VwGH vom 12.01.1993, 92/11/0205
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 64-8/206/92, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, vom wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B vorübergehend für die Dauer von zehn Monaten von der vorläufigen Abnahme des Führerscheines am , demnach bis , entzogen. Grund für diese Maßnahme war, daß der Beschwerdeführer am um 19.05 Uhr auf einer näher genannten Straßenstelle in Wien ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und zuvor einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet habe. Der Mandatsbescheid vom erwuchs mangels Erhebung einer Vorstellung in Rechtskraft.
Mit Schreiben vom übermittelte die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen der Bundespolizeidirektion Wien eine Ausfertigung der Anzeige des Landesgendarmeriekommandos Niederösterreich vom samt einigen Beilagen. Nach dem Inhalt der übermittelten Unterlagen hat der Beschwerdeführer am gegen
20.55 Uhr auf einer näher bezeichneten Stelle der A 2 Südautobahn in Niederösterreich ein Kraftfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt und dabei einen Verkehrsunfall mit Personen- und Sachschaden verschuldet.
Mit Schreiben vom ersuchte der Beschwerdeführer um Ausfolgung seines am abgenommenen Führerscheines.
Mit Bescheid vom entzog die Bundespolizeidirektion Wien, Verkehrsamt, dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B und sprach gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 aus, daß dem Beschwerdeführer "für die Zeit von zehn Monaten, das ist vom Tag der vorgesehenen Wiedererteilung an sohin vom bis keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf".
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der gegen den erstinstanzlichen Bescheid vom erhobenen Berufung keine Folge gegeben und dieser Bescheid bestätigt.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde beantragt der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt. Das Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung ist insoferne ein einheitliches, als die Behörde das Vorliegen aller Erteilungsvoraussetzungen zu beurteilen hat, und - bei Feststellung, daß nicht mehr alle Erteilungsvoraussetzungen gegeben sind - die Lenkerberechtigung zu entziehen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 auszusprechen hat, wie lange der betreffende Lenker nicht im Besitze seiner Lenkerberechtigung sein soll bzw. ihm eine neue Lenkerberechtigung nicht erteilt werden darf. Die Prognoseentscheidung hat sie auf Grund aller bis zur Erlassung des Entziehungsbescheides verwirklichten Tatsachen zu treffen. Mit dem Eintritt der Rechtskraft eines Entziehungsbescheides wegen Verkehrsunzuverlässigkeit steht fest, daß der betreffende Lenker zu diesem Zeitpunkt nicht verkehrszuverlässig ist und zu welchem Zeitpunkt frühestens mit der Wiederherstellung der Verkehrszuverlässigkeit gerechnet werden kann. Eine neuerliche Entziehung der Lenkerberechtigung wegen des Vorliegens von Tatsachen, die vor der Zustellung des in Rechtskraft erwachsenen Entziehungsbescheides verwirklicht worden sind, ist nicht zulässig (eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Einheitlichkeit des Entziehungsverfahrens hat der Verwaltungsgerichtshof lediglich im Zusammenhang mit einer Entziehung nach § 73 Abs. 3 KFG 1967 anerkannt; vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 91/11/0140). Erlangt die Behörde nach Eintritt der Rechtskraft eines Entziehungsbescheides von Tatsachen Kenntnis, die sie ohne ihr Verschulden im rechtskräftig abgeschlossenen Entziehungsverfahren nicht verwendet hat, so stellt dies einen Grund für eine amtswegige Wiederaufnahme des Entziehungsverfahrens dar. Derart wird die Behörde in die Lage versetzt, ihr erst nachträglich zur Kenntnis gelangte Umstände der Art der Entziehung (§ 73 oder § 74 KFG 1967) nach oder in bezug auf die Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 mitzuberücksichtigen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 89/11/0224).
Die Behörden des Verwaltungsverfahrens haben dies verkannt und wegen der zweiten am verwirklichten bestimmten Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 eine zweite Entziehung der Lenkerberechtigung vom Ende der im Zusammenhang mit der ersten Entziehung festgesetzten Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 an verfügt. Dies belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Fundstelle(n):
FAAAE-36725