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VwGH vom 13.11.2001, 2001/05/0932

VwGH vom 13.11.2001, 2001/05/0932

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger-Heis, über die Beschwerde des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 600.503/6-II/13/00, betreffend Reklamationsverfahren nach § 17 Abs. 2. Z. 2 Meldegesetz (mitbeteiligte Parteien: 1. Bürgermeister der Marktgemeinde Weissenbach, 2. RP in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuspruch von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

Der am geborene, ledige Zweitmitbeteiligte war im Zeitraum vom bis mit Hauptwohnsitz (siehe § 23 Abs. 1 des im Beschwerdefall anzuwendenden Meldegesetzes 1991 in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes, BGBl. Nr. 505/1994; in der Folge kurz:

MeldeG) in Wien XVII., Hernalser Hauptstraße 206/18, gemeldet. Am meldete der Zweitmitbeteiligte Weissenbach an der Triesting, Furtherstraße 34, als Hauptwohnsitz und den bisherigen Hauptwohnsitz in Wien als weiteren Wohnsitz. Der Zweitmitbeteiligte ("Saisonarbeiter") kaufte in Weissenbach ein Grundstück samt Haus, das er derzeit umbaut. Seine Freizeit verbringt er an der Baustelle. Nach Abschluss der Bauarbeiten möchte er seinen weiteren Wohnsitz in Wien aufgeben. Er ist derzeit arbeitslos und wird vom Arbeitsamt Berndorf betreut. Im "Erhebungsblatt zur Feststellung des Hauptwohnsitzes im Verfahren gemäß § 17 Meldegesetz" der belangten Behörde gab der Zweitmitbeteiligte an, "den größeren Teil des Jahres" und zwar "werktags häufig, immer" und "zum Wochenende häufig, immer" sowie im "Urlaub" und den "kleineren Teil des Jahres" und zwar "werktags nur fallweise" und "zum Wochenende nur fallweise" in Wien zu verbringen. Während der Zweitmitbeteiligte in Weissenbach alleine lebt, wohnt er in seiner Wiener Wohnung mit Freundin und Tochter, geb. 1983, welche in Wien XIV. eine weiterführende Schule besucht. Die Mitbewohnerinnen sind beide mit Hauptwohnsitz in der Wiener Wohnung gemeldet. Der Zweitmitbeteiligte verneint "aktive gesellschaftliche Betätigungen" in beiden Wohnsitzgemeinden.

Der beschwerdeführende Bürgermeister beantragte mit Eingabe vom gemäß § 17 Abs. 2 Z. 2 Meldegesetz1991 (MeldeG) die Einleitung eines Reklamationsverfahrens zur Entscheidung darüber, ob der Zweitmitbeteiligte, der in der Gemeinde des erstmitbeteiligten Bürgermeisters mit Hauptwohnsitz angemeldet ist, dort weiterhin den Hauptwohnsitz hat. Begründet wurde dieser Antrag im Wesentlichen damit, dass der Zweitmitbeteiligte wie seine Lebensgefährtin in Wien berufstätig sei und eine fast gleich lange jährliche Aufenthaltsdauer in beiden Wohnsitzgemeinden bekunde; es bestünden keine stichhältigen Ansatzpunkte für eine tatsächliche Verlagerung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen. Wenn man im Übrigen auch noch mit ins Kalkül ziehe, dass die Stadt Wien mit all ihren zahlreichen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Angeboten mit Sicherheit des Zweitmitbeteiligten schon bisher dienlich gewesen sei und weiterhin sein werde, sei Wien als Hauptwohnsitz zu betrachten.

Die belangte Behörde holte eine Stellungnahme der mitbeteiligten Parteien und des Österreichischen Statistischen Zentralamtes "gemäß § 17 Abs. 3 MeldeG" ein. Der beschwerdeführende Bürgermeister replizierte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des beschwerdeführenden Bürgermeisters auf Aufhebung des Hauptwohnsitzes des Zweitmitbeteiligten an der gemeldeten Adresse in Weissenbach ab. Das Ermittlungsverfahren habe gezeigt, dass der derzeit arbeitslose, vom Arbeitsamt Berndorf betreute Zweitmitbeteiligte seine gesamte Freizeit am gemeldeten Hauptwohnsitz verbringe; sein familiärer Schwerpunkt der Lebensbeziehungen liege hingegen in Wien. Bei einer Gesamtschau könne somit vom Vorhandensein von zwei Lebensmittelpunkten des Zweitmitbeteiligten gesprochen werden. Der Zweitmitbeteiligte habe in seiner Stellungnahme eindeutig sein "überwiegendes Naheverhältnis zum Wohnsitz Weissenbach" dargelegt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/05/0935, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im Geltungsbereich der auch im Beschwerdefall anzuwendenden Rechtslage des Meldegesetzes 1991 in der Fassung des Hauptwohnsitzgesetzes ausgeführt, dass im zulässigerweise eingeleiteten Reklamationsverfahren die bis dahin für den Hauptwohnsitz des Betroffenen ausschließlich maßgebliche "Erklärung" des Meldepflichtigen dahingehend "hinterfragt (wird), ob der erklärte Hauptwohnsitz den in Art. 6 Abs. 3 B-VG (§ 1 Abs. 7 MeldeG 1991) normierten objektiven Merkmalen entspricht" (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 139/00-10, u.a.). Die Lösung der im Reklamationsverfahren maßgeblichen Rechtsfrage des Hauptwohnsitzes des Betroffenen hängt an dem materiell-rechtlichen Kriterium "Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen". Bei der Beurteilung dieses Tatbestandsmerkmales kommt es auf eine Gesamtschau an, bei welcher - wie auch den Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Meldegesetznovelle, BGBl. Nr. 505/1994 (GP XVIII RV 1334), zu entnehmen ist - vor allem folgende Bestimmungskriterien maßgeblich sind: Aufenthaltsdauer, Lage des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, Wohnsitz der übrigen, insbesondere der minderjährigen Familienangehörigen, und der Ort, an dem sie ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, ausgebildet werden oder die Schule und den Kindergarten besuchen, Funktionen in öffentlichen und privaten Körperschaften. Durchaus möglich ist, dass am Hauptwohnsitz - und damit beim Mittelpunkt der Lebensbeziehungen - wenige oder gar keine beruflichen Lebensbeziehungen bestehen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 99/05/0076). Diese Regelung hat auch durch die Anfügung des Abs. 8 im § 1 MeldeG mit der Novelle vom , BGBl. I Nr. 28/2001, keine inhaltliche Änderung erfahren, weil damit nur die in der vorzitierten Regierungsvorlage angeführten Kriterien in Gesetzesform gegossen worden sind.

Für das vom Verfassungsgerichtshof in seinem obzitierten Erkenntnis vom als verfassungskonform bewertete Reklamationsverfahren gilt daher, dass nur die im § 17 Abs. 3 MeldeG angeführten Beweismittel zulässig sind; die Parteien trifft eine besondere Mitwirkungspflicht. Die am Reklamationsverfahren beteiligten Bürgermeister dürfen nur Tatsachen geltend machen, die sie in Vollziehung eines Bundes- oder Landesgesetzes ermittelt haben und die keinem Übermittlungsverbot unterliegen.

Um dem Ziel des Reklamationsverfahrens gemäß § 17 Abs. 3 MeldeG - "die Richtigkeit einer von einem Meldepflichtigen vorgenommenen Erklärung seines Hauptwohnsitzes im öffentlichen Interesse zu hinterfragen" (siehe das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom ) - nachkommen zu können, hat sohin die Behörde (§ 17 Abs. 1 MeldeG) in ihrer Entscheidung für die Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen des Betroffenen als wesentliches Tatbestandsmerkmal eines Hauptwohnsitzes gemäß § 1 Abs. 7 MeldeG eine Gesamtbetrachtung seiner beruflichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensbeziehungen vorzunehmen. Diesen Anforderungen wird das Ermittlungsverfahren nur dann entsprechen, wenn die Behörde jedenfalls die oben wiedergegebenen, nunmehr im § 1 Abs. 8 MeldeG für den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen eines Menschen angeführten Kriterien berücksichtigt hat. Hiefür stehen der Behörde die im § 17 Abs. 3 MeldeG (abschließend) aufgezählten Beweismittel zur Verfügung. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich in diesem Zusammenhang der vom Verfassungsgerichtshof (siehe dessen Erkenntnis vom ) vertretenen Rechtsansicht an, dass die dort normierte besondere Mitwirkungspflicht der Parteien, insbesondere des Betroffenen, die Verpflichtung einschließt, zu strittigen Umständen in Form verbindlicher und nachvollziehbarer Erklärungen und Erläuterungen Stellung zu nehmen. Das subjektive Kriterium des "überwiegenden Naheverhältnisses" ist nur dann entscheidend, wenn ausnahmsweise zwei oder mehrere Wohnsitze des Betroffenen Mittelpunkte der Lebensbeziehungen darstellen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/05/0935). Auch die rechtliche Schlussfolgerung, es lägen zwei oder mehrere "Mittelpunkte der Lebensbeziehungen" beim Betroffenen vor, erfordert aber ein mängelfreies Verfahren im Sinne der vorstehenden Ausführungen.

Der Zweitmitbeteiligte ist "Saisonarbeiter" und die festgestellte Arbeitslosigkeit daher offenbar nur vorübergehend. Feststellungen über die Art und Dauer der Beschäftigung sowie der Ort des Arbeitsplatzes und damit der Ausgangspunkt dorthin fehlen zwar, dass aber der Zweitmitbeteiligte seine Berufstätigkeit auch in Weissenbach ausübe, ist nicht hervorgekommen. Im Hinblick auf die im Beschwerdefall bestehende Lebensgemeinschaft und die auch mit der Tochter bestehende Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft in der Wohnung in Wien ist allein die Bundeshauptstadt als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Zweitmitbeteiligten anzunehmen, weil auch unter Bedachtnahme auf Art. 8 MRK (Achtung des Familienlebens) eine derartige familiäre und wirtschaftliche Beziehung als so intensiv angesehen werden muss, dass ein Mittelpunkt der Lebensbeziehungen an einem anderen Ort auszuschließen ist. Durch den Kauf eines Grundstückes mit Haus, welches erst umgebaut und später als Wohnsitz auch für die Angehörigen dienen soll, kann noch nicht von einem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen an diesem Ort gesprochen werden; dies selbst dann nicht, wenn der größte Teil der Freizeit vom Betroffenen für die Durchführung der Umbauarbeiten aufgewendet wird. Die durch die Kapitalbindung entstandene wirtschaftliche Beziehung kann für sich allein jedenfalls noch nicht als derart intensiv angesehen werden, dass aus einer Schlafstelle im Zuge der Bauarbeiten ein Mittelpunkt der Lebensbeziehungen entsteht. Auch nach Beendigung der Arbeiten könnte dann nicht eine Änderung des Hauptwohnsitzes angenommen werden, wenn das Haus in Hinkunft nur zu Erholungszwecken und als Ausgangspunkt für die Freizeitgestaltung verwendet werden sollte, die übrigen für die Feststellung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen maßgeblichen Kriterien jedoch auf Wien zuträfen.

Bezüglich der von der Behörde eingeholten Stellungnahme des Österreichischen Statistischen Zentralamtes (nunmehr: Bundesanstalt "Statistik Österreich") ist zu bemerken, dass sich diese Stellungnahme, einem Gutachten eines Sachverständigen vergleichbar, nicht in einer unbegründeten und, wie im Beschwerdefall, auch nicht nachvollziehbaren Aussage erschöpfen kann, "das Ausmaß der Zeit, die er (gemeint: Zweitmitbeteiligter) in Weissenbach verbringt, (reicht) für sich alleine aus, um einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu begründen". Hiebei handelt es sich nämlich um eine allein der Behörde zustehende rechtliche Beurteilung. Die Bundesanstalt kann nur - ohne selbst Ermittlungen in der Sache selbst anstellen zu dürfen - "zum Ermittlungsergebnis" nachvollziehbare Ausführungen darüber machen, ob die von der Behörde in ihrer Entscheidung zu beachtenden Behauptungen der Parteien auf Grund der einschlägigen Statistiken einer Plausibilitätsprüfung standhalten und bei widerstreitenden Sachverhalten, welche der Behauptungen diesen Vorgaben eher entsprechen.

Ausgehend davon hat im vorliegenden Fall der Zweitmitbeteiligte ohne Rechtsgrundlage eine Wahl nach § 1 Abs. 7 letzter Satz MeldeG getroffen, sodass die Reklamation durch den Beschwerdeführer zu Recht erfolgte. Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben..

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ein Anwendungsfall des § 47 Abs. 4 VwGG liegt nicht vor (vgl. hiezu den hg. Beschluss vom , Zl. 2001/05/0255). Das Kostenersatzbegehren des Beschwerdeführers war abzuweisen (angesprochen wird Schriftsatzaufwand), weil er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (§ 49 Abs. 1 VwGG idF der Novelle BGBl. I Nr. 88/1997).

Wien, am