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VwGH vom 28.11.2001, 2000/13/0025

VwGH vom 28.11.2001, 2000/13/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des M H in W, vertreten durch Schönherr, Barfuss, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in 1014 Wien, Tuchlauben 13, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. RV/210- 07/99, betreffend Nachsichtsansuchen (in einer Angelegenheit der Familienbeihilfe), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom forderte das Finanzamt für den Zeitraum vom Dezember 1992 bis Juni 1995 zu Unrecht bezogene Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für das Kind Lucie im Gesamtbetrag von S 61.800,-- zurück. Begründend führte das Finanzamt aus, die Stieftochter des Beschwerdeführers besuche seit die Pflichtschule in Tschechien - halte sich demnach ständig im Ausland auf - , weshalb gemäß § 5 Abs. 4 FLAG 1967 kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe.

Nachdem ein dagegen ergriffenes Rechtsmittel erfolglos geblieben war, ersuchte der Beschwerdeführer mit Antrag vom um Nachsicht der rückgeforderten Beträge. Begründend führte der Beschwerdeführer aus, die familiäre Finanzsituation sei derzeit aufs Äußerste angespannt: Durch die dem Kindeswohl dienende auswärtige Schulbildung der Tochter entstünden - um die Familie dennoch zusammenzuhalten - erhöhte Reisekosten, die notwendigen Aufwendungen für die Tochter seien nunmehr ohne Familienbeihilfe zu bestreiten. Überdies sei ein laufender Kredit für die Sanierung der Wohnung zu bedienen. Zu alledem komme, dass die Ehefrau zur Zeit arbeitslos sei, wobei es für sie als Ausländerin besonders schwierig sei, eine neue Arbeit zu finden. Das monatliche Familieneinkommen betrage (einschließlich Arbeitslosenbezug der Ehefrau) S 24.991,--. Dem stünden laufende Ausgaben für Wohnungsmiete, Garagenmiete, Gas, Strom, Telefon, Kreditrückzahlung, Haushaltskosten, Aufwendungen für die Tochter und Reisekosten von monatlich zusammen S 23.900,-- gegenüber.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt das Nachsichtsansuchen mit der Begründung ab, dass der Unterhalt der Stieftochter zum Teil vom leiblichen Vater getragen werde und zudem ein Anspruch auf Familienbeihilfe in Tschechien bestünde.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er insbesondere auf die seiner Ansicht nach gegebene sachliche Unbilligkeit der Einhebung des Rückforderungsbetrages hinwies und zum Hintergrund des Nachsichtsansuchens im Wesentlichen ausführte: Bei Lucie handle es sich um die Tochter seiner aus Tschechien stammenden Ehefrau. Nach Abschluss des Scheidungs- und Obsorgeverfahrens in Tschechien sei Lucie nach Österreich gekommen und habe im gemeinsamen Haushalt der Eheleute gelebt. Die Eingewöhnung der Stieftochter in Österreich habe sich jedoch schwieriger gestaltet als zunächst angenommen. Man habe sich daher im November 1992 dazu entschlossen, dass Lucie vorerst weiterhin in Tschechien die Schule besuchen dürfe und sie nur zu den Wochenenden und Ferien nach Österreich komme. Es habe sich bei dieser Vereinbarung lediglich um eine provisorische Lösung gehandelt, die nur so lange beibehalten werden sollte, bis sich der Zustand des Kindes stabilisiert hätte. Der Beschwerdeführer habe die Tatsache, dass sich seine Stieftochter vorübergehend zu Ausbildungszwecken in Tschechien aufhalte, sofort dem Finanzamt angezeigt. Über entsprechende Anfrage habe ihm das zuständige Bundesministerium mit Schreiben vom wörtlich mitgeteilt:

"Eine Weitergewährung der Familienbeihilfe für ihre Stieftochter für die Zeiten ihres Aufenthaltes in Tschechien wird daher nur dann möglich sein, wenn das Kind nur vorübergehend dort lebt. Dies könnte dann der Fall sein, wenn sie sich lediglich für Zwecke der Ausbildung in Tschechien aufhält und dann in absehbarer Zeit endgültig zu Ihnen und Ihrer Gattin nach Österreich zurückkehren wird."

Da im Zeitraum des Familienbeihilfebezuges Lucies Aufenthalt in Tschechien bloß als provisorische Lösung gedacht war, sie sich lediglich zu Ausbildungszwecken in Tschechien aufgehalten und in den Ferien sowie an zahlreichen Wochenenden nach Österreich gekommen sei, habe sich der Beschwerdeführer zum Bezug der Familienbeihilfe berechtigt gehalten. Die nunmehr zurückgeforderten Beträge seien somit gutgläubig zur Deckung der notwendigen Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten der Tochter verwendet worden. Es treffe auch nicht zu, dass in Tschechien für Lucie ein Anspruch auf Familienbeihilfe bestünde. Der Unterhaltsbeitrag des leiblichen Vaters belaufe sich auf monatlich S 250,-- und sei somit im Vergleich zu den monatlich anfallenden Unterhaltskosten von S 4.000,-- derart geringfügig, dass von einer "teilweisen Unterhaltstragung" durch den leiblichen Vater nicht gesprochen werden könne.

Mit Schriftsatz vom ergänzte der Beschwerdeführer, auf Grund gesundheitlicher Probleme der mittlerweile siebzehnjährigen Tochter entstünden der Familie zusätzliche Behandlungskosten. Anders wie bei allen anderen Familien seien diese Kosten sowie der laufende Unterhalt des Kindes ohne jegliche laufende Familienbeihilfe zu bestreiten. Die nachträgliche Rückforderung der Familienleistungen widerspreche dem Grundsatz von Treu und Glauben. Die Beträge seien zweckentsprechend verwendet worden im Vertrauen auf die Auskunft des zuständigen Bundesministeriums. Auch das Finanzamt habe nach unverzüglicher Anzeige der für den Beihilfenanspruch maßgeblichen Umstände den Anspruch zunächst für gegeben erachtet. Erst bei wiederholter Anspruchsüberprüfung im Juni 1995 sei der Beschwerdeführer mit der geänderten Auffassung des Finanzamtes konfrontiert worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab, wobei sie dem Beschwerdeführer zugestand, dass die Einhebung des Rückforderungsbetrages nach seinem Vorbringen, insbesondere zur wirtschaftlichen Situation, als unbillig erscheine. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sei jedoch zu bedenken, dass der Beschwerdeführer nach den behördlichen Feststellungen zum Bankverbindlichkeiten in Höhe von rund S 170.000,-- habe. Die begehrte Nachsicht von S 61.800,-- würde sich deshalb ausschließlich zu Lasten der Finanzverwaltung und zugunsten der näher bezeichneten Bank auswirken. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei dies ein Aspekt, der einer Abgabennachsicht unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit und Zweckmäßigkeit entgegenstehe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Fall eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff der Unbilligkeit der Einhebung nach Lage des Falles entspricht. Verneint sie diese Frage, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr, sondern der Antrag schon aus rechtlichen Gründen abzuweisen. Bejaht die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 94/13/0047, 0049, 0050, mwN).

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde das Vorliegen - offenbar persönlicher - Unbilligkeit der Abgabeneinhebung bejaht. Soweit der Beschwerdeführer eine Auseinandersetzung der belangten Behörde mit seinen die sachliche Unbilligkeit betreffenden Berufungsausführungen vermisst, kann er in Rechten nicht verletzt sein, da die Rechtsentscheidung der belangten Behörde ohnehin zugunsten des Beschwerdeführers ausgefallen ist.

Bei Ermessensentscheidungen beschränkt sich die Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof darauf, ob vom eingeräumten Ermessen innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen Gebrauch gemacht wurde, oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmissbrauchs - nicht der Fall gewesen ist (vgl. für viele das schon angeführte hg. Erkenntnis vom ). Ermessensentscheidungen sind daher von der Behörde insoweit zu begründen, als dies die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes in Richtung auf seine Übereinstimmung mit dem Sinn des Gesetzes erfordert. Die Behörde hat demnach in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgebenden Umstände und Erwägungen soweit aufzuzeigen, dass den Parteien des Verwaltungsverfahrens die Verfolgung ihrer Rechte und dem Verwaltungsgerichtshof die rechtliche Kontrolle des Ermessens möglich ist. Letztlich hat der Verwaltungsgerichtshof auch zu prüfen, ob das Verwaltungsverfahren, das mit der Ermessensentscheidung geendet hat, den gesetzlichen Verfahrensbestimmungen entsprochen hat oder nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 89/13/0044).

Die belangte Behörde begründet ihre negative Ermessensentscheidung einzig mit dem Vorliegen von Bankverbindlichkeiten in Höhe von rund S 170.000,--, woraus zu folgern sei, dass sich die begehrte Nachsicht in Höhe von S 61.800,-- ausschließlich zu Lasten der Finanzverwaltung und zugunsten des Kreditinstitutes auswirken würde. Dabei handle es sich um einen Aspekt, der nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes einer Abgabennachsicht unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit und Zweckmäßigkeit entgegenstünde.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen diese Beurteilung mit dem Vorbringen, die beantragte Nachsicht würde nicht die Gläubigerbank, sondern seine Familie, insbesondere die Stieftochter begünstigen. Die ratenweise Rückzahlung der Bankverbindlichkeit sei durch persönliche Haftung sichergestellt. Anders als bei den von der belangten Behörde zitierten Erkenntnissen könne sich der Beschwerdeführer nicht wie ein Unternehmen entschulden. Im Fall der endgültigen Verweigerung der Nachsicht würde sich die finanzielle Durststrecke um zusätzliche Jahre verlängern. Dies führe dazu, dass er insbesondere seinen Verpflichtungen gegenüber der Stieftochter nicht in dem Maße gerecht werden könne, wie dies Sinn und Zweck der staatlichen Familienbeihilfe sei. Auch habe die belangte Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung völlig außer Acht gelassen, dass er die Familienbeihilfe zunächst im guten Glauben bezogen habe. Daran könne auch die Existenz eines privaten Gläubigers, der zur Nachsicht nicht bereit sei, nichts ändern. Die belangte Behörde habe im Rahmen der Ermessensentscheidung Sinn und Zweck des Familienlastenausgleichsgesetzes verkannt. Die gerade durch das FLAG zum Ausdruck gebrachte soziale Staatsaufgabe der Familienförderung stehe der verweigerten Nachsicht entgegen. Durch die Versagung der Nachsicht werde die Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers in doppelter Weise eingeschränkt: Einerseits durch die Rückzahlungsverpflichtung der bereits verwendeten Familienbeihilfen und andererseits durch die Ablehnung laufender Familienbeihilfe.

Obwohl der Beschwerdeführer dieses Vorbringen auch im Verwaltungsverfahren erstattet hatte, hat sich die belangte Behörde damit in keiner Weise auseinander gesetzt. Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren insbesondere ausführlich dargelegt, dass die beantragte Nachsicht unmittelbar dem Familienwohle zugute komme. Warum die belangte Behörde dessen ungeachtet zur Feststellung gelangt ist, eine allfällige Nachsicht komme ausschließlich dem weiteren Gläubiger zugute, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Zu den von der belangten Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung herangezogenen Entscheidungen des Gerichtshofes ist überdies darauf hinzuweisen, dass diesen jeweils Sachverhaltskonstellationen zugrunde lagen, in denen die begehrte Nachsicht keine wesentliche Veränderung der wirtschaftlichen Lage des Nachsichtswerbers erwarten ließ. Der Beschwerdeführer hat zudem auch Gründe (gutgläubiger und zweckentsprechender Verbrauch der Familienbeihilfe) dafür genannt, warum er einen Schulderlass gerade des Abgabengläubigers angesprochen hat. Dass die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer aufgezeigten Umstände bei der von ihr angestellten Interessensabwägung berücksichtigt hat, ist aus der Begründung des angefochtenen Bescheid gleichfalls nicht zu ersehen.

Da dem angefochtenen Bescheid wie dargestellt nicht zu entnehmen ist, dass die belangte Behörde die Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände getroffen hat, war der angefochtene Bescheid infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am