VwGH vom 27.02.2002, 2000/13/0094
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat X) vom , Zl. RV/890-17/16/98, betreffend Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens für das Jahr 1996 sowie Umsatzsteuer 1996 (mitbeteiligte Partei: Dr. W in O), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Die Mitbeteiligte ist Fachärztin für Radiologie und bezieht aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus selbstständiger Arbeit.
Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, dass in der Umsatzsteuererklärung der Mitbeteiligten für das Jahr 1996 u.a. Vorsteuern in Höhe von 160.276,85 S aus der Eingangsrechnung der F-KG vom betreffend den Kauf von Filmmaterial enthalten waren. Die Zahlung sei am erfolgt. Obgleich auf der Rechnung das Lieferdatum mit "" angegeben werde, sei das Filmmaterial der Mitbeteiligten erst in Teillieferungen im Laufe des Jahres 1997 zugestellt worden.
Der Geschäftsführer der F-KG habe am niederschriftlich erklärt, dass die (verkaufte) Ware von der Firma nicht gesondert gelagert worden sei, weil dies schon hinsichtlich des Verfallsdatums nicht zweckmäßig wäre. Dem Kunden könne auf diese Weise stets frische Ware garantiert werden. Die körperliche Übergabe erfolge nach Abruf durch den Kunden.
Da die Teillieferungen erst im Jahr 1997 erfolgt seien, stehe der Vorsteuerabzug für das Jahr 1996 nicht zu. Angesichts der für Ärzte ab dem Jahr 1997 vorgesehenen unechten Steuerbefreiung (§ 6 Abs. 1 Z. 19 UStG 1994) könne ein Vorsteuerabzug auch nicht auf Grund der geleisteten Anzahlungen vorgenommen werden.
Das Finanzamt schloss sich diesen Ausführungen an, nahm das Verfahren betreffend Umsatzsteuer 1996 gemäß § 303 Abs. 4 BAO mit Bescheid vom wieder auf und erließ einen neuen Sachbescheid, in dem die Vorsteuer aus der angeführten Rechnung nicht anerkannt wurde.
In ihrer Berufung wandte sich die Mitbeteiligte sowohl gegen den Bescheid betreffend die Wiederaufnahme des Verfahrens als auch gegen den Sachbescheid. In einem Schreiben der F-KG vom werde bestätigt, dass die Röntgenfilme zur "allgemeinen" Verfügung der Mitbeteiligten gestanden und in ihrem Auftrag in dem Kühlhaus der F-KG gelagert worden seien. Es läge somit einerseits ein Lieferungsgeschäft, andererseits ein Einlagerungsgeschäft vor. Bei der Verschaffung der umsatzsteuerlichen Verfügungsmacht handle es sich um einen Willensakt (Vereinbarung) zwischen den Vertragsparteien. Der für die Frage des Vorliegens einer Lieferung maßgebliche Zeitpunkt des Überganges der Preisgefahr sei von den Parteien mit Beginn der Einlagerung festgelegt worden. Die tatsächliche Disposition durch Verwendung sei nicht erforderlich. Auch bei dem Kauf einer Ernte auf dem Halm liege eine Lieferung vor. Daraus lasse sich für den gegenständlichen Fall des Kaufes vertretbarer Sachen ableiten, dass eine gesonderte Einlagerung nicht erforderlich sei. Zudem sei die Wiederaufnahme des mit Erstbescheid vom abgeschlossenen Verfahrens schon deshalb unstatthaft, weil der Finanzbehörde bereits aufgrund der Niederschrift vom alle relevanten Umstände des Sachverhaltes bekannt gewesen seien.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung betreffend Wiederaufnahme Folge. Sie schloss sich dabei im Ergebnis der Ansicht der Mitbeteiligten an, wonach die strittige Lieferung bereits im Jahr 1996 ausgeführt worden sei und sah deshalb keine Umstände als neu hervorgekommen an, welche im Zusammenhang mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid hätten herbeiführen können.
Über die dagegen vom Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der vorliegende Beschwerdefall gleicht in den entscheidungswesentlichen Punkten dem mit Erkenntnis vom heutigen Tag, 2000/13/0095, entschiedenen Beschwerdefall in einer Weise, die es erlaubt, gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses zu verweisen.
Bezogen auf den Beschwerdefall ist lediglich zu ergänzen, dass die Frage des Hervorkommens neuer Tatsachen im Sinne § 303 Abs. 4 BAO aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen ist. Entscheidend ist demnach, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom , 97/14/0036). Ausgehend von ihrer unzutreffenden Rechtsansicht hat die belangte Behörde zu dieser Frage keine Feststellungen getroffen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich somit als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am