VwGH vom 13.10.1988, 88/08/0118
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Liska, Dr. Knell, Dr. Puck und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungsrat Dr. Fischer, über die Beschwerde des SN in W, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien I, Wollzeile 25, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom , Zl. 121.591/2-7/87, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: I. Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien, 2. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter-Straße 65, 1201 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, daß der Beschwerdeführer ab zur H-OHG, Import-Export, 1050 Wien, X-gasse 26/27, in keinem die Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG begründenden Beschäftigungsverhältnis stehe. Die für den Genannten ab geführte Versicherung werde mit von Amts wegen beendet. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß der Beschwerdeführer bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse unter einem bestimmten, auf "H-OHG, Import-Export, 1050 Wien, X-gasse 26/27" lautenden Dienstgeberkonto ab als Exportleiter zur Versicherung gemeldet gewesen sei. Im Zuge der von der Kasse durchgeführten Ermittlungen wegen auflaufender Beitragsrückstände und Rückforderung von zu Unrecht bezogenen Leistungen aus der Krankenversicherung sei festgestellt worden, daß das Dienstverhältnis zur genannten Firma nach dem nicht mehr bestanden habe können, weil die Betriebsräumlichkeiten versperrt und laut Auskunft der Hausverwaltung bereits anderweitig vermietet worden seien. Bei der am durchgeführten Erhebung habe der Beschwerdeführer dem Erhebungsbeamten gegenüber angegeben, er habe ab seine versicherungspflichtige Tätigkeit für die Firma H in seiner Wohnung in 1230 Wien, Y-gasse 41/75/26, weiterhin ausgeübt, könne aber über die getätigten Arbeiten keinerlei Beweise erbringen. In einer am selben Tag erfolgten Niederschrift habe er zusätzlich zu Protokoll gegeben, er habe die erledigten Arbeiten postlagernd an den Alleininhaber der Firma H-OHG, SÖ nach Istanbul gesendet. Demgegenüber habe er jedoch in der Niederschrift vom angegeben, er wäre vom bis im Büro der Firma in 1050 Wien beschäftigt gewesen, vom bis infolge eines Unfalles "arbeitsunfähig erkrankt" und hätte erst bei Wiederantritt der Arbeit am bemerkt, daß das Büro in der X-gasse versperrt sei. Am sei der Beschwerdeführer im Versicherungsreferat der Kasse erschienen und habe neuerlich zu Protokoll gegeben, daß er nach der Schließung des Büros in 1050 Wien, X-gasse 26, die Tätigkeit für SÖ von seiner Wohnung aus ausgeübt habe. Diese Tätigkeit habe im Anknüpfen von Kundenkontakten und dem Abschluß entsprechender Aufträge bestanden. Der Kontakt zum Dienstgeber, der nach den Angaben des Beschwerdeführers am in die Türkei gereist sei und einen fünfjährigen Militärdienst ableiste, sei durch fallweise Telefonanrufe aufrechterhalten worden. Die Aufträge seien postlagernd nach Istanbul geschickt worden. Kopien der Aufträge seien nicht vorhanden, desgleichen keine Belege über Zahlungen für geleistete Arbeiten. Trotzdem habe er weiterhin die geschilderten Tätigkeiten von seiner Wohnung aus ausgeübt. Ergänzend zu den Angaben vom habe der Beschwerdeführer am niederschriftlich angegeben, daß ihm SÖ telefonisch aufgetragen habe, welche Länder von ihm zu bereisen wären. Die entsprechenden Firmen habe er sich allerdings nach eigenem Gutdünken ausgesucht. Die Einteilung der Arbeitszeit sei ihm oblegen und habe sich nach Vereinbarungen mit den Auftraggebern gerichtet. Die vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen, nämlich seine Mutter und seine Lebensgefährtin, haben am zu Protokoll gegeben, daß der Beschwerdeführer von seiner Wohnung aus fallweise Geschäftsreisen ins Ausland getätigt habe und auch Geschäftspartner in der Wohnung empfangen hätte. Über die Abwicklung dieser Geschäfte seien ihres Wissens keine Unterlagen vorhanden. "Bei den nach dem geschilderten und zu Protokoll gegebenen Tätigkeiten" des Beschwerdeführers könne von einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht die Rede sein. Die für den Eintritt bzw. Bestand der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht erforderlichen Voraussetzungen träfen demnach nicht zu.
Der gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 als unbegründet abgewiesen. Gemäß §§ 413 und 414 in Verbindung mit § 355 ASVG wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer zur H-OHG ab in keinem die Vollversicherungs- (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) und Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG begründenden Beschäftigungsverhältnis stehe. Nach der Begründung sei der Landeshauptmann vor allem auf Grund der Niederschrift vom , in der der Beschwerdeführer im wesentlichen angegeben habe, daß er vom bis zum für die H-OHG als Exportleiter tätig gewesen sei, zu der Überzeugung gelangt, daß er zur H-OHG ab in keinem die Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden sei. Der Dienstgeber habe nach den Angaben des Beschwerdeführers ein Büro in 1050 Wien, X-gasse 26, besessen, das von ihm gleichzeitig als Wohnung benützt worden sei Mit Ende April sei das Mietverhältnis aufgrund von Mietschulden aufgekündigt worden. Am sei SÖ der Alleininhaber der H-OHG, in die Türkei gereist, wo er gleich am Flughafen verhaftet worden sei. Derzeit diene er einen fünfjährigen Strafdienst beim Militär ab. Die Firma habe sich mit dem Import und Export von Fahrrädern, Maschinen und deren Bestandteilen beschäftigt. Die Aufgabe von SN ab Beginn seiner Tätigkeit sei es gewesen, Kundenkontakte zu knüpfen, die entsprechenden Aufträge abzuschließen und an die Firma weiterzugeben. Solange sich SÖ in Wien befunden habe, sei die Übergabe der Aufträge persönlich entweder im angeführten Büro oder in der Wohnung des Beschwerdeführers erfolgt. Ab Aufenthalt des Dienstgebers in der Türkei würden die getätigten Aufträge postlagernd an ihn gesandt und von ihm bearbeitet. Der sonstige Kontakt bestehe in fallweisen Telefonanrufen. Obwohl der Beschwerdeführer seit März 1983 kein Entgelt erhalten habe, sei er für den im Ausland befindlichen Dienstgeber weiterhin von seiner Wohnung aus tätig. Zum Sachverhalt habe der Beschwerdeführer darüber hinaus am und etwas divergierende Behauptungen aufgestellt. Insbesondere habe er in den an diesen Tagen aufgenommenen Niederschriften angegeben, daß er bis Ende Mai 1983 bzw. bis im Büro der Firma H-OHG in Wien V, X-gasse 26/27, tätig gewesen sei. Im Hinblick auf die Erklärung des Wohnungseigentümers der Wohnung Wien V, X-gasse 26/27, vom , daß die genannte Wohnung ab leergestanden und weder für Geschäfts- noch Wohnzwecke Verwendung gefunden habe, und die Mitteilung der Kammer der gewerblichen Wirtschaft an das Handelsgericht Wien vom , daß ihr Erhebungsdienst die genannte Wohnung am leerstehend vorgefunden habe, erschienen dem Landeshauptmann die Angaben des Beschwerdeführers in der Niederschrift vom am glaubwürdigsten. Gehe man nun davon aus, daß der Beschwerdeführer nach der Abreise des Alleininhabers der H-OHG in die Türkei am und der daraufhin erfolgten Schließung des Büros in Wien V, X-gasse 26/27, die Geschäfte der genannten Firma von seiner Wohnung aus im wesentlichen selbständig weitergeführt habe und nur sporadisch mit dem Alleininhaber der H-OHG SÖ in telefonischer Verbindung gestanden sei, so könne zumindest ab Mai 1983 von einer Weisungsgebundenheit und sozialversicherungsrechtlich relevanten Überwachung seiner Tätigkeit keine Rede sein, weshalb ab diesem Zeitpunkt ein die Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis zu verneinen gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, der mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 keine Folge gegeben wurde. Der Bescheid des Landeshauptmannes wurde "aus seinen zutreffenden Gründen" bestätigt. Zu den Berufungsausführungen wurde bemerkt, daß sie nicht geeignet seien, eine Abänderung der Entscheidung des Landeshauptmannes zu bewirken. Der Bescheid des Landeshauptmannes stütze sich keineswegs ausschließlich auf die Angaben des Beschwerdeführers bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse am , sondern seien hiefür auch noch andere Umstände ausschlaggebend gewesen. Insbesondere habe der Beschwerdeführer in der Niederschrift der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom angegeben, er sei vom bis im Büro der Firma H-OHG in Wien V, X-gasse 26, tätig gewesen. Diese Aussage stehe in Widerspruch zu seinen Angaben vom , wonach das Mietverhältnis hinsichtlich der Büroräumlichkeiten in der X-gasse 26 per aufgekündigt worden sei. Letztere Darstellung sei die glaubwürdigere, zumal aus einer Mitteilung der Gebäudeverwaltung vom hervorgehe, daß die Wohnung X-gasse 26/27 ab leergestanden sei. Die belangte Behörde schenke auch der Behauptung, daß de Beschwerdeführer von seinem Dienstgeber, Herrn Ö - nach dessen Abreise in der Türkei Ende April 1983 noch auf das arbeitsbezogene Verhalten gerichtete Weisungen erhalten habe bzw. daß die Einhaltung der behaupteten wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden oder die ordnungsgemäße Durchführung der übertragenen Arbeiten vom Dienstgeber kontrolliert worden seien, keinen Glauben. Dies deshalb, weil Herr Ö - nach den eigenen Angaben des Beschwerdeführers - bei seiner Ankunft in der Türkei zunächst verhaftet worden sei und in der Folge strafweise einen Militärdienst in der Dauer von fünf Jahren habe ableisten müssen. Es sei daher nicht anzunehmen, daß der Dienstgeber unter diesen Umständen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen dem Beschwerdeführer telefonisch Weisungen und Aufträge erteilen und seine Arbeit habe kontrollieren können. Was die vom Beschwerdeführer behauptete regelmäßige schriftliche Berichterstattung an den Dienstgeber anlange, so sei vom Beschwerdeführer zwar die Kopie eines Geschäftsbriefes vom vorgelegt worden, es sei aber nicht anzunehmen, daß dieses Schreiben jemals den Adressaten SÖ erreicht habe, zumal die Anschrift nur mit "z.Zt. Istanbul" angegeben sei. Schließlich sei die Behauptung unglaubhaft, daß der Beschwerdeführer über den April 1983 hinaus (bis ) weiter für die H-OHG tätig gewesen sei, wenn er das ihm für die Zeit vorher zustehende Entgelt für seine Tätigkeit zum überwiegenden Teil auf gerichtlichem Wege habe einklagen müssen und auch in Zukunft nicht mit einer ordnungsgemäßen Bezahlung habe rechnen können. Aus diesem Grunde halte die belangte Behörde die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei bis für die H-OHG tätig gewesen, für unglaubwürdig. Die belangte Behörde gelange daher zu der Auffassung, daß der Beschwerdeführer nach dem weder an Ordnungsvorschriften über den Arbeitsort - weil ein solcher überhaupt nicht mehr vorhanden gewesen sei - gebunden gewesen sei noch einem Weisungs- und Kontrollrecht des Dienstgebers unterlegen sei. Aus diesem Grunde fehlten die für eine Beschäftigung in persönlicher Abhängigkeit typischen Kriterien und damit eine der unerläßlichen Voraussetzungen für das Bestehen der Versicherungspflicht nach § 4 ASVG über den hinaus.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Mit Recht macht der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, daß aus der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht eindeutig hervorgeht, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung hinsichtlich der Tätigkeit des Beschwerdeführers in der Zeit nach dem zugrundelegte. Wenn die belangte Behörde den Bescheid des Landeshauptmannes "aus seinen zutreffenden Gründen" bestätigte, so übernahm sie die Begründung dieses Bescheides und damit auch die dort aufscheinende Feststellung, daß der Beschwerdeführer "nach der Abreise des Alleininhabers der H-OHG in die Türkei am und der daraufhin erfolgten Schließung des Büros in Wien V, X-gasse 26/27, die Geschäfte der genannten Firma von seiner Wohnung aus im wesentlichen selbständig weiterführte und nur sporadisch mit dem Alleininhaber der H- OHG SÖ in telefonischer Verbindung stand". Demgegenüber "bemerkte" sie im angefochtenen Bescheid zu den Berufungsausführungen, daß die Behauptung unglaubhaft sei, daß der Beschwerdeführer über den April 1983 hinaus (bis ) weiter für die H-OHG tätig gewesen sei. Wenn der Beschwerdeführer meint, daß diese Ausführungen dahin zu verstehen seien, daß die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt sei, daß der Beschwerdeführer nach Ende April 1983 überhaupt nicht - also weder selbständig noch unselbständig für die Firma H-OHG tätig gewesen sei, so kann ihm nicht entgegengetreten werden. Damit ist die Begründung des angefochtenen Bescheides aber in einem wesentlichen Punkte, nämlich in der Frage, ob und welche Tätigkeit der Beschwerdeführer ab dem für die H-OHG bzw. für SÖ ausgeübt hat, in sich widersprüchlich. Dieser Widerspruch stellt einen wesentlichen Begründungsmangel im Sinne der §§ 58 Abs. 2, 60 und 67 AVG 1950 dar, zumal im Berufungsverfahren zum Beweisthema der Tätigkeit des Beschwerdeführers ab dem neue Beweise (insbesondere die Vernehmung des Beschwerdeführers und des Zeugen GK am sowie die Vorlage verschiedener Geschäftsunterlagen durch den Beschwerdeführer) aufgenommen wurden, mit denen sich die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides nur bruchstückweise auseinandersetzte.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem andern Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 243/1985. Das auf den Ersatz von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die in § 110 ASVG verankerte sachliche Abgabenfreiheit abzuweisen.
Wien, am
Fundstelle(n):
JAAAE-36647