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VwGH vom 29.09.1992, 88/08/0176

VwGH vom 29.09.1992, 88/08/0176

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. V/1-St-87167, betreffend Übertretung des Arbeitnehmerschutzgesetzes bzw. der Gewerbeordnung (mitbeteiligte Partei: C M in N, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1.1. Mit Schreiben vom erstattete das Arbeitsinspektorat für den 2. Aufsichtsbezirk in Wien Strafanzeige an das Magistratische Bezirksamt für den

11. Bezirk in Wien, da anläßlich einer am durchgeführten Überprüfung des Betriebes der XY-GesmbH (im folgenden: GesmbH), S-Straße, in Wien, Übertretungen von Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer festgestellt worden seien. Es seien neun Übertretungen der §§ 8 Abs. 1, 21 Abs. 6, 25 Abs. 1, 86 Abs. 1 und 87 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung festgestellt worden sowie ferner die Nichteinhaltung der Bescheidpunkte 2, 24 und 30 des Betriebsanlagengenehmigungsbescheides des Magistratischen Bezirksamtes für den 11. Bezirk vom . Gemäß § 6 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 - ArbIG 1974, BGBl. Nr. 143, beantragte das Arbeitsinspektorat, den Verantwortlichen mit einer Geldstrafe von S 1.000,-- je Übertretung, zusammen mit S 9.000,--, zu bestrafen.

1.2. Mit Straferkenntnis vom verhängte das Magistratische Bezirksamt für den 11. Bezirk in Wien über die mitbeteiligte Partei als gewerberechtliche Geschäftsführerin der GesmbH wegen Nichteinhaltung der zitierten und im einzelnen inhaltlich wiedergegebenen drei Bescheidauflagen gemäß § 367 Z. 26 der Gewerbeordnung 1973 - GewO 1973 Verwaltungsstrafen im Gesamtausmaß von S 3.000,-- bzw. für den Fall der Uneinbringlichkeit Arreststrafen von insgesamt drei Tagen. In der Begründung dieses Bescheides heißt es unter anderem, das im Spruch näher umschriebene strafbare Verhalten sei der Bezirksverwaltungsbehörde von einem Organ des Arbeitsinspektorates auf Grund eigener dienstlicher Feststellung angezeigt und der Mitbeteiligten zur Kenntnis gebracht worden.

Gegen diesen Strafbescheid brachte die mitbeteiligte Partei fristgerecht Berufung ein.

1.3. Mit Bescheid vom gab der Landeshauptmann von Wien der Berufung statt und behob das erstinstanzliche Straferkenntnis mit der Begründung, daß unter Zugrundelegung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 86/08/0231, der eingeschrittene Magistrat der Stadt Wien örtlich nicht zuständig gewesen sei. Danach sei als Ort der Begehung jener Ort anzusehen, an welchem oder von welchem aus die Anordnungen zur Einhaltung und Kontrolle der verletzten Bescheidauflagen gegeben bzw. unterlassen worden seien. Diese Anordnungen seien unbestrittenermaßen am Sitz der Unternehmensleitung in N erfolgt.

Das Verfahren wurde der Bezirkshauptmannschaft Mödling abgetreten.

1.4. Mit Straferkenntnis vom legte die Bezirkshauptmannschaft Mödling der Mitbeteiligten als gewerberechtlicher Geschäftsführerin der GesmbH zur Last, sie habe am beim Betrieb der gewerblichen Betriebsanlage im Standort Wien 11, S-Straße, die mit rechtskräftigem Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom vorgeschriebenen Auflagen insofern nicht eingehalten, als folgende Mängel bestanden hätten:

"1. Punkt 2) war insoferne nicht erfüllt, als über den vorschriftsmäßigen Zustand der elektrischen Anlage kein Befund eines befugten Fachmannes zur Einsichtnahme durch die Überwachungsorgane der zuständigen Behörden in der Betriebsanlage bereitgehalten wurde;

2. Punkt 24) war insofern nicht erfüllt, als im Verkaufsregal für Haarsprays im obersten Ablagefach Druckgaspackungen, nämlich Haarsprays, übereinandergestapelt waren;

3. Punkt 30) war insoferne nicht erfüllt, als keine Aufzeichnungen über die mindestens einmal monatlich durchzuführende Kontrolle der Funktion der Sicherheitsbeleuchtung in der Betriebsanlage zur Einsichtnahme durch Organe der Behörden bereitgehalten wurden."

Die Mitbeteiligte habe dadurch drei Verwaltungsübertretungen nach § 367 Z. 26 GewO 1973 in Verbindung mit dem zitierten Betriebsanlagenbescheid begangen und es werde über sie je eine Geldstrafe von S 1.000,--, zusammen S 3.000,-- (Ersatzarrest insgesamt von drei Tagen) verhängt.

Die Mitbeteiligte erhob neuerlich Berufung.

1.5. Mit Bescheid vom gab der Landeshauptmann von Niederösterreich dieser Berufung Folge und behob das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Sitz der GesmbH in N. Dort befinde sich aber kein Standort für das Handelsgewerbe gemäß § 109 Abs. 1 lit. b Z. 25 GewO 1973. Der Standort der Hauptbetriebsstätte befinde sich in Wien, F-Straße. Keinesfalls befinde sich sohin in N eine Hauptbetriebsstätte. Allein schon aus diesem Grund fehle es an der Verpflichtung des gewerberechtlichen Geschäftsführers, von N aus Anordnungen zu treffen, die sich auf eine Betriebsstätte in Wien (S-Straße) bezögen. Aber selbst dann, wenn man annähme, daß die Mitbeteiligte in N hätte handeln sollen, komme N nicht als einziger Tatort in Frage, sondern auch noch die Tatorte des Standortes der Stammgewerbeberechtigung in Wien, F-Straße, und des Standortes der Betriebsanlage in Wien, S-Straße. Es liege ein Fall des § 27 Abs. 2 VStG vor; danach sei das Magistratische Bezirksamt für den 11. Bezirk zuständige Behörde, da dieses zuerst eine Verfolgungshandlung (Beschuldigtenladungsbescheid vom ) vorgenommen habe.

1.6. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Der angefochtene Bescheid gehe zu Unrecht davon aus, daß die verletzte Norm § 367 Z. 26 GewO 1973 sei; daraus folgend sei die Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Mödling zu Unrecht verneint worden. Die Beschwerde stützt sich auf § 9 Abs. 2 ArbIG 1974. Nach der Beschwerdebegründung liege im vorliegenden Fall bei der Nichterfüllung der Bescheidauflagen ein Zuwiderhandeln gegen Auflagen, die gemäß § 27 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972 (im folgenden: ASchG), zum Schutz der Arbeitnehmer als Punkte 2, 24 und 30 in den Betriebsanlagengenehmigungsbescheid vom aufgenommen worden seien, vor. Die Nichteinhaltung dieser Auflagen stelle daher keineswegs eine Übertretung der Gewerbeordnung 1973, sondern eine Verletzung von behördlichen Verfügungen dar, die dem Schutz der Arbeitnehmer dienten und die das ASchG unter Strafsanktion stelle. Daher müsse auch die Frage, ob bzw. in welcher Eigenschaft die Mitbeteiligte für die festgestellten Übertretungen, die ihr als gewerberechtlicher Geschäftsführerin angelastet worden seien, zur Verantwortung gezogen werden könne, einer neuerlichen Prüfung unterzogen werden.

Insofern der Arbeitgeber die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen unterlassen habe, sei als Tatort jener Ort anzunehmen, von wo aus er hätte handeln sollen. Dieser Ort werde, wenn solche Unterlassungen im Zusammenhang mit dem Betrieb eines mehrere Standorte umfassenden Unternehmens erfolgten, im Zweifel mit dem Hauptsitz des Unternehmens zusammenfallen, und zwar unabhängig davon, ob der zum Tatbestand gehörende Erfolg - die Feststellung der Übertretungen - im Sprengel einer anderen Verwaltungsstrafbehörde eingetreten sei.

Als Sitz des Unternehmens sei dabei jedoch entgegen der Ansicht des Landeshauptmannes von Niederösterreich nicht der Standort der Hauptbetriebsstätte des Handelsgewerbes anzusehen, sondern jener der Geschäftsleitung bzw. der zentralen Verwaltung. Der Sitz der Geschäftsleitung befinde sich in N. In erster Instanz sei somit die Bezirkshauptmannschaft Mödling zuständig gewesen.

1.7. Der Landeshauptmann von Niederösterreich legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Gemäß § 1 Abs. 1 ArbIG 1974 regelt dieses Gesetz die Wahrnehmung des gesetzlichen Schutzes der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit durch die Arbeitsinspektion.

Wird der Aufforderung des Arbeitsinspektors nach § 6 Abs. 1 ArbIG 1974, unverzüglich den den geltenden gesetzlichen Vorschriften und behördlichen Verfügungen entsprechenden Zustand herzustellen, nicht entsprochen, so hat das Arbeitsinspektorat gemäß § 6 Abs. 2 leg. cit. Anzeige an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde zu erstatten, falls die Anzeige nicht bereits anläßlich der Feststellung der Übertretung erstattet wurde. Mit der Anzeige kann auch ein Strafausmaß beantragt werden.

§ 8 ArbIG 1974 lautet auszugsweise:

"(1) An Verwaltungsverfahren in Sachen, die den Schutz der Arbeitnehmer berühren, hat die Behörde das nach dem Standort und der Art des Betriebes zuständige Arbeitsinspektorat zu beteiligen. ...

(5) Die Abs. 1 erster Satz, 3 und 4 gelten auch für das Verwaltungsstrafverfahren."

§ 9 ArbIG 1974 bestimmt auszugsweise:

"(1) In den Fällen der §§ 6 Abs. 3, 7 Abs. 1 und 8 Abs. 1 und 5 steht dem nach Standort und Art des Betriebes zuständigen Arbeitsinspektorat gegen den Bescheid der zuständigen Behörde erster Instanz die Berufung zu, wenn der Bescheid dem vom Arbeitsinspektorat gestellten Antrag oder der abgegebenen Stellungnahme nicht entspricht; ...

(2) Gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden, die in letzter Instanz ergangen sind, ist der Bundesminister für soziale Verwaltung berechtigt, wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben."

Gemäß § 31 Abs. 2 lit. p ASchG begehen Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die unter anderem den auf Grund des § 27 leg. cit. vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen oder den erteilten Aufträgen zuwiderhandeln, eine Verwaltungsübertretung und sind, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu S 50.000,-- zu bestrafen.

2.2. Die wiedergegebene Bestimmung des § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 räumt dem Bundesminister für Arbeit und Soziales eine Amtsbeschwerdeberechtigung im Sinne des Art. 130 Abs. 2 B-VG, also eine objektive Beschwerdebefugnis, ein. § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 setzt für diese Amtsbeschwerde einen letztinstanzlichen Bescheid als Anfechtungsgegenstand voraus, bringt aber nicht zum Ausdruck, daß die Nichterschöpfung des administrativen Instanzenzuges durch das Arbeitsinspektorat zur Zurückweisung der Beschwerde des Bundesministers zu führen habe (wie dies für Beschwerden wegen behaupteter subjektiver Rechtsverletzungen im Sinne des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG - "nach Erschöpfung des Instanzenzuges" - judiziert wird).

2.3. Dem vorliegenden Verwaltungsstrafverfaren liegt die "Strafanzeige gem. § 6 ArbIG" des Arbeitsinspektorates für den

2. Aufsichtsbezirk in Wien vom zugrunde, in der unter anderem die im Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses aufgezählten drei Übertretungen "von Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer festgestellt" wurden und bezüglich derer der Antrag gemäß § 6 Abs. 2 ArbIG 1974 gestellt wurde, "den Verantwortlichen mit einer Geldstrafe von

S 1.000,-- je Übertretung ... zu belegen".

In diesem Strafantrag wurde somit die Nichteinhaltung der streitgegenständlichen Auflagenpunkte des auf § 77 GewO 1973 und § 27 Abs. 2 ASchG gestützten Betriebsanlagegenehmigungsbescheides unter dem Aspekt der Verletzung von Arbeitnehmerschutzinteressen qualifiziert.

Dadurch, daß sowohl der erstinstanzliche Strafbescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling als auch der angefochtene Bescheid die Verletzung der genannten Auflagenpunkte nicht, wie beantragt, den Strafbestimmungen des Arbeitnehmerschutzgesetzes, sondern jenen der Gewerbeordnung 1973 unterstellen, entsprechen diese Bescheide "dem vom Arbeitsinspektorat gestellten Antrag oder der abgegebenen Stellungnahme" im Sinne des § 9 ArbIG 1974 nicht.

Dies ist sowohl für die Frage des Beschuldigten und der Art seiner Verantwortlichkeit (der gewerberechtliche Geschäftsführer ist nicht der für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften Verantwortliche) als auch für die Frage des Tatortes (hiezu genügt es, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 86/08/0231 = ZfVB 1987/5/2250, und viele andere, etwa jenes vom , Zl. 86/08/0202 = ZfVB 1990/2/840, zu verweisen) von entscheidender Bedeutung.

Zutreffend macht der beschwerdeführende Bundesminister für Arbeit und Soziales geltend, die belangte Behörde habe im Beschwerdefall verkannt, daß es sich bei den im vorliegenden Fall vom Arbeitsinspektorat inkriminierten Übertretungen nicht um solche der Gewerbeordnung, sondern um Verletzungen des Arbeitsnehmerschutzgesetzes handle und daß daher die Verneinung der Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Mödling zu Unrecht erfolgt sei.

2.4. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet hat.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.