungserwägungen. Verträgt die Funktion der staatlichen Verwaltung die Weiterbeschäftigung eines Beamten nicht mehr, dann auch nicht teilweise. Hier geht es nicht, wie beim Strafrecht, um die Wiedereingliederung in die soziale Gemeinschaft, sondern um die weitere Tragbarkeit in einem besonderen Dienstverhältnis (vgl. zu diesen Ausführungen und insbesondere zum sogenannten "Untragbarkeitsgrundsatz" das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 90/09/0191 mit zahlreichen Beispielen aus der Vorjudikatur).
Davon ausgehend erweist sich die von der belangten Behörde im Beschwerdefall ausgesprochene Abänderung der verhängten Disziplinarstrafe der Entlassung in eine Geldstrafe als rechtswidrig. Ein Beamter, der sich unter Ausnutzung seiner dienstlichen Möglichkeiten und während seines Dienstes an fremden Geldern vergreift, ist grundsätzlich nicht mehr tragbar, weil durch eine derartige Straftat nicht nur das Vertrauensverhältnis zu seinen Vorgesetzten, sondern auch das Vertrauen der Allgemeinheit wesentlich zerstört wird. Der entscheidende Gesichtspunkt ist hiebei, daß sich die Verwaltung auf die Redlichkeit und Vertrauenswürdigkeit eines Beamten bei dessen Dienstausübung verlassen muß, weil eine lückenlose Kontrolle nicht möglich ist. Daß dies gerade im Bereich der Post ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgeführt (vgl. etwa die - gleichfalls ungetreue Postbeamte betreffenden - Erkenntnisse vom , Zl. 83/09/0093, vom , Zl. 89/09/0092, vom , Zl. 90/09/0088, vom , Zl. 93/09/0361, vom , Zl. 93/09/0391, und vom , Zl. 93/09/0316, u.a.).
Diese Erwägungen haben für den vorliegenden Beschwerdefall uneingeschränkt Geltung. Die belangte Behörde verkennt bei ihrer an spezialpräventiven Erwägungen orientierten Strafbemessung, daß bereits die unter Ausnützung seiner dienstlichen Möglichkeiten vom Mitbeteiligten wiederholt und fortgesetzt begangenen Veruntreuungen seine Untragbarkeit für den öffentlichen Dienst nach sich ziehen. Die belangte Behörde läßt bei ihren (in der Gegenschrift weiter ergänzt und erneut dargelegten) rechtspolitischen Überlegungen außer acht, daß die vom Mitbeteiligten begangenen Dienstpflichtverletzungen nach den konkreten Umständen seiner Verfehlungen geeignet sind, das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben tiefgreifend zu zerstören. Dazu kommt, daß die belangte Behörde zunächst ausdrücklich einräumt, das Vertrauen der Bevölkerung in die "Postsparkasse als Institution" sei durch die Handlungsweise des Mitbeteiligten erschüttert worden, schließlich aber an diesem Umstand sowie auch an der Tatsache völlig vorbeisieht, daß keine Kreditunternehmung (demnach auch nicht die Postsparkasse) ohne Vertrauen der Bevölkerung (ihrer Kunden) im geschäftlichen Verkehr auf Dauer bestehen kann. Die von der belangten Behörde angestellten Bemessungserwägungen erweisen sich demnach als rechtswidrig.
Den im gerichtlichen Strafurteil angewendeten Strafbemessungsgründen (insbesondere den dort herangezogenen Milderungsgründen) kommt bei der Bemessung der Disziplinarstrafe weder Bindungswirkung noch sonst ein maßgeblicher Einfluß zu, zumal die nach § 93 BDG 1979 vorzunehmende Strafbemessung (im Disziplinarverfahren) aus disziplinarrechtlicher Sicht zu erfolgen hat, wobei die disziplinäre Bedeutung eines Sachverhaltes von seiner strafrechtlichen Beurteilung unter Umständen erheblich abweichen kann (vgl. nochmals etwa die hg. Erkenntnisse, Zl. 83/09/0093 und Zl. 93/09/0391).
Da die belangte Behörde die Rechtslage somit verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.